Die These, es liege Impfstoff in Millionen Höhe auf Halde, die in der besagte LdN232 bzw. 234 auch angeklungen ist, basiert auf einer irrigen Annahme. Die Annahme, dass aus einem Werk ausgelieferte Dosen (Erfassung in der Impfstatistik als „geliefert“) am gleichen Tag in den Oberarmen landen könnten (Erfassung in der Impfstatistik als „verimpft“), ist dabei nicht zutreffend. Tatsächlich liegt dazwischen allerdings eine Logistikkette (zentrale Auslieferung → Bundesländer → Landkreise/Impfzentren → Verimpfung), die gar nicht auf Null Tage verkürzt werden kann. Die Betrachtung von gelieferten und unverimpften Impfdosen am gleichen Tag ist also unzulässig, so stark sie auch verbreitet ist.
Betrachtet man das korrekt im Zeitverlauf, stellt man folgendes fest: Die gelieferten Impfdosen werden mit einem durchschnittlichen Zeitversatz von 13 Tagen verimpft. Der variiert offensichtlich nach Bundesländern (die genauen Variationen lassen sich allerdings mangels verfügbaren Zeitreihen nach Bundesländern nicht ermitteln) und ist zuletzt leicht gestiegen (von 12 auf 13) - das ist allerdings wesentlich ein Effekt der erstmalig gestoppten AstraZeneca-Impfungen, könnte nach dem nun nochmaligen Stopp von U60-Personen wieder erhöht sein.
Im Umkehrschluss lässt sich somit sagen: Die Impfkapazität hält bisher mit den Lieferungen Schritt. Die ganzen allg. Debatten, man müsse nur mehr Kapazitäten schaffen und dann ginge das alles viel schneller, gehen daher an der Sache vorbei. Man kann dies schon machen, aber die Menschen zu den zusätzlichen Kapazitäten stehen dann halt sinnfrei in der Gegend rum (überspitzt gesagt), weil sie mangels Impfstoff gar nicht mehr impfen können.
Diese ganze Debatte, die auch in der LdN 234 zumindest anklingt, hat auch einen katastrophalen Nebeneffekt: Den Menschen wird suggeriert, mehr Kapazität bedeute mehr Impfungen. Millionen Menschen dürfen mittlerweile überzeugt sein, ihre Hausärztin werde sie kurzfristig zur Impfung einbestellen, wenn nur endlich die Hausärtz*innen (in Bayern sogar schon seit der Karwoche) impfen dürfen. Das wird brutal enttäuscht werden, weil der Impfstoff weiter knapp ist. Und die gesamte Missstimmung „über die unfähige Politik“ (so berechtigt sie in vielen Teilen ist) wird in diesem Punkt unrechtmäßig weiter zunehmen.
Tatsächlich bräuchte es drei Dinge:
- Mehr Impfstoffe beschaffen, auch durch Nutzung zusätzlicher Produktionskapazitäten
- Die Logistikketten optimieren und dadurch verkürzen - insb. in den Ländern, in denen sie besonders lang sind (der Effekt ist allerdings beschränkt, weil Mangel beseitigt das auch nicht)
- Statt die Illusion einer schnellen Impkapagne zu wecken endlich eine Langfrist-Strategie entwickeln, wie das Leben bis dahin funktioniert (es ist ein riesen Versäumnis und ein Grund für die eskalierende Stimmung, dass das im Herbst versäumt wurde, weil die politisch Handelnden in der Illusion einer schnellen Impfkapagne aufgingen und auch bei den Menschen geweckt haben)
Generell kann ich aus Bayern, speziell meiner Heimat Erlangen, berichten, dass auch schon vor der Rechtsänderung aus dem BMG die Impfreihenfolge am Abend durch sog. Reservelisten umgangen worden ist. Dies wird in Bayern eigentlich schon von Anfang an gemacht, soviel ich mitbekommen habe. Auf diesen Reservelisten sind Personen, bei denen Impfen auch Priorität hat und die kurzfristig verfügbar sind, bspw. Mitglieder der (Freiwilligen) Feuerwehr oder dem Katastrophenschutz. Diese werden dann angerufen, wenn am Ende eines Tages noch Impfstoff in der Ampulle ist. Auch werden teilweise in Bayern die Ehepartner*innen gleich mitgeimpft, auch wenn diese noch nicht „dran“ ist. Eine Verallgemeinerung ist dabei nicht zielführend.