LdN 350 - Arbeitskräftemangel - eine Frage der Motivation?

Hallo,

von einem „Arbeitskräftemangel“ zu sprechen, der Geringqualifizierte einschließt, halte ich für falsch. Mehr als die Hälfte der Arbeitslosen sind Geringqualifizierte. Das waren 2022 etwa 1,3 Millionen Menschen, aktuell dürften es noch einige mehr sein. Das übersteigt die Zahl der offenen Stellen für Geringqualifizierten bei Weitem, rein rechnerisch ist die Fachkräftelücke null. (Quelle „Fachkräftemangel trotz Arbeitslosigkeit – kein Widerspruch“: Fachkräftemangel trotz Arbeitslosigkeit – kein Widerspruch - Institut der deutschen Wirtschaft (IW))

Dass dennoch Stellen für Geringqualifizierte unbesetzt bleiben, dürfte somit an mangelnder Motivation bzw. Anstrengung auf beiden Seiten liegen, d.h. Arbeitgeber sind nicht attraktiv genug und Arbeitslose zu wenig motiviert. Dafür gibt es viele Gründe und Lösungen. Die Zahl der Geringqualifizierten zu erhöhen, ist aus volkswirtschaftlicher Sicht aber sicher keine Lösung. Wenn die Erwerbsquote bei Geringqualifizierten so niedrig bleibt wie sie ist, ist das im Durchschnitt und unter dem Strich mehr Bürde als Beitrag für die Nation. Bei der Erwerbsmigration sollte also bitte unbedingt auf Fachkräfte abgestellt werden und nicht auf Geringqualfizierte!

Eine Zuwanderung aus humanitären Gründen bleibt von dieser Argumentation unberührt. Es gilt jedoch zu Bedenken, dass Geflüchtete den Personalbedarf zunächst erhöhen und somit den Fachkräftemangel zumindest kurz- und mittelfristig verstärken. Auch Jahre nach der Einreise sind die Erwerbsquoten und der Fachkraft-Anteil deutlich unter dem Durchschnitt von Deutschen und anderen Ausländergruppen. Dafür habe ich leider spontan keine Quelle zur Hand, da gibt es aber bestimmt etwas von Herbert Brücker vom IAB.

Weiterhin sollten Geringqualifizierte selbstverständlich als Fachkräftepotenzial verstanden werden - unabhängig von der Herkunft. Allerdings erfordert dies mehr Anstrengungen auf beiden Seiten des Arbeitsmarktes und bessere Anreize in den Sozialsystemen. In manchen Berufen ist diese Strategie vielversprechender als in anderen, bspw. bei Köch:innen oder Lagerarbeiter:innen. Näheres dazu in der Studie „Helfer:innen als Potenzial zur Fachkräftesicherung“: https://www.kofa.de/media/Publikationen/Studien/Helfer_als_Potenzial_zur_Fachkraeftesicherung.pdf.

Viele Grüße

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Mal angenommen, dass das stimmt (obwohl es sich des Bildes des faulen Hartzers bedient):

Dieses Problem würde natürlich dadurch gelöst werden, dass man Aufenthaltserlaubnisse an das bestehen eines Arbeitsvertrags knüpft. Mal davon abgesehen, dass die Motivation arbeiten gehen zu bei Immigranten eh höher sein dürfte.

Die Frage die man sich dann aber stellen sollte: wollen wir unser Problem der Unattraktiven Geringverdiener-Arbeitsplätze dadurch lösen, dass wir mehr Menschen haben, die keine Wahl haben als diesen Job anzunehmen?

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Die Faktoren „Faire Bezahlung“, verfügbare berufliche Bildung, und die Sicherheit des Arbeitsplatzes besonders für Geringqualifizierte sollten auch berücksichtigt werden.
Zudem ist Motivation nur bei einem Teil der Arbeitslosen oder Geringqualifizierten ein Problem, auch gesundheitliche oder persönliche Hemmnisse sind nicht einfach mit Motivation wegzudiskutieren.
Aber bei der Motivation dann auch die Frage: Wie motivieren wir Menschen dazu, bestimmte Tätigkeiten anzunehmen?

Ein großes Problem ist die räumliche Nähe. Es bringt nichts, wenn eine offene Stelle am Hamburger Flughafen ausgeschrieben ist, der Arbeitssuchende aber in NRW auf dem Land wohnt.

Das Problem kann man sehr gut an den Karten offene Stellen und Arbeitslosigkeit sehen.

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Mal davon abgesehen das ein Großteil der Jobs eine staatlich subventionierte, billige Arbeitskraft für den Arbeitsplatzgeber darstellt. Ich bezahle dir so wenig wie ich gerade darf, maximiere meinen Gewinn und der Staat unterstützt mich dabei, in dem es die Person dazu zwingt diesen Job auszuführen und zum Beispiel mit Wohngeld bezuschusst. Hier wird also eigentlich indirekt der Unternehmer mit Transferleiatungen unterstützt der es oft anhand seiner Gewinnmarge nicht nötig hat.

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Das ist aber im Grunde der Leitgedanke unseres Wirtschaftssystems. Maximaler Gewinn bei minimalem Einsatz.
Wir haben zwar noch einen üppigen sozialen Ansatz dabei, der allerdings immer wieder in der Diskussion steht. (Motivation, Eigenverantwortung,…)

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Wieso gehst du davon aus, dass die arbeitslosen Menschen Personen mit Migrationshintergund und Arbeitserlaubnis sind und nicht Personen mit deutschem Pass und/ oder Migranten, die nicht arbeiten dürfen, weil sie gar keine Arbeitserlaubnis haben?

Ich habe zwei Personen in meinem Bekanntenkreis, die für das Arbeitsamt arbeiten. Nach deren Aussage, ist fehlende Motivation oft nicht das Problem. Viele Menschen sind nicht vermittelbar, weil sie körperliche Probleme oder psychische Krankheiten haben oder, und das tut weh das in einem Atemzug zu nennen, alleinerziehend sind. Aber selbst wenn man davon ausgehen würde, dass diese Personen nicht ins Gewicht fallen, wurde über die anderen Gründe im Forum und Podcast schon gesprochen. In der Zeit gab es folgenden Artikel dazu

https://www.zeit.de/2022/32/arbeitslosigkeit-arbeit-arbeitsmarkt-deutschland

Zitat:
" Das eigentliche Problem ist der Mismatch
Selbst wenn es ähnlich viele Arbeitslose und ausgeschriebene Stellen gibt, muss das noch lange nicht zusammenpassen. Arbeitsmarktforscher sprechen vom sogenannten Mismatch: Er tritt ein, wenn es etwa in Hamburg zu viele Tischler gibt, sie aber in Gelsenkirchen gesucht werden. Oder wenn ein Arbeitsuchender alleinerziehend ist und deshalb nicht die Stelle im Schichtdienst annehmen kann. Oder wenn ausgebildete Pflegekräfte fehlen, im Jobcenter aber nur Maschinenbauerinnen, Reinigungskräfte oder Bäcker vorstellig werden.

Einfacher sei es deswegen bisweilen, ungelernte Hilfskräfte zu vermitteln, schreibt die Bundesagentur für Arbeit: „Sucht ein Arbeitgeber einen Lichtbogenschweißer, kann der passende Schweißerschein beispielsweise in wenigen Tagen oder Wochen absolviert werden.“

Wenn man den letzten Absatz nimmt, was wäre dann die Lösung? Die alleinerziehende schnell zur Lichtbogenschweißerin umzuschulen? Dem Tischler sagen, er muss in ein anderes Bundesland ziehen oder den Bäcker zwingen sich zur Pflegekraft umschulen zu lassen? Kann man theoretisch machen, aber ob man da die gewünschte Motivation bekommt, wage ich zu bezweifeln. Ja, man kann die Jobs für die keine Qualifikation gebraucht wird Geflüchteten geben, damit die hier erstmal arbeiten und Geld verdienen können, dafür muss man ihnen dann aber auch erstmal eine Arbeitserlaubnis geben und zumindest einen Grundkurs in Deutsch organisieren. Aber dann muss man auch im Kopf behalten, dass das auch dazuführen kann, dass man die Leute ausnutzt. Stichwort moderne Sklaverei wie bei Tönnies.

Um zu wissen, wieviele Arbeitslose es tatsächlich gibt die vermittelbar und unmotiviert sind, müsste man vermutlich aus den 1,3 Mio. eine ganze Menge Personen rausrechnen. Mich würde interessieren, wieviele da am Ende tatsächlich übrig bleiben.

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Du hast mich wohl grundlegend falsch verstanden. Mein Kommentar bezog sich vor allem hierauf, was ich allerdings nicht mit zitiert hatte (shame on me):

Das schafft auch Probleme, z.B. dass es für erwerbstätige Ausländer riskant wird den Arbeitgeber zu wechseln, weil eine Suchzeit oder Probezeitkündigung zur Ausreisepflicht führen können. Es ist vielversprechender in einer Potenzialbetrachtung gut ausgebildete Menschen ins Land zu holen, denn diese haben in aller Regel auch ohne Zwang eine hohe Arbeitsmotivation.

Ja, genau, umschulen und umziehen sollte zumutbar sein. Wenn jemand dafür zu bequem ist, macht er/sie das auf Kosten der Allgemeinheit. Was man dabei jedoch in den Blick nehmen muss, ist die gesamte Familie. Denn man kann nur umziehen oder umschulen, wenn das für alle Familienmitglieder funktioniert, etwa weil man auch während der Umschulung über die Runden kommt (neu und toll: ALG I + 150€ Umschulungsbonus) oder man in der neuen Stadt auch eine Wohnung und Kita findet. Zu letzterem muss man sagen, dass es kein Grundrecht ist, in einer hippen Stadt zu wohnen und auf dem Land tendenziell mehr Jobs zu haben sind. Also warum nicht auch mal in die Vorstadt oder aufs Land ziehen. Soweit ich weiß kann nur Geflüchteten der Aufenthalt (zunächst) vorgeschrieben werden, alle anderen können sich frei bewegen. Einige Arbeitsämter zahlen sogar eine Umzugskostenbeihilfe.

Bottom line: Es sollte nicht darum gehen, Menschen zur Arbeit zu drangsalieren, sondern ernsthafte Hemmnisse abzubauen, und dann aber auch eine Eigenverantwortung zu erwarten, die schon eine gewisse Zumutung enthalten darf. Bedenke: Der Staat sind wir alle, nichts ist umsonst. Jede Bequemlichkeit geht auf Kosten der anderen.

Ich bezweifle, dass die meisten bequem sind.

Es wäre schön, dass mal an einem konkreten Beispiel diskutieren zu können, als so allgemein. Allgemein würde ich sagen, dass es nicht grundsätzlich angemessen ist, jemanden für einen Job quer durch die Republik zu jagen, denn wir müssen uns vor Augen führen, über welche Jobs wir hier sprechen: häufig nicht gut bezahlt, häufig befristet und ich weiß garnicht, ob ich der Richtige dafür bin. Wenn ich umziehen muss, muss ich erstmal eine Wohnung finden, was auch außerhalb hipper Innenstädte nicht immer leicht und häufig teurer als vorher ist. Ich werde aus meinem gewohnten sozialen Umfeld genommen. Alles Hürden. Mag sein, dass das manchmal angemessen ist, ich würde aber nicht jeden, der dazu nicht bereit ist, als unmotiviert abstempeln.

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Man darf jetzt sicher nicht anfangen, den Menschen völlig auf den Faktor Produktionsmittel zu reduzieren und alle sozialen Komponenten als irrelevant zu betrachten.

Vor allem Geringqualifizierten kann mal wohl kaum zumuten, für knapp um den Mindestlohn hochmobil oder hochflexibel zu sein. Das kann ich von der hochqualifizierten und sehr gut bezahlten Fachkraft verlangen.

Mobilität und Flexibilität müssten eigentlich entsprechend hoch vergütet werden. Leider sieht es gerade im Bereich der geringqualifizierten Leiharbeit genau anders aus.

Gerade wollte ich den Arbeitgebern vorschlagen in den „nicht hippen“ Städten ohne Arbeitnehmer doch an eine Leiharbeitsfirma zu wenden.
So ganz billig wäre das in dem Fall nämlich nicht.
Verpflegungspauschale (Anfahrt Sonntag Abend, Rückfahrt Freitag Abend macht allein schon 112€), gestellte Wohnung, Erstattung der Fahrtkosten mindestens per Kilometerpauschale für jeden gefahrenen Kilometer, bei mehr als 1 Stunde Fahrt einfach wäre sicher auch ein Zuschlag drin.
Und der Leiharbeiter hätte gute Chancen auf eine eventuelle Übernahme, wenn er das möchte.

So funktioniert das leider nicht. Ich kenne nicht einen Leiharbeiter (mit eher geringer Qualifizierung), der ein Übernahmeangebot bekommen hat oder beim Gehalt einen entsprechenden Aufschlag wegen seiner tollen Flexibilität.

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Warum unterscheiden wir bei der Arbeitserlaubnis nicht zwischen Ausbildung und Arbeit. Es ist doch nicht nachhaltig die unqualifizierten Zuwanderer in den Niedriglohnsektor zu vermitteln. Viele haben sicherlich auch mehr Potential. Wenn wir primär Ausbildungserlaubnisse und dann erst Arbeitserlaubnisse geben würden, würde auch der negative Anreiz des höheren Einkommens bei Arbeitlohn gegenüber Ausbildungsentgelt wegfallen. Ein fließend deutsch sprechender junger syrischer Taxifahrer erklärte mir kürzlich, er könne sich eine Ausbildung finanziell schlicht nicht leisten. Selbst wenn die Menschen später das Land verlassen müssten wäre eine Ausbildung immer noch gut investiert; quasi als Entwicklungshilfe.

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Ergänzend zum Thema Ausbildung und Qualifizierungen. Ich habe gerade beruflich viel zu tun mit einem beruflichen Bildungswerk. Das sind Institutionen (es gibt 18) die in Deutschland Ausbildung, Qualifizierungen und Umschulungen (Dauer 1-2 Jahre) im Auftrag von Jobcentern und Rentenversicherungen anbieten. Regelhaft werden dafür in jedem Bundesland auch mehrere hundert Internatsplätze für „nicht Pendler“ vorgehalten.
Schaut man sich die Teilnehmer an, so sind Menschen mit nicht deutschem Namen die absolute Ausnahme. Hinterfragt man das, so gibt es 2 Argumente. 1. Sind viele Menschen mit Zuwanderungsbiographie nicht formal Zugangsberechtigt. Sie haben weder eine Ausbildung, die sie nicht mehr ausüben können, noch haben sie länger im Land gearbeitet. 2. Haben sie auch wenig Interesse, weil das Auskommen in der Zeit schon eine Herausforderung ist und keine Tilgung von Schulden und keine Unterstützung von Verwandten ermöglicht. Das ist insgesamt eine völlige Fehlkonstruktion. Pull- und Pushfaktoren sind ideologische Kampfbegriffe. Aber natürlich haben die Menschen Hoffnungen, die sie zu uns Bringen. Es ist unsere politische Aufgabe diese Hoffnungen mit unseren gesellschaftlichen Erwartungen in Übereinstimmung zu bringen.

Random thought:
Warum nicht unser Ausbildungssystem verwenden und die Azubis und Azubinen vernünftig bezahlen, im Sinne einer Vollzeitstelle.
Vorteil für AG: ich finde Leute, weil Menschen sich das auf einmal leisten können.
Nachteil für AG: teurer als fertigen Menschen einstellen
Vorteil AN: Neustart in andere Branche ist auf einmal realistisch, weil der lohnverlust geringer ist.

Man kann aus volkswirtschaftlicher Sicht ja sogar überlegen das zu subventionieren, denn am Ende hab ich entweder Leute , die glücklich sind, weil sie was Neues machen (=weniger Krankheitstage) oder Leute die überhaupt arbeiten. Und als Gesellschaft zeige ich Aufstiegschancen auf.

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Vernünftig bezahlen klingt toll, aber wofür eigentlich?

In meiner ersten Ausbildung als Radio und Fernsehtechniker, war es so, dass der Betrieb ausschließlich volljährig mit Führerschein eingestellt hat.

Schlicht weil damit Fernseher holen und liefern gemacht werden konnte, die einzigste sinnvolle Aufgabe die Geld bringt. Denn um die Teile reparieren zu können muss man ja schon ein paar Grundlagen haben.

Lehrlinge 1. Lehrjahr kosten ausschließlich Geld sofern man sie nicht mit Hilfstätigkeiten abspeist, bei denen sie nichts Berufsspezifisches lernen.

Beliebt war bei meiner 2. Ausbildung die Lehrlinge Batterien putzen lassen.

Nicht sehr lehrreich.

Wirklich Geld bringen für das ausbildende Unternehmen bringen erst Lehrlinge 3. Lehrjahr. Die bis dahin noch mehr zu bezahlen ist Kontraproduktiv für das Platzangebot.