LDN231 - Lobbyregister - Motivation der Referenten

Ulf und Philipp führen in dem Beitrag zum Lobbyregister als Schwachpunkt auf, dass Lobbyarbeit bei Referenten nicht unter die Definition der Liste fällt. Mir dabei nicht klar welche Motivation die Referenten in den Ministerien haben, sich beeinflussen zu lassen. Mein Verständnis war das sie als Beamtinnen den Weisungen ihrer Vorgesetzten folgen, also denen der unter die Registrierungspflicht fallenden (Unter-)Abteilungsleiterinnen und Ministerinnen.
Nähmen die Referenten Geld an wäre es Bestechung. Politische Beamte sind meines Wissens eher ab Staatssekretär typisch, die private politische Meinung der Beamten ist nicht notwendigerweise systematisch industriefreundlich. Übernehmen sie aus Faulheit Gesetzestexte, statt sie selbst zu formulieren, gehen sie für wenig Gewinn viel Risiko ein.
Übersehe ich etwas offensichtliches?

Na, ich meine, das offensichtlichste ist das: Wenn du dich auf einem Feld nicht auskennst, suchst den Rat von Experten. Wenn die Auswahl der Experten, die sich anbietet, einseitig ist, wirst du einseitig informiert und das glauben, was dir diese eine Seite erzählt, bzw. Aspekte außer Acht lassen, die das Lobbyisty verschwiegen hat.

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Gute Überlegung, aber erklärt wie mir scheint das Phänomen noch nicht komplett.
Als Referent der den Entwurf schreibt wird ja mutmaßlich der oder diejenige ausgewählt die sich mit dem Thema auskennt. Jeder braucht mal Hilfe, aber schon Schüler kriegen beigebracht das man nicht 1 zu 1 kopieren sollte. Spätestens die Vorgesetzte dürfte wenig beindruckt sein wenn sie mitkriegt das der Referent kopiert statt selbst geschrieben hat.
Außerdem müsste es ja dann für jedes Gesetz bei dem ein Industrielobbyverband sich als Hilfe angeboten hat eines geben bei dem eine NGO mitgeschrieben hat. Vielleicht gibt es ja Fälle/Gesetze bei denen NGOs direkt Textbausteine zitieren und das wird nur nicht thematisiert oder fällt nicht auf?

Für einen systematischen Einfluss von Industrielobbyverbänden (der glaube ich das ist was als existent und problematisch angesehen wird) muss es doch einen dahingehende systematische Inzentive für die Referenten geben oder? Bloßer (Zeit-)Druck abzuschreiben weil man sich mit dem Thema nicht auskennt scheint mir nicht zu reichen.

Vielleicht ein grundlegender Hinweis: In den Ministerien auf Bundes- sowie auf Landesebene kann man eine Einteilung in Arbeitsebene und politische Führungsebene vornehmen. Die eigentliche Sacharbeit geschieht in den Referaten. Aber die dort arbeitenden Referenten/-innen sind nicht notwendigerweise Beamte (sie sind schon gar nicht „politische Beamte“), oft sind es auch Bedienstete in einem Angestelltenverhältnis. Politische Beamte sind bspw. Abteilungsleiter/innen, auch wenn die Definition da teilweise schwankt und manchmal erst bei den Staatssekretären (StS) ansetzt (hier gibt es die ‚parlamentarischen StS‘ [Parteipolitiker mit Abgeordnetenmandat] und die ‚beamteten StS‘). Vereinfacht gesagt: Je höher man in der vertikalen Gliederung ‚nach oben‘ geht, desto politischer wird es. Das kann man etwa daran sehen, dass viele Wechsel auf den Abteilungsebenen (und natürlich darüber) stattfinden, wenn die Hausspitze wechselt, also der Minister oder die Ministerin, vor allem dann, wenn eine andere Partei die Leitung eines Ministeriums übernimmt.

Es ist gar nicht ungewöhnlich, dass es in einigen Bundesministerien eine Art „Jobrotation“ gibt, wo Referenten/-innen bspw. in eine Beratungsfirma wechseln und dafür ein/e Berater/in für eine Weile in ein Ministerium geht. Auch, dass mit externer Hilfe von großen Kanzleien Gesetzenentwürfe formuliert werden oder Formulierungsvorschläge erarbeitet werden, ist eher die Regel als die Ausnahme. Dafür gab es in der Vergangenheit auch immer wieder Beispiele – und m. E. zu Recht – viel Kritik.

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Vielen Dank für den Hinweis und Erklärung. Deine Beschreibung der Führungsebene und politischer Beamter entspricht den Premissen unter denen ich die Frage gestellt habe, aber ich kannte die Situation nciht in diesem Detail. Neu war mir das es auf Referenteneben ein Kommen und Gehen gibt. Aber ich sehe immer noch nicht wie daraus notwendigerweise eine systematische Inkompetenz folgt (es ist ja im Interesse der Ministerien Leute mit Erfahrung und den nötigen Kenntnissen einzustellen), noch wie daraus ein systematischer Bias/Parteinahme folgt (die Großkanzlei schreibt den Entwurf im Zweifel nach den Richtlinien und Prioritäten die ihnen genannt werden).
Ein Versprechen Referenten nach dem Ausscheiden aus dem Ministerium einen Job zu garantieren, was bei der Jobrotation ja eine Inzentive wäre, gilt ja mutmaßlich als Bestechung.

Ich will garnicht behaupten das in Ministerien und bei der Gesetzgebung alles gut liefe, ich frage mich nur wie konkret, und aus welchen Motivationen auf Seite der Referenten, die Lobby-Einflussnahme auf dieser Ebene passiert. Das diese auf Referentenebene passiert und das Lobbyregister oberhalb deshalb zu kurz greift schien mir die Kritik von Ulf und Philipp zu sein. Wenn Bestechung die einzige Methode der Lobbyisten wäre und weit verbreitet hätten wir ein größeres Problem als ein unzureichendes Lobbyregister.

Die Jobrotation findet nicht „nach dem Ausscheiden aus dem Ministerium“ statt, sondern ist eine (Personalentwicklungs-)Maßnahme, die während des laufenden Arbeitsverhältnisses geschieht und ist zeitlich befristet, erstreckt sich aber nicht selten über mehrere Jahre. Sie findet oft auch zwischen Ministerien/Behörden statt. Hintergrund ist, dass so die eigene Kompetenzentwicklung fokussiert werden soll und so mehrere Behörden/Referate/Abteilungen kennengelernt werden können. Der ‚Blick über den Tellerrand‘ soll damit gewährleistet werden, was natürlich ein Geschmäckle hat, wenn der Austausch zwischen Politik und Privatwirtschaft derart fließend ist.

Auf Referatsebene ist es, glaube ich, weder Inkompetenz noch die Motivation, sich bestechen zu lassen (der Begriff unterstellt etwas, was es in dieser Form auf dieser Ebene eher nicht gibt oder zumindest geben sollte), Geld anzunehmen oder parteiisch zu agieren. Die, so nenne ich sie mal, groben politischen Rahmenbedingungen und Leitlinien kommen von der Hausleitung (dargelegt im Koalitionsvertrag usw.) und ‚sickern‘ dann in die Arbeitsebene durch. Dort müssen sie verarbeitet werden und in konkrete Gesetzesentwürfe, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen usw. gegossen werden. Die Referenten/-innen sind i. d. R. Volljuristen, die ‚Allrounder‘ sind, aber nicht unbedingt eine spezifische Fachkompetenz haben müssen. Da ist der Input aus der ‚Praxis‘, also den Lobbyisten (Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Vereine, NGOs usw.), willkommen. Das hat aber nichts mit Bestechung zu tun, sondern mit (normaler) Einflussnahme und dem Durchsetzen von (legitimen) Interessen. Es kam aber auch in der Vergangenheit häufig vor, dass teilweise ganze Passagen aus Entwürfen von externer Seite in Gesetzestexte eingeflossen sind. Man darf auch nicht vergessen: Gesetzesentwürfe können zwar auch aus dem Parlament heraus eingebracht werden, aber es wird sich dann auch mal einer sog. Formulierungshilfe aus einem Ministerium („Formulierungshilfe der Bundesregierung“) bedient, denn dort ist die Kompetenz vorhanden, so etwas zu schreiben (Ulf hatte das mal in einer Folge kurz erläutert). Das ist nicht unproblematisch.

Letztlich findet auch in den Referaten eine Interessenabwägung statt, aber dass der potenzielle Einfluss von bspw. BDA, BDI usw. viel größer ist, als von einer kleinen NGO oder einem Verein, liegt auch auf der Hand. Daher wäre ein Lobbyregister, das den ‚exekutiven Fußabdruck‘ abbildet, sehr hilfreich, denn dann kann ich sehen, wer (und ggf. in welchem Umfang und wie) an einem Entwurf mitgewirkt hat oder angehört wurde – und wer nicht. Denn noch mal: Die konkrete und tagtägliche Arbeit findet in den Referaten statt, nicht auf Abteilungsebene und schon gar nicht bei einem Minister oder einer Ministerin! (Da sind m. E. viele Fehlvorstellungen im Umlauf…). Wenn bspw. Stellungnahmen oder Positionspapiere von Verbänden im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens oder einer Anhörung in die Ministerien kommen, dann gelangen sie zuerst in die Referate und werden dort weiter bearbeitet. Kein/e Minister/in liest sich das durch (wann soll diese/r das zeitlich auch machen?).
Sicherlich haben auch persönliche Umstände Einfluss auf die konkrete Arbeit. Man will ja vielleicht auch mal befördert werden, eine Leitungsposition bekommen usw. Da ist es in den Referaten wie so oft im Arbeitsleben… Und wenn eine Anwaltskanzlei mit einem Entwurf beauftragt wird, hat diese ganz sicher ein Interesse, mal wieder beauftragt zu werden.

Nicht Lobbyismus (was eigentlich nur ‚Interessenvertretung‘ meint) an sich ist das Problem, sondern die Tatsache, dass diese Interessen mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit Gehör finden – Und je mehr Mitglieder ein Verband hat und je höher sein finanzieller Spielraum/Einfluss ist (also seine Macht insgesamt), desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, auch wirklich Einfluss auf auf ein Gesetz zu nehmen und andere (Minderheiten-)Interessen möglicherweise geringer zu gewichten. Und das muss im Prozess transparent sein.

Man muss sich ja nur mal anschauen, wie viele externe Beratungsfirmen (namentlich die „Big Four“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaften) hochdotierte Aufträge in den Ministerien wahrnehmen, wie viele Ausschreibungen und Vergaben insgesamt stattfinden. Ein besonders eindrückliches Beispiel ist dieses: Die Maut-Affäre von Scheuer: https://www.zdf.de/politik/frontal-21/neue-details-zu-scheuers-maut-debakel-100.html

Dazu noch ein lesenswertes Interview auf Abgeordnetenwatch: Im Gespräch mit zwei Interessenvertretern: "Ohne Lobbyismus hätten wir weit schlechtere Gesetze" | abgeordnetenwatch.de

Ich hoffe, das hilft dir ein wenig weiter.

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Man muss allerdings schon zwischen der vom Ministerium bezahlten Beratung und dem (für das Ministerium kostenlosen aber von anderen Interessen gelenktem) Lobbyismus unterscheiden.
Grundsätzlich verstehe ich das Argument, dass die Leute im Ministerium selber arbeiten sollen. Als Berater kenne ich aber aus eigener Erfahrung auch legitime Gründe für Beratungsprojekte, beispielsweise, dass spezielle Kompetenzen erforderlich sind oder ein hohes Arbeitsvolumen in kurzer Zeit zu bewältigen ist.

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Guter Punkt, da gebe ich dir vollkommen recht! An der Stelle war ich in der Trennung nicht ganz sauber und habe beides vermischt.

Es gibt definitiv legitime Gründe, das will ich gar nicht in Abrede stellen (und da auch ich Beratererfahrung habe, kenne ich diese auch). Na ja, ich würde weniger sagen, dass die „Leute im Ministerium selber arbeiten sollen“ (was sie tun), sondern ich frage mich, warum es offenbar nicht möglich ist, gezielte Personal- und Organisationsentwicklung zu betreiben, um gewisse Kompetenzen selbst, in der eigenen Organisation aufzubauen (von Spezialfällen, die es immer geben wird, mal abgesehen).

Für einen ersten Überblick habe ich mal diese Drucksachen des Bundestags herausgesucht (mir geht es nicht um eine detaillierte Beurteilung, die ich selbst nicht vornehmen kann/könnte, sondern darum, einen Einblick in den Umfang dieser Leistungen zu erhalten):

Passend dazu eine aktuelle Meldung von heute:
https://www.tagesschau.de/inland/regierungsausgaben-berater-101.html