LdN 345: Deutschland war schon immer eher Sterneküche als Fastfood

Hallo zusammen,

ich bin leider… schockiert über eine Aussage die im Podcast bezüglich des Stands der deutschen Wirtschaft getroffen wurde. In der Debatte um Lindner und Paus wurde einer Steuersenkung für Unternehmen eine Absage erteilt, unter anderem mit dem Argument, dass Deutschland noch nie auf Grund seiner günstigen Produktion Industrie hatte.

Erstens verkennt das, dass die Arbeitsproduktivität in Deutschland 2022 hinter dem Schnitt der Eurozone lag und sowohl Italien als auch Frankreich eine höhere hatte (Quelle: Eurostat https://ec.europa.eu/eurostat/databrowser/view/tesem160/default/table?lang=de). Wir sind also bei weitem kein super toller Standort, sondern einfach relativ teuer, für das was wir leisten.

Des weiteren ist es leider Realität, dass unsere Jugend nicht mehr die bestmögliche Ausbildung erfährt, und das Bildungsniveau leider immer weiter abnimmt (Quelle: WiWo Bildung in Deutschland: „Es ist verheerend“).
Rational betrachtet hält sich also auch dieser Status dass es hier viele gut Ausgebildete Fachkräfte gibt nicht mehr lange, wenn wir nicht genug gebildeten Nachwuchs (speziell in den MINT Fächern) ausbilden können, und danach sieht es im Moment leider stark aus.

Dazu kommt, dass wir uns in Deutschland ein unglaublich aufwändigen Verwaltungsapparat leisten, der Milliarden verschlingt und zudem abschreckend wirkt (Quelle: FAZ: Bürokratie kostet die Deutschen viel Geld: Aufwendige Regeln).

Dazu führen sehr strenge Regeln dazu, dass die Pharmaindustrie, die in den letzten Jahren führende Innovationen in Deutschland entwickelt hat, und eine der wenigen Industrien war, die die Automobilindustrie zumindest teilweise hätte ersetzen können, dem Standort Deutschland den Rücken kehrt, um ins weniger regulierte und forschungstechnich besser aufgestellte Großbritannien zu ziehen (Quelle: Handelsblatt Handelsblatt).

Es werden Erfolge vorgeschoben, wie z.B. das neue Intel-Werk. Hat mal jemand ausgerechnet, was wir da für einen Arbeitsplatz an Subventionen zahlen? Es ist einfach furchtbar anzusehen, zumal wir nach allem was ich bisher gehört haben, keine Deutsche Firma ein Vorkaufsrecht auf die Chips hat, die künftig in dem Werk produziert werden sollen. Ein strategischer Vorteil entsteht so kaum.

Die deutsche Wirtschaft mit Sterneküche zu Vergleichen ist aber vllt. doch nicht so schlecht: Ein Sterne Restaurant trägt sich in den seltensten Fällen selbst. Es braucht einen Mäzen oder ein „normales“ Restaurant, dass die Kosten deckt.

… (1 Satz gel. Mod.)

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Die doch recht vielen Hidden Champions, die sich im Mittelstand befinden und welche doch sehr erfolgreich sind, wiederlegt etwas deine Thesen. ABER:

(Aus)Bildung, Nachwuchs, Bürokratie und Digitalisierung sind in der Tat richtig schwere Behinderungsblöcke an den Füßen der Unternehmen.

Außerdem müssen sich die deutschen Konzerne, langsam mal wieder zusammenreißen.
Die komplette Automobil Industrie hat das E-Auto und vor allem die Batterie und Softwareentwicklung verschlafen. Das wird nachhaltig großen Schaden erzeugen.
Die Bau-, Chemie- und Pharmaindustrie hat vor allem ein Nachwuchsproblem. Das Energieproblem wird sich über Strompreise regeln lassen, aber das kaum noch ausreichend qualifizierter Nachwuchs zur Verfügung steht scheint auf mittlere Sicht die größte Herausforderung zu sein, wie der EVONIC Chef bei Hart aber Fair meinte.

Was ich halt auch noch als großes noch nicht identifiziertes Problem sehe ist die Betriebliche Aufgabe von Unternehmen, weil kein Nachfolger zur Verfügung steht. Das Unternehmen, wofür ich tätig bin hat in den letzten 5 Jahren 9 von 36 Zulieferen und Handwerkern verloren, weil der Eigentümer und Chef in den Ruhestand gegangen sind. Bei einer Konferenz im November 2022 war dieses Problem ebenfalls schon thematisiert worden. Lösungen sind keine in Sicht.

Wenn ich die beiden richtig verstanden habe, war das doch genau ihr Argument. Sie meinten Deutschland hat gerade Probleme aufgrund von Bildung und Bürokratie etc. und nicht dadurch, dass die Arbeit zu teuer ist. Aber Lindner will bei Digitalisierung kürzen und auch nicht mehr in Bildung investieren, stattdessen lieber in (ungerichtete) Steuersenkungen.

Wenn man dem Argument mit dem Fastfood entgegen halten wollen würde könnte man drauf hinweisen, dass Deutschland sich mit der Agenda 2010 den größten Niedriglohnsektor Europas geschaffen hatte und dadurch die anderen EU Länder unterboten hatte und sich somit zum „Exportweltmeister“ gemacht hat. Was darauf hindeutet, dass Deutschland vielleicht doch keine reine Sterneküche war.

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Selbst wenn das das Argument gewesen ist, ist es für mich nicht schlüssig:

Das Nachwuchsproblem wird sich nur über einen mittleren bis langfristigen Zeithorizont lösen lassen. Wir sind einfach nicht attraktiv genug um ein großes Einwanderungsland zu sein (und wenn jemand einwandert ist es ein echter Pain was man alles tun muss um hier bleiben zu dürfen, selbst wenn man einen guten Job hat).
Damit in dieser Zwischenzeit die Industrie in Deutschland gehalten werden kann, und die „Assets“ (in Form von ausgebildeten Leuten) dann für deutsche Unternehmen arbeiten können, müssen wir denen den Standort eben für diese Zeit schmackhaft machen. Und das geht sicher nicht mit hohen Steuern und viel Bürokratie. Es muss jetzt nicht so extrem sein wie im irischen Modell, aber gewisse Anleihen sollte man daraus ggf. entnehmen.

Das Problem sehe ich auch. Auch dafür wäre es ggf. eine Lösung die Steuern zu senken. Es ist im Moment einfach zu wenig attraktiv sich selbstständig zu machen, und das Risiko und die Verantwortung auf sich zu nehmen ein Unternehmen zu leiten.
Ich habe das Gefühl, es wird zu sehr auf große Konzerne Mercedes Benz, Bayer oder Thyssenkrupp geschaut, dort ist die Vorstandsbezahlung sehr üppig und die Dividenden hoch (ich gebe es zu, da fällt Thyssenkrupp etwas aus der Reihe), wenn man sich aber mal anschaut was ein Geschäftsführer einen kleinen GmbH im Maschinenbausektor verdienen (oftmals knapp sechsstellig) oder auch bei großen Mittelständlern (ca. 3 Mrd. Umsatz, Gehalt ±300.000 € und dazu noch sehr viel Verantwortung und viele Stunden), dann fragt man sich halt schon, warum man sich das antun sollte, wenn man auch für 35h ohne Verantwortung für ~60k entspannt arbeiten kann.

Kannst du das bitte für mich einmal aufdröseln?

Außer das mehr Geld beim Gründer hängen bleibt, kann es ja keine Auswirkungen haben.

Weil man es kann und man Lust dazu hat. Nicht jeder der für 35 Stunden entspannt arbeiten möchte, ist in der Lage ein Unternehmen zu führen. Jemand der ein Unternehmen führen möchte, dürfte schwerlich in der Lage sein, für 35 Stunden entspannt zu arbeiten.

Ok nochmal anders, so wie ich das Argument im Podcast verstanden habe, kann Deutschland nicht mit anderen Ländern durch billige Arbeitsbedingungen konkurrieren, da es immer günstigere Länder geben wird. Also muss Deutschland mit anderen Sachen Punkten, sowas wie guter Infrastruktur, guten Fachkräften und vielleicht einfacher Bürokratie.

Daraus könnte man jetzt schlussfolgern, dass es sinnvoll ist, in diese Sachen zu investieren (was Lindner aktuell vermutlich nicht mal ansatzweise in ausreichendem Maße macht) anstatt über Steuergeschenke in eine Konkurrenz zu gehen, die man eh verliert.

Letztlich ist das eine Debatte ähnlich wie mit dem Industriestrompreis. Soll man den Strompreis günstig halten, damit die Unternehmen über die nächste Zeit kommen, bis der Strompreis wieder günstiger wird oder soll man das Geld lieber nutzen, um Erneuerbare und die Netze auszubauen?

Das ganze basiert natürlich nur auf meiner Interpretation der Podcastfolge und ich will den beiden auch nichts in den Mund legen, was sie nicht gesagt haben, am Ende können nur die Beiden klarstellen, was sie wirklich meinten. Ich will hier auch gar nicht sagen, dass der eine oder andere recht hat. Ich will nur sagen, dass ich beide Seiten verstehen kann und beide Seiten pro und cons haben.

Worauf basiert Deine Einschätzung? Tatsächlich belegen deutsche Hersteller 2 der Top-3-Positionen bei den Elektrofahrzeugverkäufen in Deutschland ( Pkw-Neuzulassungen im Juli 2023: VW bei Elektroautos vorn ).

Das deutsche Hersteller auf dem deutschen Markt dominieren, war doch auch bei Verbrennern immer so, oder?
Ich dachte immer, die Auto-Hersteller machten hauptsächlich mit Exporten ihr Geld, weil hierzulande der Markt gesättigt wäre.

In Deutschland! Der Markt ist aber nicht der wirkliche Bringer.

Ich habe diesen Satz dreimal gelesen. Ich denke, Du meinst es, wie es im Podcast gesagt wurde: Deutschland hat(te) nicht deshalb (noch) so viel Industrie, weil bei in Deutschland die Arbeitskosten besonders günstig wären, sondern aufgrund anderer, wichtiger Standortfaktoren.

Ich glaube wichtig ist an dieser Stelle, dass es kein Entweder - oder ist. Zumindest nicht für die meisten betroffenen Industrien. Und das ist auch der entscheidende Unterschied zum Vergleich Sterneküche vs. Fastfood. Bei letzterem findet nämlich selten eine ökonomische Abwägung statt. Sprich - selten steigt jemand vom Fastfood auf die Sterneküche um, weil diese etwas billiger geworden ist. Solche Situationen gibt es in der Industrie sicher auch, aber in ganz vielen Situationen (m.E. den meisten) kann man z.B. ein Problem mit vielen billigen oder wenigen teuren Ingenieuren lösen. Vermutlich kennen das sehr viele aus der beruflichen Praxis, wo man ja tagtäglich sieht, wie Standorte mit unterschiedlichen Konzepten miteinander konkurrieren. Sprich: auch hoch qualifizierte Arbeitskräfte werden irgendwann zu teuer.

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Richtig. Es bleibt mehr Geld übrig. Das kann entweder verwendet werden um sich besser für das Risiko zu kompensieren oder eben um schneller zu wachsen und den Firmenwert zu erhöhen. Das wäre schonmal ein erster, wichtiger Schritt.
Klar gibt es noch andere Probleme (Mitarbeiterbeteiligungen an Frühphasigen Startups sind z.B. im Moment eine Katastrophe).

Und doch. Die Leute gehen dann halt 35h arbeiten und sind exzellent in ihrem Hobby und holen sich dort was sie brauchen.

Es ist ja aber kein on-off Schalter. Im Prinzip schaut man sich die Produktivität pro eingesetztem Euro an (und bezieht natürlich noch Faktoren wie die Nähe zum Markt mit ein), und schaut, wo man den besten Deal bekommt.
Man kann also an zwei Hebeln arbeiten: Günstiger oder Produktivität hoch. Wir haben immer am Produktivitätsende gearbeitet, die Kosten sukzessive immer weiter erhöht. Meiner Meinung nach wäre es Zeit mal an der Kostenseite zu arbeiten.