LdN 401 - Belege/Quellen für russische Strategie

Hallo in die Runde!
ich habe in der LdN 401 mit großem Interesse das Interview mit Franziska Davies verfolgt und würde gerne zu einem von ihr angeführten Punkt im Internet nach Belegen suchen. Vielleicht kann mir die Schwarmintelligenz dieses Forums Anhaltspunkte oder Quellen liefern?

Ab ungefähr Minute 54 sagt Franziska Davies folgendes:

Russland sagt ja ganz offen, es geht um einen Krieg gegen den Westen, um einen Krieg gegen das europäische Projekt, um einen Krieg gegen die demokratische Ordnung, es geht darum, dass Russland Europa dominieren will.

Ich persönlich habe bezüglich der Absichten des russischen Regimes ein ähnliches Bauchgefühl, allerdings habe ich für eine solche Strategie auch keine handfesten Belege. In Diskussionen mit meinem Bekanntenkreis wird eine solche Einschätzung bezüglich der Strategie des russischen Regimes regelmäßig abgelehnt.
Gibt es Dokumente zu diesem Thema, die im Internet einsehbar sind? Am besten wären Primärquellen, z.B. russische Strategie-Papiere, die übersetzt und ggf. wissenschaftlich eingeordnet werden. Kennt jemand Belege oder Quellen zu der obigen Aussage von Franziska Davies?

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Evt das?

https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/sirius-2023-1017/pdf?srsltid=AfmBOop2fiG3dZDwMNH-V3xKp0PZTW3MotC4dF3WNaX9_LQaRxUmYRMM

Oder hier:

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Wie wäre es mit diesem Text von Dimitri Medvedev, seineszeichens ehmaliger Präsident und Ministerpräsident Russlands und derzeit Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates zu möglichen Friedensverhandlungen mit der Ukraine:

Übersetzung mit DeepL:

"Über die „Friedensformel“ der Kiewer Nazis, die Schweizer „Friedenskonferenzen“ und die wahre Grundlage der Verhandlungen

Wenn ich den Ausdruck „Zelenskys Friedensformel“ höre, überkommt mich ein unwiderstehliches Gefühl der Zimperlichkeit, das sich schnell in ein Gefühl der Scham über den schlimmen Surrealismus des Geschehens verwandelt. Schließlich weiß jeder, auch die arroganten westlichen Lügner, dass selbst in viel einfacheren Situationen während eines Krieges der Frieden entweder durch den gegenseitigen Willen der Parteien auf der Grundlage eines vernünftigen Kompromisses oder durch die Kapitulation einer der Konfliktparteien erreicht werden kann.

Der Wille der so genannten ehemaligen Ukraine zu verhandeln ist nicht erkennbar. Zumindest nicht auf der Grundlage der Anerkennung der Realitäten, wie Wladimir Putin gestern sagte. Für sie sind die Realitäten die hirntote „Friedensformel“ eines Provinzclowns in grünen Strumpfhosen. Und nichts anderes. Es sieht so künstlich aus, dass der einzige Ausweg darin besteht, ihre eigene, russische Formel zu konstruieren, die ruhig und ziemlich realistisch ist. Menschlich für alle.
Aber welche? Zum Beispiel die folgenden:

  1. Anerkennung der Niederlage in der militärischen Komponente des Konflikts durch die ehemalige (im Folgenden - b.) „Ukraine“. Die vollständige und bedingungslose Kapitulation der b. „Ukraine“, vertreten durch die neonazistische Clique in Kiew. Entmilitarisierung der b. „Ukraine“ und ein Verbot der Bildung paramilitärischer Formationen auf ihrem Territorium in der Zukunft.
  2. Anerkennung des nazistischen Charakters des politischen Regimes in Kiew durch die internationale Gemeinschaft und erzwungene Entnazifizierung aller Machtorgane in der b. „Ukraine“ unter Aufsicht der UN. „Ukraine“.
  3. Feststellung des Verlustes der internationalen Rechtspersönlichkeit der b. „Ukraine“ durch die Vereinten Nationen. „Ukraine“ den Verlust ihrer internationalen Rechtspersönlichkeit und die Unmöglichkeit für jeden ihrer Rechtsnachfolger, ohne die Zustimmung Russlands Militärbündnisse einzugehen.
  4. den Rücktritt aller verfassungsmäßigen Organe der b. „Ukraine“ und die sofortige Abhaltung von Wahlen. 4. den Rücktritt aller verfassungsmäßigen Organe der b. „Ukraine“ und die unverzügliche Abhaltung von Wahlen zum provisorischen Parlament des Territoriums der b. „Ukraine“, das sich unter der Schirmherrschaft der UNO selbst verwaltet. „Ukraine“.
  5. Verabschiedung von Gesetzen durch das provisorische Parlament über die Zahlung aller fälligen Entschädigungen an Russland, einschließlich der Zahlungen an die Angehörigen der toten Bürger unseres Landes und der Zahlungen für Gesundheitsschäden der Verwundeten. Festlegung der Ordnung der Entschädigung für die den Subjekten der Russischen Föderation zugefügten Vermögensschäden.
  6. Offizielle Anerkennung durch das provisorische Parlament der b. „Ukraine“, dass ihr gesamtes Territorium das Territorium der Russischen Föderation ist. Verabschiedung eines Gesetzes über die Wiedervereinigung der Territorien der b. „Ukraine“ mit Russland. „Ukraine“ mit Russland.
  7. Selbstauflösung des provisorischen Parlaments. Anerkennung des Wiedervereinigungsgesetzes durch die UNO.

Das könnte Russlands sanfte russische Formel für den Frieden sein. Das ist doch die Kompromissposition, oder nicht? Ich denke, dass dies die Grundlage ist, auf der wir einen wohlwollenden Konsens mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der angelsächsischen Welt, anstreben und produktive Gipfeltreffen abhalten können, wobei wir auf das gegenseitige Verständnis unserer engen Freunde - unserer westlichen Partner - zählen können."

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Das ist natürlich übelste russische Propaganda, die wir so eigentlich nicht zulassen würden, aber als Nachweis für die russische Strategie wohl geeignet. Beim Lesen muss man sich schon fragen, was Medvedev da geraucht hat… leider tickt die Kreml-Elite aber generell genau so.

Wenn man das so liest, wird umso deutlicher, warum man die Ukraine mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen sollte.

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Spannenderweise sehen Vertreter von AfD und wohl auch BSW das ähnlich wie Medvedev und betrachten das als empfehlenswerten Friedensplan.

Was das für eine zukünftige Friedensordnung darstellt n Europa bedeuten würde, kann man sich ausmalen.

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Gibts da Quellen zu?

Die AfD folgt dieser Argumentation im wesentlichen schon:

Bei der BSW bleibt Frau Wagenknecht sehr geschickt vage. Man kann diese Überlegung einer Kapitulation der Ukraine zur Beendigung des Krieges als Friedenslösung durchaus hineininterpretieren. Würde ich einschätzen. Müsste da aber nochmal recherchieren.

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Ich weiß nicht, ob Franziska Davies das meinte, aber der Kreml hat im März 2023 eine neue „außenpolitische Strategie“ veröffentlicht (online etwa hier https :// www.mid. ru/ru/ detail-material-page/1860586/ (bewusst nicht als funktionierender Link).
Die Einschätzung der Tagesschau dazu lautete seinerseit: " Der Westen als Feind, Russland als Opfer":

Eine etwas ausführlichere Einschätzung der Außenpolitik Russlands, allerdings schon aus der Zeit vor Veröffentlichung des o.g. Papiers findet sich bei der Bundeszentrale für politische Bildung:

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Das BSW bezieht sich m. E. zumindest offiziell eher auf den „Friedensplan Brasiliens und Chinas“, etwa in diesem erneuten Offenen Brief mit den immer gleichen Narrativen, mit Formulierungen wie „Kriegserklärung Deutschlands an die Atommacht Russland“ und den immer gleichen Unterzeichnenden.

https://bsw-vg.de/appell-der-38-eine-minute-vor-zwoelf-einen-grossen-europaeischen-krieg-verhindern/

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Interessant ist, dass BSW hier immer nur den einen Punkt „Vorrang der Diplomatie“ betont, aber nie was zu den Angriffen Russland auf Energie und zivile Infrastruktur oder Humanitären Situation sagt. Hinweise zur Deeskalation gibts auch immer nur, wenn der Westen irgendwas macht und Russische Eskalation ist immer zwingend, da man ja vom Westen provoziert wurde.

Die 6 Punkte des Plans
Deeskalation: Alle beteiligten Parteien werden aufgefordert, sich an drei grundlegende Verhaltensweisen zu halten: „Keine Ausweitung des Schlachtfeldes, keine Eskalation der Kämpfe und keine Provokation durch eine Partei“.

Vorrang der Diplomatie: China und Brasilien unterstützen die Einrichtung einer internationalen Friedenskonferenz, an der die Regierungen der Ukraine und der Russischen Föderation teilnehmen sowie deren jeweilige internationale Partner. Der Konflikt ist diplomatisch und über Verhandlungen zu lösen: „Alle Parteien sollten die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des direkten Dialogs schaffen und auf eine Deeskalation der Lage bis zur Verwirklichung eines umfassenden Waffenstillstands drängen.“

Humanitäre Situation: Es muss eine „humanitäre Krise größeren Ausmaßes“ verhindert werden: „Angriffe auf Zivilisten oder zivile Einrichtungen müssen vermieden werden, und Zivilisten, einschließlich Frauen und Kinder sowie Kriegsgefangene, müssen geschützt werden. Beide Seiten unterstützen den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen den Konfliktparteien.“

Nuklearkrieg: Es wird vor der Gefahr einer nuklearen Eskalation gewarnt und gefordert, dass ABC-Waffen nicht eingesetzt werden: „Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen, insbesondere von Atomwaffen sowie chemischen und biologischen Waffen, muss abgelehnt werden.“

Nukleare Unfälle: Es wird vor Angriffen auf die zivile Nutzung der Kernenergie, also auch auf Atomkraftwerke, gewarnt: „Alle Parteien sollten das Völkerrecht einhalten, einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit, und von Menschen verursachte nukleare Unfälle entschlossen verhindern.“

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Natürlich. Alles andere würde ja auch nicht zu dem grundlegende Narrativ passen, dass Russland im Grunde vom „Westen“ und der ach so aggressiven NATO quasi gezwungen wurde, die Ukraine anzugreifen. Und genau da passen die vagen und im Passiv gehaltenen Formulierungen des „Friedensplans“ halt wunderbar rein. Sie lesen sich nämlich mindestens so, als würden beide Seiten gleichermaßen „provozieren“, auf Gewalt und Eskalation setzen, humanitäre Katastrophen auslösen etc. Besonders eklatant wird das beim Punkt „Nuklearkrieg“: Obwohl die Ukraine gar keine Atomwaffen hat und Russland ständig mit dem Einsatz derselben droht, ist ganz ominös von der „Gefahr einer nuklearen Eskalation“ gewarnt, als wäre das eine Art Naturkatastrophe.

Ganz abgesehen davon ist das natürlich nicht wirklich ein „Friedensplan“, weil der Text nur lauter Dinge auflistet, die wünschenswert sind (Deeskalation, Dimplomatie etc.), aber eben kein Wort darüber verliert, wie man dorthin kommt - was natürlich logisch ist, wenn man nicht mal sagen will, wer für die aktuelle Situation verantwortlich ist.

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Als Beispiel dafür, wie das BSW auf zentrale Begriffe und Narrative des Kreml zurückgreft, hier ein aktueller Tweet von Sevim Dağdelen, den die Partei weiterverbreitet hat:

grafik

Die Maidan-Revolution von 2014 bezeichnet Dağdelen in reinstem Kreml-Sprech als „Coup“ (aka Putsch), auch das Märchen vom angeblichen Verbot, Russisch zu sprechen, stammt 1:1 aus dem Kreml [Fun fact: Sogar auf dem Maidan wurde hauptsächlich Russisch gesprochen, aber je mehr Russland die Ukraine angegriffen hat, desto weniger Menschen hatten Bock drauf.] - genauso wie die Rede vom „Bürgerkrieg“ in der Ukraine. [Fakt ist: „Krieg“ geb es in der Ukraine 2014 nur dort, wo Russland mit Soldaten, Geheimdienstagenten und militärischem Gerät massiv dafür gesorgt hat. An allen anderen Orten gab es nur Proteste.] Der Hammer ist aber die Behauptung, der Angriff Russlands auf die gesamte Ukraine 2022 sei eigentlich eine Aktion der NATO und der USA gewesen. Und - surprise - auch diese Darstellung könnte ohne Änderungen aus einer Putin-Rede stammen.

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Das kann man in die Aussage rein interpretieren, aber das steht so nicht explizit.

Die Aussage kann auch so gelesen werden, dass der Bürgerkrieg sich zu einem internationalen Konflikt entwickelte (Angriff Russlands auf die Ukraine) und in Reaktion darauf die NATO/USA durch ihre Ukraine-Unterstützung in Konfrontation zu Russland gingen.

Gerade du achtest doch sonst immer sehr auf Worte und was sie bedeuten können. Warum nicht hier?

Was sind denn eigentlich Belege, die Russland für seine Behauptungen liefert? Also belastbare neutrale Fakten?
Oder bleibt es bei der reinen Behauptung?

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Was Du anbietest ist ja nicht wirklich eine Interpretation, sondern eher der Wortlaut dessen, was Dağdelen schreibt. Aber wenn du es gerne genau haben willst, bitteschön:

  1. Grundfalssch ist schon die Entgegensetzung von „Bürgerkrieg“ und „internationalem Krieg“. Denn auch 2014 gab es Krieg wie schon gesagt nur aufgrund der Aktivitäten Russlands. Und weil diese in einem anderen souveränen Staat stattfanden (Ukraine) war das Ganze von Anfang an ein „internationaler Krieg“ - nur dass der Kreml sich eben nicht sofort dazu bekannt hat, dass die Waffen der Separatisten und die „Grünen Männchen“ auf der Krim von ihm sind.
  2. Die die Formulierung „entwickelte sich“ ist maximal verschleiernd, weil sie den wesentlichen Akteur verschweigt. Der Krieg hat sich 2022 nicht „entwickelt“, sondern Russland hat mit seinen massiven Angriffen den Krieg von der Krim und dem Donbas auf sämtliche Regionen der Ukraine ausgeweitet.
  3. Russland wird also doppelt „entnannt“ aka verschwiegen: Erstens als Akteur im Krieg vor 2022 und zweitens als Akteur im Krieg ab 2022. Wobei korrekter als „Akteur“ natürlich „Angreifer“ wäre, aber nicht mal in dieser neutrale Formulierung findet Dağdelen Russland offenbar erwähnenswert.
  4. Während Russland also nicht mal als Akteur vorkommt, werden „die NATO“ und „die USA“ klar als Handelnde benannt…
  5. Das Wort „konfrontieren“ steht im Aktiv, wird also ausschließlich den genannten Akteuren NATO und USA zugeschrieben.
  6. Russland kommt in dem Satz ausschließlich eine passive Rolle zu. Es ist das Land, das von NATO und USA „konfrontiert wird“ - ohne selbst etwas getan zu haben.

Ergo: Dağdelen weigert sich, den Angreifer Russland beim Namen zu nennen, ja Russland überhaupt nur als Akteur zu nennen, schreibt aber NATO und USA zu, Russland „konfrontiert“ zu haben. Das ist das Einzige womit die sie abstrakte „Entwicklung“ des angeblichen „Bürgerkriegs“ zu einem „internationalen Krieg“ konkret beschreibt.
Ich gebe zu, dass meine vorherige Interpretation etwas überspitzt war: Dağdelen beschreibt den Angriff Russlands nicht als „Aktion“ von NATO und USA, sondern schreibt diesen beiden alleinig eine Konfrontation zu. Aber an der Aussage ändert das im Kern nichts: Die beiden sind Schuld und Russland nicht (weil es ja gar nicht vorkommt).

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Wenn es quakt wie eine Ente und watschelt wie eine Ente… Wollen wir wirklich diskutieren, ob eine von Wagenknechts Putin-Puppen nun genau wörtlich ihren Herren und Meister in Moskau zitiert oder nur sinngemäß? Die Realität: Russland weitet 2022 seinen illegitimen und illegalen genozidalen Überfall von 2014 auf die gesamte Ukraine aus. Dagdelen „der Bürgerkrieg entwickelte sich…“ und die einzigen, die in dieser Lüge aktiv handelnde Akteure sind, sind die USA und die NATO. Jeder kann wissen, was mit so einer Beschreibung gemeint und beabsichtigt ist. Wenn man es wissen will.

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Bei sowas frage ich mich immer. Wieso tut das BSW das? Also ist es ihre Überzeugung, gehts nur um Macht, weil man damit eine Wählergruppe anspricht oder gibts darüber hinaus noch Interessen? Ich unterstelle mal den Punkt mit der Wählergruppe, auch, wenn ich es als sehr hohes Opfer ansehe derart zu lügen, nur um Macht zu bekommen.

Ich kann das nur für Wagenknecht und Dagdelen einschätzen. Erstere hat die Welt schon immer mit Stalins Augen betrachtet und das auch konsequent durch alle ihre einschlägigen öffentlichen Auftritte hinterlegt, letztere kommt leider aus meiner Heimatstadt. Deren komplett einseitig anti-westliche Weltsicht kenne ich daher auch schon eine Weile, die hatte sie auch schon lange vor Russlands Überfall.

Was mich bei den historischen Bezügen (Maidan, NATO Osterweiterung, etc) immer etwas stört, ist wenn diese dann quasi als Rechtfertigung für den russischen Angriff auf die Ukraine herhalten müssen. Also das Russland ja in die Ukraine schrittweise seit 2014 einmarschieren musste, um seine berechtigten Sicherheitsinteressen zu wahren.
Wäre Russland jetzt beispielsweise in Syrien einmarschiert, um seine Sicherheitsinteressen im Mittelmeerraum zu wahren, wie würden wir darauf reagieren?

Die Nazis haben sich ja auch auf den ersten Weltkrieg und dessen Folgen bezogen, um den Zweiten Weltkrieg zu begründen. Machte es deswegen ja noch richtiger.

Und mal fiktiv: hätte die Ukraine keine Ambitionen Richtung NATO gezeigt, hätte eine demokratische und EU-orientierte Ukraine nicht schon russische Sicherheitsinteressen verletzt?
Ist die NATO-Mitgliedschaft der baltischen Staaten oder der ehemaligen Warschauer Pakt Staaten eine Verletzung russischer Sicherheitsinteressen?

Daher die strategische Frage: wer definiert, welche Sicherheitsinteressen Russlands berechtigt sind oder nicht?

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Meine laienhafte Einschätzung dazu: Diese Aussagen dürften einfach weitgehend der politischen Weltsicht und Wahrnehmung dieser Personen entsprechen. Ob ihnen bewusst ist, dass sie Kreml-Propaganda 1:1 wiederkäuen, mag je nach Person unterschiedlich sein. Bei Wagenknecht würde ich das strategische Moment sehr viel höher ansetzen als bei Dağdelen, wo es mir zum Teil eher reflexhaft erscheint. Das ist aber letztlich auch egal, die Wirkung ist dieselbe.

Der Witz ist ja nur, dass sie wirtschaftspolitisch inzwischen bei Ludwig Erhard gelandet ist, sehr schön nachgezeichnet in einem dreiteiligen Podcast hier, hier und hier.

Historische Bezüge bzw. das Framing, die selektive Darstellung und Mythisierung bestimmter historischer Ereignisse (und natürlich das Weglassen oder Bagatellisieren anderer) dienen allgemein dazu, politische Interessen abzusichern und zu legitimieren, das ist erst mal kein Spezifikum der Politik Russlands. Nur ist hier der Kontrast zwischen dem, wie etwa Putin & Dağdelen die Geschichte darstellen und der hier vorherrschenden Deutung derselben Ereignisse eklatant.

Das Wort „Sicherheitsinteressen“ ist ja an sich schon ein politischer. Interessen sind ja nichts Objektives, sondern etwas Subjektives, Partikulares. Und Interessen müssen meistens a) artikuliert und b) legitimiert werden, damit sie c) durchgesetzt werden können. Und genau dazu dient Russland der Verweis auf die „Sicherheit“. „Wir haben Angst vor der NATO“ kommt nun mal besser an - etwa bei antiimperialistischen Linken wie Dağdelen - als zu sagen „Wir wollen das alte Zarenreich wieder und alle Länder, die dazugehörten“ (wobei ja der Witz ist, dass Putin auch das offen sagt, aber den Teil plappert Dağdelen halt nicht nach). Sprich: Das Wort „Sicherheitsinteressen“ dient dazu, aus den illegitimen Machtsprüchen eines imperialistischen Staates etwas Legitimes zu machen, auf das andere Staaten dann Rücksicht nehmen können, ja müssen.
Daher ist es schon grundsätzlich abzulehnen, sich mit „russischen Sicherheitsinteressen“ zu beschäftigten, wenn nicht gleichzeitig die Sicherheitsinteressen aller Staaten um Russland herum sowie im ehemaligigen sowjetischen bzw. russischen Einflussbereich gleichwertig mitberücksichtigt werden.

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