LdN232 - Psychotherapie

Hallo!
Ich weiß, es ging beim Thema ambulante Psychotherapie vornehmlich um einen Überblick über die Abläufe und die Problematik der Wartezeiten - als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin hätte ich es aber der Vollständigkeit halber prima gefunden, wenn ihr auch meinen Berufsstand erwähnt hättet - für viele HörerInnen vielleicht nicht ganz unwichtig.
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten haben manchmal einen anderen Grundberuf studiert, sind aber immer auch approbiert und behandeln bis 21 Jahre.
Viele liebe Grüße!
Kerstin aus Duisburg

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Hallo liebe Lage,

zur aktuellen Folge und der Situation der Psychotherapie würde ich gerne einige Punkte skizzenhaft anfügen. Die „Planwirtschaft“ der KV bzgl. der Sitze ist sicher ein Punkt, betrachtet werden sollten aber auch der generelle Zulassungsprozess bzw. Anerkennungs- und Ausbildungsprozess für therapeutische Hilfe und die dahinterstehende berufspolitische Auseinandersetzung in Deutschland. In den 90er Jahren wurden einerseits die Behandlungsverfahren begrenzt, weswegen Verfahren wie die Gestalttherapie oder auch Psychodrama nicht mehr über die Kassen abzurechnen sind. Andererseits wurde und wird die Zugänglichkeit zu einer psychotherapeutischen Ausbildung durch die Berufspolitik der Psycholog_innen begrenzt. Nur so ist es zu erklären, warum zB Pädagog_innen für die Kinder- und Jugendlichen-PT Ausbildung zugelassen werden, für die Erwachsenen-PT-Ausbildung dagegen nicht. Weltweit ist das anders, da ist der Zugang zur Ausbildung wissenschaftlich breiter angelegt, und es sind mehr Verfahren für die Therapie zugelassen. Für Pädagog_innen ist es anschließend auch schwieriger, PiA-Stellen zu finden, da die meisten Kliniken Psycholog_innen bevorzugen, da deren Arbeit - im Unterschied zu Pädagog_innen - mit den Kassen abgerechnet werden kann. Es rechnet sich also nicht für eine kinder- und jugendpsychiatrische Klinik, päd. PiA-Kräfte anzustellen, obwohl sie haar-genau dieselbe Ausbildung wie Psycholog_innen machen. Aber auch auf psychologischer Seite wird bei der Zulassungspolitik der Ausbildungsinstitute teilweise Haarspalterei betrieben, u.a. bzgl. Studienschwerpunkten.

Zu erwähnen sind natürlich noch die hohen Kosten der PT-Ausbildung, und quasi eine Arbeit auf Mindestlohn in der PiA-Tätigkeit. Das verlängert die Ausbildung bei der meisten Auszubildenden, da sie nebenbei anderweitig arbeiten müssen (und bereits ein Studium hinter sich haben).

Diese Situation führt in D dazu, dass viele die sog. „kleine Heilpraktiker“-Ausbildung machen, wenn sie keine Chance für eine PT-Ausbildung sehen oder die langen Wartezeiten bei den Instituten scheuen (da es u.a. aufgrund der Begrenzung der Verfahren auch zu wenige gibt), anstatt eine vollwertige PT-Ausbildung mit ordentlichem Kassensitz. Warum diese Ausbildung im Gegensatz dazu bei den Kassen anerkannt ist, ist schleierhaft.

Abhilfe für diese Situation sollen nun die neuen Studiengänge an den Universitäten schaffen, in denen man PT studieren kann. Ob das dann die Situation langfristig verbessert, bleibt abzuwarten, v.a. wenn hierzu wieder Begrenzungen mit NC eingezogen werden. Dadurch befürchten die Ausbildungsinstitute natürlich einen wirtschaftlichen Schaden oder auch einen Bedeutungsverlust.

Fakt ist, dass hierdurch natürlich in der psychosozialen Versorgung eine Lücke zwischen Privat- und Kassenpatient_innen bzw. auch zwischen reich und arm entsteht: während privat zahlende Patient_innen sich auch andere Praxen, die zB pädagogisch-therapeutisch, gestalttherapeutisch oder szenisch-systemisch arbeiten, aussuchen können, und damit zumindest ein Stabilisierungsangebot erhalten, erhalten ärmere Menschen praktisch keine Versorgung.

Viele Grüße und macht so weiter, Dirk

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Hallo,

Dies ist mein erster Beitrag in diesem Forum, deswegen möchte ich zu Beginn erstmal die Chance nutzen mich bei euch zu bedanken. Ihr stellt tolle Themen zusammen, ihr bearbeitet sie sehr hörenswert und es ist einfach schön dabei zu sein.
Zu dem Thema Psychotherapie würd einleitend gesagt, dass mit Corona die psychischen Erkrankungen zugenommen haben. Nun stellt sich mir die Frage, ob das hauptsächlich an Corona liegt, oder ob der Lockdown eine Mitschuld trägt. Ich bin Befürworter einer Lockdown Strategie und halte mich an alle Beschränkungen, auch wenn ich nicht mit allem einverstanden bin, so wurde nunmal entschieden. Deswegen denke ich aber auch, dass ich Kritik üben darf. Und wenn jetzt die psychischen Erkrankungen zunehmen, dann sollte man herausfinden woher das kommt. Das Ergebnis sollten die Politiker in ihren Überlegungen mit bedenken.
Liebe Grüße
Chrishy

Bei dem Fall, dem ich aus eigener Anschauung kenne, geht es um eine Angststörung, die wegen der Angst um die Eltern und vor einer eigenen Infektion wieder ausgebrochen ist. Gerade bei Depressionen wird aber auch eine Rolle spielen, dass der Lockdown den üblichen Tagesablauf völlig verändert hat.

Der NC berechnet sich doch an der Nachfrage im Bezug auf die vorhanden Studienplätze oder bist du der Ansicht, dass die Studienplätze künstlich verknappt werden ?

Neue Stundiengänge sind so eine Sache, wenn die Unis nicht mehr Mittel bekommen. zumindest bei akademisierung der Pflegeberufe ist in teilen wohl ein derartiges Problem aufgetreten. Weiß jemand wie das hier aussieht? Ich habe wenig vertrauen in Kaliczek.

lernen nicht Heilpraktiker auch noch die Säftelehre ? Meines Wissens sind auch viele der Unwegbarkeiten, wie die lange teure Ausbildung ebenso, wie das verschreiben der Medikamente in Teilen zurückzuführen auf massive Lobbyarbeit der Ärztinnen. Um es etwas zu zuspitzen die gesellschaftliche Perspektive auf die Medizin und das selbstverständnis der Medzinerinnen erschweren eine Anerkennung anderer Teile der gesundheitlichen Versorgung.
Die Weigerung Psychologinnen, die Möglichkeit zu geben sich innerhalb der Ausbildung das Recht auf die Vergabe von Medikamenten zu erarbeiten, ist vor dem Hintergrund der mangelnden Anerkennung der Pharmazeutinnen besonders besonders albern.

Ich würde dir Zustimmmen, dass dies mehr diskutiert werden muss. Jedoch gilt hier Vorsicht, zum einen führt die Instrumentalisierung des Arguments dazu dass man es nur ansprechen kann, wenn man dies vernünftig einordnet.
Sprich, wie das dynamische Duo der Lage dies getan hat, in dem man auf die grundsätzlich mangelnde Anerkennung psychischer Erkrankungen schon zuvor eingeht.
Hier stellen sich viele grundsätzliche Problem, welche durch den Lokcdown verschärft wurden, wie soziale Unsicherheit, übermäßige Arbeitszeit, fehlende Strukturen in der Kinder Betreuung, Probleme in der Aufteilung der Reproduktionsarbbeit oder die Struktur des Bildungssystems.

gerade bei letzterem finde ich es ziemlich verlogen bzw. traurig sich hinzustellen und zu sagen, dass man die Schulen öffnen müsse weil, die Kinder sonst zu sehr psychisch belastet sind. Gerade im Bezug auf die Sozialkontakte fragt, man sich dann schon warum das Bildungssystem so strukturiert ist dass Kinder offensichtlich keine Sozialkontakte mehr außerhalb der Schule haben.

Der Lockdown ist doch eher ein Trigger oder Anlass für Probleme deren Ursache in veralteten und unsozialen Strukturen liegen.

Zum anderen sollte man auch Bezug nehmen auf die Konkrete Art des Lockdowns, es ist nicht ganz unevident dass ein kürzer Lockdown für die psychische Belastung besser gewesen wäre.

Ein kurzer Erfahrungsbericht (aus 2014) von der Lage auf dem Land. Zum Hintergrund: Mein Stiefbruder (Anfang 20) war schwer Schizophren und medikamentös eingestellt, aber auch arbeitsunfähig. Er hatte dann erneut so schwere Probleme, dass er sich selbst in die Psychiatrie einweisen wollte. Vermutlich aus Bettenmangel wurde er jedoch nur ambulant untersucht und seine Medikation wurde angepasst. 3 Tage später hat er sich das Leben genommen. Das allein kann einen schon wütend machen, der Zusammenhang zu den niedergelassen Psychologen kommt jedoch erst noch: Meine Stiefmutter hat daraufhin sinnvollerweise versucht, sich in psychologische Behandlung zu begeben. Das eigene Kind nach einem Suizid aufzufinden gönne ich keinem.

In einem Umkreis von 30min standen 4 Psychologen zur Auswahl. 3 konnten einen Ersttermin in 4-7 Monaten anbieten, der vierte hätte das schneller hinbekommen, sofern man bereit wäre privat zuzuzahlen.

Mich hat die gesamte Situation nachhaltig erschüttert. Ich glaube als privat Versicherter wäre das weniger problematisch gewesen, aber ist das wirklich wo wir als Gesellschaft hin wollen? In der speziellen Situation fehlt dann zusätzlich noch die Kraft, auf den Putz zu hauen. Da ist man dann eher mit sich selbst beschäftigt.

Hallo!
Ich würde gerne kurz meine Perspektive als Psychologie-Studentin in Österreich, die gerade selbst Bedarf für Pschotherapie hat, spiegeln. Ich bin in Deutschland noch gesetzlich familienversichert.
Es gab schon öfter Probleme bei der Rückerstattung von Arztkosten, weil viele Praxen die Gesundheitskarte nicht annehmen wollen, sie stellen lieber eine Rechnung, man soll es dann selbst bei der Kasse einreichen. Diese erstattet meistens aber nur einen Bruchteil, weshalb ich schon öfter auf hohen Rechnungen saß.
Ich möchte die Therapie natürlich an meinem Studienort machen, weil ich mich hier unter der Woche aufhalte. Außerdem sind die Grenzen derzeit mehr als kompliziert, deshalb gibt es auch gar keine Alternative für mich.

Nun zur Therapie:

  • Generell gilt auch hier wieder: Vorstrecken und einreichen. Da die Kassen aber eine Gebühr pro Rechnung verlangen, reiche ich oft höhere Rechnungen ein, den Puffer hat aber nicht jede:r.
  • Ich habe wirklich nachbohren müssen und letztendlich nur über private Kontakte in der Kasse herausgefunden, was die deutschen Sätze für eine Psychotherapie sind. Natürlich weiß mein:e Österreichische:r Therapeut:in nicht, wie die aktuellen Kassensätze sind (findet man nämlich nirgends), wollte sich aber gerne anpassen, weil ich es mir nicht leisten kann drauf zu zahlen.
  • Was wir nicht wussten: für Sprechstunden und Probatorik ist der Satz niedriger, jetzt sitze ich auf über 200 Euro, die mir nicht erstattet wurden.

Zum Therapieantrag:

  • Ich habe öfter nachfragen müssen, was in den Antrag gehört, jede Auskunft am Telefon ist anders, aber ich will ja nicht abgelehnt werden.
  • Als dann etwas fehlte, wurde mir das nicht am Telefon gesagt als ich nachfragte, sondern erst 2 Wochen später per Brief mitgeteilt.
  • Ich musste mich am Telefon mehrmals rechtfertigen, dass ich die Kasse nicht ausnutze, um mir Kosten in meinem Studium zu sparen. (Therapie/Selbsterfahrung ist kein Teil des Studiums, sondern in der Psychotherapie-Ausbildung. Trotzdem wurde mehrfach argwöhnisch gefragt)
  • ich warte jetzt gerade auf die Bestätigung, insgesamt läuft der Prozess schon seit 3 Monaten, ich hoffe, dass es bald klappt. Ich möchte mir garnicht vorstellen, wie es Menschen geht, die sich da noch weniger auskennen als ich, nicht so viel nachhaken oder durch ihre Erkankung so eingeschränkt sind, dass dieser ganze Aufwand garnicht machbar ist.

Noch kleine Ergänzung aus meinem Studium: Psychotherapie ist zwar kurzfristig teuer für Kassen, langfristig aber ziemlich kosteneffektiv. Deshalb sollte das System dringend optimiert werden.

Liebe Grüße aus den Bergen!