LDN199 Schulöffnungen

Nach drei Wochen Corona-Maßnahmen im Schulbetrieb können wir für uns nur festhalten, dass die getroffenen Maßnahmen das Kunststück vollbringen, gleichzeitig überzogen und nicht ausreichend zu sein.

Eltern und Schule in Corona-Zeiten, Version 1elfdrölf:

Eltern haben für die Herbstferien eine Reise in ein Risikogebiet gebucht und zeigen keinen Willen, die Reise abzusagen. Für ihren Nachwuchs fordern die Eltern, dass die jeweiligen Schulen jetzt für die Quarantänezeit (nach den Herbstferien) für das jeweilige Kind Heimunterricht einrichten, Klassenarbeiten verschoben werden (und zwar für die ganze Klasse, Nachschreibarbeiten sind nicht akzeptabel) und dass die Schulen garantieren, dass den Kindern keine Nachteile entstehen. Die betroffenen Schulen haben den Eltern schon dezent den Finger gezeigt, aber wer glaubt, dass es damit erledigt war, liegt ganz und gar falsch - die Eltern versuchen jetzt, die jeweiligen Schulelternschaften aufzuwiegeln.

Als langjähriger Kultusverwaltungsbeamter und mittlerweile Schulleiter muss ich sagen, dass ich vor allem die rechtliche Situation nach wie vor als unhaltbar ansehe. Selbst Schulen die wollen, werden ausgebremst. Nach wie vor gibt es keine rechtliche Grundlage, die SuS zur Teilnahme am Onlineunterricht verpflichtet oder LuL verpflichtet, Onlineunterricht, der über das verschicken von PDFs hinausgeht, zu erteilen.
In kaum einem Bundesland gibt es eine Videokonferenzsoftware, die datenschutzrechtlich sauber ist und allen Schulen wirklich in der entsprechenden Qualität (=Bandbreite, Uptime, usw.) zur Verfügung steht. Und nein, BigBlueButton ist keine Alternative, die ausreichend zuverlässig funktioniert, egal wo sie gehostet ist. BBB nervt, wenn man mehr als fünf Teilnehmer hat. Das nach 8 Monaten Corona ist wirklich armselig.

Schule in Corona-Zeiten, Version 2 elfdrölf:

Von unseren zehn Honorarkräften arbeiten täglich vier oder fünf. Zwei von ihnen sind seit Montag in Quarantäne, weil sie in der vergangenen Woche intensiven Kontakt zu nachweislich infizierten Personen im privaten Umfeld hatten. So weit, so gut. Da es in unserer Personalsituation selbst bei voller Besetzung schon nahezu unmöglich ist, dem Hygienekonzept in der Schule gerecht zu werden, sah es gestern umso schlechter aus. Wir hatten nur zwei Honorarkräfte zur Verfügung und waren noch unterbesetzter als sonst.

Gestern morgen erreichte mich ein Anruf von einer der beiden verbleibenden Honorarkräfte. Auch sie wurde von einer Kontaktperson angerufen und darüber informiert, dass diese Person nachweislich infiziert ist, wodurch ja auch durchaus ein Risiko für sie besteht. Ich habe den Fall ans Schulamt weitergeleitet und gefragt, wie wir verfahren sollen. Antwort: Solange sie keine Symptome zeigt, soll sie trotzdem erstmal an die Schule kommen. Wir sind momentan so schlecht besetzt, wir könnten ja nicht noch jemanden entbehren…

Das ganze Gelaber von funktionierendem Hygienekonzept in Schulen, Lüften, Maskenpflicht im Unterricht und so weiter ist einfach nur ermüdend und für mich, als Person, die täglich in der Praxis unterwegs ist, schon fast deprimierend.

Die Maskendisziplin bei den Schülerinnen und Schülern (im Grundschulalter) sinkt den Tag über konstant mit jeder Stunde. Spätestens um 13 Uhr ist sie quasi nicht mehr vorhanden und der Großteil der Kinder rennt ohne Maske durch die Gegend, tobt, kämpft und hängt aufeinander. Und zu diesem Zeitpunkt haben gut 150 von ihnen noch drei weitere Stunden in der Schule vor sich. Sobald die Maskenpflicht im Unterricht herrscht, wird halt schon ab 11 Uhr keine mehr richtig getragen.

Wir als pädagogisch tätiges Personal an Grundschulen (und damit meine ich bei weitem nicht nur Lehrer, bin ja selber keiner), gehen seit Wochen auf dem Zahnfleisch. Die Anforderungen an uns sind brutal gestiegen und schlicht und ergreifend nicht erfüllbar. Auf dem Papier mag alles super klingen, mit der Praxis hat das jedoch rein gar nichts zu tun. Ich habe einige KollegInnen, die nervlich und körperlich komplett am Ende sind.

Mir geht’s gar nicht um die Gefahr, der ich ausgesetzt bin. Die nehme ich gerne in Kauf, habe mir in den letzten vier Jahren schließlich auch schon jede Menge anderen Kram im Arbeitsbereich Grundschule eingefangen (jede Menge Magen-Darm-Infekte, Grippe, Krätze…). Mich kotzen da ganz andere Dinge an. Nicht vorhandene Wertschätzung, Bezahlung, unmögliche Personalsituation, Anforderungsprofil und die Tatsache, dass sich alles immer weiter in die falsche Richtung entwickelt, ohne das irgendetwas passiert - da ist der große Knall zu 100% vorprogrammiert und alle Verantwortlichen sind sich dessen bewusst, blenden jegliche Probleme aber komplett aus. Corona präsentiert all das gerade wunderbar in der Nussschale.

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Noch mal aus der Realität in den Schulen:

Wegen Corona hat man an sehr vielen Schulen Schüler versetzt, die unter normalen Umständen nicht versetzt worden wären. Jetzt wird immer deutlicher, dass der Schritt falsch war, denn gerade in der Oberstufe bleiben reihenweise Schüler auf der Strecke.

Ich verstehe auch den Duktus in der Diskussion nicht so recht, insbesondere seitens des Ministeriums: Es klingt in meinen Ohren oft so, als glaube man dort, man müsse den Lehrkräften erstmal erklären, dass Chancengleichheit, Bildungsgerechtigkeit, individuelle Förderung, usw. wichtig sei. Das wissen die, welche mit den Biographien und Schicksalen unmittelbar konfrontiert werden, doch am besten. Wenn das ein Anliegen ist, dann soll man halt die personellen, baulichen und finanziellen Grundlagen schaffen, das dies auch zu erreichen ist. Aber derartige Investitionen erfolgen nicht. Mich ärgert diese Rhetorik wirklich, weil’s in der Tonalität suggeriert, diejenigen vor Ort wüssten nicht, wie wichtig ein Bildungsabschluss für die weitere Biographie eines jungen Menschen ist.

Das ist so, als würde das Gesundheitsministerium wiederholt den Ärzten hier im Land etwas über den Hippokratischen Eid und ihre Aufgabe in und für die Gesellschaft erzählen, so als wären die alle deppart.

Hallo und Danke für eine schöne neue Lage!

Ich bin Schuladmin an einer beruflichen Schule in BaWü, habe 9 ×45 min pro Woche, alles Pcs, Netze, WLAN, Beamer, Ipads, Appletvs, Software, Updates, Schulcloud, Meetingsoftware und unser Lernsystem Moodle 3.7 für 30 Kollegen und 400 Schüler zu managen. Ich mache den Job, weil ihn sonst keiner machen will, bin kein ITler sondern Ingenieur und habe prioritär 16 Stunden Unterricht für Berufsschüler, Meister und Techniker zu gestalten, bei denen der Migrationshintergrund wegen der „dreckigen Arbeit“ weit verbreitet ist.
Ich bin außerdem Moodlefortbildner und setze diese OpenSourceLernsystem seit 4 Jahren aktiv in meinen Unterrichten in allen Schularten ein, muss aber eingestehen, dass ich lange Zeit der einzige war.

Da wir an einem pädagogischen Tabletprojekt seit 2019 teilnehmen, konnten wir alle Lehrer mit stiftbasierten Ipads ausrüsten und wurden nach 2jährigen zähen Ringen von unserer Stadt mit 1Gbit Glasfaser und schulweitem WLan ausgerüstet. Auf Kosten ihrer Ausbildungsbetriebe wurden die Modellklasseb im ersten Lehrjahr mit von der Schule gemanageten Stiftipads ausgerüstet.
Für andere Klassen wurden identisch ausgerüstete Leihgeräte beschafft.
Erst mit dieser Infrastruktur kann gerechter für alle verbindlicher Onlineunterricht stattfinden. Und nur wenn diese auch störungsfrei läuft, sind die Lehrerkollegen bereit, sich da neu einzuarbeiten, denn nichts ist schlimmer als nach mühsamer Vorbereitung dann nackt dazustehen, weil irgendwas klemmt.
Leider gibt es in BaWü keine Hauptamtlichen Admins, sondern nur Lehrer die das freiwillig gegen Unterrichtserlass mitübernehmen, so dass sie die Verfügbarkeit nie garantieren können, da ihr eigener Unterricht immer Vorrang hat.

Die meisten Schüler haben zu Hause eine gute WLANAnbindung aber längst nicht alle. Besonders in Flüchtlingsunterkünften gibts oder bei sozialschwachen Familien ist das ein Problem, so dass wir neben den sozialen nun auch noch diese technischen Zugangsvoraussetzung im Blick behalten müssen. Sonst hängen wir einzelne Schüler unbewusst aber nachhaltig ab.

Ich war die letzten 6 Jahre als Referatsleiter in der Kultusverwaltung von BW tätig und habe viele Digitalisierungsprojekte begleitet. Seit einiger Zeit bin ich Schulleiter, Für mich liegt auf der rechtlichen Seite der Hase im Pfeffer. Wenn Lehrkräfte mit Verweis auf ihre Persönlichkeitsrechte, weil sie per heimlichem Screenshot fotografiert werden könnten, den Onlineunterricht ablehnen, und Schulleitungen keine Handhabe dagegen haben, dann ist etwas am Beamtenrecht faul.

Wenn es de facto kaum Tools gibt, die wirklich datenschutzkonform einsetzbar sind, dann ist etwas faul im Staate… Bis heute ist es strittig, ob iPads datenschutzkonform einsetzbar sind, da die immer nach Hause funken, dabei gibt es mittlerweile hunderttausende iPads an den Schulen.

Die komplette rechtliche Situation von Schule passt nicht ins digitale Zeitalter und auch das Arbeitszeitmodell nicht. Viel zu tun für 16 verschiedene Gesetzgeber.

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Ich habe ein Video mit O-Tönen von Lehrer*innen gefunden. Vielleicht ja was fürs Podcastformat :slight_smile: