Ich habe erhebliche Zweifel daran, dass die ambitionierten Preisvorstellungen für den Blockchain-Impfausweis von Ubirch und IBM auch nur ansatzweise realistisch sind. Eher vermute ich, dass es sich hierbei um die klassische Druckerpatronen-Taktik handelt: man bietet einen erstaunlich günstigen Einstiegspreis, der die Kosten der initialen Bereitstellung der Lösung nicht einmal ansatzweise deckt, und wenn der Kunde dann mal im Lock-In-Effekt gefangen ist, dann zieht man ihm durch hohe laufende Kosten das Geld säckeweise aus der Tasche.
Indikator dafür ist genau das Wort „Blockchain“. Eins der zentralen Probleme der Blockchain-Technik sind ihre enorm hohen laufenden Kosten. Das wird gern ignoriert oder beiseitegeredet, weil ein großer Teil dieser Kosten bislang effektiv durch konstantes Wachstum des „Kryptowährungs-Kuchens“ getragen werden, aber immer, wenn das Krypto-Wachstum gerade mal wieder fett boomt (wie zur Zeit zum Beispiel), geben die schlagartig explodierenden Transaktionskosten für die Aufnahme jedweder Daten in die Blockchain eine Kostprobe der realen, tatsächlichen Kosten, die mit dem Betrieb von Blockchains einher gehen.
Schauen wir Ubirch und ihre „fümpf Blochchains“ (thx @ Logbuch Netzpolitik für diesen wunderbaren Rant) mal konkret an: das wären Govdigital, Bloxberg, Ethereum, Ethereum Classic und IOTA. Die ersten beiden sind relativ unbekannte Ethereum-Derivate aus dem Forschungs- und staatlichen Infrastrukturbereich. Sicher preislich nicht teuer, dafür kann man deren „Dezentralität“ wohl erheblich in Zweifel ziehen. Ethereum Classic ist ein „toter“ Zweig von Ethereum, der einen Bruchteil der Aktivität vom Hauptzweig hat, daher auch geringe Transaktionskosten, aber immerhin ist’s mal eine tatsächlich dezentrale Chain. Nimmt man wohl mit, weil’s einfach ist, wenn man eh schon drei Ethereum-basierte Chains angebunden hat noch eine vierte anzubinden, und mehr ist bekanntlich besser („fümpf!“). IOTA ist die einzige technisch wirklich signifikant andere Technologie in diesem Pool, kostenmäßig zu vernachlässigen, aber sehr zweifelhafte Technologie mit kruden „selbstgebauten“ Hash-Funktionen, die kompetenten Kryptographen regelmäßig die Nackenhaare hochspringen lassen.
Jetzt kommt aber das Problem: Ethereum. Solide, abgehangene Technologie (zumindest für eine Blockchain), eindeutig dezentral betrieben, an und für sich eine gute Wahl - wenn da nicht die irrsinnigen Transaktionskosten wären. Aktuell bewegen die sich zwischen 15-30$ pro Transaktion, wobei damit die einfachst denkbare Transaktion gemeint ist, also eine Bewegung von Ether (der Währung der Chain). Jegliche komplexere Aktion wie der Aufruf eines Smart Contracts zur Speicherung von irgendwas (und das wäre genau, was man tun müsste, um so etwas wie die Registrierung von Impfungen umzusetzen) kostet ein Vielfaches davon, skalierend mit der zu speichernden Datenmenge und der Anzahl zur Speicherung nötigen Operationen. Man ist dann direkt im drei- bis schlimmstenfalls auch vierstelligen Bereich.
Und das ist nicht das Ende der Fahnenstange. Ethereum ist, wie alle großen, tatsächlich dezentral betriebenen Blockchain-Systeme, ein Proof-of-Work-System, also eines, in dem es eine konstante Notwendigkeit dafür gibt, dass eine große Menge Akteure ganz viel Strom verbraten und ganz viel Hardware kaufen, um damit um die Signatur neuer Blöcke zu konkurrieren. Die enormen finanziellen Kosten dieser Tätigkeiten werden unter anderem durch die Transaktionskosten finanziert, was bedeutet: jeder, der viele Transaktionen auf der Ethereum-Chain ausführt, ist sehr direkt und unmittelbar für die inzwischen beachtlichen Umweltschäden, die aus dem Betrieb dieses Netzwerks entstehen, mitverantwortlich. Der CO2-Output, den allein Ethereum derzeit erzeugt, bewegt sich auf dem Niveau ganzer Staaten (aktuell Dänemark, siehe Ethereum Energy Consumption Index - Digiconomist ), und man kann diesen nun runterbrechen auf einzelne Transaktionen und kommt bei erschreckend hohen Zahlen raus, jedenfalls wenn man diese Zahlen mal hernimmt und einen nüchternen Vergleich vornimmt mit den äquivalenten Kosten, die durch dieselbe für den Endbenutzer sichtbare Aktion (z.B. das Ausstellen eines Impfnachweises) in einem klassischen PKI-basierten System, wie es die EU-Kommission offenbar (glücklicherweise!) anstrebt, entstehen.
TL/DR: Ich befürchte, dass der „Blockchain-Impfausweis“ zwar durch günstige Kosten für das initiale Bereitstellen des Systems günstig aussehen mag, aber ein Vielfaches dieser Kosten im Betrieb erzeugen wird, wobei ein großer Teil dieses Geldes in Ethereum-Transaktionskosten fließen dürfte, die wiederum praktisch 1:1 in CO2-Erzeugung umgesetzt werden. Der Betrieb einer auf PKI basierenden Infrastruktur hinter einem EU-weit einheitlichen Impfausweis wird definitiv erheblich günstiger und umweltfreundlicher möglich sein.