LdN266: Impfung: Kommunikation .... Impflicht oder gesellschaftlicher Imperativ

Lieber @vieuxrenard, lieber Phillip,

diese Haltung „keine Impflicht, aber Impfen ist gesellschaftlicher Imperativ“, finde ich, ganz ehrlich, ebenso unredlich wie das „Impfen ist freiwillig / Privatsache, aber wir brauchen eine Impfquote von 90%“.

[Nebenbei: Imperativ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Befehl“|

Entweder, es das Impfen ist aus gesellschaftlicher Sicht alternativlos, um von der Pandemie zurück in eine für die weit überwiegende Mehrheit der Menschen erträgliche Lage zurück zu kommen und 100.000 Tote und noch sehr viel mehr Leid (schwerer Verlauf, Langzeitfolgen, Überlastung des medizinischen und Pflegepersonals, psychische Konsequenzen für Kinder und Jugendliche und auch Erwachsene, …) zu vermeiden. Dann sollten wir angesichts des Ausmaß der Verweigerung uns doch für eine Impfpflicht aussprechen (auch wenn es vielen sehr schwer über die Lippen gehen sollte).

Oder es bleibt beim flammenden Appell mit perfekt orchestrierter Medienkampagne und niederschwefligen Angeboten … bis wir dann in wenigen Wochen doch feststellen: Die Betonköpfe unter den Impf"muffeln" interessiert auch das nicht. Die brauchen zur Gesichtswahrung die Impfpflicht.

Dann lasst Sie uns doch bitte in Gottes Namen gleich einführen! Niemand kann sagen, wir hätten es nicht versucht …

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Diese Position ist nicht unredlich, sondern verhältnismäßig: Es ist ein erheblicher Unterschied, eine Impfung als zwingend erforderlich zu bezeichnen oder sie tatsächlich mit Zwang durchzusetzen. Es kann sein, dass eine Pflicht erforderlich ist, aber man sollte es zunächst einmal mit einer klaren Kommunikation versuchen, dann mit massiven Einschränkungen für Ungeimpfte und/oder mit Impf-Pflichten für bestimmte Gruppen, schließlich muss eventuell eine allgemeine Pflicht sein.

Ich weiß auch nicht, ob wir heute mit einem Wechsel der Kommunikation noch einen ausreichenden Effekt erzielen. Mir ging es aber auch weniger um eine Empfehlung für jetzt und hier als um die politische Kommunikation generell: Man sollte sich überlegen, ob man sich in einer bestimmten Frage überhaupt Selbstbestimmung - so irrational die dann eben ausfallen mag - leisten kann. Falls nein, sollte man ehrlicherweise auch nicht von Freiwilligkeit sprechen - jedenfalls sofern ein Zwang verfassungsrechtlich überhaupt möglich wäre. Das ist beim Thema Covid-Impfung allerdings kein Problem.

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Könnt Ihr die These – wenn alle geimpft wären ist alles gut – auch wissenschaftlich untermauern? In Irland scheint ja mit 75% Impfquote (Gesamt) 91% Ü12 dennoch nicht alles super zu sein. Oder wie kommt ihr darauf?

In Irland scheint ja mit 75% Impfquote (Gesamt) 91% Ü12 dennoch nicht alles super zu sein.

Mag sein, dann reicht das wohl noch nicht :slight_smile:

Die Schwelle der Herdenimmunität liegt nach allem was ich weiß in der Tat eher bei 85% als bei 75% - und vielleicht auch noch etwas höher. Es müssen sich einfach alle impfen lassen, bei denen das medizinisch möglich ist.

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Wieso rücken dann immer mehr Wissenschaftler von der Behauptung ab, dass wir überhaupt eine Herdenimmunität herstellen können? Grundlage sind wohl die Werte wie oft ein voll Geimpfter dennoch den Virus weiter gegeben hat.

Nach all dem, was ich gelesen und gehört haben, gibt es im Fall von Corona so etwas wie eine Herdenimmunität nicht, bei der sich der Virus „Todlaufen“ würde.

Aber bei der Delta-Variante mit seinem hohen „natürlichen“ R-Wert (r0) wir brauchen eine sehr hohe Impfquote, (a) damit sich möglichst wenig Menschen anstecken und noch weniger Menschen ernsthaft krank werden und sterben (v.a. die „Vulnerablen“) und (b) keine Mutationen entstehen mit einem dann noch höheren R-Wert oder die sogar immun gegen den Impfstoff sind.

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Auch wenn ich nicht glaube, dass eine Herdenimmunität erreicht werden kann, und dieser Artikel hat mich hier bestärkt NYT ovid-herd-immunity-vaccine … frage ich mich, was dann… machen wir die Tür zu? Ein Land mit über 10 Millionen Reisenden nach Deutschland (Inbound Travel) und mitten in Europa? Ich ahne, wir brauchen die Impfpflicht und die hierzu etablierten Prozesse und gewonnenen Erfahrungen, um auch zukünftige Varianten - woher und wann auch immer - zu begegnen. Your thoughts?

Naja, der NYT-Artikel argumentiert, dass die Expert*innen vermuten, dass in den USA aufgrund derselben Phänomene wie hier die Herdenimmunität in weite Ferne rückt: schlechte Impfquote bei ansteckenderen Varianten.

Ich habe aber den Eindruck, dass dieser Fokus auf eine Herdenimmunität die Diskussion in eine falsche Bahn lenkt, da sie zu dichotomem Schwarz-weiß-Denken führt, anstatt das Geschehen eben statistisch zu sehen, in Wahrscheinlichkeiten: Es gibt nicht zwei Fälle „Herdenimmunität da“/„Herdenimmunität nicht da“, es gibt die Wahrscheinlichkeiten, 1. sich zu infizieren, 2. dabei andere anzustecken, 3. dass man selbst und diese potenziell Angesteckten symptomatisch erkranken, 4. dass man selbst und die anderen schwer krank werden oder sterben. Und all diese Wahrscheinlichkeiten sinken mit höherer Impfquote.

Und, klar, man könnte jetzt einen Wert für diese Wahrscheinlichkeiten hernehmen, an dem man von Herdenimmunität spricht. (Wenn ich es richtig verstehe, ist das ja auch, was mit den ursprünglich immer genannten 66 % Impfquote, jetzt eher 80-85% getan wird; der Wert ab dem exponentielles Wachstum mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gestoppt werden kann.) Aber das heißt eben nicht, dass nicht auch schon davor jede einzelne Impfung die oben genannten Wahrscheinlichkeiten senkt. Das gerät mit dem Fokus auf Erreichen und Nicht-Erreichen einer Herdenimmunität außer Blick und macht für diejenigen, die noch an der Impfung zweifeln, das Ganze noch weniger plausibel (auch wenn das Quatsch ist).

Die letztens hier wieder zitierte Kurve des RKI aus dem Juli zeigt das doch total klar: Es wird immer wieder Infektionswellen geben, aber der Verlauf flacht mit zunehmender Impfquote ab. Wenn wir irgendwann auch das exponentielle Wachstum verhindern: super! Aber auch vorher rettet jede einzelne Impfung potenziell Leben und das sollte meiner Ansicht nach das Zentrum der Kommunikation sein. Und das wird, so traurig es ist, wohl einfacher, je mehr eigentlich gesunde Menschen, die mitten im Leben stehen und alles dagegen getan haben, an dieser Krankheit zugrunde gehen werden.

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