LdN - Shell-Urteil

Ich kann nicht nachvollziehen, wie es zu diesem Urteil kommen konnte. Wo sind die Grenzen der Gerichtsbarkeit? Seit wann treten Gerichte quasi stellvertretend für die Politik auf? Shell ist nach meinem Kenntnisstand kein Unterzeichner des Pariser Klimaabkommens. Gegen welche Gesetze hat Shell konkret verstoßen?

Wenn dieses Urteil höchstrichterlich bestätigt wird, öffnete dies Tür und Tor für entsprechende Urteile gegen alle Unternehmen und ultimativ auch gegen praktisch Jedermann/Jederfrau: da wird man dann per Gerichtsurteil dazu verdonnert, denn Betrieb eines Autos mit Verbrennungsmotor einzustellen, den Umfang der privaten Mobilität auf ein im Urteil zu definierendes Maß zu reduzieren oder die mit Öl betriebene Heizung zu ersetzen.

Der richtige Weg, um die Politik in Sachen Klima anzutreiben, ist das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es ist jetzt Aufgabe der Politik, die verstärkte Reduzierung des CO2-Ausstoßes mit entsprechenden (gesetzlichen) Maßnahmen umzusetzen, insbesondere mit einer angemessenen Bepreisung von CO2.

Der in den Niederlanden vom Bezirksgericht eingeschlagene Weg, einen noch nicht entstandenen Schaden per Urteil gegen ein einzelnes Unternehmen abwehren zu wollen, ist ein Irrweg („Fehlurteil“), der in einer höheren Instanz hoffentlich kassiert wird.

Shell ist einer der grössten Akteure auf dem zerstörerischen Weltmarkt der fossilen Energieträger. In dieser Rolle wurden bereits zahlreiche Milliarden verdient und dabei keinerlei Rücksicht auf Menschen und Umwelt gekommen. Der Konzern arbeitet in 140 Ländern weltweit und hat damit eine ungeheure Hebelwirkung auf dem Weltmarkt.

Ich werde jetzt Absichtlich nichts von Menschenrechtsverletzungen oder Korruption in Afrika sagen. Auch nicht von absichtlicher Manipulation des Erdölmarktes. Ich rede auch nicht von der Schönung der Zahlen bei ausgelaufenem Erdöl in die Meere.

Heute geht’s ja im die Sache.

Shell alleine ist für 1% des globalen CO2 Ausstosses mitverantwortlich (Firma und Produkte) und der neutgrösste CO2 Emmittent der Welt.

Quelle:

Ein Gerichtsurteil ist grundsätzlich eine legitime Art Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Wenn das Gericht in dieser Instanz mit der entsprechenden Argumentation nach niederländischem Recht einen Entscheid fällt, ist diese erstmal zu akzeptieren.

Ich persönlich verstehe übrigens gar nicht, dass man sich ernsthaft in einem legalen Gerichtsverfahren auf die Seite einer Firma stellt, deren Haupteinnahmequelle quasi Umweltzerstörung ist.

Shell könnte morgen 5000000000 Euro in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren und es würde ihnen realistisch gesehen kaum wehtun. Studien von Black Rock (nein, das sind keine Hippies) deuten darauf hin, dass darin die Zukunft liegt.

Sogar Rückversicherer sehen das so.

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Der Kommentar in der FAS heute geht in die gleiche Richtung wie mein Beitrag hier:

Ich würde mich freuen, wenn in einer zukünftigen Ausgabe der LdN das Thema aus juristischer Sicht noch mal aufgegriffen wird.

Solange die Politik nichts tut, bin ich froh, dass zumindest die Judikative handelt. Wir haben mit der CDU/CSU leider eine Partei voller Bremser, Klimaleugner und Menschen denen es nur um den eigenen Machterhalt geht. Ich bin froh, dass die Gerichte dort einschreiten wo die Politik uns im Stich lässt. Hierzu passt dieser Artikel aus SPON:

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Ich kann meinen beiden Vorrednern nur zustimmen.

Was die rechtliche Sicht angeht, kann ich dazu noch weniger sagen, als sonst, denn schließlich ist das das Recht der Niederlande, oder?
Aber so, wie ich das verstehen würde, wurde Shell im Grunde genommen aufgrund der selben Auslegung von Gesetzen verurteilt, wie unsere Bundesregierung.
Durch den immer noch andauernden, Menschen- und Umweltfeindlichen Geschäftsbetrieb wird aktiv die Zukunft aller Menschen beeinträchtigt, bzw zerstört, und dafür ein Unternehmen, dass daraus auch noch unfassbare Profite schlägt, zur Verantwortung zu ziehen, kann meiner Meinung nur richtig sein.

Ich finde auch den Punkt von @Tris sehr richtig. Wer kann sich denn jetzt bitte noch darüber beschweren, dass etwas gegen den Klimawandel getan wird. Es ist lange nicht mehr 5 vor 12, sondern eher 12:30.
Egal durch was, wen, oder welche Begründung, Hauptsache es wird etwas gegen diese mit Abstand größte Menschheitsbedrohung getan.

Dazu kommt noch der Konzern selbst. Sich auf die Seite Shells zu stellen, ist von Vornherein meiner Meinung nach moralisch nicht vertretbar.

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Wenn einen diese Fragen ernsthaft beschäftigen, sollte man sich zumindest die Mühe machen, mal ins Urteil zu gucken (Englische Fassung: ECLI:NL:RBDHA:2021:5339, Rechtbank Den Haag, C/09/571932 / HA ZA 19-379 (engelse versie)). Daraus geht klar hervor, worauf sich das Gericht stützt, nämlich auf Sec. 6:162 des Niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuchs. Daneben stützt sich das Gericht auf Artt. 2, 8 EMRK, begründet dabei aber ausführlich, warum auch Shell an diese Normen gebunden ist (Rn. 4.4.11 ff.). Das Gericht nimmt auf der anderen Seite auch gerade Emissionen aus dem Urteil heraus, die unter das EU-ETS fallen (Rn. 4.4.44 ff.). Das Urteil zeigt also gerade Bewusstsein dafür, nach unterschiedlichen Rechtsregimen abzuschichten und ein Urteil zu fällen, das auf einer gesetzlichen Grundlage fußt.

Dasselbe gilt für das „slippery slope“ Argument: Bitte das Urteil lesen. Die „Größe“ von Shell ist zum Beispiel eine maßgebliche Erwägung dafür, inwieweit Shell an die EMRK gebunden ist. (4.4.16) Das Urteil enthält auch eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Reduktionsverpflichtung (4.4.54). Dass ich auf Grundlage dieses Urteils meinem Nachbarn das SUV-Fahren verbieten könnte, ist nicht richtig. Dass das Urteil enorme Haftungsrisiken für andere Unternehmen birgt, ist natürlich richtig. Aber das ist kein juristisches Argument gegen das Urteil, sondern einfach nur eine Beschreibung der Konsequenzen.

Dass die Rechtsprechung komplexe Probleme, zu denen man sich spezielle Regelungen wünscht, auf Grundlage von Generalklauseln entscheidet, solange es sonst nichts gibt, ist überhaupt nichts Neues. Es ist nunmal Aufgabe der Rechtsprechung nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben Personen vor Schädigungen durch Dritte zu schützen. Natürlich bewegt man sich dabei in einem Grenzbereich und man muss die Urteile auch in dieser Hinsicht kritisch hinterfragen. Eine Diskussion darüber, wann eine Grenze überschritten ist, kann man aber nur sinnvoll führen, wenn man sich auch wirklich mit den Urteilen auseinandersetzt.

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Die Bundesregierung wurde aufgrund verfassungsrechtlicher Gründe durch das Bundesverfassungsgericht zu einer Änderung der relevanten Gesetze verurteilt. Das ist etwas ganz anderes als das hier vorliegende Urteil durch eine Instanz der „Ordentlichen Gerichtsbarkeit“, so wie sie bei uns bezeichnet wird.

Da wurde sich aber auch wirklich auf den einfachsten Fehler bezogen.

Natürlich ist die Instanz eine andere, ich habe ja auch nichts anderes behauptet.
Und dass sich die Urteile sehr unterscheiden, brauche ich ja wohl nicht zu betonen, wir haben ja alle einen eigenen Kopf. Den Rest meines Kommentares kann ich so stehen lassen, dazu hast du ja auch nichts gesagt.
Eigentlich ist jede Argumentation überflüssig, ich kann nur auf den Kommentar von @Benni verweisen, denn der hat es als einziger ordentlich gemacht.

Ich kannte bisher nur die Zusammenfassung des Urteils, danke für den Link.

In dem Urteil wird RDS mit dem Verstoß gegen Umweltauflagen insbesondere auch für die Emissionen der Verbraucher (!) ihrer Produkte verantwortlich gemacht (Scope 3, s. insbesondere 4.4.18). Wird hier nicht das Verursacherprinzip auf dem Kopf gestellt? Erst mit dem Kauf und der anschließenden Nutzung fossiler Brennstoffe wird CO2 an die Luft abgegeben. Wer ist dafür verantwortlich? Ausschließlich wir, die Verbraucher!

Was könnte eine Konsequenz aus der Befolgung des Urteils sein? Wenn Shell die Exploration und den Verkauf fossiler Brennstoffe drastisch reduziert wie im Urteil vorgegeben, springt sicher einer der Wettbewerber kompensierend ein, solange die weltweite Nachfrage unverändert ist. So argumentiert auch RDS in 4.4.49, wird aber mit „The court acknowledges that RDS cannot solve this global problem on its own. However, this does not absolve RDS of its individual partial responsibility to do its part regarding the emissions of the Shell group, which it can control and influence.” zurückgewiesen. Nein, allein durch das Urteil gegen einen der Player in der Ölindustrie wird sich am Verhalten der Verbraucher nichts ändern.

Erst wenn die Verbraucher fossiler Brennstoffe durch Verordnungen der Gesetzgeber und/oder durch einen steigenden Preis von CO2 dazu gezwungen bzw. motiviert werden, die Nutzung fossiler Brennstoffe einzuschränken, reduziert sich aufgrund der sinkenden Nachfrage auch „automatisch“ der Verkauf dieser Brennstoffe.

Damit ich nicht missverstanden werde, ich bin alles andere als ein Gegner der diversen Klimaabkommen und der daraus resultierenden erforderlichen Maßnahmen. Diese müssen jedoch durch den Gesetzgeber verordnet werden, bevorzugt im Gleichklang auf internationaler Ebene, und nicht durch die Justiz. Auf diesem Weg darf dann auch die Ölindustrie für ihren Verantwortungsbereich (Exploration und Produktion) in die Pflicht genommen werden. Ich wiederhole mich: der bei uns eingeschlagene Weg, den Gesetzgeber, und nicht einzelne Unternehmen, durch das Urteil des BVerfG zu entsprechenden Maßnahmen zu zwingen, ist m.E. der richtige Weg.

Ich habe verstanden, dass ich in der Diskussion hier eine Einzelposition vertrete.

Oder wie in diesem Fall mit der Verknappung des Angebotes und des steigenden Preises wird der Verbrauch geregelt.
Ausserdem greift das Urteil gegen Shell in die Erzeugung und den Vertrieb von fossilen Kraftstoffen ein da es nur wenige Raffinerien gibt.

Ich würde sagen: Nein. Denn die Frage ist ja gerade, wer der Verursacher ist. Shell hat als Energie-Erzeuger erheblichen Einfluss darauf, wie dreckig der Mix ist, den das Unternehmen anbietet. Darauf stützt sich das Gericht (Rn. 4.4.25). Deshalb ist in dem Sinne Shell Verursacher der Emissionen. Genau so funktioniert es übrigens im deutschen Emissionshandelssystem (s. §§ 2 II, 3 Nr. 2 BEHG). Man kann natürlich darüber streiten, ob man so einen upstream-Ansatz noch „Verursacherprinzip“ nennen sollte. Der Punkt ist aber: Ein allgemeines Prinzip, dass nur die Endverbraucher verantwortlich sind, gibt es (auch nach deutschem Verständnis) nicht.

Auch hier ist nochmal wichtig das ganze Urteil im Blick zu haben: Scope 3 Emissionen, die als Scope 1 Emissionen der Endnutzer vom EU-ETS umfasst sind, sind ausgenommen (s.o.). Wo also ein downstream-Ansatz vorgegeben ist, hält sich das Gericht dran. Darüber hinaus ist das aber eben nicht zwingend.

Ob das tatsächlich stimmt, wird man sehen. Wie @Schlossermeister schon anmerkt, könnte es auch einfach zu einer Verknappung des Angebots und damit zu einem Preisanstieg führen. Außerdem ist das ja keine Frage, die sich das Gericht stellen sollte. Die Frage des Gerichts ist ja nicht: Wie bekämpft man den Klimawandel am besten? Sondern: Besteht nach rechtlichen Maßstäben eine Reduktionsverpflichtung des beklagten Unternehmens? Aus Sicht des Gerichts besteht eine vergleichbare Verpflichtung natürlich für alle vergleichbaren Energielieferanten, was zu einer allgemeinen Emissionsreduzierung führen würde. Das ist zwar in der Realität anders, weil unterschiedliche Rechtsordnungen zur Anwendung kommen und unterschiedliche Gerichte entscheiden. Aber aus der Perspektive des Gerichts ist das erstmal egal.

Du hast deshalb in einem Punkt natürlich völlig Recht: Gesetzliche Maßnahmen (am besten international abgestimmt) wären bedeutend wirkungsvoller als Urteile in Einzelfällen. Das Shell-Urteil sollte deshalb auch nicht Anlass dazu sein, die Füße hochzulegen. Nur: Das allein macht ein Urteil nicht zu einem Fehlurteil.