LdN 421 Merz' Verhandlungsgeschick

Er hat zwar keine Erfahrung in Regierungsverantwortung, aber in der Union, mit kleiner Merkel-Lücke dazwischen, mehrfach führende Ämter bekleidet. Wenn ich mir anschaue, woran er damals gescheitert ist, woran seine erste Bewerbung um den Parteivorsitz scheiterte und mit welchen Fehlern (Vorsatz wäre ja fast schon beruhigend, bei vielen davon) er sich vor der Wahl dermaßen selbst auf Bäume hochgebracht hat, von denen er nun nur für rund eine Billion € herunterkommt, kann ich bisher kein (positives) Wachstum erkennen. Klar: wer die Latte selbst auf die Erde legt und grade außenpolitisch auf Scholz folgt, muss eigentlich wenigstens die Erwartungen erfüllen (ich hab Katzenbilder auf dem Handy, die das Verhältnis zu Frankreich besser machen würden, als Olaf Scholz’ Besuche in Paris).
Was man ihm vielleicht anrechnen könnte, wäre eine gewisse Einigkeit auf Bundesebene der Union herbeigeführt zu haben. Um den Preis, Teile seiner Partei zu desintegrieren („Merz-Pur“) und mit teils offensichtlich realitäts-, rechts-, moralwidrigen Forderungen, die er nun nicht bedienen kann.
In der Tat wird die Zeit zeigen müssen, ob er seine Kritiker widerlegen kann. Ich persönlich wäre schon positiv überrascht, falls eine noch zu bildende Koalition vier Jahre hält. Politisch wäre ich heilfroh, wenn wenigstens keine irreversiblen Schäden angerichtet würden und sich die quasi schon feststehenden Milliardenskandale von Leuten wie Spahn, Klöckner und wen auch immer die CSU ins Kabinett schickt, wenigstens einstellig bleiben, denn wenn die Schulden in die Höhe getrieben sind, die sich aktuell abzeichnet, werden Nachfolger wenig Möglichkeiten haben, Fehler zu korrigieren. Mit welchen Gestalten das alles passieren soll, hat Pistorius ja bereits wenig überraschend beschrieben.

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Kleiner Nachtrag: In der heutigen Bundestagsdebatte zeigte Merz wieder mal sein „Verhandlungsgeschick“. Ob er wirklich denkt, dass er mit diesen „Angeboten“ irgendjemanden in der Grünen Fraktion überzeugt? Garniert mit dem wunderbaren Satz „Was wollen Sie denn noch?!“ Ein Meisterverhandler…
Zudem wird allmählich überdeutlich, dass Schwarz-Rot ganz bewusst Klimaschutz ausgelassen hat, um jetzt so zu tun, als wäre das dann das große Entgegenkommen gegenüber den Grünen. Als ob nur die dafür zuständig wären, als ob es ein persönlicher Gefallen für die Grünen ist, verfassungsgerichtliche Mindeststandards zu erfüllen.

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Nicht nur der Wahlkampf, sondern auch die aktuelle Verhandlungsführung der Union entlarven sich wirklich als unreflektiert, dilettantisch und gefährlich. Lichtblick: Wenn man sich davon überzeugen will, dass es in der Union noch starke Stimmen der Vernunft gibt, sollte man die gestrige Sendung von Lanz mit Kiesewetter und Banaszak anschauen. Erfrischend differenziert in diesen Zeiten (schade, dass kein Roderich Kiesewetter jetzt eine Regierung bilden muss).

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Was ich bemerkenswert finde, ist das teilweise sehr erfolgreiche Framing der Sondierungsergebnisse durch die Union: Die Aufnahme von Schulden, die der Regierung weitreichende finanzielle Möglichkeiten einräumt, wird dabei als Entgegenkommen der Union gegenüber der SPD dargestellt.

Wer das glaubt, geht meiner Meinung nach einfach nur der Kommunikation der Union auf dem Leim:

  1. Die Union ist öffentlich gegen die Aufnahme von Schulden
  2. Sie weiß, dass Schulden für die Finanzierung ihrer Politik notwendig oder zumindest sehr von Vorteil sind
  3. Sie vereinbart im Sondierungspapier mit der SPD die Aufnahme von Schulden
  4. Und sie schafft es dann noch, das als Opfer, als Entgegenkommen zur SPD darzustellen, als ob sie das sonst nie gemacht hätten.

Der Punkt den ich machen will: Das echte Verhandlungsgeschick von Merz ist für ihn sekundär, solange er bzw seine Partei es schafft, unabhängig von der Realität jedes Ergebnis als Erfolg zu framen. Ob er das wirklich schafft, ist aber natürlich nicht sicher.

Edit:

Ähnliches gilt auch zum Teil für die Rhetorik, zum Beispiel in Bezug auf Bürgergeld. Es ist verfassungsrechtlich eindeutig geklärt, dass es nicht unter das Existenzminimum gekürzt werden darf. Trotzdem stehen entsprechende Punkte im Sondierungspapier. Ist das nun ein Zeichen guter Verhandlungskompetenz von Merz, oder eher ein weiteres Zeichen, wie sich die Kommunikation von der rechtlichen Realität entfernt…

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Diese starken Stimmen haben in der politischen Praxis der Union nur leider genau nichts zu melden. Sie sind insofern die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

In der Union scheint gerüchteweise immerhin dem einen oder anderen zu dämmern, dass die Grünen - wie so oft - nicht nur bei der Schuldenbremse, sondern auch bei der Auswahl eines geeigneten Kanzlerkandidaten richtig gelegen haben könnten, mit ihrer Kritik an Merz: "Statt Bundestagsabgeordnete aus den eigenen Reihen ins Gebet zu nehmen, deren Zustimmung zum Schuldenpaket unsicher ist, telefoniere er lieber mit Staatschefs in aller Welt. Statt die Grünen, auf deren Stimmen er für die geplante Grundgesetzänderung ebenfalls angewiesen ist, in seine Überlegungen einzubeziehen, zeige er sich in den Verhandlungen zunehmend gereizt. Er habe es auch nicht geschafft, rechtzeitig eine persönliche Beziehung zu seinen beiden grünen Amtskolleginnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann aufzubauen. Insgesamt unterschätze er, wie wichtig ein vertrauensvoller zwischenmenschlicher Umgang beim Schmieden politischer Allianzen sei – stattdessen denke Merz vor allem in Hierarchien.

In der CDU, so beschreibt es Konstantin, beobachtet man das Gebaren des eigenen Kandidaten mit wachsender Sorge: »Der Parteichef, so wird intern beklagt, entscheide vieles allein, umgebe sich mit Jasagern, frage nur selten um Rat und gehe oft mit einem großen Selbstbewusstsein, aber schlecht vorbereitet in die entscheidenden Gespräche. Ein prominenter CDU-Mann bescheinigt dem Chef ein Führungsverhalten, das schon in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts langsam aus der Mode gekommen sei.«" News: Friedrich Merz, Donald Trump, US-Wirtschaft, Ukraine-Waffenruhe - DER SPIEGEL

Über 300.000 Mitglieder und der Typ war der beste Kandidat, den sie finden konnten? Ich kann mir das weiterhin beim besten Willen nicht erklären.

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Ich bin echt gespannt, wie sich das die nächsten 4 Jahre entwickelt. Entweder, die gesamte politische Stimmung kippt weiter nach rechts und wir kommen 2029 nicht mehr an der AfD vorbei (was ist eigentlich aus einem Verbotsantrag geworden, spielt der für die nächste Legislatur noch eine Rolle?) oder die angesprochenen reflektierten Stimmen wie Günther, Wüst, Heilmann und Kiesewetter bekommen in der Union mehr Gewicht und wir haben ab 2029 endlich wieder Konservative, die die Realität nicht leugnen, sondern gemeinsam mit SPD und Grünen, vllt sogar den Linken eine stabile Mehrheit für die Bevölkerung bilden.

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300.000 Mitglieder ja, aber in der Top-Riege tun die sich nichts. Bei allen, die da sitzen, ist Merz schon fast das kleinste Übel.
Also Söder, Span, Dobrindt, Amthor, Frei, …. Sind doch alle nicht besser

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Ich wunder mich woher diese Annahme kommt, dass unsere Bundesregierung eine Besserungsanstalt für Menschen sein sollte, die im regulären Geschäftsleben in der Rente wären.

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Das zeigt sich auch in der Besetzung der Verhandlungsteams: Röttgen oder Kiesewetter sind nicht dabei, aber Herr Bareiß, der dafür wirbt, wieder zur Gasabhängigkeit von Russland zurück zu kehren und dabei die Abhängigkeit von den USA noch zu vertiefen, indem man Nordstream 2 ggf. unter amerikanischer Kontrolle wieder startet, selbstverständlich schon. Insofern würde ich auch bei den wenigen Bereichen, in denen man wenigstens weniger Befürchtungen, vielleicht sogar Hoffnungen bezüglich Merz haben könnte, mit erheblichen Enttäuschungen rechnen.

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