LdN 429: Kulturkampf: Konservative gegen Christen in der Union

Ihr sagt, dass Christen nicht die AfD wählen könnten. Das ist leider sehr falsch und zeugt davon, dass ihr die Szene wohl nur sehr eingeschränkt kennt.
Es gibt besonders unter den christlichen Hardlineren sowohl im freikirchlichen Spektrum wie auch bei den Hardcore-Katholiken (Opus dei, etc. ) viele Befürworter von AfD Positionen. Man bedenke nur mal die Wählerschaft von Donald Trump, die Positionen des Bündnis C oder die Verstrickungen von katholischen Geistlichen in lateinamerikanischen Ländern während der Zeit der Militärdiktaturen. Hier gibt es sehr viel Überlapp mit AfD Positionen oder auch Positionen vergleichbarer Parteien wie der PiS in Polen.
Generell gilt: autoritäre Extremisten haben selten Probleme mit dem Christentum (oder zumindest großen Teilen davon).
Hörenswert ist hierzu z.B. die jung und Naiv Folge 719 mit Andreas Püttmann.

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Ich fand den Themenblock sehr gut. Mir war tatsächlich nicht bewusst, dass die konservativen Kräfte das christliche Wertebild erst nach dem 2. Weltkrieg angenommen hatten. Ich wusste zwar, dass es CDU und CSU erst nach dem 2. Weltkrieg gab, aber ich ging immer davon aus, dass es z.B. bei der Zentrumspartei auch um christliche Werte ging.

Die Tatsache, dass CDU/CSU die christlichen Werte erst nach dem 2. Weltkrieg angenommen haben, macht es mMn sogar noch wahrscheinlicher, dass die Union es mit diesen Werten nie wirklich ernst gemeint hat, sondern das es eher darum ging, die Alliierten davon zu überzeugen, dass die Konservativen nichts mehr mit den Nazis zu tun hatten.

Das lässt natürlich für den kommenden Umgang der Union mit der AfD wenig Gutes befürchten.

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Es ist andersrum. Die CDU war immer christlich, aber hat sich erst ab Ende der 70er/Anfang der 80er als konservativ bezeichnet.
Das Zentrum war die katholische Bauernpartei. Natürlich waren auch damals schon sowohl Bauern, als auch die restliche Landbevölkerung und viele mächtige in den Kirchen im Zweifelsfall auch eher konservativ und manche Ideen kommen auch heute noch etwas später bei ihnen an wie in Großstädten. Aber sich explizit konservativ und weniger christlich sind sie erst später geworden.

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Ich bin selbst kein Christ und spreche mich sehr für eine vollständige Trennung von Staat und Kirche aus.

Was ich spezifisch an diesem Thema interessant finde ist der Katholizismus: der scheint tatsächlich vergleichsweise resilient gegen Diktaturen und Faschismus zu sein. Oder zumindest resilienter. In der Nazi-Zeit war die katholische Kirche eine der größten Widerstandsquellen, auch wenn es natürlich via Vatikan eine Form der gegenseitigen Duldung gab. Auch in der DDR kam viel Widerstand aus der Kirche.

Und man sieht parallelen auch im Wahlverhalten: Katholik_innen wählen deutlich seltener AfD als Protestant_innen oder konfessionslose. In Kreisen, wo der Katholizismus noch relativ stark ist schneidet die AfD oft besonders schlecht ab.

Das soll nicht heißen, dass Christentum nicht faschistisch sein könnte (s. Evangelikale in den USA), aber es scheint zumindest für Deutschland und spezifisch für die Katholik_innen schon statistisch signifikante Abweichungen zu geben.

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Ich kann den Kommentar nur unterstreichen. Eigentlich müsste man meinen, dass AFD-Positionen und Christsein unvereinbar ist. Allerdings gibt es in Deutschland eine Gruppe wachsender Kirchen aus dem freikirchlichen Spektrum, wo es (teilweise) anders gesehen wird z.B. Hillsong (Podcast Toxic church), awakening church, ICF uvm.
Darüber hinaus gibt es in sozialen Medien zahlreiche „christliche influencer“ z.B. LiebezurBibel oder highholder mit knapp 80t Followern, die vor der Wahl mehr oder weniger offen zum Wählen der AFD aufgerufen haben.

Die Angstprediger. Wie rechte Christen Gesellschaft und Kirchen unterwandern
Artikel - EZW

Es gibt gezielte Versuche von rechter Seite, die Kirchen zu unterwandern und ins rechte Licht zu rücken und es gibt viele konservative Strömungen, die bei der AFD gut andocken, wie antisemitische Bestrebungen, Homophobie, Überhöhung des eigenen Glaubens und sich selbst. Das zieht sich durch alle christlichen Bereiche. Das Problem bei Freikirchen ist, dass ihre Mitglieder, aufgrund der Größe, wenig divers sind und damit eine sich selbst potenzierende Filterblase bilden, oft mit dem Überzeugtesten an der Spitze. Da sie in keiner übergeordneten Gemeinschaft wie EKD oder Vatikan organisiert sind, sind sie auch jedem Eingriff und Kontrolle entzogen.

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Katholischer Bevölkerungsanteil (oben), Wahlergebnisse der NSDAP (unten)

Die NSDAP gewann seit 1928 Wähler aus fast allen Schichten der Bevölkerung, allerdings in unterschiedlichem Maße. Die stärksten Zuwächse erzielte sie fern von Gründungsort und Parteizentrale in den protestantischen Regionen Mittel-, Ost- und Norddeutschlands. Dagegen blieb sie bei Katholiken, die ein Drittel des deutschen Volkes ausmachten, weit unter dem Reichsdurchschnitt. […]

Die katholische Kirche war strikt gegen den Ausschließlichkeitsanspruch der totalitären Parteien NSDAP und KPD, den „ganzen Menschen“ zu erfassen und zu lenken. Nicht zuletzt war für sie der Rassismus, gerade auch der Rassen-Antisemitismus, nicht akzeptabel, und Gewaltanwendung schlichtweg Sünde. Unmöglich war für sie der „Glaube“ an einen weltlichen Messias mit Erlösungsanspruch. So übte die Kirche Widerspruch aus sittlich-moralischen Gründen, ohne allzu politisch zu werden.

Ein weiterer Grund für die geringere Gefolgschaft dem Nationalsozialismus gegenüber war wahrscheinlich auch die Tatsache, dass es für die Katholiken eine hohe Autorität außerhalb Deutschlands in Rom gab. Für die Protestanten gab es so eine alternative Autorität nicht.

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Was die historische Wahlanalyse nur zu leisten vermag, sind Angaben über das Wahlverhalten in Gemeinden mit z. B. einem geringen Anteil von protestantischen Selbständigen an der Wohnbevölkerung ect. Stellt sie fest, daß 1930 in derartigen Gemeinden die NSDAP sehr viel schlechter abgeschnitten hat als in Gemeinden mit einem hohen Prozentsatz von evangelischen Selbständigen, so bedeutet das nicht zwangsläufig, daß es tatsächlich diese Bevölkerungsgruppe war, die für die nationalsozialistischen Wahlerfolge verantwortlich zu machen ist. Ebenso gut könnten, rein rechnerisch gesehen, die nationalsozialistischen Stimmen in den Gemeinden mit sehr viel protestantischen Selbständigen von Angestellten und Beamten oder gar Arbeitern kommen. Ohne zusätzliche Informationen oder statistische Annahmen ist diese Frage nicht zu entscheiden.
Wer verhalf der NSDAP zum Sieg? Neuere Forschungsergebnisse zum parteipolitischen und sozialen Hintergrund der NSDAP-Wähler 1924- 1933 | APuZ 28-29/1979 | bpb.de

Viel eher dürften soziale Strukturen eine Rolle gespielt haben in den jeweiligen Regionen.

edit: Im Wahlkreis Deggendorf-Regen, wo ich wohne, holte die AFD knapp 30%, tiefste evangelische Diaspora, aber wirtschaftlich schwierig, da stark von der Automobilindustrie abhängig.
226 Deggendorf - Ergebnisse in der Grafikansicht - Bundestagswahl 2025

Ist halt leider historisch flasch, die CDU und vorallem unser erster Kanzler Herr Ardenauer mussten schon immer auch extrem rechte in der CDU vereinen. Oder glaubt jemand dass mit dem Ende des zweiten Weltkrieges alle Nazi postionen verschwunden waren. Es gab auch viele Ehmalige Nazis in der Regierung. Politik heißt halt eben auch die Mehrheiten zu vereinen und dann von daaus zu entwickeln.

Nein. Die Union heißt Union, weil in der neuen Partei Katholiken (ehemals Zentrum) und Protestanten (ehemals DVP und DNVP) zusammenfanden. Innerhalb eines insgesamt konservativen Weltbildes (im Sinne eines traditionellen Wertekanons) waren die Katholiken dabei tendenziell eher sozial (in Frankfurt und Berlin gab es prominente Befürworter einer Annäherung an den Sozialismus), die Protestanten eher wirtschaftsnah. Es gibt den Erklärungsansatz, dass zuvor die protestantische Arbeitsethik und ein in dieser Gruppe verbreiteteres autoritäres Staatsbild eher anschlussfähig für den Nationalsozialismus waren als die katholische Soziallehre. Adenauer selbst hielt viel von der katholischen Soziallehre, achtete aber auf einen möglichst tragfähigen Ausgleich der verschiedenen Perspektiven auf der Basis gemeinsamer Überzeugungen, um eine gemeinsame Partei zu formen.

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Eigentlich klar, und doch übersehen, dass Konservative in DE eine politische Heimat am Ende nur in CDU/CSU finden. Es ist von daher zu einfach und ggf. ungerecht, den Parteimitgliedern vorzuwerfen, sie würden sich nicht an christliche Werte halten. (Wieder mal eine irgendwie enttäuschende Erkenntnis, wenn nicht die Erkenntnis selbst doch über Allem stünde.)

Meine Mutter hatte Halt und Trost im Katholik-Sein (Katholizismus? Nein). Sie lebte den Jahreskreis der Festtage und der Heiligen-Tage. Uns Kinder leitete sie in der selbstverständlichsten Weise da hinein. Ich bin dankbar und froh um diesen Rahmen in Kindheit und Jugend. Ein Fehlen der Religion, der Hoffnung auf eine nicht endende Liebe in einer anderen Welt war nicht vorstellbar, nachdem sie einmal in Gang war, angefangen und erhalten von der Mama.

Freilich zweifelte ich bald an einer Gewissheit, dass im Wettstreit der Religionen das Christentum wahr sein sollte und die anderen falsch. Lange Zeit hielt ich mich an die Annahme, alle gläubigen Menschen beteten zu dem selben Gott oder Gottheit, halt nur, wie es dem Menschen eigen ist, auf verschieden bunte Weisen. Es war immer tröstlich, z.B. von einer prominenten Person – meist unerwartet – zu erfahren, dass sie religiös sei. Die bösen Entartungen des Glaubens an einen Gott, oder mehrere Götter peinigten mich, aber ich liess es nicht als letztes ablehnendes Urteil gelten; Machtrausch und Tyrannei sind im Menschen halt auch angelegt.

Obwohl ich mich nun recht entfernt habe von der warmen, wohligen Vorstellung, bin ich doch immer noch dem alten Katholik-Sein freundlich gesonnen. Und es tut ein wenig wohl zu sehen, dass Katholiken dem NS doch eher widerstanden haben, auch wenn die Kirche grösstenteils feige sich heraushielt.

Man verzeihe mir diese persönliche Abschweifung - tut mir gut es geschrieben zu haben.

Wäre es nicht sinnvoll, die christlichen Werte stark von den christlichen Kirchen zu trennen? Die Kirchen predigen die christlichen Werte, und erziehen ihre Anhängerschaft nach diesen. Den Menschen wird ein moralischer Kompass eingebrannt. Das geschieht ja nicht nur in der Kirche (in der Messe selbst ja auch erst seit den sechziger Jahren auf deutsch, vorher Latein), sondern vor allem auch in den Schulen und sozialen Events außerhalb des gottesdiensts. Die sozialen Strukturen waren zumindest im ländlichen Bereich bis vor wenigen Jahren (vielleicht auch noch immer) stark von der Kirche beeinflusst. Die Kirche hat bei allen gesellschaftlichen Ereignissen direkten Einfluss ausgeübt; sei es dadurch, dass sie die Ereignisse überhaupt erst veranstaltet, einen garantierten Platz auf der Rednerliste (in allen Vereinen etc), oder eben durch Unterricht und auch als Arbeitgeber.
Die Kirche hat damit quasi die Rolle einer Bild-Zeitung mit Abonnement-Garantie und der Kirchensteuer und des Klingelbeutels als Rundfunkbeitragspendant. Wenn da nun vermittelt wird, dass eine Partei die christlichen Werte am besten vertritt, oder eben nicht, dann kann das vermutlich ebenso großen Einfluss haben wie eine Heizungshammerkampagne.

Kirche und Staat sind aber ja getrennt und offiziell somit kann eine jede Partei, egal welchen namens, ihre eigene Version christlicher Werte propagieren. Zu sagen, dass die CXU ihre christlichen Werte von Anfang an nur vorgeschoben hat (was zumindest theoretisch möglich wäre) und dass das noch einen Einfluss auf merz und co hat, halte ich aber für fragwürdig. Eine Partei lebt schließlich von ihren aktiven Mitgliedern. Natürlich werden diese von außen beeinflusst. Aber die Annahme, dass eine Art interner Geheimcodex existiert, dass man sich nach außen christlich gibt und intern systematisch drauf pfeift ist weit hergeholt.
Vielmehr vertreten einige Politiker christliche Werte und andere nicht, der namensbestandteil „christlich“ allein erzeugt natürlich Eindruck und lässt von kirchlichen Machtstrukturen profitieren. Die meisten Politiker in der CXU werden wohl durch viel Engagement auch gut in ihre kirchliche Gesellschaft integriert sein, wenn auch bloß um von den Strukturen zu profitieren (vermutlich ebenfalls ein garantierter Redebeitrag mit hoher lokaler Reichweite bei sehr vielen Veranstaltungen)

Christlichen Werte, christliche Kirche und christlichen Parteien, das sind drei verschieden, wenn auch verwobene Dinge.