In der aktuellen Folge sagt Philip sinngemäß, dass Deutschland in Bezug auf Nawalny ja auch nicht einfach nichts tun könne. Sich so der Diskussion zu entledigen finde ich, sagen wir mal, unterkomplex.
Ich finde an dieser Logik einen Punkt sehr problematisch: Er geht der Prämisse einer vermeintlich neuen, idealistischen Außenpolitik auf den Leim, die in Deutschland insbesondere von den Grünen vertreten wird. Es wird suggeriert, dass bei Menschenrechtsverstößen nicht einfach weggeschaut, sondern vielmehr reagiert werden müsse. Damit lässt sich aber praktisch alles von Nichtkooperation mit einzelnen Staaten über Sanktionen bis hin zu militärischen Interventionen rechtfertigen. Schaut man sich dann aber an, wann solche Argumente gebracht werden bzw. solchen Argumenten Handlungen folgen und wann nicht, fällt auf, dass das merkwürdiger Weise genau auf der Linie einer alten Kalten-Kriegs-Rhetorik liegt.
Oder anders gesagt: Natürlich kann Deutschland auch einfach nicht reagieren, das tut es auch ständig. Wenn im Mittelmeer Menschen ertrinken, wird weggeschaut und Libyen mit Schnellbooten aufgerüstet; wenn die Türkei einen mörderischen Vernichtungskrieg gegen die Kurd:innen im eigenen Land und in Syrien führt, wird weggeschaut; wenn Saudi-Arabien einen Oppositionellen zersägt, wird weggeschaut; wenn die Vereinigten Staaten Folterlager betreiben und Drohnenmorde von Deutschland aus steuern, wird weggeschaut. Wenn aber Russland (wie leider viele andere Staaten auch) versucht, sich eines Oppositionellen zu entledigen: Dann „müssen“ wir darauf reagieren. Ein Vergleich von verschiedenen Themen ist hier nicht als Whataboutismus gemeint (der Mordversuch an Nawalny soll dadurch nicht beschönigt werden), sondern als Analyseinstrument zum Herausarbeiten der sehr unterschiedlichen Reaktionen.
Es geht mir nicht darum zu fordern, dass Deutschland nicht reagieren sollte. Es geht mir um die Rechtfertigung. Es ist für mich nicht erkennbar, warum Deutschland hier reagieren „muss“ und woanders ständig beide Augen verschließt. Ich finde das Ergebnis ist: Es geht nicht um Demokratie oder Menschenrechte, Staaten handeln interessengetrieben, diese Interessen müssen offengelegt werden, dann kann man sinnvoll über Außenpolitik diskutieren.
Diese vermeintlich neue Außenpolitik ist in Wahrheit Kalter Krieg in Reinform. Das ist auch schön am jüngsten Atomwaffen-Papier der Heinrich-Böller-Stiftung erkennbar (wäre ein gutes Thema für eine Folge Lage der Nation).
Die LdN ist für mich auch deswegen so gut, weil oft kontrovers disktutiert wird, von linken bis wirtschaftliberalen Denker:innen bzw. Positionen alle zu Wort kommen. Leider vermisse ich beim Thema Außenpolitik diese Kontroversität in der Lage der Nation, das macht außenpolitische Themen leider zu einem immergleichen Sermon. Es werden in meinen Augen sehr oft nur Personen mit einer ganz bestimmten Auffassung eingeladen (so zum Beispiel der unerträgliche Ralf Fücks).