LdN 422 Beabsichtigte Verfassungsklage durch die Linke

Ihr erklärt gut, dass der alte Bundestag noch entscheiden kann.

Aber was ist mit dem Zeitfaktor „à la Thomas Heilmann“? Er hatte mit Erfolg gegen die Kurzfristigkeit über das GEG geklagt. Eine Grundgesetzänderung ist ja keine Kleinigkeit.

Das wurde bei der Lage live in Stuttgart diskutiert, hat es (so wie ich es wahrgenommen habe) aber nicht in den Podcast geschafft.
Das Argument war, dass es sich bei dem GEG um ein recht umfangreiches Gesetz handelt. Die Anpassung ans GG sind fünf Sätze von denen man von Abgeordneten erwarten kann diese innerhalb von zwei Wochen zu lesen

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Robin Alexander hat im Podcast Machtwechsel argumentiert, dass ein Abstand von 3 Tagen zwischen erster und zweiter Lesung dennoch zu knapp ist, weil man zum Beispiel die in einem Gesetzgebungsverfahren obligatorische Anhörung nur noch formal durchführen kann, aber praktisch gar nicht mehr die Chance ist, inhaltlich auf die Ergebnisse der Anhörung zu reagieren und den Gesetzentwurf z. B. an einigen Punkten zu ändern. Das könnte bei einer Klage zu einem Problem werden, denn Union & Co müssten ja vom Inhalt des Gesetzes her (und eben nicht mit den Mehrheiten im neuen Bundestag) argumentieren, warum so große Eile geboten ist und das dürfte schwer werden.

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Das Budnesverfassungsgericht hat sämtliche Eilanträge gegen die geplante Verfassungsänderung am Dienstag abgewiesen mit einem ziemlich eindeutigen Statement:

Die Anträge sind unbegründet. Die Wahlperiode des alten Bundestages wird gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) erst durch den Zusammentritt des neuen Bundestages beendet. Bis dahin ist der alte Bundestag in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt.

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Und nun nach der Entscheidung nochmal nachgefragt!

Juristische Bewertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass der alte Bundestag trotz Auflösung weiterhin Gesetze beschließen darf, ist juristisch umstritten. Es gibt zwei konkurrierende Auslegungen des Grundgesetzes:

  1. Argumente gegen die Entscheidungsbefugnis des aufgelösten Bundestages

a) Artikel 39 Absatz 1 GG: Wahlperiode endet mit Auflösung
• Regulär endet die Wahlperiode vier Jahre nach Beginn, außer der Bundestag wird vorher aufgelöst.
• Nach Artikel 39 Absatz 1 Satz 4 GG muss dann eine Neuwahl innerhalb von 60 Tagen erfolgen.
• Die Auflösung hat keine Bedeutung, wenn der Bundestag weiterhin uneingeschränkt agieren darf.

b) Artikel 68 GG: Auflösung als Neuanfang
• Die Auflösung des Bundestages erfolgt nach Artikel 68 GG bei einer verlorenen Vertrauensfrage.
• Die Intention der Verfassung ist, dass der Bundestag neu legitimiert werden muss.
• Es wäre widersprüchlich, wenn der „abgewählte“ Bundestag weiterhin volle Gesetzgebungskompetenz hätte.

**c) Prinzip der Demokratischen Legitimation
• Der Wähler hat mit der Auflösung das Vertrauen in die bisherige Zusammensetzung des Bundestags entzogen.
• Wenn der „alte“ Bundestag nach der Auflösung weiterhin eine Grundgesetzänderung beschließen kann, würde dies das Demokratieprinzip aus Artikel 20 GG verletzen.

  1. Argumente für die Entscheidungsbefugnis des aufgelösten Bundestages

a) Artikel 39 Absatz 1 Satz 2 GG: Bundestag bleibt bis zur Neuwahl bestehen
• Der Bundestag bleibt formal im Amt, bis der neue Bundestag zusammentritt.
• Es gibt keine ausdrückliche Bestimmung, dass er nach der Auflösung keine Gesetze mehr erlassen darf.

b) Notwendigkeit der Handlungsfähigkeit des Staates
• Ein aufgelöster Bundestag darf nach dieser Sicht keine regulären Entscheidungen treffen, aber in wichtigen Fragen (z. B. Verteidigungsausgaben) weiterhin handeln.
• Wäre der Bundestag komplett handlungsunfähig, könnte eine Regierung im Notfall keine notwendigen Gesetze mehr verabschieden.

c) Verfassungsgewohnheitsrecht
• Es gab in der Vergangenheit keinen Präzedenzfall, der die Handlungsmacht eines aufgelösten Bundestages ausdrücklich eingeschränkt hätte.
• Daher sei es verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen, dass er weiterhin agieren kann.

Fazit: Ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts „richtig“?

Die eigentliche Intention des Grundgesetzes spricht eher dafür, dass ein aufgelöster Bundestag keine weitreichenden Entscheidungen mehr treffen sollte, vor allem keine Grundgesetzänderungen.

Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch eine pragmatische Entscheidung getroffen, um die staatliche Handlungsfähigkeit zu sichern. Formal lässt sich diese Argumentation aus Artikel 39 GG herleiten – aber sie widerspricht dem Demokratieprinzip, weil der aufgelöste Bundestag de facto eine nicht mehr legitimierte Mehrheit nutzt.

Kritisch betrachtet bedeutet das Urteil:
• Der Bundestag kann aufgelöst sein, aber weiterhin Gesetze beschließen, was dem demokratischen Grundgedanken widerspricht.
• Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist rechtlich vertretbar, aber politisch und demokratietheoretisch fragwürdig.

Schlussfolgerung:

Es gibt gute Gründe, die Entscheidung für verfassungswidrig zu halten. Das Gericht hat eine Ermessensentscheidung getroffen, die die staatliche Stabilität über eine strenge Auslegung des Grundgesetzes stellt.

Ich hab ChatGPT befragt und es kommt zu einem anderen Ergebnis als das Gericht und das macht mir Angst, da das genutzt werden wird um noch mehr den Erfolg der AfD voranzutreiben.

Artikel 39 Absatz 1 GG, der besagt, dass die Wahlperiode des Bundestages regulär vier Jahre dauert, gilt nicht mehr, wenn der Bundestag aufgelöst wurde.

Was passiert bei einer Auflösung des Bundestages?
• Grundlage: Die Auflösung des Bundestages erfolgt nach Artikel 68 GG, wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage stellt und keine Mehrheit erhält. Der Bundespräsident kann daraufhin den Bundestag auflösen.
• Folge: Nach der Auflösung endet die Wahlperiode sofort, und es müssen innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinden (Artikel 39 Absatz 1 Satz 4 GG).

Unterschied zur regulären Wahlperiode
• Normalerweise bleibt der alte Bundestag bis zur Konstituierung des neuen Bundestages im Amt (Artikel 39 Absatz 1 Satz 2 GG).
• Nach einer Auflösung bleibt der Bundestag nicht mehr regulär im Amt, sondern es gelten die Regeln der geschäftsführenden Regierung und der Interimsperiode bis zur Neuwahl.

Kann der aufgelöste Bundestag noch Gesetze beschließen?
• Der aufgelöste Bundestag kann grundsätzlich keine neuen Gesetze mehr verabschieden.
• Ausnahme: In Krisenfällen könnte der Bundespräsident gemäß Artikel 81 GG den Gesetzgebungsnotstand ausrufen, falls der Bundestag nicht handlungsfähig ist.

Fazit:
• Artikel 39 Absatz 1 GG gilt nicht mehr nach der Auflösung des Bundestages.
• Der Bundestag kann nach der Auflösung nicht mehr regulär tagen oder Gesetze verabschieden.
• Nur eine neue Wahl kann einen neuen Bundestag legitimieren.

Falls also der Bundestag tatsächlich aufgelöst wurde, sind Versuche, noch ein Sondervermögen oder andere Gesetze zu beschließen, verfassungsrechtlich unzulässig.

Vom sofortigen Ende steht dort nichts. Satz 4 regelt lediglich, dass für die Neuwahl eine besondere Frist gilt.

Auf welcher Grundlage gelten die Regeln für eine geschäftsführende Exekutive auch für die Legislative?

Das gilt nur wenn der Bundestag nach Artikel 68 NICHT aufgelöst wurde. (Der Bundespräsident also entschieden hat, die Situation einer Regierung ohne parlamentarisches Vertrauen fortzuführen, so dass er - der Präsident - nun eine Mitverantwortung dafür hat dass die ganze Kiste trotzdem weiter arbeitsfähig bleibt.)

Nein, gibt es nicht. Eine Entscheidung des BVerfG selbst kann nur „verfassungswidrig“ sein, wenn sie außerhalb jeder logisch-nachvollziehbaren Begründbarkeit ist. Daher: Wenn z.B. zwingende interne Logiken verletzt werden oder von objektiv falschen Tatsachen ausgegangen würde. Das ist hier alles nicht der Fall.

Die bloße Tatsache, dass es andere Auslegungsmöglichkeiten gibt, ist der juristische Normalfall. Fälle landen überhaupt erst beim Bundesverfassungsgericht WEIL es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, wie Verfassungsrecht auszulegen ist. Die Existenz alternativer Deutungs- und Interpretationsmöglichkeiten ist daher Voraussetzung, dass es überhaupt zu einem Verfahren kommt und ganz sicher kein Indiz dafür, dass eine Rechtsprechung des BVerfG „verfassungswidrig“ sein könnte.

Es hat sie nicht über eine „strenge Auslegung“, sondern über eine mögliche Auslegung gestellt. Die Wortwahl ist hier von Bedeutung, denn wenn du von einer „strengen Auslegung“ sprichst implizierst du, dass unzweifelhaft bessere Argumente für diese Auslegung sprechen würden. Das ist aber nicht so. Je nach eigener politischer Position werden die Argumente der einen oder der anderen Seite als überzeugender gewertet, in den Rechtswissenschaften gibt es eben, entgegen der Mathematik oder einigien Naturwissenschaften, kein natürliches „richtig“ oder „falsch“ und damit auch keine größere oder kleinere Distanz von „richtig“ oder „falsch“.

Ich sage es daher noch mal ganz klar: In diesem Fall sind beide mögliche Ausgänge absolut vertretbar gewesen. Das BVerfG hätte sich für jeden der möglichen Ausgänge entscheiden können, ohne, dass deshalb einer dieser Ausgänge „richtiger“ oder „falscher“ als der andere gewesen wäre. Das Letzte, was in einer Demokratie passieren sollte, ist, dass nun einzelne Akteure ihre subjektive Meinung von der Auslegung der Verfassung über das BVerfG stellen und dem Gericht vorwerfen, „verfassungswidrig“ agiert zu haben. Es gibt keinerlei Zweifel an der Integrität der Institution „BVerfG“, diese nun wegen einer Entscheidung, die nicht im eigenen Sinne erfolgt ist, anzugreifen, ist Gift für die Demokratie.

Kurzum:
Es ist dein gutes Recht, zu sagen, dass du die Entscheidung falsch findest, dass du der Meinung bist, dass die Argumente der Gegenseite für dich überzeugender sind und du es schade findest, dass das BVerfG sich anders entschieden hat. Aber bitte rede nicht von „verfassungswidrigen“ Urteilen, als hättest du mehr Kompetenz, das einzuschätzen, als das BVerfG. Sowas machen nur die extremen Ränder (und da wären wir wieder beim Trumpismus und dem Nicht-Akzeptieren von bewährten Institutionen alá „Die Wahl wurde gestohlen, auch wenn alle Wahlbehörden und Gerichte das Gegenteil sagen“…).

(Und eine allgemeine Bitte: Wenn schon mit ChatGPT argumentiert wird, was generell nicht sinnvoll ist, gehört es zum guten Ton, zumindest auch den verwendeten Prompt anzugeben, also dazu zu schreiben, was exakt du gefragt hast, um zu dieser Antwort zu kommen. Es macht einen großen Unterschied, ob ich eine neutrale Frage stelle, oder ob ich ChatGPT anweise, mir explizit Argumente zu liefern, warum man etwas in eine bestimmte Weise sehen kann… das Ergebnis einer ChatGPT-Anfrage ohne den Prompt dazu ist wirklich völlig wertlos, weil der Kontext absolut unklar ist.)

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No offense, aber das ist doch nur ein weiteres Argument dafür, dass KI-generierter Text zwar sehr überzeugend klingen kann, aber deshalb noch lange nicht faktisch richtig sein muss. Dass ChatGPT zu einem anderen Ergebis kommt als das BVerfG, kann doch nicht die Grundlage für Kritik an der Entscheidung des Gerichts sein.

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Das Bundesverfassungsgericht beruft sich auf Art39Abs1S2GG:

Dem 20. Deutschen Bundestag fehlt es nicht an verfassungsrechtlicher Legitimation. Nach Art. 39 Abs. 1 Satz 2 GG endet die Wahlperiode mit dem Zusammentritt des neuen Bundestages. Damit wird sichergestellt, dass die Wahlperioden lückenlos aneinander anschließen und der Staat zu keinem Zeitpunkt ohne ein handlungsfähiges Parlament ist

Absatz 1 lautet übrigens:

Der Bundestag wird vorbehaltlich der nachfolgenden Bestimmungen auf vier Jahre gewählt. Seine Wahlperiode endet mit dem Zusammentritt eines neuen Bundestages. Die Neuwahl findet frühestens sechsundvierzig, spätestens achtundvierzig Monate nach Beginn der Wahlperiode statt. Im Falle einer Auflösung des Bundestages findet die Neuwahl innerhalb von sechzig Tagen statt.

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Moment mal, was gehst Du mich hier so auf persönlicher Ebene an? Ich habe lediglich zum Ausdruck gebracht das ich befürchte das genau diese Argumentation von ChatGPT dafür genutzt wird und noch mehr Menschen zur AfD treibt. Ich habe mir nicht die Meinung zu eigen gemacht! Aber auch das ist ein Problem warum immer mehr nach rechts rücken, da Aufmerksam lesen und fair diskutieren kaum möglich ist!
Was sollen den immer diese persönlichen Angriffe? Das ist doch keine Art zu diskutieren?

Ich habe nicht davon gesprochen was ich finde sondern, wie es noch gesehen werden kann!

Ich habe das nicht persönlich gemeint, aber zu argumentieren, man könnte dem BVerfG vorwerfen, „verfassungswidrige“ Entscheidungen zu erlassen, triggert mich da vielleicht ein wenig. Wie gesagt, die Institution BVerfG muss genau vor solcher Kritik geschützt werden, denn diese Art von Kritik ist wirklich tödlich für die Demokratie.

Ich habe nicht dich attackiert, sondern die Meinung, die du vertreten hast. Und darauf hingewiesen, dass es in der Tat merkwürdig ist, wie @sereksim auch schon angemerkt hat, wenn ChatGPT oder ganz normale Bürger es so darstellen, als könnten sie einschätzen, was „verfassungswidrige Rechtsprechung“ des BVerfG sei.

Das wiederum ist ein persönlicher Angriff, der keinerlei argumentative Grundlage hat und nicht das Argument der Gegenseite angreift, sondern einzig die Person.

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Genau so ist es.

Wir können prinzipiell nie ausschließen, dass irgendetwas falsch ausgelegt oder für den falschen Zweck verwendet wird. Ob das jetzt ChatGPT oder das Narrativ der Nachbarin oder des Schwagers ist – alles kann man so deuten, dass es „noch mehr Menschen zur AfD treibt“. Aber die Menschen, die die AfD wählen, sind volljährig. Sie werden nicht getrieben, sondern entscheiden sich aus freien Stücken für diese Partei.
Das einzige, was wir tun können, ist, dass wir aufrichtig zu unseren Werten stehen und dass wir Toleranz, Mitmenschlichkeit und Empathie an die folgenden Generationen weitergeben, denn diese Grundlagen des Miteinanders sind die schärfsten Waffen gegen die AfD, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus.

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Muss es nicht. ChatGPT für voll zu nehmen ist genauso naiv wie bei jeder Frage dem ersten Google-Treffer zu glauben. Und plötzlich sitzt man im Chat mit Elon Musk und behauptet, Hitler sei Kommunist gewesen. Ja, solche Dinge findet man tatsächlich im Internet. Oder dass er für den Geheimnisdienst gearbeitet hat und die Rechten unterwandert, um sie hinterrücks ins Verderben rennen zu lassen. Ja, wer solche Dinge dann für voll nimmt, landet bei der AFD. Aber da kann man dann wirklich nichts mehr machen. Die sind mit Alice im Wunderland abgetaucht und finden da auch nicht mehr raus.

Mach der Erfahrung der Weimarer Republik ist das Deutsche Grundgesetz explizit und impliziert auf eine möglichst hohe staatliche Stabilität ausgerichtet. Eine Entscheidung des BVerfG, die das zum Ausdruck bringt, ist teleologisch folgerichtig.

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