Ldn 330 - Pflichtverteidigung ist kein Privileg!

Teile Eurer Ausführungen zur Klassenjustiz haben mich diese Woche doch sehr erstaunt. Im Gespräch habt ihr bewusst oder unbewusst den Eindruck erweckt, es sei für einen Angeklagten ein Privileg, einen notwendigen Verteidiger beigeordnet zu erhalten. Nicht erwähntet ihr dabei aber, dass ein notwendiger Verteidiger grundsätzlich nicht von der Staatskasse bezahlt wird, sondern der Angeklagte seine Kosten im Falle der Verurteilung stets selbst zu tragen hat. Die zwingende Beiordnung eines Verteidigers für jeden Angeklagten wäre also zwar ein Fest für Rechtsanwälte, für viele Angeklagte aber ein finanzielles Desaster! Denn jeder Angeklagte hätte neben den (meist geringen) Gerichtskosten im Fall seiner Verurteilung oder auch der Verfahrenseinstellung nach den §§ 153 ff. StPO (und mit diesen Möglichkeiten enden 95% aller Hauptverhandlungen) zusätzlich immer noch die regelmäßig im vierstelligen Bereich liegenden Gebühren seines Pflichtverteidigers zu tragen, den er vielleicht weder wollte noch benötigte!

Ganz schräg geriet meiner Meinung nach dann Euer Vergleich zur Prozesskostenhilfe. Neben der Bedürftigkeit ist deren Bewilligung doch insbesondere davon abhängig, dass die beabsichtigte Rechtsverteidigung auch hinreichende Aussicht auf Erfolg (mindestens 50%ige Erfolgswahrscheinlichkeit) bietet! Wenn die Rechtsverteidigung eines Angeklagten aber nach Aktenlage hinreichende Erfolgsaussicht hätte, gäbe es doch weder eine Anklage noch eine Eröffnung des Hauptverfahrens. Voraussetzung für beides ist bekanntlich ja der hinreichende Tatverdacht (also die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung), der rein denklogisch schon eine gleichzeitige hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung des Angeklagten ausschließt.

Ich vermute, beides ist Euch im Eifer des Interviews irgendwie einfach durchgerutscht und vertraue bei den Themen, bei denen ich kein Experte bin, gern weiterhin auf Eure gewissenhafte Recherche.

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Es hört sich erst mal sehr sozial an, dass man eine:n Pflichtverteidiger:in gestellt bekommt. Kommt es aber zu einer Verurteilung, bekommt der/die Verurteilte auch die ganzen Gerichtskosten aufgebrummt, also auch die Kosten für die Verteidigung. Dann wird vielleicht noch ein zusätzlicher Gutachter beauftragt, dass viel kostet und wenig Zielführendes beisteuern kann. Die Empfehlung, in Berufung/Revision zu gehen, kann die Kosten nochmal enorm in die Höhe treiben, sodass viele Inhaftierte hoffnungslos überschuldet sind. Wenn die Haftdauer nicht für eine Privatinsolvenz reicht, geht man nicht nur vorbestraft, sondern auch noch mit riesigen Schulden aus dem Gefängnis. Die Gefahr eines Teufelskreises von Kriminalität, Schulden und Haft ist immens.

Hinzu kommt, dass nicht alle Anwält:innen ihrem Auftrag gerecht werden. Ich weiß von einem Fall, wo ein Anwalt die Pflichtverteidigung übernommen hat, obwohl er das überhaupt nicht als sein Fachgebiet auf der eigenen Webseite angegeben hat. Andere achten weniger darauf, was sinnvoll für den Angeklagten ist, sondern womit sie möglichst wenig Arbeit haben und/oder möglichst viel Gebühren erheben können.

Ich weiß, dass es viele gute und engagierte Anwält:innen gibt, aber über die anderen könnte ich Geschichten aufschreiben, dass alle Haare grau werden.

Noch ein anderes Kostenthema: Inhaftierte können gegen Entscheidungen innerhalb der JVA rechtliche Prüfung beantragen - den so genannten §109. Wenn sie nicht recht bekommen, müssen sie auch hier die Kosten tragen. Oft hat man erst in zweiter Instanz Erfolg, aber oft wird dann das Risiko gescheut, weil es die Kosten noch weiter in die Höhe treibt. Darum haben wohlhabendere Inhaftierte mehr Chancen, ihre Rechte auch im Gefängnis durchzusetzen oder Lockerungen zu bekommen.