LdN204 - Antisemitismus

Durch den prima und an sich sehr fundierten Beitrag entsteht der Eindruck, dass Antisemitismus in BRD ein durch Rechtsradikalismus verursachtes Problem ist.

Grade da Ihr einen jüdischen Gesprächspartner zu Gast hattet, wäre es interessant gewesen, wie sich das Problem des Antisemitismus in EU und BRD aktuell aus jüdischer Perspektive darstellt. Hier dominiert nämlich keinesfalls der (auf jeden Fall ebenfalls ernstzunehmende Rechtsradikalismus!), sondern mit deutlichen Vorsprung radikale Muslime, gefolgt von Linksextremen. Erst dann kommen mit einigem Abstand Rechtsextreme:

„Die Ergebnisse [der groß angelegten Umfrage] zeigen auch, dass Judenhass nicht mehr überwiegend vom rechten Rand der Gesellschaft kommt. Die Teilnehmer [für die folgenden Zahlen die deutschen Juden] nannten als häufigste Tätergruppen radikale Muslime (30 Prozent), gefolgt von Menschen aus dem linken politischen Spektrum (21 Prozent), Arbeits- oder Schulkollegen (16 Prozent), Menschen aus dem Bekanntenkreis (15 Prozent) und erst dann Personen mit rechtsextremen Ansichten (13 Prozent).“

Wie kritisch sich die Lage ob der muslimischen Migration in Schweden entwickelt hat, kann man hier lesen:

Zudem: Sollte man die Zahlen aus der Polizeistatistik nicht auch methodisch-kritisch reflektieren?

Gibt es bei der LdN auch Beiträge zum linksradikalen und zum „muslimisch-arabischen“ Antisemitismus in Europa? Das würde mich sehr interessieren, da es hier deutlich schwerer ist, fundierte Informationen zu finden als zum rechtsextremen Antisemitismus und der Aufklärungsbedarf in meinen Augen hier deutlich höher liegt.

Für unseren Gesprächspartner sind Rechtsextremisten das zentrale Problem, das hat er ja deutlich gemacht.

Die Ergebnisse … zeigen auch, dass Judenhass nicht mehr überwiegend vom rechten Rand der Gesellschaft kommt

Das ist einfach eine Frage der Statistik: Es gibt in D einfach wesentlich mehr muslimische Menschen als (offen auftretende) Rechtsextremisten, daher verwundert es nicht, wenn zB antisemitische Bemerkungen im Alltag eher von muslimischer Seite beobachtet werden. Echte Gefahren gehen aber weit überwiegend von Rechtsextremisten aus - das zeigt Ronen Steinke in seinem Buch ja sehr deutlich.

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Lieben Dank für deine Gedanken zum Thema. :slight_smile:

Meine Antwort wird etwas länger, da ich fundiert und unter Einbezug von wissenschaftlichen Studien (siehe kursiv gesetzte Zitate) antworten möchte.

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Ich habe den Beitrag in der LdN so verstanden, dass Ronen Steinke als Fachmann eingeladen wurde, mit das Problem Antisemitismus zusammen erläutert werden soll.

Wenn Ronen Steinke von der SZ in der Lage der Nation ausdrücklich als Jude vorstellt wird, sollte man also der Richtigkeit halber auch sagen: Seine Einschätzung der Lage ist absolut unrepräsentativ für die jüdische Community. Und spiegelt die Sachlage auch insgesamt nicht angemessen, weil sehr einseitig, wieder.

In meinen Augen sollte die Wahrnehmung des Gesprächspartners durch die LdN entsprechend ergänzt werden, wenn sie unrepräsentativ ist. ( Sonst bekommt man ja keinen wirklichen Eindruck von der Lage in der Nation :wink: )

Zwar werden im Beitrag richtig gut Aspekte herausgearbeitet, aber wer nicht die wirklichen Gefahren erkennt und benennt, wird im Kampf gegen Antisemitismus nicht sehr erfolgreich sein (dazu auch weiter unten).

Der Beitrag ist dort, wo er sich mit dem Thema auseinandersetzt, klasse und auf den Punkt und in üblicher LdN-Weise fundiert, gründlich und erhellend. :slight_smile:

Durch den fehlenden größeren Rahmen werden im Ergebnis aber die üblichen Vorurteile befördert, dass Antisemitismus vor allem von rechts kommt. Richtig ist aber: Antisemitische Bedrohung kommt aus Sicht der Juden aber an deutlich allerletzter Stelle von Rechts. Es ist also, im größeren Rahmen betrachtet, etwas sehr anderes wahr.

Die Wahrnehmung der Juden deckt sich dabei auch mit den Ergebnissen der breit angelegten Studie des WZBs aus 2013 und der dort zitierten Ergebnisse des Pew Research Centers aus 2006:

Diese Zahlen [bezüglich der Fremdenfeindlichkeit] für Einheimische [Europäer] sind schon beunruhigend genug, doch sie werden durch den Grad der Fremdgruppenfeindlichkeit unter europäischen Muslimen weit in den Schatten gestellt.

Fast 60 Prozent [der europäischen Muslime] lehnen Homosexuelle als Freunde ab, und 45 Prozent denken, dass man Juden nicht trauen kann. Während etwa jeder fünfte Einheimische als islamfeindlich gelten kann, ist das Ausmaß der Phobie gegen den Westen – für die es sonderbarerweise kein Wort gibt, man könnte sie „Abendlandphobie“ nennen – unter Muslimen viel höher; 45 Prozent glauben, dass der Westen den Islam zerstören will.

Diese Resultate stimmen mit dem Ergebnis einer Studie des Pew Research Center aus dem Jahr 2006 überein, wonach etwa die Hälfte der Muslime in Frankreich, Deutschland und Großbritannien glaubt, dass die Anschläge vom 11. September nicht von Muslimen ausgeübt wurden, sondern vom Westen und/oder von Juden geplant wurden.

[…] Ein besorgniserregender Aspekt ist der Fakt, dass die Fremdgruppenfeindlichkeit unter jungen Muslimen nicht wesentlich geringer ist als unter älteren, während unter einheimischen Christen der Unterschied zwischen den Generationen beachtlich ist.

Auch hier müssen wir natürlich sicherstellen, dass die Differenzen zwischen Muslimen und Einheimischen nicht auf die unterschiedliche demografische und sozioökonomische Zusammensetzung dieser Gruppen zurückzuführen ist, denn es ist bekannt, dass Fremdenfeindlichkeit unter sozial benachteiligten Gruppen höher ist. Multivariate Regressionsanalysen zeigen tatsächlich, dass dies der Fall ist, doch die Berücksichtigung sozioökonomischer Variablen reduziert die Gruppenunterschiede kaum."

oder via: Islamischer religiöser Fundamentalismus ist weit verbreitet | WZB

Zudem nochmals mein Hinweis auf die Polizeistatistiken: Diese sollten kritisch hinterfragt werden. Eine Reflexion, wie solide die Grundlage ist, auf der man seine Zahlen gewinnt, wäre in meinen Augen schon wichtig. Vor allem, wenn es Hinweise gibt, dass es da Probleme geben könnte. Sonst entsteht bezüglich des Beitrages nicht nur der Eindruck, dass Maßgebliches ausgeblendet wird, sondern dass das, was vorgestellt wird, auch nicht sauber fundiert ist.

Das folgende Argument mit der Statistik verstehe ich noch nicht:

Von den muslimischen Antisemiten gehen dabei genauso „echte Gefahren“ aus, wie von Rechtsextremen.

Das Beispiel aus Malmö, Schweden zeigt, dass die Jüdische Gemeinde sich dort im „Kampf ums Überleben“ eben nicht gegen den Rechtsextremismus sieht, sondern: „Die Täter sind vor allem Muslime.“

„Trotz aller Vorkehrungen, die zum größten Teil der schwedische Staat bezahlt, kommt es immer wieder zu antisemitischen Angriffen, Drohungen und Anschlägen, Juden werden angespuckt und geschlagen. Die Täter sind vor allem Muslime.“

Der Artikel in der Jüdischen Allgemeinen spricht von „Terror“. Juden ziehen ob dessen gezielt aus Malmö weg.

Und auch die jüdische Community würde muslimischen in BRD Antisemitismus nicht mit Abstand an erste Stelle und rechtsextremen Antisemitismus an letzte Stellen, wenn die echte und eigentliche Gefahr vom rechtsextremen Antisemitismus ausgehen würde.

Es stimmt doch sogar eher das Gegenteil: In BRD gibt es viel weniger muslimische Menschen als Deutsche. Muslime stellen in BRD nur gut 5% der Bevölkerung. Trotzdem sehen Juden in muslimische Menschen das wesentlich größere Bedrohungspotential als im deutschen Rechtsradikalismus.

Muslime stellen dabei nicht nur absolut, sondern sogar auch relativ das deutlich größere Problem da. Muslims stellen nur gut 5% der Bevölkerung in BRD, stellen für Juden aber mit 30% das deutlich größte Bedrohungspotential da. Verdoppelt sich der Anteil der muslimischen Bevölkerung auf gut 10% in der BRD, ginge antisemitistische Bedrohung mit deutlich mehr als der Hälfte (ca. 60%) von Muslimen aus. Und das, obwohl diese nur gut 10% der Bevölkerung stellen würden.

Und eine Verdoppelung, sogar eine Vervierfachung der Muslimischen Bevölkerung schon in den nächsten 30ig Jahren, also innerhalb einer Generation, ist realistisch. Wir haben es hier mit exponentiellen Entwicklungen zu tun:

„Würde man eine Null-Migration annehmen, läge der Anteil der Muslime in Deutschland nach den Berechnungen des US-Forschungsinstituts [Pew Research Center] im Jahr 2050 bei neun Prozent. Sollte die Zuwanderung auf dem Niveau der Jahre 2014 bis 2016 bleiben, wären es 20 Prozent.“

Damit kommen wir auch zur Frage der Ursachenbekämpfung:

Muslimische Zuwanderung befeuert Antisemitismus also ganz erheblich. Sich über Art und Umfang der muslimischen Zuwanderung zu machen und die Integrations- und Abschiebekonzepte zu überdenken, ist also viel wichtiger, als sich um den Rechtsextremismus in der BRD bzw. der EU zu kümmern. Wobei die Auseinandersetzung mit letzterem natürlich auch wichtig bleibt.

Zudem dürften sich die vorhandenen Konzepte im Umgang mit Rechtsextremismus, der z.B. nicht religiös fundiert ist, nur sehr eingeschränkt auf den Umgang mit muslimischem Antisemitismus übertragen lassen. Religiös-göttlich fundierter Antisemitismus wird vermutlich noch schwerer zu durchbrechen sein, als „normaler“ Antisemitismus.

Eine saubere Ursachenanalyse ist für die Ursachenbekämpfung beim Thema Antisemitismus besonders wichtig, da die Zuwanderung anhält und weil die Geburtenquote unter in der BRD lebenden Muslimen höher ist als unter „Deutschen“ in der BRD:

„Das Institut [Pew Research Center] schätzt, dass die Geburtenrate muslimischer Frauen in Deutschland zwischen 2015 und 2020 bei 1,9 Kindern liegt, während nicht-muslimische Frauen 1,4 Kinder bekommen. In Großbritannien, wo viele Muslime aus Südostasien eine Heimat gefunden haben, geben die Forscher für Musliminnen einen Wert von 2,9 Kindern an, für Nicht-Musliminnen wären es 1,8 Kinder.“

Der Rechtsextremismus wird vermutlich (und gottseidank) eher stagnieren. Zumindest aber nicht auch noch durch Faktoren wie Zuwanderung und demografische Entwicklung wachsen.

Zudem scheint sich das Problem auch nicht „auszuwachsen“:

„Die Fremdgruppenfeindlichkeit unter jungen Muslimen ist nicht wesentlich geringer als unter älteren, während unter einheimischen Christen der Unterschied zwischen den Generationen beachtlich ist“ (s.o., WZB-Studie).

Und für den Linksextremismus kann man das Argument mit der Statistik gar nicht verwenden. Zumindest wüsste ich nicht wie. Und Linksextremismus wird ebenfalls deutlich stärker als Bedrohung wahrgenommen als Rechtsextremismus. Findet in den Medien aber noch weniger Erwähnung als muslimischer Antisemitismus. Hier könnte die LdN echte Aufklärungsarbeit leisten. :slight_smile:

PS: Falls die LdN weiter Kontakt zu Ronen Steinke habt - mich würde sein Feedback als Fachmann sehr interessieren. Zudem könnte er sich als Fachmann und SZ-Redakteur mit entsprechender Leserreichweite sicher gut dafür Sorge tragen, dass man dem Antisemitismus noch besser und wirkungsvoller begegnen kann.

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Ganz netter Versuch.

Hallo Jan, ich verstehe dein Argument noch nicht. Erläuterung würde mir weiterhelfen. :slight_smile:

Ein weiterer Hinweis, wie gravierend muslimischer und linker Antisemitismus ist und es eine Verkürzung der Perspektive ist, wenn man, wie in der LdN, nur vom rechten Antisemitismus spricht:

„Auch Frankreich war diesen Weg unter dem Druck von Islamisten und ihren linken Unterstützern gegangen. Zahlreiche Intellektuelle wie Alain Finkielkraut, Élisabeth Lévy und Georges Bensoussan wurden wegen angeblicher „Islamophobie“ oder Rassismusvorwürfen vor Gericht verklagt, um sie zum Schweigen zu bringen. Besonders häufig waren es jüdische Publizisten, die auf den grassierenden muslimischen Antisemitismus aufmerksam machten, der nicht nur regelmäßig zur Schändung von Friedhöfen, Verwüstung von Restaurants, Schmierereien an Universitäten und alltäglichen Übergriffen auf Juden, sondern auch zu den grauenvollen Morden an Ilan Halimi, Sarah Halimi, und Mireille Knoll, zu Attentaten auf Kinder einer jüdischen Schule und tödlichen Geiselnahmen in einem jüdischen Supermarkt führten.“

In der Welt sieht man in Bezug auf Frankreich übrigens auch den Islamismus als Problem für den Exodus der Juden dort.

„Den Islamisten ist es bereits gelungen, einen Exodus der Juden aus Frankreich in Gang zu setzen.“

Über den Islamismus als Grund als Jude aus Malmö wegzuziehen, habe ich ja schon die Jüdische Allgemeine verlinkt - siehe oben unter:

Wieso wird im Beitrag der LdN kein einziges Wort über Islamismus als wichtiger Motor für Antisemitismus verloren?