LdN 413 - Einordnung F.A.Z.-Gastbeitrag zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

Liebes Lage-Team, wieder eine sehr spannende Folge, danke euch!

Zum Thema Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen: Mich hat eure Einordnung des F.A.Z.-Artikels etwas verblüfft. In dem Gastbeitrag wird ja begründet, warum eine Legalisierung (aus juristischer Sicht der Autor:innen) nicht möglich ist: „Im ersten Schwangerschaftsdrittel (…) wird der Schwan­geren in Respekt vor ihrer Selbstbe­stimmung die auch in der Beratung nicht begründungspflichtige Letztentscheidung eingeräumt. Diese Entscheidung kann aber nicht als rechtmäßig bewertet ­werden. Denn die Feststellung der Rechtmäßigkeit einer Tötung ist im Rechtsstaat nicht ohne Prüfung der dafür maßgeblichen Gründe möglich, auf die gerade verzichtet wird, um eine Fremdbestimmung der Frau zu ver­meiden.“

Fände eure Einschätzung dazu sehr interessant!

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Ich kann den artikel leider wegen Paywall nicht lesen. Aber vielleicht als direkte Anmerkung zu deinem Kommentar. In 2 Teilen weil ich sonst die Zitate nicht posten kann

Teil 1 Sondervotum

Die Darstellung von Tötung vs Selbstbestimmung ist auch beim Verfassunggericht keine unumstrittene Sichtweise. Schon beim Urteil 1975 und nochmal 1993 haben jeweils zwei Richter*innen dies anders gesehen und ein entsprechendes Sondervotum verfasst, dass der Besonderheit der „Zweiheit in Einheit“ Rechnung tragen will. Die „Zweiheit in Einheit“ stellt hier einen sich verschiebenden Prozess da entlang des Wachstums an dem sich auch die Fristenregelung orientiert. Damit löst sich die Problematik der staatlichen Schutzpflicht des Fetus gegenüber der Frau auf im Entstehungsprozess von der Einheit zur Zweiheit. Entsprechend handelt es sich zu Beginn der schwangerschaft nicht um eine Tötung da hier die „Zweiheit in Einheit“ anders gelagert ist.

Im Sondervotum 1993 heißt es hierzu:
Der Schwangerschaftskonflikt unterscheidet sich von allen anderen Gefährdungen menschlichen Lebens. Frau und nasciturus stehen sich nicht als mögliche „Täterin“ und mögliches „Opfer“ gegenüber, sondern bilden in der Person der Schwangeren eine einzigartige Einheit, eine - wie es im Urteil heißt - „Zweiheit in Einheit“. In den ersten Wochen der Schwangerschaft - so der Senat - gehöre das neue Leben noch ganz der Mutter zu und sei von ihr in allem abhängig. Diese Unentdecktheit, Hilflosigkeit und Abhängigkeit des auf einzigartige Weise mit der Mutter verbundenen Ungeborenen ließen die Einschätzung berechtigt erscheinen, daß der Staat eine bessere Chance zu seinem Schutz habe, wenn er mit der Mutter zusammen wirke.
[…]
Der Begriff „Zweiheit in Einheit“ läßt sich demnach als eine begriffliche Annäherung an die richtige Erfassung einer einzigartigen grundrechtlichen Lage verstehen. Die in ihm mitgedachte natürliche Prozeßhaftigkeit der Schwangerschaft ist dabei im grundrechtsdogmatischen Sinne aufzufassen, nämlich als Entwicklung von einer Letztverantwortung der Frau für das ungeborene Leben, die in der Achtung ihrer Personalität wurzelt, zu einer Übernahme der Letztverantwortung für das ungeborene Kind durch den Staat.
[…]
Dabei geht es hier aber nicht einfach um „das Persönlichkeitsrecht der Frau“, auch nicht um eine Variante des „Selbstbestimmungsrechts“; damit wäre die Frau erneut nur das „Gegenüber“ zum Embryo und dieser nicht auch Teil ihrer selbst. Auch kommt, geht man von einem Vorrang der Rechtsstellung der Frau in dieser Frühphase aus, nicht - wie der Senat meint - das Lebensrecht des Ungeborenen nur dann zur Geltung, wenn die Mutter die Schwangerschaft nicht abbricht.

Zur Frage der rechtmäßigkeit schreibt das Sondervotum dann entsprechend folgendes:

" Indem es in der allgemeinen Notlagenindikation nur noch der - rechtlich folgenlosen - Orientierung der schwangeren Frau für ihre Entscheidung dient, der Abbruch aber in jedem Fall rechtswidrig ist, wurzelt das Kriterium letztlich nur noch im sittlichen und kaum noch im rechtlichen Bereich."

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Teil 2 fachliche Kritik am Urteil

Entsprechend schreibt auch Prof. Lembke in der LTO (2017)

„Berühmt sind die Entscheidungen aus Karlsruhe, weil das BVerfG 1975 die Figur der staatlichen Schutzpflicht entwickelt hat. […] Aus dem Verfassungsrecht ist die staatliche Schutzpflicht heute nicht mehr wegzudenken. Ungünstig ist nur, dass die Figur des Dreiecks so gar nicht auf Staat, Schwangere und Fetus passt, weil letztere eine „Zweiheit in Einheit“ (so das BVerfG selbst) bilden und nicht zwei getrennte Enden einer geometrischen Figur.“

Noch etwas zugespitzer und als direkte Antwort auf den FAZ artikel formuliert es Prof. Wapler im Verfassungsblog:

"Wer in der Schwangerschaft eine „Zweiheit“ sieht und in der Folge einen Konflikt zwischen Embryo und Schwangerer konstruiert, macht bei näherem Hinsehen Folgendes: Der Embryo/Fetus wird aus der Schwangeren herausphantasiert und ihr als gleichrangiges Gegenüber präsentiert („Mutter-Kind-Konflikt-Modell“). Auf dieser Grundlage werden sodann gegenläufige Rechtspositionen abgewogen, und zwar so: Für den Embryo/Fetus geht es um sein Leben. Für die Schwangere um ihre Selbstbestimmung, Gesundheit, körperliche Integrität, Intimsphäre – vermeintliche Kleinigkeiten im Vergleich zu der Alles-oder-Nichts-Position „Leben“. Von den formal einbezogenen Grundrechten der Schwangeren bleibt in dieser simplen Gleichung: nichts. Ein patriarchaler Zaubertrick von beeindruckender Wirkungsmacht trotz anhaltend bescheidener Überzeugungskraft. "

Entsprechend haben die beiden wohl im Podcast den Artikel so weggewischt, weil eine (selbst rechtlich) schon immer umstrittener Position in dem Text vertreten wird, die sich wahrscheinlich so nicht mehr halten lässt. Zu mal wenn ich Wapler FAZ Zitat glauben schenken kann, die Zweitheit in dem FAZ Artikel ad absurdum geführt wird in dem aus der abstrakten Zweiheit direkt das viel konkretere „Ein Körper, zwei Personen“ geformt wird.
Dass sich hier jedoch auch rechtliche Positionen geändert haben wird im Verfassungsblog (2020) argumentiert:

" Zudem deutet die Entscheidung des Zweiten Senats (BVerfGE 153, 182) zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung auf ein verändertes Autonomieverständnis des BVerfG hin. Das BVerfG misst der Autonomie des Einzelnen bei der Entscheidung über die Beendigung des eigenen Lebens hier trotz gegenläufiger staatlicher Schutzpflichten entscheidende Bedeutung bei. Eine erneute Entscheidung des Gerichts über die strafrechtliche Bewertung selbstbestimmter Schwangerschaftsabbrüche, in der es wie bislang nach Hinweis auf das Untermaßverbot bezüglich der Schutzpflicht für das werdende Leben eine Auseinandersetzung mit Ausmaß und Intensität des Eingriffs in Grundrechtspositionen der Schwangeren verweigert, erscheint vor diesem Hintergrund unwahrscheinlich."

Interessanter read die Beiden sondervoten:
Hier 1993
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv088203.html#Opinion
Hier 1975
https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv039001.html

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Wird von der Gegenseite so argumentiert, dass es nur das Recht der Schwangeren gibt, oder machen die einen vergleichbaren „Zaubertrick“ in dem nur noch die Grundrechte der Frau eine Rolle spielen? Ich denke zudem, dass es wenig hilfreich ist, wenn in einer Abwägung von Rechtsgütern dee jeweils anderen Seite sachferne ideologische Hintergedanken unterstellt werden. Weder würde ich denen, die die Abtreibungslegalisierung befürworten unterstellen, dass das nur ein „Trick“ wäre, eine feministische Position durchzusetzen, noch halte ich es für angemessen, ethische Bedenken einer kritischeren Position als „patriachalen Zaubertrick“ zu diffamieren. In einen ohnehin reichlich aufgeladenen Diskurs wird so nur zusätzlicher Konfliktstoff hineingetragen, was einen Weg zum breiten Konsens und zur abschließenden Befriedung des Themas eher verlängert.

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Ist ein Zitat aus dem oben verlinkten verfassungsblog / frau wapler. Wenn du den liest, hast du den detaillierteren Kontext. Ist nicht „diffamierend“. Die drei verlinkten Artikel sind sehr lesenswert.

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Du nimmst hier den „polemischten“ Artikel mit der wahrscheinlich weitgehensten Position aus meinem Post. Mein Post sind nicht zwei seiten, das sind verschiedene Perspektiven darauf warum das BverfG Urteil rechtlich problematisch ist.
Ich bin mir zwar der normativen Aufladung des Patrichatbegriffs bewusst, man sollte sich allerdings vor augen halten, dass es hierbei stets um die struktur geht und nicht um eine persönliche Charakterschwäche, weshalb ich das weniger als diffamierung sehe. Jetzt kann ich natürlich leuten ihre Brüskierung nicht absprechen, aber wenn man sich hier auf subjektive Wahrnehmung beruft ist es schwer sich nicht zugleich des tone policing schuldig zu machen. Selektive Entrüstung ist uncool.
Allerdings gilt auch grundsätzlich Polemik ist einer Debatte inhärent und öffentlicher Austausch ist meist mehr Debatte denn Diskurs. Auf dem Marktplatz der Ideen wird auch mal rumgeschrien, wenn auch in Grenzen :wink: Obwohl diese charakterisierung Waplers doch rechtharmlosen Zuspitzung nicht so wirklich gerecht wird.

Ob der ideologische Hinetrgrund jetzt eine unterstellung ist, hängt wohl von der jeweiligen Analyse ab. Es sei jedoch erwähnt dass bei beiden Urteilen, die „Parteizugehörigkeit“ der Richter*innen nicht ganz irrelevant war. Was du jetzt daraus lesen willst sei dir überlassen.

Was allerdings alle Beiträge meines Posts gemein haben und du misszuverstehen scheinst ist die Rechtsgüterabwägung. Die Beträge greifen nicht Rechtsgüterabwägung sondern die Konstruktion des Fetus als gegenüber der Frau in der Frühühase der Schwangerschaft an. Wapler mag es etwas zugespitzt als Zaubertrick bezeichnen, während das Sondervotum und Lembke es als Widerspruch zum Konzept der „Einheit in Zweitheit“ stärker in der Rechtsprechung selbst verankern. Die Kritik bleibt jedoch die selbe und verweist eben darauf dass die gegenüberstellung der Rechtssubjekte selbst schon das Problem ist. Die Urteile erzeugen hier das Problem der Rechtgüterabwägung selbst erst durch die Konstruktion der Gegenüberstellung. Das ist es was Wapler als Zaubertrick bezeichnet, die unitutive Konstruktion der Zweiheit von Beginn der Schwangerschaft an. Der oben genannte sittlichkeitsverweis des Sondervotums spielt auf die selbe rein konstruierte Natur dieses Problems an.

Daher schriebt das Sondervotum zutreffend:

" Das einzigartige Zuordnungsproblem der „Zweiheit in Einheit“ kann grundrechtlich auch nicht annähernd in einer bloßen Gegenüberstellung von Embryo und Frau eingefangen werden. Ihre eigene grundrechtliche Lage ist vielmehr ihrem Wesen nach durch die Verantwortung für das andere Leben mit-bestimmt, weil sie dieses Leben in sich trägt."

Wapler liefert lediglich eine Herleitung zum Ursprung der spezifischen Interpretation der „Einheit in Zweiheit“ welche das Urteil verwendet. Du magst das anders sehen, aber der Verweis auf die Rechtsgüterabwägung läuft ins leere sofern du nicht eine alternative und saliente Begründung für die spezifische Interpretation der „Einheit in Zweiheit“ des Urteils hast. Wapler, Lembke und das Sondervotum beziehen sich auf die medizinischen Fakten bzw. den allgemeinen Ablauf einer Schwangerschaft in ihrer Begründung. Falls du hier eine alternative Begründung hast die hinreichend entkoppelt ist von ideologisch-kulturellen oder religösen vorstellungen, dann lass gerne hören.
Hinzu kommt dass das sondervotum auch explizit darauf verweist, dass der Lebensschutz nicht rein abstrakt sein darf sondern praktisch wirkung entfalten muss bzw der abstrakte Lebenschutz den praktischen nicht unterminieren darf, indem er der Frau durch rechtswidrigkeit die Letztentscheidung nicht zugesteht sondern diese lediglich als außerhalb der rechtsordnung stehenden Notfall toleriert :

„Ob die Ausübung der staatlichen Schutzpflicht im Modus der Beratung stärker wirkt oder nicht, kann nur empirisch beurteilt werden. Maßgebend ist, daß der Staat nicht auf inadäquate Weise schützt; dies ist der Vorwurf gegenüber der Indikationenregelung, der zu der Konzeption des Schwangeren- und Familienhilfegesetzes geführt hat. Der Schutz muß nach der vertretbaren Einschätzung des Gesetzgebers in einem realen Sinne wirksam sein Mit dem Senat sind wir der Meinung, daß die Einschätzung des Gesetzgebers, in der Frühphase besser durch die Beratung, in der darauffolgenden besser durch das Strafrecht schützen zu können, vertretbar ist.“
[…]
„Der Staat kann in der Frühphase der Schwangerschaft Schutz für das ungeborene Leben nur dadurch bewirken, daß er die Frau als seine Verbündete bei der Erfüllung seiner Schutzaufgabe gewinnt. Das kann nur gelingen, wenn er sie in ihrer Fähigkeit zu verantwortungsvoller Entscheidung sowie in ihrer besonderen Befindlichkeit am Beginn einer Schwangerschaft ernst nimmt.“

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