Ich höre stets mit großem Interesse und meist auch mit großer Freude Ihren Podcast. Der Abschnitt zum Thema Israel/Palästina in der Folge der letzten Woche erscheint mir jedoch so kritikwürdig, dass ich Ihnen dies gerne mitteilen möchte.
Grundsätzlich empfand ich die Unausgewogenheit des Beitrags als nicht der gewöhnlichen journalistischen Qualität Ihres Podcast gerecht werdend. Die Versuche der aktuellen israelischen Regierung, die Gewaltenteilung des Landes zu untergraben, sind unzweifelhaft aufs Schärfste zu kritisieren und ich habe keineswegs ein Problem damit, dass und wie dies getan wurde. Faktisch würde ich dem Beitrag auch bis darauf, dass der Gazastreifen seit 2005 nicht mehr besetzt ist, nicht widersprechen. Die problematische Tendenziösität des Abschnitts erwächst für mich daraus, dass über diese Entwicklungen nicht isoliert berichtet wurde, sondern in der Einordnung in den Israel-Palästina-Konflikt. Eine solche Einordnung kann nicht stattfinden, ohne auch die Gegenseite zu beleuchten. Es erscheint mir absurd, Probleme des israelischen Rechtsstaats im Kontext des größeren Konflikts anzuprangern und dazu zu schweigen, dass die palästinensische Autonomiebehörde seit 2006 Wahlen verhindert. Auch gegen die Thematisierung von Diskriminierung von Palästinenser_innen durch den israelischen Staat ist per se rein gar nichts einzuwenden, jedoch erschien mir auch hier das Schweigen bezüglich der Gewalt gegen Israelis von palästinensischer Seite (bis auf spärliche Erwähnungen in den einleitenden Sätzen) eine ungebührende Unausgewogenheit. Diskriminierung durch den israelischen Staat ist zweifellos kritikwürdig. Warum Vergehen gerade des einzigen jüdischen Staats international so viel Aufmerksamkeit erhalten, wäre aber sicherlich eine Reflektion wert.
Zu diesem Beitrag im Lage-Forum hat mich jedoch vor allem eine Frage bewogen, die Sie gegen Ende des Interviews gestellt haben. In dieser stellen Sie eine Verbindung zwischen diskriminierender Politik der israelischen Regierung und dem südafrikanischen Apartheidsregime her. Diese Analogie ist in meinen Augen absolut ungerechtfertigt und stellt eine frappierende Verharmlosung der südafrikanischen Politik und Gesetzgebung bis 1994 dar. Die Diskriminierung von Palästinenser_innen in Israel ist eine unleugbare Realität. Unabstreitbar ist aber auch, dass israelischen Palästinenser_innen, die 20% der Bevölkerung Israels ausmachen, das Wahlrecht genießen, 10% der Abgeordneten im Knesset Araber_innen sind, an der letzten Regierung eine arabische Partei beteiligt war, Araber_innen hohe Richter_innenämter in Israel innehaben und alle israelischen Staatsbürger_innen juristisch gleichgestellt sind, israelische Araber_innen Zugang zum israelischen Gesundheits- und Bildungswesen genießen und in diesem als Ärzt_innen und Professor_innen arbeiten, etc. Diese Situation mit dem südafrikanischen Apartheidsregime zu vergleichen, ist vollkommen unangebracht, denn all dies war für Schwarze Südafrikaner_innen nicht der Fall. Ich möchte einräumen, dass Sie Israel nicht explizit als Apartheidsstaat bezeichnet haben. In Anbetracht dessen, dass dieser Vergleich aber immer wieder so formuliert wird, ist auch Ihre Formulierung, die Post-Apartheids-Südafrika als Modell für Israel postuliert, höchst problematisch. Ich hätte gehofft, dass vergangene Debatten um Apartheidsvergleiche (zB Achille Mbembe) erreicht hätten, dass ein Bewusstsein für die Unangebrachtheit des Vergleichs besteht.
Auch die Anwendung des Apartheidsbegriffs nach der Definition des Internationalen Strafgerichtshofs auf Israel erscheint mir allein schon in Anbetracht der Untrennbarkeit des Begriffs von seinem Ursprung als falsch, doch auch dies wäre im konkreten Falle keine rechtfertigende Option, da Sie sich ja explizit auf Südafrika bezogen haben.
Eine Berichterstattung, die aktuelle Geschehnisse in dieser Region erfolgreich in ihren historischen Kontext einordnet, kann in der Kürze der für solche Themen in der Lage verfügbaren Zeit für mich kaum gelingen. Sollten Sie es dennoch für unabdingbar erachten, weiterhin über solche Themen zu sprechen, würde ich mich sehr darüber freuen, wenn Sie die Art und Weise, wie Sie dies tun, und auch die Auswahl der Einladungen überdenken würden.
Liebe Grüße
Wir haben in der Lage den Begriff Apartheid im Rahmen einer Frage verwendet, nicht als Vorwurf. Allerdings hält immerhin die weltweit wichtigste Menschenrechtsorganisation, nämlich Amnesty International, die Situation in Israel für einen Fall von Apartheit:
Dann kann es nicht falsch sein, unseren Gast danach zu fragen.
Muriel Asseburg ist international anerkannte Expertin für die Nahost-Region und arbeitet bei der Stiftung Wissenschaft und Politik:
Warum wir sie nicht einladen sollten erschließt sich mir nicht. Ich finde, sie bekommt es wunderbar hin, den höchst problematischen Umgang der israelischen Seite mit Palästinenser:innen zu benennen, ohne dabei auch nur im entferntesten antisemitische Töne anzuschlagen.
Ohne jetzt in der Tiefe auf den Themenstarter eingehen zu wollen, mir erschien Euer Beitrag ziemlich ausgewogen und ich fand es super, dass Ihr Muriel Asseburg im Gespräch da hattet, insbesondere nachdem ich Philips Interview mit ihr schon sehr hörenswert fand.
Mal eine Frage in dem Zusammenhang: Ist es eigentlich so, dass die Toleranz bei Kommentaren zu Israel bei vielen Rezipienten außergewöhnlich gering ist? Ich hab den Eindruck, dass im Kontext Israel häufig schon kleinste Abweichungen von der eigenen Wahrnehmung/Beschreibung massiv kritisiert und als untolerierbare Fehldarstellung mal der einen Mal der anderen Seite wahrgenommen werden; eben in einem Maße, das mir bei kaum einem anderen Thema so auffällt.
Dabei ist klar, dass eine erhöhte Sensibilität beim Thema Israel, gerade von Deutscher Seite aus angebracht ist, aber es scheint mir für eine Verständigung über die Thematik nicht sehr dienlich, wenn bei kleinsten Abweichungen von der eigenen Position sofort --ob implizit oder explizit-- Rassismus oder Antisemitismus unterstellt wird. Edit: Ich möchte dem Themenstarter damit nicht unterstellen, dass er diesen bei Philip und Ulf vermutet.