Liebes Lage-Team,
zunächst einmal vielen Dank für euren tollen Einsatz und eure Berichterstattung, die ich seit knapp 2 Jahren wöchentlich gerne verfolge.
In der Lage 413 habt ihr über den Gruppenantrag zur Reform des § 218 StGB berichtet. Auch, wenn ich inhaltlich dem Grunde nach auf der Seite der Antragsteller (und offensichtlich auch eurer Seite) bin, finde ich eure Berichterstattung in Bezug auf die demokratischen Prozesse etwas undifferenziert. Dies gilt für mehrere Aspekte:
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Anzahl der Unterstützer
Der Gruppenantrag (Drs. 20/13775) wird lt. Drucksache von 328 Abgeordneten unterstützt. Dies habt ihr zahlenmäßig stark herausgehoben (55:05 Min). Tatsache ist jedoch, dass die beiden hauptunterstützenden Fraktionen SPD und B90/Die Grünen gemeinsam auf zusammen insgesamt 324 (SPD: 207; B90/Die Grünen: 117) Sitze im Bundestag kommen. Die Anzahl der Unterstützer ist somit - gelinde gesagt - nichts wirklich Besonderes, sondern entspricht in etwa der (Minderheits-)Regierungskoalition. Der Unterschied liegt eher in der Art, wie der Antrag eingebracht wurde, nämlich nicht im Namen der Fraktionen. -
Unterstützende Fraktionen
Die über die aus der Fraktion SPD+B90/Die Grünen hinausgehenden Abgeordneten stammen von der Gruppe Die Linke. Kein einziges MdB der CDU/CSU, der FDP, der AfD oder von BSW hat den Antrag unterschrieben (Chat-GPT hat das für mich (mit Gegenprobe) überprüft ). Insofern ist der Gruppenantrag zumindest von seinen bisherigen Unterstützern nicht sonderlich homogen und ähnelt einem Antrag, der nahezu auch so von den Fraktionen SPD und B90/Die Grünen gestellt hätte werden können. -
Fraktionsdisziplin bei Gruppenanträgen
Zu Gruppenanträgen habt ihr angemerkt, dass für sie keine Fraktionsdisziplin herrschen würde (51:20 Min), da die MdB aus mehreren Fraktionen kämen und die Abgeordneten nur nach ihrem Gewissen abstimmen würden (55:11 Min). Das ist mM nach zumindest irreführend. Denn einerseits kann jedes Mitglied des Bundestages bei jeder Abstimmung, egal woher der Entwurf stammt, nach seinem Gewissen abstimmen und sich gegen die eigene Fraktion stellen. Hierfür braucht es keinen Gruppenantrag. Andererseits ist für mich unklar, weshalb die Fraktionsdisziplin für (unhomogene) Gruppenanträge wie den vorliegenden nicht gelten soll. Ich könnte es verstehen, wenn der Antrag auch Unterstützer in der CDU/CSU- oder der FDP-Fraktion finden würde. Dies ist aber nicht der Fall. Dass sich demnach bei einer möglichen Abstimmung plötzlich die Abgeordneten gegen die eigene Fraktion stellen, ist eher unwahrscheinlich. Meines Wissens nach entscheidet nicht die Art des Antrags über die Fraktionsdisziplin, sondern letztlich die Fraktionsspitze (durch Beschluss?), die eine Abstimmung damit zur Gewissenssache macht. -
„Nicht besonders demokratisches Vorgehen“ im Ältestenrat
In Bezug auf das Vorgehen des Ältestenrates habt ihr kritisiert, dass dieser sich gegen eine Abstimmung in der Sache im Bundestag entschieden hat, indem er die zweite Lesung nicht auf die Tagesordnung gesetzt hat und dieses Vorgehen als „nicht besonders demokratisch“ bezeichnet (54:50 Min). Hierzu zweierlei:
Der Ältestenrat wird gemäß § 6 i.V.m § 12 GOBT nach den Stärken der jeweiligen Fraktionen gebildet, stellt also ein verkleinertes Spiegelbild des Bundestages dar. Die (demokratischen) Mehrheiten des Bundestages finden sich somit grundsätzlich im Ältestenrat wider. Dass dies bei Gruppenanträgen zu einer Verzerrung führen kann, indem die in den Ältestenrat von den Fraktionen Entsandten z.B. selbst gegen einen derartigen Antrag stimmen, ist richtig. Die antragstellende Gruppe lässt sich durch ihre Inhomogenität dort schlicht nicht abbilden. Allerdings sieht die GOBT als Ausweg in § 20 I GOBT vor, dass der Bundestag über seine Tagesordnung - gegenüber dem Ältestenrat vorrangig - selbst beschließen kann. Dies wurde meines Wissens nach nicht getan; möglichweise auch mangels Mehrheit im Bundestag für die Sache. Das Verfahren daher als undemokratisch zu bezeichnen, bereitet mir Bauchschmerzen.
Zusammenfassend verstehe ich eure Argumente so, dass eine Fraktion ihre Anträge - sofern sie eine Abstimmung in der Sache erzwingen möchte - nur noch als Gruppenanträge einbringen bräuchte. Jeder Antrag müsste dann inhaltlich behandelt werden und die Fraktionsdisziplin wäre auch aufgehoben, sofern Abgeordnete mehrerer Fraktionen beteiligt sind. Ich sage es mal etwas plakativ und mit dem „besten“ juristischen Argument: Das kann nicht sein!