LdN 330 - Lösungsansatz für Briefe in Behörden-/Justizsprache

Hallo,
In der aktuellen Lage wurde ja mehrmals das Problem diskutiert, dass die Briefe von der Justiz, z.B. der Strafbefehl, für die Allgemeinbevölkerung schwer verständlich sind.
Ich selbst bin Student und muss Briefe von Jobcenter und co. zum Teil auch mehrmals lesen, bis ich sie verstanden habe.
Deshalb wollte ich hier mal eine Lösungsidee zur Diskussion stellen, die mir vor einiger Zeit gekommen ist. Der Bund, viele Länder und auch einige Städte stellen inzwischen auf Websites Informationen zu politischen Themen in „Leichter Sprache“ zur Verfügung. (siehe Deutscher Bundestag - Infos über den Bundestag in Leichter Sprache)
Diese ermöglicht es auch Menschen mit kognitiver Einschränkung, diese Informationen selbst zu lesen.
Man könnte doch den Briefen in Bürokratendeutsch immer einen Zettel mit den wichtigsten Informationen in Leichter Sprache beilegen. Auf dem kann man ja auch vermerken, dass er nicht rechtswirksam ist und den Sachverhalt vereinfacht darstellt.
Wenn das zu viel Aufwand wäre könnte man das ja wenigstens bei Briefen umsetzen, die gravierende Auswirkungen auf das Leben von Menschen haben (z.B. wenn du den Brief nicht liest, musst du ins Gefängnis/bekommst du kein Geld/…)
Würde mich freuen, eure Gedanken dazu zu hören :slight_smile:

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Das ist in meinen Augen der falsche Ansatz, wenn schon eine Fassung in leichter Sprache erstellt wird muss diese rechtsgültig sein und kann somit auch gleich das in Behördendeutsch verfasste Dokument ersetzen.

Alternativ könnte man auch alle Behördenbriefe in ChatGPT werfen und darum bitten, diese verständlicher zu formulieren.

Nein, das funktioniert nicht.
Das typische Beamten- bzw. Juristendeutsch ist nicht zum Selbstzweck so komplex und schwer verständlich, sondern weil damit die rechtliche Situation klar und eindeutig bezeichnet werden muss.

Eine Vereinfachung kann das nicht. Es gehen bei einer Vereinfachung immer Detailinformationen verloren, diese Detailinformationen mögen für das Verständnis des Empfängers (im Rahmen dessen Rechtsverständnis’) nicht relevant sein, wären aber hoch-relevant bei einer juristischen Auseinandersetzung.

Auch hier würden Informationen verloren gehen. ChatGPT würde den Inhalt schlicht auf der Detailebene verfälschen.

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Meine Einschätzung liegt in der Mitte:

  • zwei Fassungen halte ich auch für ungeschickt - was gilt denn, wenn die sich im Detail unterscheiden?
  • aber man kann auch juristische Texte durchaus präzise und trotzdem lesbar schreiben! Ich habe mir da sowohl am Landgericht Berlin als auch in Karlsruhe immer viel Mühe gegeben, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es auch dem eigenen Verständnis hilft, wenn man klar formuliert. Ich denke, ich habe auch juristisch bessere Texte geschrieben, weil ich wollte, dass man sie gut lesen kann. Sicher, ohne Fachbegriffe geht es nicht. Aber Passivkonstruktionen und Nominalstil lassen sich fast immer vermeiden.
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Das finde ich unterstützenswert! Es ist keineswegs immer so, dass mit verständlicher Sprache „wichtige Informationen“ verlorengehen. Vieles ist auch Denkblockaden geschuldet.
Statt zweier Texte kann man auch erst einmal deutlich formulieren, worum es geht und komplexe und schwierige Passagen an das Ende stellen.
Als Richter habe ich mich auch immer bemüht, deutlich und verständlich zu fomulieren. Das ist durchaus rechtssicher möglich.

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Ich denke, in dem Punkt sind wir uns alle einig:

Wo immer behördliche Sprache vereinfacht werden kann, ohne dass der Inhalt darunter leidet, sollte dies auch geschehen. Es gibt in der Tat noch zu viele Standard-Textblöcke, die von Behörden seit Jahrzehnten benutzt werden (und deshalb als „bewährt“ gelten), die aber deutlich besser formuliert werden könnten.

Ich wollte daher nicht sagen, dass es grundsätzlich unmöglich sei, die Sprache auf Einfachheit hin zu optimieren, ich wollte lediglich darauf aufmerksam machen, dass eine „Übersetzung“ in „leicht verständliche Sprache“ oder gar durch ChatGPT in der Regel dazu führt, dass Informationen verloren gehen, weshalb eine solche Übersetzung keine Rechtskraft haben kann und auch nicht sollte, denn es gibt nur zwei Fälle:

  1. Man kann es einfacher formulieren, ohne, dass etwas verloren geht. Dann braucht es keine Übersetzung, sondern an Stelle der unnötig komplexen kann die einfache Fassung treten.

  2. Man kann es nicht einfacher formulieren, ohne, dass etwas verloren geht. Dann kann die Übersetzung selbstverständlich keine Rechtskraft beanspruchen, weil sonst der gewünschte rechtliche Effekt Schaden nehmen würde.

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Ich weiß von einem früheren Kollegen, der als Linguist mal ein Jugendamt dabei unterstützt hat, seine Briefe so zu formulieren, dass das Klientel sie auch verstehen kann. Bei der Analyse kam heraus, dass viele Mitarbeiter:innen sich oft hinter den schon genannten Textbausteinen verstecken a) aus Angst etwas juristisch falsch zu formulieren, was sie dann ausbaden müssen und b) aus dem Unvermögen oder der fehlenden Zeit, selbst passende Formulierungen zu finden. Im Endeffekt war das aber bei 70% aller Briefe gar kein Problem, weil es um relativ einfache Sachverhalte geht. Die Frage scheint mir eher zu sein, ob es den Behörden überhaupt wichtig ist, dass ihre Briefe verstanden werden (damit meine ich jetzt eher die Leitungsebenen, als die einzelnen Sachbearbeietr:innen).

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Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt, auf den ich auch mit dem „sich bewährt hat“ anspielte.

Durch das Weiternutzen alt-hergebrachter Formeln kann man aus Sicht der Behörde nichts falsch machen. Bei jeder Änderung muss man sich aber fragen: „Ändere ich damit etwas an dem rechtlichen Gehalt?“. Und hier gilt für Behörden das gleiche wie für Unternehmen und viele Privatpersonen: Im Zweifel wird der sicherste, einfachste Weg beschritten.

Deshalb sind Änderungen hier nur sehr langsam und schwer durchsetzbar. Auch, weil vielen Nutzern dieser Standard-Behördendeutsch-Formulierungen auf den Ämtern selbst die juristische Kompetenz fehlt, einzuschätzen, ob eine einfache Formulierung den rechtlichen Gehalt abändern würde.

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Ich glaube es ist keine Frage der Kompetenz, sondern der Struktur und der Priorisierung.

Meiner Erfahrung nach werden bestimmte Textblöcke, wie bspw. Rechtsbehelfe vom Justiziariat vorgeben. Wenn ich als normaler Sachbearbeiter hinsetze und das ändere, trage ich im Zweifel auch die Verantwortung, warum sollte ich das auf mich nehmen?

Neben der Tatsache das ich sowas ja im Zweifel auch durchsetzen muss bei meinen Vorgesetzten, den direkten Kolleginnen und Kollegen und dem Justiziariat. Da muss ich wirklich sagen, dafür haben die meisten glaube ich einfach keine Zeit.

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