Auch, wenn es schon 5 Threads zu dem Thema gibt, will ich doch noch mal meine persönliche Kritik hier los werden. Ich hatte erst eine E-Mail an das Lage-Team geschickt, aber eine Antwort bekommen, dass sie das Forum vorziehen. Daher also meine leider sehr umfassende Kritik hier im Forum. Ich habe sie aufgeteilt auf drei Nachrichten, da es hier eine maximale Größe für Beiträge gibt.
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Der Podcast beginnt bereits fragwürdig. Es wird von der Reichspogromnacht erzählt. „Das darf nie wieder passieren.“ Und dann unmittelbar folgt der Satz „Doch dann kam der 7. Oktober 2023.“ Es sollte doch nun wirklich jeder wissen, dass es ungeschickt ist, so einen Vergleich zu machen. …
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Der Podcast behauptet (22:12) „Mit anderen Worten: Pro Palästina zu sein, die Rechte der Menschen im Gaza Streifen zum Beispiel hoch zu halten, das korreliert gerade nicht mit klassischen antisemitischen Positionen. Ganz Im Gegenteil zeigen die selben Menschen, die starke Sympathien für die palästinensische Sache hegen, besonders wenig antisemitische Einstellungen.“ Diese Aussage ist falsch aus den Studie interpretiert. Diese Aussage gilt nämlich nur für das „das junge, linke und akademische Milieu“. Die Studie schreibt, bezogen auf die deutsche Gesamtbevölkerung wortwörtlich „Für den entscheidenden Zusammenhang zwischen traditionellem Antisemitismus und pro-palästinensischer Haltung ergibt sich demgegenüber eine Korrelation von lediglich .07, was als nahezu unabhängig voneinander gilt.“ Die Aussage „besonders wenig“ aus dem Podcast ist also falsch. Für das nicht „junge, linke, akademische Milieu“ dürfte sogar das Gegenteil zutreffen.
(Polemische Formulierungen und persönliche Angriffe haben in diesem Forum keinen Platz, daher haben wir den Beitrag um diese Passagen gekürzt. Bitte in Zukunft sachlich argumentieren und korrekt zitieren.)
Ich habe beim Hören gedacht: „Ja, das ist sicherlich juristisch alles ok, aber das versteht doch niemand mehr“. Wenn niemand sich mehr bewegen / etwas äussern darf, weil er/sie befürchtet, dass jemand anderes das als diskriminierend/verletzend etc. auffasst, dann herrscht Stillstand.
Und genau dieser Stillstand ist das Gegenteil was Deutschland jetzt braucht.
Daher plädiere ich für mehr Toleranz und Gelassenheit auf allen Seiten.
@relang Aber eigentlich ist es im täglichen Leben doch wirklich so. Bei Diskriminierung kommt es eher nicht darauf an, wie man es meint, sondern wie es beim Gegenüber ankommt. Ein frauenfeindlicher Witz ist auch dann frauenfeindlich, wenn man ihn nur als netten Witz meint. Ob das praktikabel ist, weiß ich auch nicht. Benachteiligung findet auch dann statt, wenn man sich dem gar nicht bewusst ist. Unbewusste Benachteilung ist auch Diskriminierung. Das ist blöd im täglichen Leben und auch nicht juristisch relevant. Aber moralisch wichtig ist es in jedem Fall. Deswegen sollte man halt immer mit Bedacht handeln.
Ich bin jetzt kein Philosoph, der untersucht, wie das menschliche Zusammenleben funktioniert. Aber ich finde, das macht schon irgendwie Sinn.
Dem würde ich widersprechen. Die Studie sagt nämlich „Junge Menschen unter 35, die sich politisch links verorten sind mit einem Mittelwert von 1.4 die am wenigsten antisemitisch eingestellte Gruppe in unserem Vergleich.“ und außerdem „Was junge, linksorientierte Menschen in Deutschland tatsächlich auszeichnet und von anderen gesellschaftlichen Gruppen unterscheidet ist eine ausgeprägte pro-palästinensische Haltung. Befragte unter 35 Jahren, die sich politisch links verorten, weisen auf der Skala pro-palästinensischer Einstellung mit einem Mittelwert von 3.3 den höchsten Wert auf.“
Die Aussage „Ganz Im Gegenteil zeigen die selben Menschen, die starke Sympathien für die palästinensische Sache hegen (Junge Menschen unter 35, die sich politisch links verorten), besonders wenig antisemitische Einstellungen“ ist daher nicht falsch. Man hätte hier natürlich noch präziser formulieren können z. B. „Die gesellschaftliche Gruppe, welche am stärksten pro-Palästina ist, nämlich junge Linke Menschen, ist gleichzeitig die am wenigsten traditionell antisemtische Gruppe und auf einer individuellen Ebene gibt es keine statistisch signifikante Korrelation zwischen Unterstützung für Palästina und Antisemitismus“.
Aber so zu tun, als hätte die Lage hier eine komplett falsche und irreführende Interpretation der Studie geliefert ist schon ziemlich gewagt.
Könnt ihr die hier mal verlinken? Danke!
Aus meiner Sicht kann man den Satz so oder so interpretieren. Aber dass die Studie eine bestimmte Message hat und genau deswegen erwähnt wurde, steht für mich außer Frage. Viel wichtiger scheint mir die methodische Kritik an der Studie zu sein. Ein zentraler Kritikpunkt lautet etwa, dass die Studie sich aus einem etablierten Set von 12 Items zur Bestimmung von Antisemitismus einfach 3 Items rauspickt und ohne jegliche Begründung behauptet, dass sich damit Antisemitismus genau so gut bestimmen ließe. Völlig zusammengewürfelt sind die 3 Items zu einer „pro-palästinensischen Haltung“, von denen beispielsweise eines mehr oder weniger ein Allgemeinplatz ist, dem selbst definitiv nicht propalästinensische eingestellte Menschen zustimmen können, während ein anderes Item eindeutig eine Verherrlichung von Terror bedeutet. Auch hier wird in der Studie mit keinem Wort erklärt, warum man meint, anhand dieser Items zu einem kohärenten Bild einer propalästinensischen Haltung zu kommen.
Auf so einer dünnen Basis so generell formulierte Aussagen über das Verhältnis zwischen Antisemitismus und propalästinensischer Haltung zu formulieren, wirkt aus meiner Sicht schon sehr gewollt. Eine ausführlichere Kritik findet sich hier.
Man kann die Studie sicher methodisch kritisieren. Es handelt sich ja auch nicht um eine in einem wissenschaftlichen Journal veröffentlichte, Peer-Reviewte Studie, sondern um einen wissenschaftlichen „Policy Brief“. Allerdings ist die Untersuchung natürlich eine Reaktion auf Vorwürfe, insbesondere aus der konservativen und rechten Ecke, das Linke und „Woke“ die „wahren“ Antisemiten sein und das Unterstützung für die Rechte von Palästinensern automatisch ein Beleg für Antisemitismus sei. Allerdings gibt es für diese Behauptungen zwar massenhaft Meinungsartikel und anekdotische Evidenz- zumindest meines Wissens nach - keine wissenschaftlichen Belege oder Studien.
Wenn du entsprechende, bessere Studien kennst, die die Analyse der Mannheimer Untersuchung widerlegen, dann wäre das hier natürlich eine gute Gelegenheit, diese zu teilen.
Naja, Antisemitismus hat viele verschiedene Ausprägungen. Die genannte Studie hat sich auf „traditionellem“ Antisemitismus und das Verhältnis zu Israel fokussiert. Mich hätte zum Beispiel noch eine Aufschlüsselung nach sekundärem Antisemitismus interessiert, der wahrscheinlich momentan am verbreitetste Antisemitismus-Typ.
Aus der Ablehnung von traditionellem Antisemitismus kann man nicht automatisch auf eine generelle Abwesenheit von Antisemitismus schließen, erst recht nicht, wenn die gleiche von dir genannte Gruppe im israelbezogenen Antisemitismus deutlich höhere Werte aufweist.
Die von dir zitierte Aussage ist also zumindest unterkomplex.
Mehr zu den verschiedenen Formen von Antisemitismus: