LdN2015 - Tigray Konflikt (Äthiopien)

Hallo zusammen,

ich finde es sehr gut, dass Sie den Konflikt in der Tigray Region in Äthiopien diese Woche in die Lage mit aufgenommen haben. In der Tat haben Sie Recht, dass dieser Konflikt die große Gefahr mit sich bringt das gesamte Horn von Afrika zu destabilisieren und deshalb auch in Europa mehr beachtet werden sollte. Die Afrikanische Union (AU) ist ein wichtiger Partner für Deutschland und die EU, man könnte sie auch schon die Afrikanischen EU nennen, weil dort genauso an einem Binnenmarkt abkommen mit grenzüberschreitendem Arbeiten, Handel etc. gearbeitet wird bzw. schon verabschiedet ist und meines Wissens bis 2025 komplett umgesetzt sein soll. Aber begonnen hat die Umsetzung bereits jetzt.

Aber zurück zum Tigray Konflikt. Ich schreibe heute das erste Mal einen Kommentar zu einer LdN Folge, obwohl ich Sie schon seit Jahren gerne höre und finde es toll wie Sie differenziert Ihre Themen aufarbeiten und verständlich machen. Ich war bereits vorher sehr Politik interessiert, aber bei Ihnen kann ich jedes Mal nochmal etwas dazulernen.

Der Tigray Konflikt ist nun ein Thema das mich emotional mit nimmt und bei dem ich ehrlichgesagt auch nicht so voreingenommen sprechen kann, wie sie dies können. Das liegt daran das meine Frau eine Tigray ist und der Großteil Ihrer Familie noch in Mekelle, der Hauptstadt von Tigray lebt, und wir seit 3 Wochen null Kontakt zur Familie haben und nicht wissen wie es ihnen geht. Das ist für meine Frau besonders schlimm, für mich aber auch. Meine Schwiegereltern sind tolle Menschen, mein Schwager und Schwägerin genauso wie die ganze Familie. Die alle und auch die anderen Menschen die in Tigray leben haben einen solchen Bürgerkrieg gegen sich nicht verdient. Entgegen Ihrer Interviewpartnerin, würde ich das was aktuell passiert schon als ethnische Säuberung bezeichnen, oder der Beginn dazu. Äthiopien Status auf der Genocide Watchlist ist mittlerweile bei „9 - Extermination“ angelangt. Im Juli war er noch bei „6 - Polarization“. Es gibt vermehrt Berichte von Reuters und anderen das Firmen in Addis Abeba ihre Mitarbeiter die aus Tigray stammen dazu aufgerufen haben zu Hause zu bleiben, weil sie Übergriffe, Entführung, wahllose Inhaftierung oder die Ermordung ihrer Mitarbeiter fürchten. Es gibt einen Bericht des UN World Food Programms wonach die Amahara Police in deren Hauptquartier in der Amahara Region gekommen ist und die Herausgabe eine Liste mit allen Namen der Mitarbeiter die aus Tigray stammen verlangt hat. Die UN hat dies abwehren können mit der Aussage, dass sie keine Mitarbeiterlisten nach Ethnie führt. Dazu kommt die systematische Entfernung aller Tigray in wichtigen Regierungs- oder Organisationsstrukturen im ganzen Land. Der Chef der WHO, Tedros, seines Zeichens Äthiopier und aus Tigray wird von der Abiy Regierung nun deformiert, er würde ein TPLF Diplomat sein, mit anderen Worten ein Terrorist, denn so bezeichnet Abi Ahmed die TPLF. Dabei hatte sich Tedros nur für eine friedliche Lösung des Konfliktes ausgesprochen. Wenn das nicht zumindest alles Anzeichen einer mindestens beginnenden systematischen ethnischen Säuberung zum Nachteil der Tigray ist, dann weiß ich es Ehrlich gesagt auch nicht mehr.

Der am Samstag veröffentliche Tweet von Abiy Ahmed zur Militäraktion in Tigray und seinem „Plan“ liest sich mit dem Hintergrund des o.g. als Propagandapapier mit Ankündigung eines Genozids.

Die TPLF ist kein Kind von Traurigkeit, sehr wohl gehen eine Menge an Menschenrechtsverletzungen auf deren Konto. In Tigray wird ein Angriff auf die TPLF als Angriff auf die gesamte Ethnie der Tigray verstanden.

Der Grund wieso dies nun alles so eskaliert ist, ist meiner Meinung in der Folge etwas zu kurz gekommen. Es ist klar, die TPLF hatte und hat massive Probleme sich mit der Zentralregierung unter Abiy Ahmed abzufinden. Ob es die richtige Entscheidung von Abiy Ahmed war alle TPLF Mitglieder aus der Regierung zu werfen, eine neue Partei zu gründen und die TPLF auszuschließen, wage ich aber auch zu bezweifeln. Ich hatte auch große Hoffnungen in Abi Ahmed, gerade als er den Friedensvertrag mit Eritrea geschlossen hat, dafür musste ich mir in meine Familie auch Kritik anhören lassen. Ja genau deswegen, weil diese fest hinter der TPLF stehen und Abiy Ahmed nie als legitimen Präsidenten anerkannt haben, zumal er auch gar nicht vom Volk gewählt wurde. Ich wollte ihm persönlich eine Chance geben, die denke ich jeder Verdient der Vorgibt sich um Demokratie zu bemühen. Die letzten 2 Jahre haben aber gezeigt, dass Abiy Ahmed genau das Gegenteil anscheinend im Hintergrund macht. Er kommt wie beschrieben aus dem Geheimdienstumfeld der alten Regierung, hat dort die heutige Geheimdienststruktur aufgebaut und auch das Foltersystem von Politischen Gefangenen der alten TPLF Regierung. Darüber hatte unter anderem auch CNN bei der Amtseinführung berichtet.

Abiy Ahmed hat jetzt mit Rückblick eigentlich genau immer das gemacht was die alte TPLF Regierung auch gemacht hat. Sobald es Unruhen gab hat er den Ausnahmezustand über eine Region verhängt, sämtliche Telekommunikationswege blockiert, die Regionalregierung abgesetzt und durch eigene Leute ersetzt. Selbst in seinem Heimatstaat Oromia. Er bekämpft also auch seine eigene Ethnie oder einfach jedem der ihn gefährlich werden könnte.

Laut Äthiopischer Verfassung hätte es dieses Jahr Regional- und Parlamentswahlen geben müssen. Mit anderen Worten Abiy Ahmed stand zur Wiederwahl. Nun ist Äthiopien dieses Jahr nicht nur durch Corona geplagt, sondern auch durch eine Heuschreckenplage die auch gerade in Tigray massiven Schaden in der Landwirtschaft angerichtet hat. Nun Abiy Ahmed hat auf Grund von covid19 die Regional- und Parlamentswahlen auf unbestimmte Zeit verschoben. Das ist laut Äthiopischer Verfassung, verfassungswidrig, da bei einer Verschiebung der Wahlen ein „zeitnahes“ Datum für die Wahl mit benannt werden muss. Das ist im heise online Link recht gut beschrieben. Einige Wochen später hat Abiy Ahmed dann ein neues Datum genannt, das lautete „irgendwann in 2021“. Das ist weder Zeitnahe noch genau. Also wiederum verfassungswidrig. Die TPLF in Tigray hat dann beschlossen ihre Regionalwahlen im September abzuhalten, die sie natürlich gewonnen hat. Damit ist laut Äthiopischer Verfassung, wie ich das sehe, die Regierung in Tigray aktuell die einzige Verfassungsmäßig korrekt eingesetzte Regierung.

Solch ein Vorgehen kann sich Abiy Ahmed aber nicht bieten lassen und wie das vor allem mit dem Ego der Männer ist und das kann in Afrika durchaus sehr ausgeprägt sein, hat er die Regionalregierung in Tigray dann nicht anerkannt. Dann gab es Anfang November einen Angriff in Tigray auf das Hauptquartier der Föderalen Militärtruppen (vergleichbar mit der Bundeswehr in Deutschland). Dazu muss man wissen, dass in Äthiopien jeder Bundesstaat das verfassungsmäßige Recht hat, eine eigene Arme aufzustellen. Deshalb unterscheiden wir hier zwischen Federal Military und Regional Military. Das Regional Militär von Tigray ist auf Grund des 20 Jahre langen Konfliktes mit Eritrea hochgerüstet bis zum geht nicht mehr, weil diese ja die Äthiopische Grenze beschützen mussten/müssen. Beide Militärs unterhalten ebenfalls eigene Militäranlagen in den Regionen. So, jetzt wurde also der Hauptstützpunkt der Föderalen Armee in Tigray angegriffen von Soldaten die Uniformen der eritreischen Armee getragen haben und es wurde sehr viel Artillerie Equipment und vieles andere gestohlen. Abiy Ahmed sagte dann, „Ok die hatten uniformen der eritreischen Armee an, aber das waren TPLF Soldaten“ - ohne dafür Beweise vorzulegen. In Folge verhängt er den Ausnahmezustand über Tigray, kappt alle Kommunikationsleitungen und schickt das Militär um die TPLF Regierung mit Gewalt abzusetzen, bestimmt eine neue Regionalregierung für Tigray, feuert seinen Armee Chef, seinen Geheimdienstchef und Polizeichef. Alles innerhalb von 36 Stunden. Kurz vorher trifft er sich mit dem eritreischen Präsidenten und oh Wunder einige Tage später setzt er Drohnen der Vereinigt Arabischen Emirate (UAE) gegen Tigray ein, die auf einer UAE Basis in Eritrea stationiert sind. Das wiederum erklärt dann den Angriff der TPLF auf den Flughafen Asmara und Assab, der Hauptstadt von Eritrea.

Dann gab es Berichte des Addis Standard, einer der letzten halbwegs unabhängigen Zeitungen in Äthiopien, weil auch alle anderen von der Regierung Abiy Ahmed geschlossen wurden, dass man die Presseakkreditierung einer Reuters Journalistin mit sofortiger Wirkung entzogen hat, mit der Begründung: „falsche & voreingenommene Berichterstattung über aktuelle Angelegenheiten, „Irreführung der Welt & die Absicht, internationalen Druck auf Äthiopien auszuüben“.“ Gleichzeitig wurden angekündigt, dass Deutsche Welle und BBC News Warnungen bezüglich ihrer Berichterstattung erhalten haben und diese bei Fortführung ihrer unabhängigen (sofern überhaupt noch möglich) Berichterstatten ebenfalls ihre Presseakkreditierung verlieren. Das zeigt auch systematisch das Abiy Ahmeds Regierung versucht die International Presse totzustellen, um nur noch seine Propaganda zu verbreiten. Er hat eindeutig Angst um sein Ansehen in der Welt, dass meiner Meinung nach bereits zerstört ist. Einen Tag später hat er dann zurückgerudert und gesagt, dass Ganze sei gar nicht passiert. Ja, wer es glaubt…

Darüber hinaus ist einige Tage vorher der Chefredakteur des Addis Standard festgenommen worden. Naja man kann es sich denken, weil er angeblich terroristische Vereinigungen (die TPLF) unterstützt. Mit einer weiteren Chefredakteurin hat der Deutschland Funk ein interessantes Interview geführt (siehe Links unten).

Fortsetzung in der Antwort…

Abiy Ahmed ist außerdem derjenige der bisher mit aller strenge jedes Vermittlungsangebot abgelehnt hat, egal ob von Deutschland, der EU, des UAE oder der AU. Er verweist, dass dies eine Innenpolitische Sache sei und die Militäraktion bald abgeschlossen sein werde. Ich sehe da die TPLF etwas Gesprächsbereiter, obwohl es hier auch jede Menge Vorbehalte gibt. Ich sehe aber Abiy Ahmed ganz klar in der Position für Gespräche offen sein zu müssen, zumindest wenn der das Äthiopische Volk einen wollen würde, aber das will er anscheinend nicht. Darüber hinaus hat er aktuell einen (noch nur) diplomatischen Disput mit Ägypten am Laufen. Hier geht es einem um den GERD Wasserkraftwerk und Staudamm am Niel und eine eigentliche Lappalie das Ägyptische Arbeiter auf dem Weg nach Dubai beim Umsteigen in Addis im Transit 14 Tage festgehalten werden/wurden, wegen der strikten covid19 Quarantäne. Wir jeden hier über den Transitbereich ohne Eintritt ins Land selbst. Der Sudan wird auch immer saurer, weil jetzt über 30.000 Flüchtlinge ins Land gekommen sind. Das sind zum einem die Tigray‘s selbst, aber auch tausende von Flüchtlingen die Tigray in Flüchtlingscamps beherbergt hatte.

Der Propagandakampf herrscht natürlich auf beiden Seiten. Abiy Ahmed auf der einen Seite, macht Tigray für alles Verantwortlich und die TPLF umgekehrt. Keiner in diesem blutigen Spiel ist der Gute. Und ich selbst und meine Frau sind sehr sehr besorgt darüber wie es meinen Schwiegereltern, Schwager, Schwägerin und dem Rest der Familie geht. Wir wissen so gut wie gar nichts. Wir wissen nicht wie es ihnen geht, wir wissen nicht ob sie noch in Mekelle sind, wir wissen nicht, ob sie noch Leben um es ganz hart auszudrücken. Letzteres ist derzeit zum Glück unwahrscheinlich, denn das was man hört sagt zumindest, dass es in Mekelle sehr weniger zivile Opfer bisher gibt. Aber das kann sich ändern. Das letzte 72 Stunden Ultimatum zur Aufgabe das Abiy Ahmed der TPLF gesetzt hat, läuft bald aus, und keiner weiß was er dann mit Mekelle machen wird. Es ist klar das die TPLF dem nicht nachgeben wird. Wie sie schon sagten, die TPLF hat das kommunistische Regime in Äthiopien gestürzt und kann Guerillakrieg. Selbst wenn Mekelle fallen sollte, ist dieser Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei und das ist die große Gefahr zur Destabilisierung des ganzen Landes, des ganzen Horn von Afrika.

Nach allem was ich in den letzten 3 Wochen gelesen, gesehen, gehört habe, lässt für mich nur einen Schluss zu, dass Abiy Ahmed seine Chance verwirkt hat und sich in dieselbe Reihe eingliedert wie die Kriegsverbrecher von Bosnien, Darfur und dem Kongo.

Ganz lange Rede, kurzer Sinn. Ich wollte darstellen, dass dieser Konflikt soviel umfangreicher ist als dass man ihn in kurzer Zeit wirklich vollumfänglich zusammenfassen könnte.

Ich habe letzten mit einem guten Freund über das Thema gesprochen und alleine die Ereignisse von 2 Wochen in diesem Konflikt, mit all seinen Hintergründen, und ich bin vielleicht gerade mal zu 50% über alle Hintergründe informiert, hat fast 2 Stunden gedauert. Das kann man selbst einem Podcast Format wie der Lage nicht zumuten, daher mein langer Text dazu.

Viele Grüße

Sven

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