LdN 405 US-Wahlen Ursachenanalyse, Interview mit Isabella Weber

Das Interview mit Isabella Weber ist schlicht und ergreifend genial. Sie hat sehr überzeugend die Zusammenhänge dargelegt und auch auf Deutschland übertragen (siehe weiterer Thread)
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Du hast Recht, die klare und scharfsinnige Analyse von Isabella Weber ist extrem interessant. Dennoch lässt sich das Wahlergebnisse in den USA aus meiner Sicht nicht ausschließlich durch die wirtschaftlichen Entwicklungen erklären. Für meine Geschmack war diese Fokussierung von Frau Weber (und Ulf und Philipp in der LdN 405) zu einseitig, denn Trumps Wirtschaftspolitik zielt genau nicht darauf ab Menschen mit geringen und mittleren Einkommen besser zu stellen und dennoch hat diese Gruppe ihn zum Präsidenten gemacht. Sicherlich haben wirtschaftliche Themen einen große Rolle gespielt, aber die US-Wahl war vor allem eine Wahl, bei der es um die Identität Amerikas ging. Old White America hat sich gegen die liberale Seite durchgesetzt. Diese bittere Erkenntnis müssen wir anerkennen und im Umgang mit der AfD ebenfalls beachten.

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Diese Analyse habe ich nun allerdings tatsächlich auch bereits in mehreren anderen Medien gehört oder gelesen. Ich meine, das zeigen die Wahldaten. Habe aber gerade keine Zeit, sie selbst herauszusuchen.

Den Menschen, denen es schlecht geht, ist es egal, ob Trump ein Idiot oder gefährlich ist.

Gleichzeitig spielen natürlich immer mehrere Ursachen eine Rolle.

Ich befürchte, dass es sich leider auf einen einfachen Grundsatz runterbrechen lässt: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
Natürlich sind die Ursachen für diese Situation komplex, aber wer hat schon die Zeit, sich ausführlich damit auseinanderzusetzen? Wenn ich merke, ich habe (trotz Bidenomics und wachsender Wirtschaft) zu wenig in der Tasche, schwingt der unterschwellige Eindruck „Früher war alles besser“ bei jeder Entscheidung etwas mit.

Das war doch auch gar nicht der Anspruch des Interviews, jedenfalls habe ich das nicht so verstanden. Das Interview und auch die Analyse war ja bewusst auf das Thema Wirtschaftspolitik konzentriert.

Zumindest meinem Eindruck nach hat Isabella Weber aber gar nicht so viel drüber geredet, was Trump genau plant, sondern vor allem erklärt, was in den letzten Jahren so passiert ist und warum das mit(!) ein Grund war, warum so viele Leute nicht Harris gewählt haben. Dass Menschen gegen ihre objektiven Interessen wählen, also z. B. ärmere Leute jemanden wählen, der sie noch ärmer machen wird, ist ja leider nichts Neues und erst recht kein Alleinstellungsmerkmal von Trump.

Dem würde ich wiederum auch widersprechen. Neben zumindest einer grundsätzlichen Zustimmung zu den „Werten“, die Trump vertritt (MAGA, Amerika first, an allem Bösen sind nur „Linke“ oder Ausländer schuld) braucht es für eine Wahlentscheidung ja zumindest die Hoffnung, dass es einem unter Trump besser gehen wird. Die scheinen gerade Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen sehr viel stärker gehabt zu haben, aber einfach aus der ökonomischen Situation ableiten lässt sich eine Wahl für Trump eben nicht.

Insgesamt fand ich das Interview super als Analyse - gerade den Punkt, dass eine gute makroönomische Lage eben noch lange nicht bedeutet, dass nicht Millionen Menschen krasse Existenzsorgen haben. Auch die Vorschläge von Weber, aber auch von Ulf und Philipp, was passieren müsste, fand ich sehr überzeugend - mal eine andere Art von „it’s the economy, stupid“. Allein mir fehlt die Hoffnung, dass diese Ideen bald einen Umsetzung erfahren, nicht nur in den USA oder in Deutschland, sondern überhaupt. Ich fürchte es wird erst mal sehr viel dunkler und ungemütlicher…

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Ich fand die Bemerkung, als Fazit aus dem Interview, seltsam, dass Wirtschaftswachstum der Bevölkerung nicht zwingend etwas bringt. Im gleichen Atemzug wurde Lindner erwähnt, der hauptsächlich auf Wirtschaftswachstum setzt.
Das ist ja nicht das Problem von Lindners VWL Verständnis. Das Problem ist, dass die Dinge, die er umsetzen möchte der Wirtschaft meist nichts bringen und teilweise sogar massiv schaden würden, siehe Isabella Webers Kritik an Lindners Vorschlägen: Sozialstaatsabbau schlecht, da sogar jetzt schon Nachfrageschwäche vorhanden, Umverteilung von unten nach oben hat den selben Effekt. Beides schlägt in die selbe Kerbe: Nachfrageschwäche verstärkt sich (die auch unter den zurückhängenden Reallöhnen leidet). Keine einzige Maßnahme Lindners geht dieses Problem an. Pläne von Scholz und Habeck streifen das allerdings auch nur vereinzelt. Auch hier konzentriert man sich vor allem auf Investitionsanreize. Aber wieso investieren, wenn es keine Nachfrage gibt? Und die anderen Auswirkung fehlender Nachfrage (also Menschen die unter der Krise mindestens ökonomisch gelitten haben) habt ihr gut beleuchtet.

Ich hoffe es ist klar was ich meine. Entlastung der Menschen, egal ob durch mehr Staatsausgaben oder Umverteilung von oben nach unten, würde Hand in Hand gehen mit Wirtschaftswachstum. Das steht sich überhaupt nicht im Weg. Ganz im Gegenteil: Das schwache Wachstum ist die Folge davon, dass die Bevölkerung unter der Inflation leidet.

Spannende Analyse, ein Beitrag vom Volksverpetzer kommt zu einem ähnlichen Schluss.
Finde die Argumentation auch schwierig. Einerseits spielen Fakten und die Realität keine Rolle, aber bei der Wirtschaft plötzlich schon?
Klar, die Leute zum „Mehr!“ schreien zu animieren ist einfach. Aber am Ende hätte Trump den Leuten auch alles andere erzählen können. Und der scheidende Präsident auch wenig richtig machen können. (gefühlt)

Wo sagt Weber das denn?

Der Artikel im Volksverpetzer vertritt ja genau die Argumentation, die Weber kritisiert: Er behauptet, dass die Wirtschaftsdaten schon wieder viel besser aussähen und deshalb die Leute, die auf ökonomische Schwierigkeiten verweisen, einfach keine Ahnung von der Realität hätten. Weber verweist hingegen darauf, dass z. B. wieder steigende Reallöhne und die wieder abgeflachte Inflation für Menschen mit geringeren Einkommen in den USA keineswegs bedeuten, dass ihre aktue Finanznot und daraus folgende existenziellen Sorgen damit vorbei sind.

Ich finde das ehrlich gesagt keinen besonders gutes Artikel, erst recht nicht für eine Seite, die sich „Faktencheck“ auf die Fahnen schreibt. Das ist ein Meinungsartikel, noch dazu ein ziemlich oberflächlicher und arrogant daherkommender. Leider kein Einzelfall.

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Ich habe gerade meine persönliche Inflationsrate berechnen lassen:

Sie ist schon mal doppelt so hoch wie der allgemeine Durchschnitt.

Das liegt am Übergewicht der Nahrungsmittel in meinem Warenkorb.

Zusätzlich liegt die Butterflation, also die Inflation bei der Butter bei etwa 100%: 3,30 Euro hier im Supermarkt, ggü 1,15 Euro vor dem Energiepreisschock.

(Ich weiß: Blauzungenkrankheit und daher geringer Fettgehalt in der Milch)

Bloß: Die Butterflation kennt jeder, und wenn dann eine kluge Statistik erklärt, dass „die Preise“ sich nur um 2% erhöht hätten, wirkt das wie reiner Quatsch.

Sie erhöhen sich weiter um 2% zusätzlich zu der vorherigen erhöhung. Es bedeutet ja nicht, dass etwas wieder günstiger wird.
Der Klimawandel wird Lebensmittelinflation weiter treiben, siehe Olivenöl. Nur ein Produkt anschauen ist nie sinnvoll.

Statt Butter empfehle ich Alsan Magarine :wink:
Die Energiepreisbremsen waren ein sehr sinnvolles mittel. Man hätte es auf Lebensmittel ausweiten sollen, ggf kombiniert mit einer MwSt Reform.

Liebes Lage-Team,

erstmal möchte ich mir für die so regelmäßige, qualitativ hochwertige journalistische Arbeit Ihrerseits bedanken. Es ist jede Woche wieder eine Freude, so detaillierte, gute und auf sympathische Weise dargestellte Informationen zu erhalten.

Dennoch möchte ich Kritik an der Folge Nummer 405 äußern, vor allem an dem Teil betreffend der wirtschaftlichen Lage in den USA und dem Effekt auf den Ausgang der Präsidentschaftswahlen. An der wirtschaftlichen Analyse von Prof. Weber möchte ich gar nichts aussetzen, sie konnte gut aufweisen, warum viele Leute in den USA Schwierigkeiten haben, ihre Lebenskosten zu bestreiten und warum dieses Problem unterschätzt wurde. Allerdings finde ich den Schluss, dass dieses Problem ursächlich für den Sieg Trumps ist, problematisch. Denn, auch wenn dieser Schluss sicher anhand des Gespräches naheliegt, gibt es vieles, was dagegenspricht und auch andere Handlungsempfehlungen für die Zukunft bietet. Zur Vereinfachung nenne ich den von Ihnen gemeinsam gezogenen Schluss, dass die wirtschaftliche Lage ursächlich für den Wahlerfolg Trumps war, im Anschluss mal die Wirtschaftserklärung und stelle dar, warum diese Erklärung meiner Meinung nach zu kurz greift.

Zum einen legt die Wirtschaftserklärung den grundsätzlichen Zusammenhang nahe, dass wirtschaftliche Probleme ursächlich sind für autoritäre, antidemokratische Einstellungen und folglich die Unterstützung autoritärer Kandidaten. Das zeigt die Forschung aber gerade nicht. Die politische Psychologin Karen Stenner zeigte in ihren Studien, zusammengefasst im Buch „The Authoritarian Dynamic“ (2006), dass wirtschaftliche Interessen und persönliche finanzielle Krisen gerade nur sehr geringen bis gar keinen Einfluss auf die Entstehung autoritärer Einstellungen hat! Was viel ausschlaggebender ist, sind autoritäre Veranlagungen der WählerInnen.

Sie findet in ihren experimentellen Studien heraus, dass ein recht großer Anteil der Bevölkerung (etwa 30%) latente, autoritäre Charakterzüge besitzt. Diese Personen sind in ihren (anti-)demokratischen Einstellungen in Zeiten des friedlichen und einheitlichen Zusammenlebens nicht von libertären Personen zu unterscheiden. Die autoritären Charakterzüge werden erst durch sogenannte normative Bedrohungen aktiviert. Das sind Bedrohungen, die durch autoritär veranlagte Personen als Gefahr für die Einheit und Gleichheit der eigenen Gruppe interpretiert werden (viele Meinungsverschiedenheiten, Diversität, Führungslosigkeit, etc.). Erst die Aktivierung der Persönlichkeitsvariablen durch solche normativen Bedrohungen führen zu der Manifestierung autoritärer Einstellungen (bspw. einer Präferenz für eine restriktivere Migrationspolitik, härterer Bestrafung für moralisch abweichend gewertetes Verhalten und einem Wunsch nach starken Führungspersönlichkeiten).

Zeiten wirtschaftlicher Krisen sind ebenfalls Zeiten großer Meinungsverschiedenheiten und somit auch normativer Bedrohung. Die Lehre daraus ist jedoch, dass wenn wir die wirtschaftlichen Krisen beseitigen könnten, die Unterstützung für autoritäre Kandidaten anhalten kann, solange diese wahrgenommene normative Bedrohung bestehen bleibt. Das bedeutet, dass es mit einer Verbesserung des Geldbeutels nicht getan wäre! Dies gilt zumindest für autoritär veranlagten Leute, die eben etwa 30% der Bevölkerung ausmachen. Nun ist das natürlich noch nicht die Mehrheit der Bevölkerung, die Trump gewählt hat. Wissenschaftliche Analysen dazu, ob Swing Voter vor allem aufgrund wirtschaftlicher Interessen wählen, kenne ich nicht. Dennoch kann Stenners Theorie einen Großteil der Trump Unterstützung erklären und deutlich mehr als die Wirtschaftserklärung, wie sie in ihren Studien darlegt. Insgesamt kann ich Ihnen das Buch von Frau Stenner nur mit Nachdruck ans Herz legen. Es ist das differenzierteste Erklärungsmodell für viele der heutigen politischen Entwicklungen, dass ich kenne.

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Ich denke, auch Isabella Weber hat nicht behauptet, dass die persönliche wirtschaftliche Situation die einzige Ursache für das Wahlergebnis war. Das erkennt man natürlich leicht daran, dass er nahezu allen Wähler-Teilgruppen dazugewonnen hat.
Anmerkung: Bitte Beiträge etwas prägnanter und kürzer formulieren, damit der Thread lesbar bleibt. Und: Das Buch/die Studien, auf die du verweist, sind bereits recht alt.

Genau so sehe ich es auch, ich war lange nicht so begeistert von einem LdN-Beitrag.
Aus diesem Interview habe ich unglaublich viel gelernt und verstanden.
Danke!

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Ich fand das Interview auch sehr fundiert und aufschlussreich, also grundsätzlich erstmal großen Dank dafür.
Insgesamt hinterlässt die ganze Situation immer noch/trotzdem sehr viele Fragen bei mir.

Ich frage mich einfach wie dieser Impuls zustande kommt? Menschen geht es schlecht → Menschen wählen Trump, egal ob Idiot oder gefährlich. Ist diesen Menschen wirklich egal, was sie da wählen? Muss nicht irgendwo davon ausgegangen werden, dass die Menschen, die Trump wählen, sein Politikangebot inkl. Rassismus, Autokratie etc. sogar gut finden? Ich muss hier ständig an Vergleiche bzw. Diskussionen zur AfD in Deutschland denken. Z.b. Umfragen nach EU-Wahl bzw. den Landtagswahlen, dass eine Mehrheit der AfD-Wähler:innen die AfD nicht aus Protest sondern aus Überzeugung wählt. Oder an die verschiedenen soziologisch-psychologischen Erkkläransätze der Stärke der AfD in Ostdeutschland (Nativismus, Populismus etc. - war glaube ich in der Lage-Folge mit Steffen Mau).

So richtig kriege ich das irgendwie noch nicht zusammen. Sicherlich spielt auch die republikanische Medien/Propagandamaschienerie eine gewaltige Rolle? Bzw. die Tatsache, dass im Zweiparteiensystem für eine Abrechnung mit der Regierung halt nur übrig bleibt, das Kreuz bei der anderen Partei zu setzen?

Edit: bzw. muss hier einfach unterschieden werden zwischen 1. der Trump-Stammwählerschaft, die ihn gut findet und 2. den Neuwählern/Swing-Voters, die aus Frustration über die Situation (in Verbindung mit Desinformation/Propaganda) gegen die Demokraten abgestimmt haben?

Auch von mir ein großes Lob für das Interview, Frau Weber hat Ihre Thesen sehr verständlich und nachvollziehbar vorgetragen (abgesehen von der Wärmepumpe, aber schwamm drüber).

Was ich aus dem Interview mitnehme ist eine wachsende Entkoppelung von den gängigen Wirtschaftsindikatoren und der wirtschaftlichen Lage der Mehrheit der Wähler.

Auch die Lage ist ja vor vielen Folgen mal in dieselbe Falle getappt, als es sinngemäß hieß: „der DAX ist super, aber trotzdem fühlen sich die Leute schlecht.“

Auch jetzt (11.11.24) notiert der DAX 100 Punkte unter seinem All-Time-High und die Inflation ist mit 2% innerhalb der politisch gewollten Toleranz, aber die wirtschaftliche Lage ist dennoch schlecht.

Ursachen wurden ja bereits häufig diskutiert. DAX Unternehmen machen ihre Gewinne im Ausland, keine Inflation ist ja nichts anderes als eine Stagnation der Preise auf hohem Niveau, etc…

Gibt es unter den Volkswirten Bestrebungen sich Indizes auszudenken, die die „wahre“, oder „gefühlte“ wirtschaftliche Lage widerspiegeln? Sowas wie

  • Fresswarenkorb / Nettolöhne
  • Quadratmeterpreise / Nettolöhne
  • Nettowohlstandsgewinn durch Gehaltserhöhung abzüglich der weggefallenen Sozialleistungen

???

Oder, warum werden die existierenden Indizes wie Reallöhne nicht viel lauter propagiert?

Diese Indizes gibt es ja. Sie schaffen es nur nicht in die Nachrichten. Denn entweder die Tagesschau meldet, dass die Lebensmittelpreise seit 2021 um gut 30% gestiegen sind oder sie meldet die Inflationsrate wie gehabt. Beides passt nicht ins Schema.
Und der Aktivismusvorwurf kommt schnell.
Dann gibt es viele, die mit all den Kurven und Zahlen nichts anfangen können, bei Prozentrechnung abschalten, und wir erinnern uns an den Fußballer, der stolz verkündete, dass er ein Viertel mehr Geld rausverhandelt hat, obwohl ihm der Verein nur ein Drittel mehr geboten hatte.

Gerade aber die Lebensmittelpreise sind wichtig im täglichen Leben: die Miete und so fort wird abgebucht. Was täglich erlebt wird, ist der Einkauf von Lebensmitteln. Man erlebt die 30% und nicht die 2% aus der Tagesschau.
Mich wundert nicht, dass von Lügenpresse gesprochen wird.
Zu allem Übel lässt der Klimawandel die Lebensmittelpreise in besonderem Maße ansteigen, da die Ernte entweder überflutet wird oder erst gar nichts mehr wächst.

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Ein Interview mit Isabella Weber wurde heute in der Zeit veröffentlicht… bestätigt meine positive Bewertung der journalistischen Arbeit bei LDN… sie sind Ihrer Zeit voraus.