Euer Interview mit Ronen Steinke war wie immer hervorragend. Er und sein Anliegen sind mir auch aus anderen Interviewformaten bereits bekannt. Das Anliegen unterstütze ich natürlich zu 100 %, frage mich aber, ob die von euch vorgeschlagenen Verbesserungsideen angesichts angespannter Personallage an Gerichten realisierbar sind. Deshalb habe ich darüber nachgedacht, wie bereits jetzt in der aktuellen Situation (ohne Gesetzesänderungen) eine Verbesserung erreicht werden könnte.
Aus meiner eigenen beruflichen sechsjährigen Tätigkeit als Rechtspflegerin (überwiegend am Amtsgericht in Betreuungs-und Vormundschatssachen) weiß ich, wie ernst Anhörungspflichten genommen werden. (Rechtspfleger haben ein juristisches Fachstudium an einer FH absoviert und treffen ihre anfechtbaren Entscheidungen wie der Richter sachlich unabhängig) Ich selbst bin regelmäßig zur Anhörung von Betroffenen gefahren. Das heißt: Man spricht vor der Entscheidung mit dem/r Betroffenen (Bei mir oft Genehmigungen von Hausverkäufen)
Was ich mich frage, ist, warum hier der Schwachpunkt im Strafbefehlsverfahren liegt. Die Antwort, die ich für mich gefunden habe, ist diese: Es wird davon ausgegangen, dass keine Einschränkungen vorliegen, weil sich in den Akten kein Hinweis darauf befindet. In Betreuungsakten gibt es natürlich immer Hinweise auf die physische und/oder psychische Verfassung des/r zu Betreuenden. Sie ist schließlich der Grund für das Betreuungsverfahren. Deshalb ist es an dieser Stelle so eindeutig, dass es der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung bedarf (außer in sehr engen Ausnahmefällen). So ein Hinweis fehlt im vereinfachten Strafverfahren ganz offensichtlich. Ein Hinweis, der das Bild, das sich Staatsanwalt, Amtsanwalt (= Rechtspfleger mit Zusatzausbildung) oder Richter von dem/r Angeklagten machen, vervollständigt.
Wer könnte diesen Hinweis geben? Wer hat vor Ort mit dem/r Betroffenen Kontakt? Wer nimmt die Strafanzeige auf? Die herbeigerufene Polizei? Der Angestellte des Verkehrsbetriebes/des Bahnhofs? Kontrolleure?
Was verwenden sie für die Anzeige? Sicherlich einen Vordruck, ein Formular.
Lösungsvorschlag: In solchen Vordrucken/Formularen sollte ein Absatz zur Verfassung des/r Angezeigten aufgenommen werden. Gibt es Anzeichen von psychischen Problemen? Verständnis-und/oder Sprachprobleme? Und Ähnliches. Die Personen, die mit den Betroffenen vor Ort Kontakt haben, dürften in vielen Fällen ziemlich schnell erkennen können, ob ein Mensch orientiert oder verwirrt ist, in Panik oder anderes.
Sobald ein Vermerk dazu in den Akten der Staatsanwaltschaft auftaucht, ist für diese doch dann klar, dass im Zweifel vor Gericht ein persönlicher Termin anberaumt werden muss. Oder noch besser: Dass die Sache von Amts wegen eventuell parallel an andere Institutionen weitergeleitet wird, damit sich bei Bedarf jemand kümmern kann (Sozialarbeiter, Betreuer…). Aber leider sind wir an dieser Stelle dann wieder bei den eingeschränkten Ressourcen (Personalmangel, Geldmangel)…