LdN 434 Trumpisierung der deutschen Politk

Erst mal Danke für die detaillierte Einordnung der ungeheuerlichen Vorgänge in Sachen Grenzkontrollen und Zurückweisungen. Die Frage ist nun, was machen wir daraus, dass der Innenminister mit Ansage gegen geltendes Recht verstößt und der Bundeskanzler ihm beipflichtet. Während wir beim Innenminister ja noch „entlastend“ anführen könnten, dass er kein Jurist ist, so hat Friedrich Merz laut Wikipedia doch ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert, er kann also keinesfalls Unwissenheit für sich reklamieren.

Und an dieser Stelle frage ich mich wirklich, wie können wir diesen fortgesetzten Rechtsbruch verhindern? Können die Bundespolizei-Beamten ihren Dienst mit Hinweis auf das Urteil des Verwaltungsgerichts verweigern? Was ich für schwierig halte, denn offensichtlich ist auch die Führung der Bundespolizei auf Linie Dobrindt eingeschworen und somit werden die Bundespolizisten zu Helfern einer illegalen Politik degradiert.

Sowohl Dobrindt als auch Merz verstoßen also in ungeheuerlicher Weise gegen Artikel 20 Absat 3 GG. Lesen wir Artikel 20 weiter, dann kommen wir an den beliebten Artikel 20 Absatz 4 welcher uns das Recht auf Widerstand erlaubt, allerdings nur „falls andere Abhilfe nicht möglich ist“. Was wäre, wenn wir uns die Argumentation des Innenministers zu Eigen machen der sich ja auch standhaft weigert alle anderen Mittel auszuprobieren um die angebliche Notlage zu beheben? Gerade mit Blick über den Atlantik läuten hier die Alarmglocken, denn das sind die ersten Schritte in Richtung Faschismus. Wenn Dobrindt heute die Rechte von Asylsuchenden ignoriert, wird er auch irgendwann andere Rechte ignorieren. Bestes Beispiel ist ja z.B. die Entscheidung, sichere Herkunftsländer nun per Rechtsverordnung zu definieren, so dass dorthin einfacher abgeschoben werden kann.

Wenn ich auf den ersten Monat Merz-Regierung gucke, dann schaudert es mit. Mit den Zurückweisungen, dem Erschweren des Familiennachzugs und der neuen Regelung zur Definition sicherer Herkunftsländer hat die Bundesregierung im Prinzip die ToDo-Liste der AfD abgearbeitet.
Und die Senkung der Untternehmenssteuern könnte 1:1 auf der ToDo-Liste der FDP stehen.

Und ich dachte, die Regierungskoalition ist CDU/CSU und SPD…

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Das ist eine spannende Frage, auf die wir nun Einzelfall für Einzelfall zugehen werden. Erstmal wäre man als Beamter an der Stelle gut beraten, zu remonstrieren, also die eigenen Rechtsbedenken gegenüber dem direkten Vorgesetzten und (da der aktuell auf die Remonstration mutmaßlich nicht eingehen wird) auch bei dessen Vorgesetzten zu dokumentieren, um selbst ein Stück weit aus der Haftung für die Umsetzung offensichtlich rechtswidriger Anweisungen zu kommen. Wie weit eine Möglichkeit oder sogar die Pflicht vorliegt, die entsprechenden Anweisungen zu verweigern, ist eine spannende Ermessensfrage. Das kommt darauf an, ob und wie eindeutig der Beamte wissen musste, dass sein Handeln rechtswidrig ist. Mit jedem einschlägigen Verfahren kommt da mehr Druck auf den Kessel.

Hier ist allerdings gemeint, dass während/nach einem Kollaps von demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen keine Möglichkeiten bestehen, der Regierung im Rahmen dieser Institutionen entgegen zu treten. Soweit sind wir zum Glück noch nicht, das zeigt ja auch grade das aktuelle Urteil, das - in diesem Einzelfall - auch umgesetzt wird.

Merz würde vielleicht genau andersrum argumentieren: Er ist Jurist und mit einer Richterin verheiratet, also kann er unmöglich gegen geltendes Recht verstoßen. So, wie er dank seiner Frau und seinen Töchtern auch kein Problem mit Frauen haben kann, egal wie exklusiv männlich sein Arbeitsumfeld rein zufällig und wegen der überlegenen, fachlichen Eignung geprägt ist. (Kann Spuren von Sarkasmus enthalten :wink: )

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Ey cool, ich bin mit einer Ärztin verheiratet. :slightly_smiling_face:

Trotzdem würde ich mir nie anmaßen, Patienten zu behandeln…

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Ich frage mich, ob es keine direkten Konsequenzen dafür gibt, wenn man als Regierung bewusst geltendes Recht bricht. Müsste nicht irgendwann der Punkt kommen, an dem ein Minister (oder gar Kanzler) durch ein gerichtliches Urteil seines Amtes enthoben wird, wenn er Gesetze missachtet? Sollte es nicht jetzt schon irgendwelche Konsequenzen für Dobrindt und Merz geben? Oder sind wir hier schon in den USA, und die Regierung genießt totale Immunität?

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Eine Frage zum dem Thema: Wäre es nicht angemessen aus juristischer Sicht, wenn die Bundesregierung einen Präzedenzfall „provoziert“ und dann die Zurückweisung erstmal bis zur Urteilsverkündung aussetzt? Beim Thema Kostenbeteiligung der DFL an Fußballspielen hat die Stadt Bremen das ja auch so gehandhabt und nur einen Bescheid verschickt und gewartet, bis ein Urteil gefällt wurde, um Rechtssicherheit für weiteres handeln zu erhalten. Das würde mir hier auch sinnvoll erscheinen, damit der Bund Rechtssicherheit für das Handeln hat (oder eben nicht weiter handeln könnte).

Auch ich mache mir hier große Sorgen zu diesem Thema.
Ich stelle mir auch die Frage wie es hier juristisch weiter geht bzw. welche juristische Handhabe es hier gibt. Da hätte ich mir ergänzende und konstruktive Informationen erhofft.

Als juristischer Laie frage ich mich ob man nicht:

  1. Dobrinth persönlich haftbar machen kann, bspw. wegen Anstiftung zu rechtswidrigen Diensthandlungen nach 26 StGB und Beihilfe zu Freiheitsberaubung nach 239 StGB,
    Verletzung der Fürsorgepflicht oder

  2. Verfassungsbeschwerde einlegen kann wegen Verletzung von Grundrechten.

  3. kann man nicht eine Art Unterlassungsklage anstrengen?

  4. gibt es nicht irgendeinen Weg die Polizei oder das BMI oder beteiligte Personen mit Strafen zu belegen, wenn sie sich nicht an Recht halten?

  5. wie würde man denn die formellen Einzelfallprüfungen in eine formell generelles Urteil umwandeln können?

Wie ist der Zeithorizont bei sowas? Aufgrund der dringlichen und andauernden Rechtsverletzung müsste es doch möglich sein juristisch formelle Klarheit MIT Strafen kurzfristig irgendwie anzuberaumen ?

Wenn dem nicht so ist: kann also jedes Ministerium schadlos grundsätzlich Gesetze ignoriere ohne juristische Folgen fürchten zu müssen?

Ich hatte erhofft dass diese Fragen von euch beantwortet würden. Dazu gab es einen Artikel von Dr Patrick Heinemann, der zwar in diese Richtung ging aber die o.g. Fragen auch nicht beantwortet.

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Ich glaube nicht, dass hier schon eine Trumpisierung der deutschen Politik vorliegt. Formal hat ein Gericht eine Entscheidung getroffen, die nur im Verhältnis der Beteiligten gilt. Die Antragsteller dürfen jetzt einreisen. Und niemand hindert andere Betroffene, selbst vor das Verwaltungsgericht zu ziehen und dann jeweils auch bleiben zu dürfen.

In der Steuerverwaltung wird es übrigens genauso gemacht, das Innenministerium es jetzt tut. Sogar Urteile des Bundesfinanzhofs dürfen und müssen die Finanzbeamten erst befolgen, wenn sie im Bundessteuerblatt, Teil II veröffentlicht werden. Das dauert in Extremfällen bis zu 10 oder 15 Jahren. Und selbst dann kann sich im Bundessteuerblatt, Teil I noch eine Nichtanwendungserlass des Bundesfinanzministeriums finden, der die Beachtung des Urteils ausdrücklich ausschließt. Und für die Verwaltung geht das manchmal sogar gut aus, weil ähnlich gelagerte Fälle manchmal vom BFH zum Anlass genommen werden, seine Rechtsprechung zu ändern. Im Ergebnis führt das aber dazu, das die Steuerpflichtigen sich ihr Recht bei den Finanzgerichten holen, wenn die Verwaltung es ihnen nicht geben will. Und sie bekommen es dann auch - meist. Ich könnte derzeit nur wenige Beispiele nennen, bei denen die neuen Verfahren zu einer Änderung der Rechtsprechung zu Ungunsten der Steuerpflichtigen führten.

So gesehen sollte die Nichtanwendung eines Urteil die absolute Ausnahme bleiben, weil es (je nach Thema) die Gerichte in Massenverfahren treiben kann. Es gibt aber die „Montagsurteile“, bei denen sich der Autor selbst mit einem Abstand von einigen Monaten fragt oder fragen sollte, was ihm bei dem Urteil und seiner Begründung geritten hat.

Soweit das Formale. Inhaltlich dürften die Beschlüsse des VG Berlin richtig sein. Und da beginnt das Problem. Jetzt müssen alle Abgewiesenen ihre Fälle vor die VG bringen. Die Richter haben ja sonst nichts zu tun (Ironie!).

Und deshalb scheint mir das nur ein Spiel auf Zeit zu sein. Aber genau darum geht es manchmal in der Politik. Die Exekutive ist schnell und schafft Fakten oder tut wenigstens so und macht damit Politik. Die Gerichte sind oft viel langsamer und können das Politikmachen mit Rechtsbrüchen schon deshalb nur schwer unterbinden. Dafür könnte man gerade in der Europapolitik auch in Deutschland viele Beispiele finden (z.B. Vertragsbrüche im Umweltrecht oder im Steuerrecht, die erst mit Jahren Abstand durch EuGH-Rechtsprechung aufgedeckt werden). Oft hat die Regierung und die Exekutive also viele Jahre Vorsprung.

Aber in diesem Fall der Zurückweisungen an der Grenze wird das nicht mal ein Spiel auf Zeit, da die Gerichte dem Treiben innerhalb von wenigen Wochen den Stecker ziehen. Dafür werden sie andere Verfahren, z.B. Asylverfahren, aber auch Verfahren wegen Baugenehmigungen langsamer bearbeiten und alle greinen wieder über die Bürokratie …

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Das Schlimme daran ist:
Die Konservativen um Spahn, Dobrinth und Merz werden sich dann nicht zu schade sein, den Migranten vorzuwerfen, „die Verwaltungsgerichte zu verstopfen“. Dann sind es nicht mehr die bösen Migranten, die dem guten Deutschen den Zahnarzt-Termin wegnehmen, sondern den Verwaltungsgerichts-Termin…

Und dann werden die Gerichte in die Liste der Institutionen, die „durch Migration“ überlastet seien, aufgenommen, neben Kitas, dem Wohnungsmarkt usw… wieder ein staatliches Versagen, welches zu Überlastung führt, welches den Migranten angelastet werden kann.

Absolut, dafür werden Urteile und wichtige Beschlüsse ja von der Fachwelt rezipiert - und beim Beschluss des VG Berlin ist das Echo aus der (eher konservativen) Juristerei relativ deutlich positiv. Es ist eben kein Montagsurteil. Und spätestens wenn der zweite, dritte, vierte Fall ähnlich entschieden wird sollte klar sein, dass es keine „Montagsurteile“ sind.

Ein Spiel auf Zeit auf dem Rücken der Migranten, der Bürger (die auf schnelle verwaltungsgerichtliche Verfahren angewiesen sind) und der Richter.

Das ist in der Tat ein großes Problem, für das es aktuell keine Lösung zu geben scheint. In diesem konkreten Fall würden Möglichkeiten wie Verbandsklagen helfen. Es gibt einfach aktuell keine Möglichkeit, eine abstrakte Klage gegen die Weisung selbst zu führen, sondern möglich sind immer nur konkrete Klagen gegen die Durchführung der Weisung im Einzelfall. Wenn z.B. ProAsyl eine allgemeine Klage gegen die Weisung führen könnte, auch mit einstweiliger Verfügung, wäre die Sache so viel effizienter zu erledigen… aber nein, gegen eine Weisung kann jeweils nur der konkret Betroffene klagen, sodass im Ergebnis immer nur Einzelfallurteile dabei rumkommen…

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Aber dafür gibt es eine einfache Lösung: keine rechtswidrigen Zurückweisungen. Und deshalb zählt die Überlastung der Verwaltungsgerichte durch diese Verfahren nicht als Überlastung, die einen Notfall i.S.d. Artikel 72 AEUV begründen könnte. Denn zu jeder Überlastung muss ja auch dargelegt werden, dass es keine andere Lösung gibt.

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Ich möchte gerne einen zusätzlichen Blickwinkel in die Runde werfen. Neben juristischen Schritten und politischem Druck könnten nämlich auch technologische Lösungen helfen, die Situation zu verbessern.

Stichwort Dublin-III-Verfahren: Hier scheitert vieles an bürokratischen Hürden und mangelnder Abstimmung zwischen den EU-Ländern. Das führt unter anderem dazu, dass Deutschland sich zunehmend mit rechtswidrigen Zurückweisungen behelfen will. Warum also nicht digitale Werkzeuge nutzen, um genau diese Abstimmung besser zu organisieren?

Man könnte sich zum Beispiel eine europäische IT-Plattform vorstellen, auf der Asylfälle in Echtzeit erfasst und zwischen den Staaten koordiniert werden. So ließe sich an der Grenze sofort prüfen, welches Land tatsächlich zuständig ist, inklusive möglicher Familiennachzüge oder humanitärer Ausnahmen, die Dublin III ausdrücklich vorsieht. Eine solche Lösung würde illegale Zurückweisungen erheblich erschweren, weil ein Grenzbeamter dann direkt sehen könnte: Moment, für diese Person liegt sehr wohl eine Zuständigkeit in Deutschland vor.

Außerdem könnte ein digital unterstütztes Verfahren verhindern, dass Überstellungen an langsamen Prozessen oder Papierverlusten scheitern. Fristen ließen sich automatisiert überwachen, Entscheidungen schneller übermitteln. Klar, das ist keine Wunderwaffe. Aber der rechtsstaatlich vorgesehene Weg würde dadurch praktikabler und attraktiver als rechtlich fragwürdige Kurzschlüsse.

Ähnlich beim Thema Pushbacks: Wir leben in einer Zeit, in der sich fast jeder Vorfall technisch erfassen lässt. Warum also nicht Meldesysteme oder Apps einsetzen, mit denen Grenzvorfälle dokumentiert werden können? Zum Beispiel durch unabhängige Beobachter, NGOs oder auch durch Beamte selbst, die sich rechtswidrigen Anweisungen nicht beugen wollen. Eine gesicherte Meldung mit Video, GPS-Daten oder Zeugenaussage wäre ein ernstzunehmendes Beweismittel und könnte dazu beitragen, solche Praktiken sichtbar und überprüfbar zu machen. Es gibt bereits Ansätze zur Sammlung solcher Berichte, aber eine zentrale technische Infrastruktur könnte das erheblich systematisieren. Keine Lösung für alles, aber ein Hebel für Transparenz. Und Transparenz ist in diesem Kontext vielleicht der entscheidendste Schutzmechanismus.

Nur mal als Denkanstoß: Technologie wird die Rechtslage nicht ersetzen. Aber sie kann sehr wohl dabei helfen, bestehendes Recht wirksam umzusetzen und zu schützen. Dieser Aspekt fehlt bislang weitgehend in der öffentlichen Debatte.

Offenlegung meinerseits:
Ich arbeite selbst in einem kleinen interdisziplinären Team, das genau so eine Infrastruktur entwickelt und derzeit prototypisch testet. Datenbasiert, menschenrechtskonform und anschlussfähig für Behörden.

Wenn jemand aus der Politik, Verwaltung, NGO-Umfeld oder Forschung dazu in den Austausch gehen möchte: Gern per PN. Ich halte mich hier bewusst zurück, weil es mir um die inhaltliche Diskussion geht, nicht um Produktvorstellungen.

Soweit wir es überblicken, gibt es bisher keine öffentlich dokumentierten Pilotprojekte, die diesen Ansatz in vergleichbarer Tiefe verfolgen. Falls doch, dann vermutlich intern in Behördenstrukturen. Umso wichtiger wäre es, das Thema auch öffentlich stärker mitzudenken: Wie können wir rechtsstaatliche Standards nicht nur verteidigen, sondern aktiv technisch ermöglichen?

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Das Problem ist aber doch, dass bestimmte Länder aktuell schon die Dublin-Regeln bewusst missachten und Flüchtlinge gezielt nicht registrieren, gezielt von Asylanträgen abhalten, weil es für sie einfacher ist, die Flüchtlinge nach Norden/Westen ziehen zu lassen und sie gerade nicht dokumentiert haben wollen, dass die Flüchtlinge zuerst dort waren.

Wie willst du diese Länder überzeugen, eine solche IT-Plattform nicht nur einzurichten, sondern auch aktiv zu nutzen? Wenn die Ankunftsstaaten funktionierende Dublin-Verfahren wollen würden könnten sie auch jetzt schon vieles anders machen, um das zu gewährleisten. Tun sie aber - wohl bewusst - nicht. Was ich nachvollziehen kann, weil die Dublin-Regelungen eben sehr zum Nachteil der Länder sind.

Dazu habe ich kürzlich gelernt, dass es zu den Dublin-Regeln auch noch erweiterte Regeln gibt, nach denen sich doch eine Zuständigkeit Deutschlands ergeben kann. Darüber wird überraschend wenig berichtet (weshalb ich auch überrascht war, dass ich das nicht wusste und es hier im Forum mWn auch nie angesprochen wurde): Es gibt auch innerhalb des Euro-Raumes ein Recht auf Familienzusammenführung. Daher: Ein Migrant, der in Italien einreist, kann geltend machen, dass er Familie in einem anderen EU-Mitgliedsstaat (z.B. Deutschland) hat und dadurch kann die Zuständigkeit für das Asylverfahren auch offiziell in Deutschland liegen. Solche Fälle sind auch mit einer IT-Lösung nur begrenzt lösbar, denn hier gibt es auch viele Ermessensregeln (Kernfamilie zieht immer, darüber hinaus? Reicht ein Onkel, den man das letzte Mal vor 10 Jahren gesehen hat? Welche Nachweise werden akzeptiert, wie sieht es mit nicht-biologischer Familie durch Eheschließung aus?).

Grundsätzlich gebe ich dir Recht, dass es einheitliche IT-Lösungen für die EU geben sollte. Ich glaube nur, das scheitert genau so an Italien, Ungarn und anderen Ländern wie die generelle EU-Flüchtlingspolitik…

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Das Entscheidende zum Thema dieses Threads ist nicht die Frage, ob sich inhaltliche Probleme so oder anders lösen. Wenn man sich überlegt, was „Trumpismus“ ausmacht, würde ich folgende Kriterien sehen:

  1. Die gezielte Zerstörung von „Wahrheit“ als Begriff und Bewertungsmaßstab in der öffentlichen Diskussion.
  2. Die Zerschlagung/Schwächung der Gewaltenteilung und weiteren Kontrollinstanzen zugunsten einer Exekutivherrschaft „im Namen des Volkes“.
  3. Die Brutalisierung der Debatte und dann auch des politischen Handelns. Insbesondere die Feindmarkierung, Abwertung und Entrechtung von Einzelpersonen und Gruppen.

Fraglos ist „die Politik“ in Deutschland nicht auf dem Level an Verwahrlosung, wie in den USA. Aber der Prozess dahin und die Bereitschaft, diesen Prozess solang voranzutreiben, wie man sich davon einen taktischen Vorteil verspricht, ist mMn vor allem im rechten Spektrum nicht zu übersehen. Wie weit genau man dabei schon ist, lässt sich mangels Maßeinheit schwer sinnvoll bewerten.

Vielleicht noch ergänzend:
4. Offene, teils stolz hervorgehobene Korruption.

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Danke für diesen wichtigen Punkt. Genau diese selektive Verweigerung von Zuständigkeit ist für mich das stärkste Argument dafür, die Abläufe systematisch nachvollziehbar zu machen. Eine Plattform allein ändert kein politisches Verhalten, aber sie kann dokumentieren, wo und wie systematisch gegen Dublin-Verfahren verstoßen wird. Wenn ersichtlich ist, dass Zuständigkeiten regelmäßig an fehlender Registrierung scheitern, lässt sich das benennen, politisch anklagen und gegebenenfalls juristisch aufgreifen.

Gerade Transparenz über Versäumnisse, auch von Mitgliedstaaten, wäre eine Art Frühwarnsystem, das aus dem derzeitigen Blindflug ein überprüfbares Verfahren machen könnte.
Was den Familiennachzug betrifft: Ja, viele Kriterien sind ermessensbasiert. Aber selbst diese Ermessensspielräume könnten strukturiert erfasst und in ihrer Anwendung vergleichbar gemacht werden. Entscheidungen würden dadurch nicht automatisch, aber nachvollziehbarer. Und vieles, etwa minderjährige Geschwister oder Elternteile, ließe sich technisch eindeutig abbilden, was dem Verfahren gerade für vulnerable Gruppen mehr Berechenbarkeit geben würde.

Ich sehe absolut, dass es in diesem Thread vor allem um die politische und rhetorische Verrohung geht, nicht um die Verwaltungspraxis im engeren Sinne. Trotzdem glaube ich, dass technische Umsetzung und rechtsstaatlicher Anspruch enger miteinander verbunden sind, als es auf den ersten Blick scheint.

Denn je klarer, standardisierter und überprüfbarer ein Verfahren gestaltet ist, desto schwerer fällt es, es politisch zu unterlaufen. Wo Entscheidungen dokumentiert, Datenflüsse nachvollziehbar und Abläufe vergleichbar sind, kann Exekutivmacht nicht mehr unbeobachtet agieren.
Transparenz durch Technik ersetzt keine demokratische Kultur, aber sie kann helfen, strukturelle Aushöhlung sichtbar zu machen, bevor sie politisch legitimiert wird.

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… kürzlich schrieb der frisch ernannte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer in der Süddeutschen Zeitung:

„Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren gilt es zu weiten, anstatt sie zu verengen.“

…sie wirft eine interessante – wie ich finde beunruhigende – Parallele auf.

Denn: Auch Trump hat das sogenannte Overton-Window verschoben. Aber nicht in Richtung liberaler Meinungsvielfalt – sondern hin zu einer Normalisierung vormals tabuierter, autoritärer und diskriminierender Positionen. Wenn nun ein deutscher Kulturminister fast wortgleich dasselbe Ziel formuliert, klingt das weniger nach kultureller Öffnung, nach der er es wohl klingen lassen will, sondern viel mehr nach strategischem Kulturkampf.

Die neue Vorsitzende der Linken, Ines Schwerdtner, sagte sinngemäß, Merz habe sich nach Vorbild Trumps „den Kulturkampf direkt in die Regierung geholt“. Und in diesem Licht wirkt Weimers Rhetorik wie mehr als ein bloßer Meinungsbeitrag – eher wie ein gezieltes Framing für eine Verschiebung des Sagbaren, bei der „Redefreiheit“ zur Waffe gegen progressive Kultur wird.

Auch Jan Böhmermann griff Weimers Satz in ZDF Magazin Royale und im Podcast Fest & Flauschig auf – mit dem ironischen Angebot, diesen Appell nun wörtlich ernst zu nehmen und die „Grenzen des Sagbaren“ bewusst auszutesten. Dass diese Formulierung satirisch derart anschlussfähig ist, sagt vielleicht auch etwas über ihre politische Doppeldeutigkeit aus.


Daher meine Fragen an euch:

Ist Weimers „Weitung des Sagbaren“ wirklich ein liberaler Kulturimpuls – oder eher ein konservativer Kulturkampf à la Trump gegen die vermeintliche linke Cancel Culture?

Und ist die sprachliche Nähe zur Trump-Rhetorik einfach Zufall – oder Ausdruck eines politischen Zeitgeists, der den Rahmen des Erlaubten systematisch verschiebt?


Was meint ihr?
Ich finde das zumindest diskussionswürdig – und bin gespannt, wie ihr die Parallele zwischen Trumps Overton-Strategie und Weimers Kulturpolitik einschätzt.

Vielleicht lädt die Lage ja mal Annika Brockschmidt ein? Denn auch Trump hat seinen „Politikstil“ nicht erfunden.

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