LdN 386 - Analyse der Ergebnisse der Europawahl

Möglicherweise wurde es hier schon gepostet, aber ich fand dieses Essay von Antje Lang-Lendorff recht aufschlussreich: Gründe für Erfolge bei der EU-Wahl: Kehrseite der Einigkeit - taz.de

Auch nochmal im Hinblick auf die LdN388 und die von euch zitierten Studien zum Thema. Abseits der realen (oder gefühlten) Abstiegsangst finde ich das angedeutete Feld der Hyperkrise interessant.

Wie groß die Entfremdung ist, hat auch die Europawahl gezeigt: Für Union, SPD, Grüne, FDP und Linkspartei stimmten bundesweit nur knapp 64 Prozent.
Zehn Jahre zuvor waren es noch 84 Prozent. Die AfD profitiert von dieser Schwäche, ebenso das Bündnis Sahra Wagenknecht – und bei den jungen Wäh­le­r*in­nen die Partei Volt. Die Erklärungsversuche, warum sich so viele Menschen vom politischen Betrieb abwenden, wirken häufig hilflos.

Also wieso hier die EU-ablehnenden Parteien AfD und BSW ausgerechnet zusammen mit der explizit pro-europäischen Partei Volt unter „vom politischen Betrieb abwenden“ und „Entfremdung [und] Misstrauen gegenüber Parteien und Medien“ subsumiert werden, erschließt sich mir nicht.

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Die wenigsten, die Volt gewählt haben, wussten wirklich, wofür sie stehen und haben Volt die Stimme gegeben, weil sie sie den Grünen nicht geben wollten.

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Aber davon abgesehen, selbst wenn dem so wäre, wäre die Protestwahl von Volt trotzdem noch eine andere Kategorie als die Wahl von AfD oder BSW.
Die in der aktuellen Lage (388) genannten Gründe zur AfD-Wahl (Populismus, Nativismus, Abstiegsangst) lassen sich teilweise auch auf BSW übertragen, nicht aber auf Volt.

Die Wahl von AfD und BSW basiert meiner Meinung nach einfach auf fundamental anderen Gründen, Weltbildern, etc als die Wahl von Volt, weshalb ich die Zusammenfassung unter dem Aufhänger Entfremdung von Politik für unterkomplex und einfach falsch halte.

Den Rest des Artikels halte ich trotzdem gar nicht für schlecht, da ist dann aber auch nicht mehr die Rede von Volt :joy:

Würde ich doch arg bezweifeln.

Die meisten Menschen in meinem Bekanntenkreis, die Volt gewählt haben, taten es, weil der Wahl-o-Mat ihnen gezeigt hat, dass Volt recht ähnliche Positionen vertritt, wie die Grünen (und auch bisher in der gleichen Fraktion im EU-Parlament war) - und das möglicherweise die letzte Europawahl ist, bei der man effektiv eine Kleinpartei wählen kann, ohne dafür seine Stimme wegwerfen zu müssen (da ab 2029 wohl eine Hürde kommen wird…).

Den meisten Leuten in meiner Bubble ging es wie mir, sie mussten wählen, ob sie Volt oder die GRÜNEN wählen, weil diese beiden Parteien inhaltlich nur marginale Unterschiede aufweisen. So gesehen hat Volt in jedem Fall den GRÜNEN einige Stimmen gekostet, aber im Hinblick auf die Zusammensetzung des EU-Parlaments dürfte das wegen der Zugehörigkeit zur gleichen Fraktion wie gesagt relativ egal sein.

Die Darstellung, dass das Wählen von Volt eine „Protestwahl“ wäre, halte ich jedenfalls für falsch. Wie ich auch schon in anderen Threads sagte war es für mich gerade ein Grund, die GRÜNEN statt Volt zu wählen, weil ich gerade nicht wollte, dass die GRÜNEN „abgestraft“ werden, der Grund Volt zu wählen war hingegen wenn überhaupt eher Protest gegen die angestrebte Hürdenregelung als gegen die GRÜNEN, eben weil Volt und GRÜNE inhaltlich so ähnlich sind. Aber eben auch die Inhalte.

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Es geht gar nicht darum, Volt, BSW oder AFD gleich zu setzen. Bei mir waren die Freien Wähler auch recht weit oben, mir käme aber nie in den Sinn, sie zu wählen.
Auch wenn eine Partei beim Wahl-O-Mat weit oben steht, sagt das erst mal wenig aus, da eine Partei natürlich so antworten kann, wie sie glaubt im Strom der Mehrheit mitzuschwimmen. Mich haben sehr viele Leute in meinem Bekanntenkreis angesprochen, was ich über Volt weiß und ob ich ihnen sagen kann, wofür sie stehen.
Das zeigte mir, dass sie eine Wahl erwogen, aber keine Lust hatten, sich dafür selbst mit deren Programmatik auseinanderzusetzen.

Das beschreibt auch die Wahrnehmung aus meinem Umfeld. Die größte Hürde aus Sicht von Volt war dennoch, ob eine Stimme für eine Kleinstpartei überhaupt sinnvoll ist.

Das würde ich nicht ganz so generalisieren wollen. Meiner Wahrnehmung nach waren Stimmen für Volt kein Protest gegen eine Beteiligungshürde, sondern tatsächlich aktiv gegen die Grünen. Frei nach dem Motto: „Wir würden euch gern wählen, aber ihr seid uns nicht mehr progressiv genug.“
Davon abgesehen waren wohl einige dankbar für die Alternative, da eine Stimme für die Grünen meist auch bedeutet, deren ganzen „Altlasten“ (Bspw. der Hang zu Esoterik/Homöopathie, oder prinzipielle Ablehnung von Gentechnik) mitabzusegnen.

Das sind tatsächlich legitime Punkte die für Volt und gegen die Grünen sprechen. Also alles andere als Protestwählen, sondern rein inhaltliches wählen. Ehrlich gesagt: Auch Volt statt die GRÜNEN zu wählen, weil die Grünen „nicht progressiv genug seien“, ist doch kein Protestwählen, sondern ein inhaltliches wählen.

Ich glaube, an diesem Punkt müssen wir wirklich mal diskutieren, was wir mit „Protestwählen“ überhaupt meinen. Protestwählen heißt für mich, dass Menschen entweder eine radikale, systemfeindliche oder eine dadaistische Partei wählen, weil sie sich vom etablierten Parteienspektrum nicht vertreten fühlen. Und das trifft auf Volt nicht zu.

Wie man an diesem Thread über den Euro-Party-Check sehen kann, waren die Ergebnisse beim Wahl-o-Mat bei allen Parteien außer den Freien Wählern bei mir sehr nachvollziehbar.

Das bestätigt sowohl deine Beobachtung bezüglich der „Freien Wähler“ (also dass der Wahl-o-Mat, was die FW betrifft, sehr problematisch ist, weil die FW hier scheinbar Antworten gegeben haben, die nicht ihrem politischen Profil entsprechen), aber es bestätigt auch, dass Volt und GRÜNE nicht nur im Hinblick ihrer Antworten im Wahl-o-Mat nahe beisammen liegen, sondern auch im Hinblick auf ihre Einordnung durch Experten.

Das zeigt eben vor allem, dass
a) Volt eine neue Partei ist, die nicht darauf bauen kann, dass jeder sofort zumindest grob weiß, worum es ihr geht
und
b) Dass es ein großes Interesse an der Partei in deinem Bekanntenkreis gab.

Beides spricht weder gegen Volt, noch dafür, dass Volt als „Protestpartei“ gewählt wurde.

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Ja, ich würde es auch nicht unbedingt Protestwahl nennen.
Es war halt die bewusste Entscheidung gegen Grün für eine Partei die programmatisch ähnlich aufgestellt ist, aber in vielen Bereichen noch unbelastet, wo die Grünen in letzter Zeit viele Federn lassen mussten. Auch sind viele von der Regierung und der Figur der Grünen darin unzufrieden (ich auch).
Meine Intention für den Post war auch eigentlich, dass nur, weil Volt zusammen mit BSW und AFD genannt wird, man nicht hineininterpretieren sollte, dass sie damit auch gleichgesetzt werden soll.

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Auch ein Effekt?

„Wir brauchen eine Debattenkultur, in der Menschen ihre Meinung und ihre Sorgen sagen können, ohne in Schubladen gesteckt zu werden“

Ob da die CDU die richtige Partei ist?
Nachtrag:
Aber ja, die grüne Regierung führt bei vielen zu Enttäuschungen. Die einen sehen gerade die Hoffnung auf Umweltschutz weg schwimmen, die anderen sind geschockt, dass mit grün wählen das Thema nicht abgeräumt wurde und nach vier Jahren ohne Einschränkungen im persönlichen Leben und kostenneutral überall Windräder und Photovoltaik steht und die Bahn neue und pünktliche Züge hat.

Ich behaupte jetzt mal ganz platt, dass sie sich Ihren Platz im Parlament sichern wollte. Es wird wohl ziemlich sicher wesentlich mehr Parlamentarier der Union als der Grünen im nächsten wesentlich kleineren Bundestag geben. Sie will schlicht Ihre Pfründe sichern und Merz zieht da natürlich mit, weil es für seine Partei die beste Werbung ist, wenn sogar Grüne sein Grundsatzprogramm besser finden.

Und von ihr ist es wie ich finde heftiger Betrug am Wähler, denn sie wurde über die grüne Landesliste gewählt. Das scheint mir eine richtig unschöne Rechtslücke. Die wird wohl kaum das Mandat abgeben, weil Posten vor Anstand. Richtig übel das Ganze.

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Vielleicht ist es auch eine allgemeine Enttäuschung. Gerade als WählerIn der Grünen gibt es einen hohen, selbst gesetzten Moralanspruch. Da kommt es nicht gut, wenn bspw. Anna-Lena Bärbock wieder dem Nachflugverbot von Frankfurt nach Luxemburg Kurzstrecke jettet. Manchmal sind es Kleinigkeiten die im großen Puzzle ein Ganzes ergeben.

Auch mit der Landesliste werden Personen gewählt, keine Parteisprachrohre oder -marionetten, und für diese gilt „nur ihrem Gewissen unterworfen“ (Art. 38 GG) genauso wie für direkt gewählte Abgeordnete.

Mit der Zweitstimme wird konkret die Liste gewählt, nicht abstrakt die Partei.

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Als ob es keinen Fraktionszwang gäbe :wink:
Die Diskussion gibt es bei jedem Austritt und eine Niederlegung des Mandats wäre konsequent, kommt aber natürlich so gut wie nie vor. Und ja, das nenne ich auch Egoismus - vielleicht ändere ich aber meine Meinung, wenn ich eines Tages feststelle, dass die Leute in meinem Umfeld die Listen ihrer Lieblingsparteien runterbeten können - und ich bei der Bundestagswahl auch Leute von der Liste streichen darf.

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Wollen wir wirklich immer noch so tun, als ob das nicht der am meisten gebrochene Artikel des Grundgesetzes wäre? Abgeordnete sind größtenteils Parteimarionetten, weil die Partei über die Listenplatzierung extreme Macht über sie hat.
Die Mandate an die Partei statt die Person zu binden wäre nur ehrlich und würde die real existierenden Machtverhältnisse widerspiegeln.

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Klar gibt es den, und das ist auch gut für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments. Am Gewissensgrundsatz ändert er zudem nichts, denn er kann ja kein Abgeordnetenhandeln verhindern; wenn überhaupt ist er ein Prüfmaßstab, wie ernst man es mit der Gewissensentscheidung wirklich nimmt.

Ja, und sie ist jedes Mal Unsinn. :slight_smile: Die Zweitstimme ist die Zustimmung zur Liste, mit ihr werden Personen gewählt. Die Aussage des Kreuzchens ist „ich will möglichst viele von genau diesen namentlich aufgeführten Leuten im Parlament haben“. Das verkürzte Framing „man wählt eine Partei“ hat eine gewisse Nützlichkeit um den Unterschied zur Erststimme näherzubringen ohne gleich eine ganze Unterrichtsstunde abzuhalten, verleitet aber leider auch zu solchen sachlich unfundierten Aufregern. (Letztendlich richtet diese Unschärfe womöglich mehr Schaden an als dass sie nützt.)

Das würde ich nur mitgehen, wenn ich meine Stimme explizit einer Person der Liste geben könnte. So gebe ich sie der Partei, die ihre Leute entsprechend gelistet reinschickt.

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Auf dem Stimmzettel steht sogar extra „hier 1 Stimme für die Wahl einer Landesliste“. :wink:

Die Partei schickt entsprechend des Wahlergebnisses die ermittelte Anzahl der vorbestimmten(!) Personen ins Parlament. Diese Liste wird lange vor der Wahl von einer Mitglieder- oder Delegiertenversammlung aufgestellt und die ersten paar Namen stehen auf dem Stimmzettel. Die Partei kann niemanden davon austauschen und wenn die Liste zu kurz ist bleiben Stühle leer. Mit deinem Kreuzchen vertraust du auch der Partei, dass sie diese personelle Besetzung vernünftig hinbekommen hat, aber du wählst die Personen die draufstehen.

Was du meinst gibt es auch, nennt sich Kumulieren und Panaschieren und wird in vielen Bundesländern auf kommunaler Ebene praktiziert.

Du kannst das gerne so argumentieren, aber diese Ansicht gehe ich nicht mit. Und viele andere auch nicht.
Ich wähle eine Parteiliste, mit der mir die Partei mitteilt, welche Personen ihre politische Einstellung, ihr Wahlprogramm und meine Wählerstimme vertreten werden.