LdN240: Freigabe der Impfstoffpatente

Hallo zusammen,

ich fand die Argumente für und gegen Patenfreigabe nur mäßig kreaitv. Es gibt viele mehr Nuancen wie man damit umgeht als ja oder nein.

  1. Die Freigabe der Patente kann einmalig bezahlt werden
    Kritiker fürchten, dass Pharmaindustrie nie wieder etwas entwickelt weil die Gewinne nicht gesichert sind. Man kann Moderna, Biontech etc. z. B. 2*Entwicklungskosten bezahlen für die Patente.
    Da die Produktionskapazitäten mindestens auf mittelfristige Sicht begrenzt sein werden werden die Originalhersteller weiterhin Ihren Impfstoff verkaufen können.

  2. Man kann für X Millionen Dosen eine Zwangslizenz erwirken
    Dann ist die „Freigabe“ begrenzt und die Hersteller werden danach ihr Monopol zurück rerhalten.

Insgesamt halte ich den Vorschlag für eine Nebelkerze. Es soll davon ablenken, dass die Herstellung der Impfstoffe massiv subventioniert wurde. Und dafür haben die Regierungen nichts konkretes als Gegenleistung erhalten. Wenn man als Venture-capital-Geber da rein gegangen wäre, dann würden jetzt X % des Gewinns / des Impstoffs den Regierungen gehören. Das ist das eig. Problem und dass soll zumindest für die nächste Pandemie polotisch geklärt werden.

Der vollständigkeitshalber: der 2. Grund warum es eine Nebelkerze wurde im Podcast dargelegt. Es wird effektiv zunächst nicht an der Verfügbarkeit ändern weil es an Produktionsstätten mangelt.

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Zum Thema Impfstoffpatente möchte ich noch eine kleine Ergänzung anführen:
im Podcast sagt ihr richtig, dass es aus humanitären Gründen wichtig/richtig ist, ärmere Länder zu impfen, denn nur so kann man eine Pandemie wirksam bekämpfen. Es kommt da aber direkt noch ein weiterer Aspekt hinzu: gerade diese ärmeren Länder sind meist solche, die eine schlechte medizinische Infrastruktur haben und in denen ein deutlich höherer Anteil der Bevölkerung HIV positiv ist. Während in Deutschland eine Coronainfektion nach ca 2 Wochen meist auskuriert ist, dauert sie in solchen Ländern oft deutlich länger (1. schlechtes Gesundheitssystem, 2. schlechtes Immunsystem durch HIV). Je länger eine Person coronapositiv ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass dabei Mutationen entstehen. Diese Mutationen sind dann wie ihr gesagt habt, potentiell gefährlich für den Impferfolg mit bestehenden Impfstoffen.

Deshalb: Patente müssen ausgesetzt werden bzw es muss eine Lösung gefunden werden, in allen Ländern schnell zu impfen. Sonst fliegt das der ganzen Welt um die Ohren.
Produktionsstätten hochziehen, Impfstoffe zur Verfügung stellen, Infrastruktur schaffen - diese Kosten sind nichts im Vergleich zu dem, was kommen könnte, wenn jetzt noch zig weitere Virusvarianten in Ländern entstehen, nur weil wir zu geizig sind „unsere“ Patente aufzugeben.

Wenn den wirklich die Lizenzgebühren einem Aufbau von Produktionskapazitäten im Wege stehen, kann man die Patentinhaber auch zur Stundung zwingen, im Zweifel durch staatliche Bürgschaften abgesichert.

Schon brauchen die Patentinhaber nicht mehr meckern und die Lizenzgebühren sind vom Tisch solange die Produktion nicht angelaufen ist.

Im Podcast wurder erwähnt, dass sich keine Fälle finden ließen, bei denen eine Impfstoffproduktion an der fehlenden Patentfreigabe scheiterte. Gerade habe ich zufällig einen Artikel endeckt, demzufolge es durchaus Fälle gibt, in denen Firmen bereit wären Impfstoffe zu produzieren, dies aber von den Patenthaltern abgelehnt wurde. Big vaccine makers reject offers to help produce more jabs – POLITICO

Es hat mich sehr gefreut, dass ihr das Thema aufgegriffen habt. In der Handelspolitik-Community wird die Diskussion schon etwas länger geführt. Der Vorstoß von Indien und Südafrika auf WTO-Ebene ist ja bereits schon vor einiger Zeit erfolgt und wurde von mehr als 100 Ländern - aber bisher eben nicht den Industriestaaten unterstützt. Vielen, die sich mit dem Thema beschäftigen, ist, wie ihr auch kurz ansprecht, bewusst, dass ein TRIPS waiver allein - der im Wesentlichen ja erst einmal nur bedeutet, dass auf die Möglichkeit von Patentrechtklagen im Zusammenhang mit Covid-19 Impfstoffen bzw auch weitergehend mit Produktionstechnologie etc zu verzichten - nicht ausreichen wird und das Technologietransfer usw auch dazu gehört. Dennoch: ein TRIPS waiver wäre jedenfalls nicht nur moralisch, sondern besonders auch politisch ein sehr starkes Signal! Die internationalen Handelsregeln sind immerhin eh schon besonders zum Vorteil internationaler Konzerne ausgestaltet. Dani Rodrik hält in dem Zusammenhang fest: „Rather than neutralizing the protectionists, trade agreements may empower a different set of rent-seeking interests and politically well-connected firms—international banks, pharmaceutical companies, and multinational firms. They may serve to internationalize the influence of these powerful domestic interests.“ (Quelle) Er beleuchtet da insb auch das TRPIS und die US-Pharmakonzerne.

Renommierte Wirtschaftwissenschaftler*innen unterstützen den Vorschlag eines TRIPS Waivers übrigens mittlerweile auch öffentlich - darunter Stiglitz, Mazzucato, Jayati Ghosh - siehe zB hier

Zum Punkt Entwicklung und Ausgaben für F&E finde ich das FAQ von Ärzte ohne Grenzen sehr gut: [https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/faq/1927](https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/faq/1927)

Als Expertin in dem Bereich kann ich außerdem nur @LDovifat (Twitter) von der Access Campaign von Ärzte ohne Grenzen sehr empfehlen!

Noch ein letzter Hinweis: Carlos Correa von South Center hat dazu auch einen sehr eindrücklichen Vortrag gehalten sowie dieses Policy Brief verfasst in dem er auch noch einmal die handelspolitische Dimension mit Blick auf WTO bzw TRIPS Abkommen beleuchtet: hier

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