LdN205 - Corona Unterstützung von Selbständigen

Nur eine kurze Ergänzung zu Liz, damit es nicht durcheinandergeht.
Falls sie mit einer nicht-verpartnerten Person in einer WG zusammenwohnen würde, wäre das meines Wissens und meiner Erfahrung nach keine Bedarfsgemeinschaft.
Als WG Bewohner ist man grundsätzlich ALG II berechtigt.

Es ist ja nicht nur bei Corona das Problem. In anderen Ländern gibt es eine Datenbank wo auch die selbständigen eingetragen sind. Hier bekommt man auch Unterlagen die aktuell sind. In Deutschland meldet man sich an beim Ordnungsamt und bekommt ein Stempel auf den Antrag und das war’s. Wenn man nach 5 Jahren eventuell eine Bestätigung braucht, bekommt man diese nicht. Weil es auch so etwas nicht vorgesehen ist. Will man z.B. sich bei einem Finanzdienstleister außerhalb von Deutschland anmelden kann man das nicht weil die eine Bestätigung die nicht älter als 6 Monaten sein darf. Die Soloselbständigen sind halt eine Möglichkeit die Arbeitslosenstatistik klein zu bekommen und Mindestlohn zu unterlaufen. Die sogenannten Ich AGs die auch gerne vom Arbeitsamt vorgeschlagen werden. Vor vielen Jahren war mal geplant diese Mit Pflichtversicherungen auszustatten, weil es zu viele ohne Krankenversicherung gibt. Nach der Einführung des Gesetzes sind über 100 mehr Menschen ohne Krankenversicherung.

Hallo Liz,

danke für die ausführliche Darstellung. Zwei Dinge sind aber schlichtweg falsch dargestellt:

Eine reine Wohngemeinschaft ist keine Bedarfsgemeinschaft, da kein gemeinsames Wirtschaften, kein finanzielles Einstehen füreinander, etc und steht dem ALG-II Anspruch somit nicht entgegen.

Die Höhe der zu zahlenden Einkommensteuer hängt einzig und allein vom zu versteuernden Einkommen (zVE) ab. Es ist völlig gleichgültig, ob du dies in einem, zwei oder drei Jobs erwirtschaftest oder aus verschiedenen Einkunftsarten beziehst.

Liebe Lage, liebe Kommentierende,

habt Ihr eine Quelle für die Steuerfinanzierung des KuGs bzw. der Corona bedingten Sonderreglungen? Ich selbst habe dazu trotz etwas längerer Recherche kaum etwa gefunden.

Das BMF preist die diversen Corona-Krisen-Bewältigungsmaßnahmen auf seiner Internetseite(hier hätte der Link stehen sollen, durfte ich aber nicht, da das sonst zu viele wurden) an und stellt auch die Beträge ins Schaufenster. Nur beim KuG fehlen die Betrags- und Finanzierungsangaben. Das lässt mich vermuten, dass es sich nicht um Steuergeld handelt, denn welche Politiker*innen würden darauf verzichten, damit zu prahlen, dass sie Steuergeld über potenziellen Wählern ausschütten?

Zudem lassen die BR-Artikel, die ja schon in andern Kommentaren diskutiert wurden, und ein Beitrag im Handelsblatt vermuten, dass es so läuft wie 2008-2010: das Defizit der BA wir zunächst tatsächlich aus dem Bundeshaushalt (also Steuermitteln) beglichen. Diese Mittel werden aber als Darlehen an die BA gegeben und sind somit von dieser (oder eigentlich genauer: von den Beitragszahlern) zurückzuzahlen. Damit wäre es dann eine Finanzierung aus Beitragsmitteln.1)

Wenn also das KuG Teil der beitagsfinanzierten Versicherungsleistungen der BA ist, dann ist auch klar, dass Soloselbständige nicht für den Bezug in Frage kommen, da sie ja nicht Beitragszahler sind. Was natürlich nicht heißt, dass ihnen nicht geholfen werden sollte.

Der deutsche Sozialstaat ist zum einen um die beitragsfinanzierten Sozialversicherungen herum organisiert. Diese dienen der Sicherung des Lebensstandards. Daher auch die Orientierung an den vorausgehenden Nettogehältern. Zum anderen erfolgt für diejenigen, die keinen (ausreichenden) Anspruch auf Versicherungsleistungen haben, die Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums aus Steuermitteln, früher Sozialhilfe, heute Grundsicherung bzw. Alg II, vulgo Hartz IV. In diesem Bereich ist die BA nicht als Sozialversicherung im engeren Sinne tätig, sondern eher so etwas wie der Verwaltungsgehilfe des BMAS. Daher wird das Alg II auch nicht, wie in der Folge, soweit ich mich erinnere, gesagt, in den Agenturen für Arbeit, sondern in den Jobcentern beantragt. Dabei ist die BA übrigens in einem Viertel der deutschen Kreise nicht beteiligt (104 zugelassene kommunale Träger).

Damit ist in diesem hybriden oder dualen System (Lebensstandardsicherung durch die beitragsfinanzierten Sozialversicherungen und Existenzsicherung durch die steuerfinanzierte Grundsicherung) der Verweis der Soloselbständigen an die Grundsicherung durch aus logisch.

Der eigentliche und allgemeinere Punkt, den Ihr ja vielleicht auch mal in einer Lage diskutieren könntet, ist nicht, dass die Solo-Selbständigen kein KuG bekommen, sondern dass die Bundespolitiker*innen immer wieder die Sozialversicherungen als Verschiebebahnhöfe und Gelddepot nutzen, um kurzfristige Probleme zu „lösen“ oder um bei spezifischen Zielgruppen Punkte zu sammeln, ohne dies über den Bundeshaushalt laufen zu lassen. Das ist ja eigentlich schon seit Jahrzehnten bei der Rentenpolitik gängige Praxis und auch die Arbeitslosenversicherung war dies immer wieder zu beobachten (Stichwort: Versicherungsfremde Leistungen). Und auch beim KuG mit und ohne Corona gibt es Stimmen, die in Frage stellen, ob das wirklich eine Versicherungsleistung sei.

Diese jahrzehntelange Praxis der Nutzung der Sozialversicherung zur Lösung aller möglichen Probleme und zur Bedienung von Zielgruppen hat eventuell zu einer Verengung des Blicks der politischen Akteure geführt, so dass alles jenseits der Sozialversicherungen, z.B. Soloselbständige, leicht übersehen wird.

  1. In einer anderen Folge hattet Ihr mit Bezug auf die Corona-Erweiterung des KuG eine Formulierung wie „der Bund/Scholz nimmt Geld in die Hand …“. Da war ich schon versucht etwas zu schreiben im Sinne von, die nehmen kein Geld in die Hand, sondern lassen die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten zahlen (wegen Darlehn). Politiker*innen nehmen ja eh nie wirklich Geld in die Hand, sondern verausgaben das der Steuerzahler oder eben Beitragszahler. Hab’s dann aber wegen der Pipifaxhaftigkeit gelassen. :wink:
3 „Gefällt mir“

Lieber Ulf,
vielen Dank für eure reflektierten und engagierten Beiträge - es ist immer sehr bereichernd, die „Lage“ zu hören!
Zu eurem Beitrag möchte ich noch auf eine andere große Gruppe hinweisen, die in den Corona-Diskussionen inzwischen fast ganz in Vergessenheit geraten ist - die Studierenden.
Nicht nur das letzte, sondern auch das nächste Semester scheint an vielen Universitäten fast ausschließlich online stattzufinden. D. h. die Studierenden sitzen weiterhin mehrere Stunden am Tag alleine vor ihrem Rechner ohne direkten Austausch und Interaktion. Die Studierenden in meinem Umfeld sind darüber unglücklich und auch die Qualität der Lehre scheint darunter zu leiden. Zudem wohnen viele auch noch nicht lange an ihren Universitätsorten und kennen dort nicht viele Menschen. Ich habe den Eindruck, viele von ihnen fühlen sich einsam und antriebslos.
Vor dem Hintergrund kann ich schwer nachvollziehen, dass bereits Fussballstadien bedingt wieder für Fans geöffnet werden, es aber scheinbar nicht gewünscht ist, einen größtmöglichen Teil der Lehre - vor allem Seminare mit überschaubarer Teilnehmeranzahl - wieder vor Ort stattfinden zu lassen.
Es wird viel über Schüler:innen und Kindergartenkinder diskutiert (das ist auch gut) - dabei sind doch die Studierenden eine ebenso wichtige und große Gruppe, wenn es um die Zukunft geht. Nur haben sie keine Lobby und scheinen auch aus dem Fokus der Regierungen auf Landes- und Bundesebene völlig herausgerutscht zu sein.

Nachtrag aus aktuellem Anlass.

Vielleicht bringt der Entwurf des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2021 (Haushaltsgesetz 2021 – HG 2021) etwas Licht in das Dunkel um die Frage Steuern oder Beitragsmittel. Dort heißt es auf Seite 11:

Zur Deckung dieser Defizite stehen der BA dank des vorausschauenden Aufbaus der allgemeinen Rücklage in den letzten Jahren insgesamt 25,8Mrd.€ (StandEnde2019) zur Verfügung, davon voraussichtlich 19,5Mrd. im Jahr 2020 und 6,3Mrd.€ im Jahr 2021. Weiterer Finanzbedarf wird mit Liquiditätshilfen des Bundes gedeckt. Um die Handlungsfähigkeit der BA auch in Zukunft zu erhalten, wird durch die Regelung des §12 Absatz 1 HG2021 die BA am Jahresende 2021, soweit erforderlich unter Berücksichtigung der Rücklagen, von den Ausgaben für das Kurzarbeitergeld und die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen an Arbeitgeber der Jahre 2020 und 2021 entlastet. Damit kann die BA schuldenfrei in das Jahr 2022 starten und ihrer zentralen Rolle der Begleitung des Strukturwandels auch nach der COVID-19-Pandemie gerecht werden.

Insbesondere der letzte Satz lässt mich vermuten das die Bundesmittel, tatsächlich als Zuschuss und nicht als Darlehn gezahlt werden (schuldenfrei). Zuvor ist aber die Rücklage aufzubrauchen. Damit haben wir dann für den erweiterten KuG-Bezug ein Mischfinanzierung aus Steuern und Beiträgen.

1 „Gefällt mir“

Vielen Dank für die Hinweise.

Zu 1) Das Jobcenter hat mir damals erschreckenderweise das Gegenteil mitgeteilt. Auf Nachfrage hieß es nur, dass die Regelung für jede Person gilt, die mit dem Antragstellenden eine Wohnung teilt.

Zu 2) Ich gehe einmal davon aus, dass mein Steuerberater seine Arbeit gut macht. Wenn er mir mitteilt, dass ich einkommensteuerrechtliche Nachteile erleide, dann glaube ich ihm das. Außerdem ist dies an den Zahlen klar nachvollziehbar.

Weil ich das jetzt ein paar mal gelesen habe: Ich bin Solo-Selbständig als Veranstaltungstechniker und es gibt (seit der ersten Soforthilfe in Bayern) keinerlei Hilfen vom Staat. Für Harz4 verdient die Freundin noch zu viel, alles andere sind Kredite die ich nie wieder zurückzahlen kann. Ich hatte Rücklagen für ein paar Monate, aber wer hat schon Rücklagen für über ein Jahr rumliegen? Der Ausfall seit März beträgt ca 98%… ich möchte mal wissen wer von 2% des Lohns leben kann.
Es geht nichtmal um laufende Kosten, die meisten Solo Selbständigen haben kein Lager, keine Angestellten, es geht einfach nur um Essen und Miete.
Klar schaut man sich um, ich helfe aktuell bei einem Elektriker aus bei Bedarf, das reicht aber natürlich maximal dass ich die Wohnung nicht sofort verliere…

Es wirkt ein bischen so dass man die Selbständigen zur Aufgabe und in feste Jobs zwingen will, aber leider funktioniert unsere Branche so nicht. Man braucht viele verschiedene Spezialisten an unterschiedlichen Zeiten und Orten, das können die meisten Firmen nur mit externen Leuten lösen.
Ich befürchte das viele spätestens Ende des Jahres endgültig aufgeben werden und was mit einer Gesellschaft passiert ohne Events und Konzerte können wir langsam erleben.

Ich möchte hiermit auch nicht die Corona Maßnahmen kritisieren, aber wenn man als Staat ein faktisches Berufsverbot ausspricht dann sollte man sich auch um die Betroffenen kümmern.

1 „Gefällt mir“

Ich stimme euch völlig zu, dass die Situation für viele Selbständige sehr hart ist, insbesondere für unfreiwillige selbständige Selbstausbeuter, die sich oft im Graubereich zur Scheinselbständigkeit bewegen.

Aber: Grundsätzlich finde ich es sehr problematisch, dass dieses Thema diskutiert wird ohne auf einige skandalöse Entwicklungen (das bereits angesprochene selbständige Prekariat) hinzuweisen. So zahlen immer weniger Erwerbstätige in die Sozialkassen ein und hinterher wird diese Flucht aus der paritätischen Finanzierung der Sozialversicherung durch Grundsicherung aus dem Steuersäckel ausgeglichen. Frei nach dem Motto: Gewinne privatisieren, Kosten sozialisieren. Diese Rosinenpickerei darf es nicht geben. Selbständige können bspw. sehr günstig freiwilliges Mitglied der Arbeitslosenversicherung werden, das würde vielen jetzt helfen. Aber es macht leider niemand und dann soll Vater Staat ran. Bei einigen habe ich da tatsächlich Mitleid. Bei anderen, die jahrelang gerne privat krankenversichert waren und sich kein bisschen um die soziale Funktion der gesetzlichen Krankenkasse, der umlagefinanzierten Rente oder der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung gekümmert haben, kommt dann eher weniger Mitleid auf. Stützen muss man sie in der sehr außergewöhnlichen und harten Corona-Situation wohl schon aus volkswirtschaftlichen Erwägungen trotzdem (auch wenn es sich irgendwie ungerecht anfühlt).

Dies zusammengenommen spricht m. E. einmal mehr dafür, eine Sozialversicherungspflicht für Selbständige einzuführen. Und zwar bitte keine halben Sachen, sondern zu denselben Tarifen wie in abhängiger Beschäftigung (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zusammengenommen). Sonst kommt es zu Situationen wie jetzt, wo man es nicht vorhersehen konnte und dann muss der Steuerzahler ran. Das setzt massive Fehlanreize weg von guter Arbeit hin zu (Schein-)Selbständigkeiten. Wenn allerdings alle Selbständigen einzahlen müssten, wäre es kein Wettbewerbsnachteil mehr sich adäquat abzusichern, es wäre evtl. ein Anreiz, wieder mehr fest anzustellen, weil der Preisvorteil der eingesparten Sozialabgaben wegfiele, und es könnte den Steuerzahler in Situationen wie jetzt schützen.

3 „Gefällt mir“

Vieles von dem, was hier schon angesprochen wurde, hab ich mir beim hören auch gedacht:

Die Bundesregierung scheint das Kurzarbeitergeld (auch in Corona-Zeiten) für eine Leistung der Arbeitslosenversicherung zu halten: „Geringfügig Beschäftige können kein Kurzarbeitergeld erhalten, da sie nicht beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung sind.“ - https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/verlaengerung-kurzarbeitergeld-1774190

Das heißt natürlich nicht, dass Solo-Selbständigen nicht ebenfalls geholfen werden sollte, aber das muss anders gehen.

Theoretisch halte ich die Lösung über einen unkomplizierten Hartz4-Zugang für pragmatisch und sinnvoll. Der muss dann aber auch funktionieren. Dass, wie ihr beschrieben habt, Antragsteller dann dennoch die 100 Seiten ausfüllen müssen ist nicht akzeptabel.

Das, wie hier beschrieben wird, im selben Haushalt wohnende unverheiratete Partner für den Hartz4-Bezug beeinflussen, halte ich insgesamt für absolut untragbar. Aber nicht erst jetzt, das ist einfach traurig und nicht nachvollziehbar. Ich habe keinen Anspruch darauf, dass mich mein Partner unterstützt, aber mir wird deswegen eine mir (eigentlich) zustehende Leistung gekürzt? Danke, SPD und CDU.
(Ähnlich schlimm wie die Anrechnung des Kindergeldes…)

@Liz, ich bin kein Steuerberater, aber dein zweiter Job führt mWn dazu, dass du in Lohnsteuerklasse 6 eingeordnet bis, da sind die Abzüge tatsächlich am höchsten. Deine tatsächliche Steuerlast wird davon aber nicht beeinflusst. Die Steuerrückzahlung für 2020 sollte entsprechend höher ausfallen.

Lieber Ulf,

[Bemerkungen zu einem Tippfehler gelöscht]

Im staatlichen Kulturbereich gilt es zu bedenken:

  • Zu den EUR 10,4 Mrd. direkter staatlicher Mittel fließen beispielsweise über den Rundfunkbeitrag weiter ca. EUR 8,1 Mrd./Jahr in diesen Bereich.

  • Weiterhin werden – denken wir an Theater und Museen – Erwerbstätige im Kulturbereich auch durch Eintrittsgelder der Nutzer*innen finanziert.

Bei diesen Überlegungen außen vor ist natürlich der private Kultursektor. Hier machte alleine der Sektor der Unterhaltungs- und Medienbranche in 2018 einen Umsatz von EUR 37,703 Mrd. S. 148
Klar floss nur ein Bruchteil davon als Lohn an die Erwerbstätigen in diesem Sektor.

[…]

Als freiberufliche Kulturschaffende bin ich entsetzt über die Missgunst, den Neid und das Unverständnis, das Selbstständigen hier entgegenschlägt. Dass ich davon überrascht wäre, kann ich allerdings nicht behaupten, eine ähnliche Haltung begegnet mir immer wieder, irgendwie scheint sie fast zur DNA des bundesdeutschen Angestelltentums zu gehören.

Das Finanzamt führt mich als selbstständige Schriftstellerin; ich arbeite also in einem Bereich, in dem fast niemand fest angestellt ist. Für Absicherungen, Rücklagen oder Altersvorsorgen genügt mein Einkommen schlichtweg nicht, und dass man (nicht nur in diesem Forum) offensichtlich der Meinung ist, das habe mit Rosinenpickerei zu tun, empfinde ich als blanken Hohn. Ich mache mir jeden einzelnen Tag Gedanken um Alter und Rente, aber wenn ich privat vorsorge, kann ich die Miete für meine Ein-Zimmer-Wohnung nicht mehr zuverlässig bezahlen. Und die wenigen Rücklagen, die ich hatte, neigen sich nach einem halben Jahr Corona nun endgültig dem Ende zu (denn die für mich sichersten und lukrativsten Einnahmequellen, nämlich Vorträge, Lesungen, Workshops usw., sind alle flachgefallen).

Natürlich ist das eine persönliche Entscheidung für einen Lebensentwurf, natürlich könnte ich auch einfach Supermarktkassiererin werden. Das möchte ich aber – skandalöserweise, wie hier einige zu denken scheinen – lieber nicht, und ich beschwere mich deshalb auch nicht über die Höhe meines Einkommens. Aber die Vorstellung, dass der Großteil der Solo-Selbständigen ganz bewusst nicht vorsorgt, um „mehr netto vom brutto“ zu haben, macht mich wütend. Wenn ich mich verpflichtend sozialversichern müsste, und „dann aber richtig“, wie weiter oben jemand kommentiert hat, könnte ich schlichtweg nicht weitermachen – wie übrigens auch 99% meiner Freundinnen und Bekannten, die in ähnlichen Berufsfeldern (als Künstlerinnen, Filmemacherinnen, Übersetzerinnen) tätig sind. In ähnlicher Weise beträfe das sicherlich auch Solo-Selbstständige wie etwa Paketbot*innen usw.

Ich bin Euch dankbar, dass Ihr dieses Thema in der Lage angesprochen habt und wäre Euch noch dankbarer, wenn Ihr irgendwann noch einmal tiefgreifender und allgemeiner über den Status von Freiberuflern und Solo-Selbstständigen in Deutschland sprechen könntet.

Meiner Meinung nach manifestiert sich das Wahrnehmungsproblem, das sich in den Kommentaren zeigt, ganz entschieden auch als politisches Darstellungs- und Repräsentationsproblem. Oder anders: Vielleicht ist dieses Wahrnehmungsproblem sogar der Effekt eines politischen Darstellungsproblems.
Insbesondere der SPD, zu deren Domänen die prekären – sich nicht zuletzt aus lächerlichen Honoraren oder Stundenlöhnen ergebenden – Arbeits- und Lebensbedingungen vieler Freischaffender und Solo-Selbstständiger doch gehören müssten, wird bei dem Begriff „Selbstständigkeit“ offenbar noch immer zuverlässig übel; lieber versucht man künstlich ein Widersachertum zwischen Angestellten und Selbstständigen aufrechtzuerhalten, das es in dieser Eindeutigkeit längst nicht mehr gibt: Viele Selbstständige sind nicht der Klassenfeind, sondern im Gegenteil mittlerweile zur potentiellen Kernklientel der SPD geworden, ohne dass diese davon allerdings mitbekommen hätte. Umgekehrt finde ich Probleme, die mich als Freiberuflerin konkret betreffen, häufig tatsächlich am schlüssigsten von der FDP beantwortet – die sich ja in Sachen Selbstständigkeit mit einer gewissen Expertise schmücken kann, gleichzeitig aber ihrerseits zu genau der Wahrnehmung von Selbstständigkeit beiträgt, die sich hier in den Kommentaren niederschlägt und die für das große Problem der sozialen Absicherung vieler Selbstständiger sicherlich ebenfalls nicht die richtige Adresse darstellt.


Weil das mein erster Kommentar bei Euch ist: Ich höre Euch regelmäßig, habe Euch schon vielfach weiterempfohlen und bin großer Fan! Danke für Eure Arbeit!

1 „Gefällt mir“

Ich möchte als Selbständige ein paar Punkte anbringen, die ich wichtig finde und die mich auch ärgern.

  1. Der Vorwurf der Umgehung der Sozialkassen ( mit Nebeneinwurf, dass ich Studiert habe und mit Zusatzausbildung im sozialen Bereich arbeite und deutlich unter dem Verdienst anderer Studierten bleiben werde) - ich zahle in die gesetzliche Krankenkasse ein, fast 800€ im Monat und bekomme nicht die selben Leistungen ( zum Beispiel Mutterschaftsgeld), denn ich bin ja nicht angestellt. Sondern nur freiwillig versichert. Aha. Freiwillig in die Sozialkasse einzahlen ist also was schlechtes.
    Wenn ich jedoch Wohngeld beantragen will, weil meine Umsätze schwinden, werden mir meine Beiträge zur RV und KK NICHT angerechnet, wie bei einem Angestellten. Argument : keine Ahnung. Selbst schuld wenn du in die Sozialkasse einzahlst ?
    Es ist so unglaublich unfair. ICH darf mir im Gegenzug aber immer wieder anhören es ja alles so gewollt zu haben. Äh. Nein.

  2. Nicht nur Kulturschaffende sind Selbständig. Und nicht nur „Egoisten“. Ich arbeite als Therapeutin in der Jugendhilfe, die von Steuergeldern finanziert wird. Der Staat kümmert sich nicht selbst um genügend Einrichtungen ( die ja feste Stellen abwerfen)
    sondern macht Verträge mit Leistungsanbietern, größeren und kleineren, viele davon konfessionsgebunden, was die Wahlfreiheit enorm einschränkt, was nicht in Ordnung ist. Die staatlichen Stellen drücken Preise wo sie können, Honorare werden über Monate nicht gezahlt, Verträge werden regelmäßig von Behördenseite gebrochen.
    Mit diesen Problemen muß ich mich beschäftigen. Und mir gleichzeitig häufig anhören ich sei gierig und unsozial.Dabei beschäftige ich mich tagtäglich mit Kindern, die durchs System rutschen, die nicht adäquat versorgt werden könne, weil das System sie nicht in dem Maße einplant sieht und versorgt, obwohl es staatlicher Auftrag ist.
    Wir Selbständigen im sozialen Bereich sind systemrelevant und arbeiten zum Teil unter erschwerten Bedingungen, weil unser Wert nicht gesehen, nicht anerkannt wird.
    Ich habe keine Hoffnung daß sich das nachhaltig ändert, denn weder wir noch unsere Klienten haben die entsprechende Lobby. Im LdN Forum solche abschätzigen Kommentare zur Selbständigkeit zu lesen macht mich allerdings fertig.

  3. Ulf und Philip, an euch direkt. Der Interviewpartner zu dem Thema hat mich wirklich sauer gemacht. Das ist so ein ganz schlechtes Beispiel für einen selbständig Arbeitenden der genau dieses Feld in ein schlechtes Licht rückt. Wer Steuerschulden und Arztrechnungen offen hat und nicht mehr klar kommt, hat ein anderes Problem als Corona. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind ein Thema für sich und so klang das bei ihm raus. Ich finde das sollte getrennt behandelt oder wenn dann differenziert berichtet werden. Wie kommt es zu so einer finanziellen Lage überhaupt.

  4. Mein Arbeitsplatz wird Corona wahrscheinlich überleben. Falls nicht wird der Markt weiter ausgedünnt wenn ich dann etwas anderes mache ( und nein, die Nachfrage erzeugt keine weiteren Angebote, denn es braucht Erfahrung und Kompetenz in einem Spezialgebiet in vielen Fällen). Es würde Ressourcen vernichten.Ressourcen die jetzt schon mehr als knapp sind. Fachkräfte aus ihren Berufen zu drängen ist nicht sinnvoll.

Insgesamt fehlt mir bei dem Thema grundsätzlich und immer die Metaposition. Warum hat die Politik ein Interesse daran Selbständige zu benachteiligen, warum gibt es überhaupt diese straken Ungleichbehandlungen von Beamten, Arbeitnehmern und Selbständigen. Warum konkurrieren wir gegeneinander, wenn es doch von allem was braucht? Es gibt da eine Historie und auch einen politischen Willen. Ich sehe nicht daß sich vor meiner Rente da was ändert, das dies so selten thematisiert wird finde ich aber sehr problematisch. Ich freue mich also daß dies mal aufgegriffen wurde, auch wenn ich mit dem Beitrag nicht ganz glücklich war.

Tricia

2 „Gefällt mir“

Lieber lennart,

was meinst Du mit der Flucht aus den Sozialkassen? Wenn es um die Anzahl der Personen, die in die Sozialversicherungen als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einzahlen, dann kann ich die Aussage nicht nachvollziehen.

Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist seit ihrem Tiefststand 2005 (26,3 Mio) kontinuierlich – mit einer kleinen Unterbrechung 2009 – gestiegen und hat 2019 33,4 Mio. erreicht. Ein Anstieg um 7 Millionen Einzahler.

Dabei war der Anstieg der SvB in den letzten Jahren stärker als der Anstieg der gesamten Erwerbstätigkeit. Damit stieg der Anteil der Sozialversicherungsbeschäftigten an den Erwerbstätigen (Erwerbspersonen, Bevölkerung) von 75,5% (60,2%, 32,3%) im Jahr 2005 81,5% (71,85%, 40,2%) 2019.

Zwar stieg auch die Zahl der Selbständigen. Diese erreichte aber 2012 mit 4,522 Mio. ihren Höhepunkt und viel seitdem bis 2019 auf 4,15 Mio. Setzt man SvB und Selbständige nun ins Verhältnis so ist auch hier wieder die Zunahme der relativen Bedeutung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gut zu sehen. Kamen 2005 nur 6 SvB auf einen Selbständigen so waren es 2019 gut 8.

Daher kann ich keine Flucht aus den Sozialkassen sehen. Die (zukünftigen) Finanzierungsprobleme der Sozialversicherungen sind eher auf die diversen Ausgabenerweiterungen durch die Bundespolitik und (in Zukunft) auf den demographischen Wandel zurückzuführen.

Quellen:

Prozentwerte: eigenen Berechnungen

Ausgangsdaten: Stabu - Destatis

Hallo Tricia, lieber Ulf, lieber Philip,
Ich bin froh und dankbar das Solo-Selbstständige auch über die LdN wieder Aufmerksamkeit bekommen. Ich schließe mich aber meiner vorkommentierin an, der Beispielfall ist so tragisch wie auch ungeeignet wahrscheinlich auch nicht sehr repräsentativ…Wenn es vorher nicht lief, läufts mit Corona gar nicht mehr, Messebau ist nochmal härter und gleichzeitig und für die meisten Solo-Selbstständigen möchte ich vermuten und bedauern, das Angestellte ganz oft keine Vorstellung von realen Stundenlöhnen haben und sich auch leider damit Solo-Selbstständige oft nicht trauen, realistisch Und selbstbewusst Z.B. 40-60€ Zu Verlangen, mit denen man dann seine Sozialversicherungen abdecken könnte.
Auch problematisch das ich am Ende von Schule und Studium zwar komplex integrieren konnte und ein guter Methodiker war, aber eine BG nicht von einer Haftpflichtversicherung oder einer Erwerbsunfähigkeitversicherung unterscheiden konnte.
Kurze Rückmeldung an die Moderatoren:
In BaWü muss man Beim Antrag auf die Hilfen nichts Belegen Sondern nur bezeichnen! Zudem gibts es bei uns für z. B. Künstler die keine Ausgaben haben auch die Möglichkeit ca.1.100€ als Lebensunterhalt anzugeben und zu beantragen, wenn keine Einkünfte möglich.
Das nur als ein Fall von den 16 Ländern. Ich habe den Beitrag zu Anfang als wie so oft hervorragend eingeleitet und recherchiert wahrgenommen, aber leider sehr schnell bei euch beiden ein ‚sich aufschaukeln‘ im wie unmöglich das läuft festgestellt, dass nicht mehr viel Differenzierung zuließ, die wie ich finde aber geboten wäre. Das beobachte ich auch an anderer Stelle.
Sonst-Hut ab! Ich freu mich sehr wie stimmig eure Themenwahl mit meinen Interessen ist und wie oft ich merke das mich etwas Interessiert was ich vorab nicht am Schirm hatte!! Danke.
Jörg

Ich kann ihren Standpunkt verstehen, vor 15 Jahren wären das auch meine Argumente gewesen. So lange man fit ist stimmt die Aussage, aber wer in diesem Karussell sitzt hat in der Regel nicht die Kraft zum Kämpfen. Der Kampf gegen die Ämter ist ein Kampf gegen Windmühlen. Am Ende des Tages hat man nur eine Weitere Runde im Karussell gedreht ohne etwas zu erreichen.

Seit unser Bundesschröder viele Arbeiter in IchAGs gelockt hat ist dieses Modell gang und gäbe. Oft werden diese Soloselbständigen schlecht bezahlt und das unternehmerische Risiko ohne finanziellen Ausgleich ausgelagert. Man ist gezwungen seine Arbeitskraft zum Markte zu tragen. Bei schlechter Bezahlung muß es halt über die geleisteten Stunden ausgeglichen werden. Wenn man erst einmal in diesem Teufelskreis drinnen steckt ist es nicht möglich sich ein finanzielles Polster für schlechte Zeiten aufzubauen. Man lebt mehr oder weniger von der Hand in den Mund. Jede kleine Unregelmäßigkeit wird zu einem großen Problem.
Bei einem Beratungsgespräch bei der Arbeitsagentur wie ich da wieder rauskomme wurde mir nur Harz4 angeboten mit allen Knebelungen die dieses System mit sich bringt. 15 Jahre Soloselbständigkeit haben (vor Corona) alle meine finanziellen Reserven wie Lebensversicherungen und private Rente aufgebraucht. Die andauernden Geldsorgen waren ein Hauptgrund für meine depressive Phase.

Der Selbständige sichert sich „Selbst“ meist privat ab. Es gibt außer Harz4 keine Absicherung für Selbständige.

Das stimmt ja nicht ganz. Man kann sich (wenn auch nur zu Beginn, aber dafür sehr günstig) freiwillig gegen Arbeitslosigkeit versichern und man könnte auch freiwillig in die Rentenkasse einzahlen, was allerdings teuer ist, da man den Arbeitgebersnteil mit bezahlen muss.

Noch eine Erfahrung aus dem Alltag.
Solch ein kleiner Laden erhält sich selbst, wenn das Geschäft einigermaßen läuft. Der Lockdown war eine Vollbremsung auf so etwas war niemand vorbereitet also konnte dafür auch keine Vorsorge getroffen werden.

Ein kleines Schuhhaus mit dem Eigentümerehepaar, 4 Beschäftigten und 2 490€ Kräften hat bis jetzt 90.000€ Verlust eingefahren, da die Kostenseite gleich geblieben ist und keine Umsätze da waren.
Die Frühjahrskollektion liegt quasi komplett noch auf Lager (verursacht auch Platzprobleme) wegen dem Lockdown. Die Mitarbeiter haben zwar Kurzarbeitergeld erhalten aber die Eigentümer, die von dem Gewinn leben die das Geschäft normaler weise abwirft, müssen einen privaten Kredit aufnehmen.

Da die gesamte Kollektion noch auf Lager liegt und die finanzielle Lage sehr angespannt ist wird fast keine neue Ware für das Frühjahr 2021 geordert. Das setzt sich in der Lieferkette fort, die Schuhhersteller und die Lieferanten von diesen bekommen die Folgen jetzt erst zu spüren.
Die Stimmung auf der Messe, wo die Schuhe geordert werden war entsprechend schlecht.

Der Steuerberater hat von einem Antrag auf „Coronazuschuß“ abgeraten, da der Aufwand auf seiner Seite in keinem Verhältnis zum etwaigen Ergebnis gestanden hätte.

Der Mehraufwand für die Maßnahmen zum Schutz vor Corona können nicht eingepreist werden (erhöhen den Verlust).
Der Mehraufwand zum berechnen und beantragen des Kurzarbeitergeldes ist hoch (da sehr unübersichtlich und kompliziert) und es besteht immer das Risiko, dass der Unternehmer bei einem Formfehler keine Gelder bewilligt bekommt bzw. bei einer Prüfung zurückerstatten muß.

Meine Prophezeiung für 2021 ist, dass dann das Sterben der kleinen Geschäften im Einzelhandel massiv zunehmen wird. Vor allem wenn das Kaufverhalten der Kunden weiterhin so bleibt. Viele Kunden fordern einen Coronarabatt zusätzlich zu der Mehrwertsteuersenkung.
Durch das Sterben der Geschäfte wird es zu viel Leerstand in den Innenstädten kommen was deren Attraktivität weiter abnehmen läßt.

1 „Gefällt mir“