LdN221 Nawalny-Anruf

Hallo liebes Lage-Team,

vielen Dank für euren ausführlichen Bericht zum Nawalny-Anruf. Und sehr interessant, dass hier Philip direkt übersetzen kann.

Was mich aber an dem Anruf gewundert hat und denke ich noch thematisiert werden sollte:

Habt ihr euch nicht auch gewundert, dass Nawalny diesen Anruf, in welchem er sich als Assistent des russischen Sicherheitsrats-Chefs ausgibt, selbst ausführt und soweit mir bekannt keine Stimmenverzerrer etc. verwendet hat?

Hätte es hier nicht nahegelegen, jemanden aus seinem Team den Anruf durchführen zu lassen (während er als Prominenter für das Video danebensitzt)? Es bestand doch hier eine nicht unerhebliche Gefahr, dass der (vermeintliche) Attentäter, welcher ihn zuvor sehr lange beobachtet hat, sehr gut mit ihm vertraut ist und auch seine Stimme sehr gut kennt. Jedenfalls hätte das dafür reichen können, dass er misstrauisch wird und das Gespräch abbricht!? Wenn euch jetzt eine wichtige (Oppositions)Politikerin anrufen würdet und sich als jemand anderes ausgibt, würdet ihr dann nicht evtl. auch die Stimme erkennen (v.a. wenn ihr sie monatelang beschattet hättet)?

Ich hab hierzu leider überhaupt nichts in der Berichterstattung gefunden. Gerade da Russland ja (erwartbar) von einer Fälschung des Telefonats spricht, würde ich mich freuen, wenn ihr das vielleicht nochmal beleuchten könntet. Und nicht, dass das jemand in den falschen Hals bekommt: Ich bin kein Russland-Troll und traue hier dem russischen Geheimdienst selbstverständlich ein solches Attentat zu. Ich bin nur sehr irritiert, was hier anscheind für Amateure unterwegs gewesen sein sollen (was ich dem Geheimdienst wiederum eher nicht zutraue)?!

Liebe Grüße
Thomas

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Berechtigte Frage, schließlich ist er und seine Stimme ja sogar auch öffentlich. Vielleicht haben sie ja doch einen Verzerrer verwendet oder er hat einfach die Stimme verstellt - das schauspielerische Talent traue ich ihm zu.

Hallo liebes Lage-Team,

Hallo auch Thomas!
Danke, dass du das Thema Nawalny aufgegriffen hast, es hat mir jetzt doch den Anstoß gegeben, mich hier anzumelden und einige Anmerkungen zu euren Ausführungen zu machen.

Ich als Russisch- Muttersprachlerin verfolge den Fall täglich auf mehreren, meist (nach eigenen Angaben) unabhängigen, russischsprachigen Kanälen und auch ich war etwas enttäuscht von eurer verkürzten, an manchen Stellen mM nach leider nicht sauberen Darstellung.

  1. Zunächst mal: Die Sache mit den Meta-Daten und Passagierdaten. Die Herkunft ist doch wichtig zu klären, weil es zum Teil das Datenschutzproblem in Russland verdeutlicht und dann ja auch das Argument von Vertretern der These entkräftet, Nawalny oder Bellingcat würden mit den westlichen Geheimdiesten arbeiten, weil diese Daten sonst nur schwer zu bekommen wären.
    In dem ersten YouTube Video zu seiner Recherche erzählt Nawalny selbst, die Metadaten seien vom Schwarzmarkt und ganz leicht im Internet für wenig Geld zu haben, siehe das Video (Englische Untertitel gibts dazu übrigens auch, ab ca. 5:20 Дело раскрыто. Я знаю всех, кто пытался меня убить - YouTube
    Auch die Bellingcat-Journalisten eröffnen, dass sie die vom Schwarzmarkt haben, siehe hier: Hunting the Hunters: How We Identified Navalny's FSB Stalkers - bellingcat speziell unter „Russia’s Data Market“:

Zitat: For the records contained within multi-gigabyte database files that are not already floating around the internet via torrent networks, there is a thriving black market to buy and sell data. The humans who manually fetch this data are often low-level employees at banks, telephone companies, and police departments. Often, these data merchants providing data to resellers or direct to customers are (…) industry and face criminal charges. For other batches of records, there are automated services either within websites or through bots on the Telegram messaging service that entirely circumvent the necessity of a human conduit to provide sensitive personal data.

Das unerhörte ist also nicht, dass Kreml-Anhänger vermeintlich Daten verkaufen, sondern wie ungeschützt die russischen VerbraucherInnen im Bezug auf ihre Daten sind, zum Zweiten: wie unvorsichtig die Agenten zu sein schienen mit ihrer Identität (seien Anscheinend bei einigen ihrer Bekannten mit „Vorname FSB“ eingespeichert gewesen, siehe oben, wird im Nawalny-Video diskutiert) und schlussendlich: dass der Kreml das als westliche Geheimdienstmethoden verkaufen will, worauf jeder Computerinteressierte in Russland mit zwei Klicks zugriff bekommt.

Übrigens: Diese Woche ist dann auch das Gesetz in Kraft getreten, Daten von Sicherheitsbehörden in Russland unter Verschluss zu halten:

und zwar gerade weil eingeräumt wird, mit diesen würde bis dato zu freizügig im Internet gehandelt.
2) Ich bin mir nicht sicher, dass das bei euch ganz klar rüberkam: Der Agent, mit dem Nawalny letztendlich telefoniert hat, war NICHT dafür zuständig, etwas in die Unterhose zu platzieren, sondern nach eigener Aussage ausschließlich für die Säuberung der Spuren auf ebendieser verantwortlich - er hat zu der Vergiftung selbst immer wieder auf seine Chefs verwiesen. Was er praktisch zugab, war dass er die Kleidung von der lokalen „Transportpolizei“ bekam und dass die Kleidung zwei mal von ihm mit entsprechenden Lösungen bearbeitet wurde, damit keine Spuren mehr festzustellen seien - Quelle: Der Telefonat - Mitschnitt auf Youtube

  1. @ThomasH Thomas zu deiner Frage warum der Täter ihn nicht erkannt hat: diese Frage geistert natürlich gerade auch in den russischen Medien. Der Bellingcat-Journalist hat das kürzlich auf Englisch bei BBC hier geschildert, schau mal, wenn du magst: Russian agent 'tricked into detailing Navalny assassination bid' - BBC News - YouTube
    Kurz: er hat alle angerufen, und die meisten haben auch aufgelegt, der eine aber nicht.

Und zum Schluss @philipbanse eine Kleinigkeit, von Slavistin zu Slavist - es ist die zweite Sendung, in der es euch passiert, dass ihr Nawalny abwechelnd Alexey und Alexander nennt :wink: und der mutmaßliche Agent wird Kudrjavcev ausgesprochen - das c dabei wie im deutschen z in „Ziege“

Ansonsten, da ich hier schon angemeldet bin: Danke für die tolle Sendung und freu mich auf die Diskussion!
LG Swetlana

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Ich kann mich den geschilderten Eindrücken nur anschließen.

Dennoch erstmal Danke für eure tolle Arbeit generell.

Zur Sendung:
Ihr habt es zwar auch immer wieder verbalisiert „unglaublich“, daraus folgte aber aus meiner Sicht zu wenig Quellen- und Darstellungskritik. Insgesamt würde ich mir gerade beim Thema Russland und Geheimdienst etwas weniger allgemeinenes, klischeehaftes Raunen - „Wer diese Daten geleakt hat, kann schon mal sein Testatment machen“ - und mehr Nüchternheit wünschen. Dinge, die man nicht weiß, auch klar so benennen. Dieser Teil der Story läd wirklich dazu ein, dass einem mal die Pferde durchgehen.

Eine Frage noch an Svetlana: Wenn die Daten der mutmaßlichen Attentäter frei im Internet verfügbar waren, muss es dennoch jemanden gegeben haben, der die acht Personen mit dem konkreten Attentat in Verbindung gebracht hat. Ist dir dazu etwas bekannt? Oder lief die Identitifikation der Personen ausschließlich über Metadaten? Könnten sie dann nicht auch aus anderen Gründen an den betreffenden Orten gewesen sein?

Hey Harry, Danke für die Nachfrage - entschuldige die verspätete Antwort.
Soweit ich mich an die Schilderung von Bellingcat erinnern kann, lief es so ab: 3 der Personen wurden identifiziert aufgrund der Flugdaten und Mobilfunkdaten. Dann wurde eben festgestellt, dass die betreffenden Personen seit 2017 (!) immer (!) dann gereist sind, wenn Nawalny auch gereist ist, und zwar zum gleichen Zielort. Zufall ziemlich unwahrscheinlich.
Am Attentatsort hat auch einer von denen sein Handy an, das wurde in der Nähe von N.s Hotel lokalisiert. Nicht alle 8 Personen waren ihm physisch auf den Fersen - die Zahl beinhaltet auch Personen in Leitpositionen, mit denen die Ausführer im betreffenen Zeitraum gesprochen haben.
Soweit das, was ich noch aus den og Links erinnern kann.
Ich lege dir für Genaueres das Nawalnys Video ans Herz - gibts auch mit Englischen Untertiteln sowie die oben verlinkte bellingcat-Recherche. LG