LDN200 - Neubau funktioniert nicht

Moin liebes Lage-Team,

Ihr findet das Argument nicht überzeugend, dass viel Neubau bestehende Mieten senken können. Ihr argumentiert, dass Neubauwohnungen eher hochpreisig vermietet werden. Könnt ihr trotzdem etwas genauer erklären, warum ihr davon nicht überzeugt seid? Bei gleichbleibender Nachfrage senkt ein steigendes Angebot doch normalerweise den Preis.

Beste Grüße

Zunächst mal gelten solche simplen makroökonomischen Theorien nur in idealen Märkten, also insbesondere dann, wenn alle Teilnehmer des Marktes wirklich frei sind in ihren Entscheidungen. Das gilt für Wohnungen natürlich nicht, denn man will ja nicht unter einer Brücke schlafen … Die Nachfrageseite ist also alles andere als frei darin, eine Wohnung zu mieten oder nicht.

Aber selbst wenn man das einmal außen vor lässt funktioniert die Idee hier nicht, und zwar u.a. aus den Gründen, die wir in der Lage schon besprochen haben: Neubauten sind einfach viel zu teuer, man kann sie nicht für fünf Euro oder acht Euro anbieten, weil man sonst Verluste machen würde.

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Na ja, das ist aber auch nur die kurzfristig korrekte Betrachtungsweise, die langfristig so nicht zu halten ist. Denn warum sind die Neubauten so teuer? Weil Baugrund so teuer ist. Die Preissteigerung der Grundstücke in den letzten zehn Jahren stellte die Preissteigerungen beim eigentlichen Bauen in den Schatten. Und warum ist Baugrund so teuer? Im Prinzip kostet der ja nichts, der Boden ist „eh da“, der Preis kommt also fast ausschließlich durch Verknappung zustande (ein bisschen kostet die Erschließung natürlich einmalig, aber das sind Peanuts im Vergleich zu den aktuell am Markt aufgerufenen Verkehrspreisen für Baugrundstücke in interessanten Lagen). Mehr Neubau impliziert jetzt aber, dass auch mehr Baugrund erschlossen werden muss, denn ohne ist mehr Neubau unmöglich, die Gebäude müssen ja irgendwo hin. Weniger Verknappung beim Baugrund heißt aber, dass dessen Preis sinkt, der eine Funktion seiner Knappheit ist. Mehr Neubau senkt also langfristig auch die Kosten dieses Neubaus.

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Es wäre die Aufgabe des Staates neue Stadtviertel zu errichten, in denen bis zu 100.000 Menschen Platz haben. Gibt da einige gute Beispiele in Asien, Hochhauskomplexe müssen nicht mehr so aussehen wie die Plattenbauten in den 70er-Jahren.

Bei der aktuellen Situation hilft echt nur noch Galgenhumor:

Aber die Neubauten ziehen doch trotzdem Nachfrage zu sich und damit weg von den günstigeren Wohnungen. Gerade die Menschen, die es sich leisten können, ziehen eher in diese Wohnungen. Dadurch sinkt die Nachfrage auf die bestehenden Wohnungen. Das senkt doch wiederum den Preis.

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Ich finde es ehrlich gesagt ziemlich lustig, wie ich hier immer argumentiert wird, als handele es sich um ein Modellfall aus dem VWL-Lehrbuch. Der Wohnungsmarkt ist leider alles andere als ein perfekter Markt. Jedenfalls in den Märkten, um die es hier geht, nämlich in attraktiven Großstädten, ist es völlig unrealistisch, dass der Preis durch Neubauten gedrückt werden kann: Ein Angebotsüberhang ist hier selbst langfristig kaum zu erwarten, weil jedes Jahr mehr Menschen in diese Städte ziehen, als Wohnungen neu gebaut werden.

Daher haben wir ja in der Lage auch überlegt, was man Sinnvolles tun kann. Und wenn Neubau zu günstigen Konditionen eben nicht funktioniert und staatliche Deckelung umgangen wird, dann bleibt wohl nur staatliche Vermietung oder staatlich subventionierter Neubau.

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In der Wohnraumpolitik müssen wir endlich mehr Weimar wagen, so meine These. Umfassende staatliche Förderung kommunalen und genossenschaftlichen Bauens verbunden mit städteplanerischer Koordination. Zweck und Ziel des Ganzen muss langfristig die Steigerung der Eigentümerquote sein. Wohneigentum ist ein entscheidender Faktor des Vermögensaufbaus der Mittelschichten gewesen. Sehe es gerade live in Münster, wie die Kinder und Enkel in Neubaugebieten der 50er und 60er die Häuser und Wohnungen für viel Geld verkaufen.

Zum Einstieg ein grober Überblick der Geschichte der deutschen Wohnraumpolitik (die Qualitäts- und Quantitätseinbussen von Weimar zu NS sind noch viel extremer als dort dargestellt, und, fun fact, insbesondere kam es zu Gentrifizierungen zugunsten von Parteibonzen) Historische Entwicklungslinien | bpb.de

Ähnlich, mit Fokus Bayern: Wohnungspolitik (Weimarer Republik) – Historisches Lexikon Bayerns

Irgendwo habe ich noch Literatur und Exzerpte…

Ein Fallbeispiel aus Münster ist das Geist-Viertel, das in den 1920ern erschlossen wurde. Fun fact: Die mickrigen NS Volkswohnungen lungern noch heute am Viertelrand direkt neben der großen Umgehungsstrasse… nehmen sich lumpige aus gegen den Rest des Viertels. Münster-Geistviertel – Wikipedia

Ich würde zustimmen das die allgemeine Wohnpolitik in Weimar instrumentell besser als viele was heutzutage versucht wird, aber bei der Fokussierung auf die steigerung der Eigentumsquote bisschen differrenzieren. Nämlich zwischen Bodeneigentum und Hauseigentum:

Was gestiegen an sich gestiegen sind die objektbezogenen Wohnqualitäten in den Häusern aus den 50ern (die sind jetzt wohl etwas abgewohnt und veraltet), sondern die lagebezogenen Wohnqualitäten der Umgebung. Nicht der Wert des Hauses ist gestiegen, sondern vielmehr der Wert des Bodens. Insb. sogar weil für viele der 50/60er Kleinsiedlungs Gebiete jetzt im Raum Münster die Nachverdichtung ansteht, die eine bessere Auslastung des Grundstücks ermögicht - da war in letzter Zeit sogar ein Artikel in der WN, den ich nicht mehr finde.

Und wie ich an anderer Stelle schrieb (LdN 200 Wohnungspolitik vom Boden her betrachtet) - Vermögensaufbau durch steigende Bodenwerte geht zwangsläufig zulasten jener kein Glück hat (boden-) reich auf die Welt zu kommen.

Hauseigentum kann genauso wie Miete sinnvoll sein - aber egal was man will, man muss sich darum Gedanken machen wer von der Bodennutzung die Vor- und Nachteile erhält. Das Bodeneigentum „von heute“, wo sehr wenige exklusiv die Vorteile zugeteilt werden, ist aber milde formuliert höchst problematisch.

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Da würde ich differenzieren:
Was stimmt - Neubau ist besser als überhaupt kein Neubau.
Was aber auch stimmt - der aktuelle teure Neubau hat strukturelle Ursachen, und es wäre besser durch Bodenpolitische Maßnahmen deutlich günstiger für die breite Bevölkerung zu bauen. Ich hab hier mal das Problem „vom Boden her“ gedacht: LdN 200 Wohnungspolitik vom Boden her betrachtet

Das aktuelle System des Neubaus verteilt die Bodenwerte von der Allgemeinheit zu Grundeigentümern um. Mit allgemeiner wirtschaftlicher Entwicklung steigen die Bodenwerte und der Anteil der Bodenkosten an den Hauspreisen an und Neubau wird teurer. Jene die kein Land besitzen müssen immer mehr an den Bodeneigentümer zahlen - zwangsläufig entstehen da Probleme gute Wohnbedingungen aufrecht zu erhalten. Neubau entsteht da logischerweise vor allem für jene die bereits reich (insb. an Bodeneigentum) sind (oder mal waren), und nicht für jene denen dann die Kaufkraft fehlt.

Es gibt übrigens viele Städte die gemessen an der durchschnittlichen Haushaltsgröße bereits genug bauen, das sind aber Wohnungen die sich die meisten nicht leisten können.

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Völlig richtig und vielen dank für die kluge Ergänzung. Natürlich ist es die Lage. Und Nachverdichtung in Münster haben wir live miterlebt, viele Mehrfamilienhäuser, wo früher viele sehr kleine Einfamilienhäuser standen.

Wohnraumpolitik war in Weimar auch Bodenpolitik, soweit ich das überblicke. Es wurden ja gezielt Grundstücke erschlossen, landwirtschaftliche Nutzfläche in Wohnraum umgewidmet. Ökologisch interessant: Die Grundstücke waren damals großzügig, um Tierhaltung und Gartennutzung für Nebenerwerb und v.a. Selbstversorgung zu ermöglichen. Ergo war ein Großteil der Fläche nicht versiegelt und vor allem massiv begrünt. Keine öden Rasen- oder noch schlimmer Schotterflächen. Aus dieser Zeit lässt sich in vieler Hinsicht viel lernen (auch aus den Fehlern). Jedenfalls mir deutlich näher und charmanter als die verrückten Betonträume nach 1950…

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Ein Beispiel für diese Bodenpolitik ist v.a. das Reichsheimstättengesetz (1920), das diese Idealbild vom selbstversorger Eigenheim mit Garten (wie später nach dem zweiten Weltkrieg ähnlich) beinhaltete. Wesentlich mehr wurde die Wohnungspolitik der WR jedoch durch die öffentliche Bauförderung der Gemeinnützigen und Überarbeitung der Bebauungspläne bestimmt - aber wie dem auch sei, die Weimarer Republik ist sicherlich sowohl was Boden- wie Wohnungspolitik angeht ein genaueren Blick wert. Da stimme ich genauso zu, wie zu der Aussage das Grünräume (durch die Erhitzung der Erde ohnehin) wichtig sind. Mit Blick auf den Ressourcenverbrauch von heutigen Eigenheimen muss man denke ich aber festhalten das ein großer „grüner eigener Garten“ einen Lebenstil mit sich bringt, der nicht tragbar und alles andere als „grün“ ist.

Mehr zur Reichsheimstätte: Wissenschaftlicher Dienst Bundestag, Hrsg. 2020. „Das Reichsheimstättengesetz vom 10. Mai 1920 - Wohnungspolitik in der Weimarer Republik“. https://www.bundestag.de/resource/blob/693396/f0bae43a1012c6349b6a1118f3f57980/WD-1-029-19-pdf-data.pdf.

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Wäre Verpachten statt Verkaufen von Boden noch eine Alternative?

Insofern bereits im öffentlichen Besitz an besonders Bedürftige - ja, denn der Bodenwert befindet sich in öffentlicher Hand und kann direkt über geringere Pachtgebühren „verteilt“ werden.
Insofern einige wenige Private an die weit übergehende Mehrheit verpachten - das klingt nach Feudalismus, und ist nur ein wenig anders als heute wo einige wenige den Boden einfach verkaufen dürfen.