LdN 327 Wahlrecht / Plädoyer für die Personenstimme

Es wurde im Podcast nur angedeutet, dass die „Erststimme“ (sollte der Name nicht schon wegfallen, also besser „Personenstimme“) die Reihenfolge der Mandatsträger sehr wohl bestimmen kann, indem beim Wähler beliebte Kandidaten, die aber vom Wahlausschuss nach ganz hintzen auf der Liste gesetzt wurden, nach oben rücken können. Ich habe aber keine Ahnung wie das genau im jetztigen Wahlrecht von statten geht. Kommen alle die Kandidatinnen nach der Anzahl der Stimmen in den Bundestag oder nach dem Prozentsatz in ihren Wahlkreisen? Im ersteren Fall wären die Kanddatinnen aus großen Wahlkreisen bevorzugt, im letzteren diejenigen aus den kleineren Wahlkreisen - und in beiden Fällen braucht man keine Landesliste mehr. Oder kommen nur die mit relativer Mehrheit gewählten Kandidatinnen nach Anzahl oder Anteil der Stimmen rein und wenn dann noch welche übrig bleiben, geht es nach der Liste?
Fair wäre das auch nicht - dann käme nämlich ein
e Kandidatin mit sagen wir mal 25% im Wahlkreis in den Bundestag, weil es dort etwa 7 gleich beliebte Kandidatinnen gibt, eine Kandidatin mit 40% fiele aber raus, weil die Gegenpartei 45% in diesem Wahlkreis hat.
Eine gute Lösung fällt mir momentan nicht ein, aber in jedem Fall ist es wichtig, dass die Abgeordneten nicht nur durch Parteiklüngel in den Bundestag kommen. Insofern ist jede der Formen besser, als eine reine Verhältniswahl.
Und dann stellt sich doch wieder die Frage der Grundmandatsklausel. Die sollte aber nur für ein/zwei oder drei Mandate mit absoluter Mehrheit gelten, und auch nur so weit, wie die Parteistimmen reichen, damit eine Partei ganz ohne Parteistimmen eben auch nicht in den Bundestag zieht.

Hallo in die Runde,
ich finde es schade, dass wir überhaupt so ein „kompliziertes“ Wahlrecht haben. Mein Traum von einem möglichst demokratischen Parlament mit genau 598 sitzen wäre einfach, dass in jedem Wahlkreis die ersten beiden Kandidaten in den Bundestag einziehen. In meinem Wahlkreis ist nämlich z.B: bei der letzten Wahl der CSU Kandidat mit nur 27% der stimmen eingezogen, der Grüne mit 26,9% nicht. Unser Wahlkreisabgeordneter ist somit nur mit circa 1/4 der abgegebenen Stimmen legitimiert. Würden die ersten beiden einziehen, wären über 50% der Stimmen im Bundestag vertreten, zwar in verschiedenen Fraktionen aber das macht ja nichts. Das fände ich wirklich demokratisch und gerecht. Bei anderen Wahlkreise wo es nicht so knapp ist könnte es ja durchaus sein, dass ein Kandidat mit 40% und der zweite mit 30% einzieht - somit über 2/3 Stimmvertretung im Bundestag. Aber leider sind wir nicht bei „Wünsch Dir was“…

„Personenstimme“ wäre missverständlich, denn darunter versteht man weithin das Prinzip, dass man auf der Liste beliebige Personen ankreuzen kann, wie es bspw. bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen und Hamburg und bei Kommunalwahlen in mehreren süddeutschen Bundesländern der Fall ist.

Das wäre auch eine viel sinnvollere Art der Personalisierung des Wahlrechts. Aber die Parteien wollen das nicht, weil es ihnen ein Stück weit die Kontrolle darüber nimmt, welche ihrer Kandidaten gewählt oder auch abgewählt werden können. Da sind sich im Übrigen alle größeren Parteien im Grunde einig.

Nein, das wäre überhaupt nicht „demokratisch und gerecht“, weil in jedem Wahlkreis dann nach deinen Beispielen 30% bis 50% der Stimmen gar nicht zählen würden. Kleinere Parteien hätten Schwierigkeiten überhaupt in den Bundestag zu kommen und wären, wenn überhaupt, massiv unterrepräsentiert. Die CDU/CSU könnte sich dagegen wohl in die guten, alten Zeiten zurückversetzt fühlen, als sie noch weit über 40% der Mandate auf sich vereinen konnte – allerdings indem sie auch über 40% der Stimmen bekamen, und nicht bloß 30%.

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Es ist nicht „der Wahlausschuss“, der Kandidaten hinten auf die Liste „setzt“, sondern die Listen werden platzweise auf Parteitagen auf Kreisebene durch Wahl besetzt. Also auf einem Kreisparteitag der Partei XY stellen sich Parteimitglieder für Listenplatz 1 zur Wahl, dann wird gewählt, dann stellen sich Mitglieder für Listenplatz 2 zur Wahl, es wird gewählt, dann stellen sich Mitglieder für Listenplatz 3 zur Wahl usw.; diese Prozedur passiert einige Zeit vor dem Wahltag.

Nein, so stimmt das auch nicht. Abgesehen davon, dass außer bei Kommunalwahlen die Listen nicht auf Kreis-, sondern auf Landesebene aufgestellt werden, ist das Verfahren wie von dir beschrieben zwar möglich, wird aber i.d.R. nur von neuen, recht unerfolgreichen basisdemokratischen Parteien so praktiziert, oder allenfalls noch von traditionell heillos zerstrittenen Parteien wie der AfD.

Das übliche Prozedere in den relevanten Parteien ist hingegen, dass entweder der Vorstand oder eine von ihm benannte Kommission einen Listenvorschlag erarbeitet. Dabei ist viel diplomatisches Geschick vonnöten, damit alle Regionen, Flügel, Interessengruppen, Geschlechter, Alterskohorten usw. so angemessen vertreten sind, dass niemand unzufrieden genug ist um zu rebellieren. Wenn dann auf der Aufstellungsversammlung keine Kampfkandidaturen eingereicht werden, kann die Liste durchaus in einem Wahlgang gewählt werden. Einzige Bedingung: Die Liste darf nicht insgesamt als Block nur mit ‚ja‘ oder ‚nein‘ wählbar sein, aber eine Liste Namen mit ‚ja‘/‚nein‘ in jeder Zeile ist möglich. Und so passiert das dann in den allermeisten Fällen auch und die Liste wird so gewählt wie vorgeschlagen. Und damit nicht ständig irgendwelche rebellischen Selbstüberschätzer doch noch mit aussichtslosen Kampfkandidaturen den Betrieb aufhalten, haben nur die in den Kreisen gewählten Delegierten auf der Versammlung Vorschlagsrecht.

Mit den Direktkandidaten läuft das genauso. Es gibt eine Delegiertenversammlung auf Wahlkreisebene. Der Kreisvorstand bzw. die beteiligten Vorstände einigen sich auf einen Kandidaten, und in den meisten Fällen gibt es keine Gegenkandidaten. Der wird dann von den Delegierten bestätigt, und wenn der Wahlkreis ein „sicherer“ ist, der immer von derselben Partei gewonnen wird, dann sitzt dieser Kandidat praktisch schon im Bundestag und man könnte sich die Erststimmenwahl gleich schenken.

Insofern ähnelt das Prozedere schon eher dem, was @Jiriki beschreibt, nur dass der Begriff „Wahlausschuss“ falsch war. Dass ein „bei den Wählern beliebter Kandidat“ von weit hinten auf der Liste dadurch nach vorne rückt, dürfte aber auch eher die Ausnahme sein, denn dieser müsste ja nicht nur im Landesverband aus unerfindlichen Gründen unbeliebt sein, sondern gleichzeitig in seinem Wahlkreis bei den Parteikollegen beliebt genug um als einziger Direktkandidat aufgestellt zu werden. (Wobei es da durchaus prominente Beispiele in der Vergangenheit gab, z.B. Hans-Christian Ströbele, Marco Bülow, Karl Lauterbach,…)

Da hast du recht; ich hatte die Wahlkreiskandidaten im Sinn und daher fälschlich auch bei der Liste von der Kreisebene gesprochen.

Das kenne ich als Mitgliederversammlung, mit der entsprechend unvorhersehbaren Teilnehmergruppe. An meinem Wohnort brauchte bei der letzten Wahl die CDU einen neuen Kandidaten für den Bundestag, und es gab eine Kampfkandidatur unter fünf (oder mehr?) Personen.

Liebe(r) OrgelNerd,
wie otzenpunk, wäre das leider nicht gerecht. Es wäre ein etwas abgeschwächtes Mehrheitswahlrecht, mit allen Vor-, aber hauptsächlich Nachteilen, wie es in Großbritannien und den USA praktiziert wird. Mit den zweiten Kandidaten ist es nicht ganz so schief, aber in Wahlkreisen, in denen der erste Kandidat 90% und der zweite 5% würde der auch mit der gleichen Stimme in den Bundestag einziehen, aber bei bei Euch der dritte Kandidat mit vielleicht 20% nicht. Und die kleineren Parteien wären auch ganz außen vor.