LdN 327 - Streichung der Grundmandatsklausel und keiner will's gewesen sein

Liebes Lage-Team,

vielen Dank für eure detaillierte Analyse zur Streichung der Grundmandatsklausel, für die am Ende niemand verantwortlich sein will. Ich möchte mich dem Thema von der anderen Seite nähern. Das mag etwas technisch sein, wirft aber vielleicht noch ein neues Licht auf die Situation.

Wer hat die Grundmandatsklausel abgeschafft? Schauen wir doch mal nach (das ist gar nicht so einfach, ich hoffe, das ist die richtige Abstimmung):

(Die zunächst erwähnte Drucksache 20/5370 enthält diese noch, in 20/6015 ist dann der Wegfall der Klausel zu finden.)

Dort stehen Namen. Auch unter Beachtung von Dingen wie der Fraktionsdisziplin muss ich als Wähler davon ausgehen, dass alle Abgeordneten, die hier mit „ja“ gestimmt haben, die Abschaffung genau so wollten.

Da bleibt mir dann nur zu sagen: Fast die gesamte SPD, Grünen und FDP wollten die Abschaffung der Grundmandatsklausel.

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Neben dem Politischen zur Streichung der Grundmandatsklausel-alt (wer? / wie? / warum? / wann?), finde ich, gibt es schon auch einen deutlichen rechtlichen Unterschied zwischen der Grundmandatsklausel-alt und der Bedeutung einer beibehaltenen Grundmandatsklausel unter dem neuen Wahlrecht. Der fehlte meiner Meinung nach bei Eurem Beitrag, daher hier kurz ergänzt und zur Diskussion gestellt:

Nach dem alten / bisherigen Wahlrecht, wären die über die Erststimme direktgewählten Kandidaten drin, egal was die Zweitstimme sagt, also auch bei dort unter 5%. Dann kann man gut sagen, wenn ohnehin schon drei Kandidaten einer Partei dabei sind, dann lasst die anderen noch rein (eine - weitere - Zersplitterung des Parlaments ist nicht zu befürchten).

Nach dem neuen / zukünftigen Wahlrecht, wären die über die Erststimme direktgewählten Kandidanten bei einem Zweitstimmenergebnis ihrer Partei von unter 5% zunächst gerade nicht drin, weil es wegen der 5%-Hürde an einer Zweitstimmendeckung fehlt. Damit würde die Grundmandantsklausel (GMK) nicht nur für die Listenkandidanten, sondern für die Direktkandidaten über ihren Einzug bestimmen (führt also zu weiterer Zersplitterung). Das ist ein gravierender Unterschied!

Natürlich hätte man die GMK wegen der besonderen regionalen Verankerung als Ausnahme von der 5%-Klausel beibehalten können. Allerdings dürfte es dann meiner Meinung nach mehr als 3 gewonnene Wahlkreise (von 299) bedürfen, um von einer ähnlichen Relevanz einer politischen Strömung wie bei bundesweit 5% der Zweitstimmen auszugehen.

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Die gänzliche Abschaffung der Grundmandatsklausel halte ich wie viele andere auch für einen Fehler.

Gleichzeitig Frage ich mich, was denn gegen eine Anhebung gesprochen hätte?

Statt bislang 3 Direktmandate, was ich für relativ wenig halte. Auf beispielsweise 5 Mandate.

Statt als denkbare Alternative mit 5-Prozent-Hürden in einzelnen Bundesländer das Wahlrecht noch zusätzlich kompliziert zu machen

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Hallo,
zur Frage, warum die Koalition angeblich nicht mit der Opposition verhandelt hat, empfehle ich das Interview des FAZ-Podcasts Einspruch mit Herrn Bundestagsvizepräsidenten Kubicki. Da erhält man dann eine gewisse Ahnung, warum das genau so gemacht wurde.
Gruß, Norbert

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Damit würde die Linke bei der nächsten Bundestagswahl wohl nicht von dieser Klausel profitieren und müsste die 5% erreichen. Gleichzeitig ist die CSU sicher im Bundestag.
Das Argument, dass ungeliebte Parteien ausgeschlossen werden, wäre also noch stärker. Dazu schließt man ausgerechnet die Partei aus, die der aktuellen Regierung am nächsten steht.
Das wäre wirklich das Schlechteste aus beiden Welten.

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Man könnte spekulieren, die CDU ist ganz froh, dass die Ampel die CSU in eine weniger mächtige Position zwingt, bis hin zur Fusion…

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Herr Bundestagsvizepräsident Kubicki ist ein unsäglicher Zeitgenosse der seiner eigenen Partei schadet (was beim aktuellen Zustand und Besetzung der FDP aber tatsächlich zu begrüßen ist). Was sind die grundsätzlichen Aussagen, die vermeintlich die Beweggründe der Koalition erklären?

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Nun, die Linke würde ich zurzeit niemanden wirklich nahe stehend bezeichnen.

Dass die Union ihrer Arbeit als Opposition nachgeht, kann man ihr ja nicht übel nehmen. Klar, über den Stil lässt sich teilweise streiten… aber ist alles noch im Rahmen.

Ja, bei 5 statt 3 Wahlkreisen wäre nur die Linke betroffen, nicht die CSU. Macht eben für mich doch ein Unterschied, ob eine Partei mit 45 Direktmandaten nicht in den Bundestag einzieht oder eine Partei mit nur einer halben Hand voll.

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Ich gehe auch davon aus, dass vielen der Argumente, die gegen die neue Regelung ohne GMK vorgebracht werden, durch eine Senkung der 5%-Hürde begegnet werden kann. Die ist nämlich das eigentliche „Problem“.

Zur Taktik der Streichung: die CDU ist so in einer stärkeren Stellung gegenüber der CSU.

Wenn eine Regierung das Wahlrecht zu sehr nach den eigenen Vorteilen formt, besteht die Gefahr, dass das dann jede Regierung danach genauso macht, bis es keine Änderung der Regierung mehr gibt. Die Hemmungen einer CDU-Regierung, das Verhältniswahlrecht durch ein Mehrheitswahlrecht zu ersetzen, dürften durch jede Reform sinken. Das Güte aus Sicht der Freunde der Verhältniswahl: das wird kaum ein Koalitionspartner mitmachen, denn außerhalb einer grossen Koalition von zwei Parteien, die Aussicht auf Wahlkreiserfolge haben, würde ein Koalitionspartner immer gegen die eigene Existenz stimmen. Gleichwohl könnte auch die SPD in einer solchen Änderung Chancen sehen, wieder zur richtigen Volkspartei aufzusteigen.

Das wäre aus meiner Sicht sehr riskant, da ein Mehrheitswahlrecht meiner Meinung nach zu einer schlechten Politikkultur führt. Die Unionsparteien sind an vielen Stellen dabei, die US-Republikaner nachzuahmen (siehe Treffen von Merz und McConnell), holen sich also reichlich Inspiration dafür.

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Gründe?

Das spricht eben auch gegen GMK: eine sehr willkürliche, inkonsistente Zusatzregelung, die man, wie du zeigst, in alle Richtungen dehnen und drehen kann, die das Wahlrecht kompliziert macht und dem Erfordernis der Verständlichkeit für die Wählenden nicht entspricht.

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Ich habe das Interview gehört. Der Teil das Wahlrecht betreffend war von Herrn Kubicki sehr gut dargestellt. Trotzdem halte ich ihn für einen unguten Politiker mit Schadwirkung.

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Ich habe extra nicht erwähnt, ob ich Herrn Kubicki schätze oder nicht, denn das hat meiner Meinung nach nichts damit zu tun, was er erzählt hat.
Hoffentlich schaffen wir es, auch Menschen zuhören zu können, die wir nicht mögen. Das sollten wir in einer pluralistischen Gesellschaft aushalten.

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Ich finde die Streichung der GMK entgegen der Meinung vieler anderer sehr gut. Ich empfinde es nicht als gerecht, dass eine Partei wie die CSU, die auf Landesebene stark ist, durch so eine Klausel auch die Möglichkeit erhält, die Bundespolitik mitzubestimmen. Das führte bisher dazu, dass
die Interessen Bayerns auf Bundesebene extrem stark vertreten werden konnten. Einmal über den Bundesrat und noch, bei Regierungsverantwortung der CDU, über, entsprechende Ministerposten. Durch die Streichung wird die CSU das, was sie ist: Eine Landespartei. Und die Möglichkeit des stärkeren Zusammenschlusses mit der CDU gibt es ja. Nur weil das die Platzhirsche nicht wollen ist für mich kein Grund, das nicht durchzuziehen. Und auch bei den Linken ist es ähnlich. Diese Partei hat eine regionale Wählerschaft und muss nun düber eine Landesebene Einfluss auf die Politik nehmen. So ist es m.E. gerecht.
Hilfreich bzw. bedenkenswert ist es aus m.S. jedoch, die 5% Hürde abzusenken. Denn die 5% sind ja eher ein willkürlicher Wert. Bei 4% wäre dann mehr Vielfalt möglich.

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Hallo Forum!

Ich frage mich, warum die Grundmandatsklausel kurzfristig gestrichen wurde - dass es bei der Streichung massiven Gegenwind insbesondere von CSU und den Linken geben würde war ja absolut voraussehbar und technisch hätte die bestehende Grundmandatsklausel den ansonsten sehr guten Ansatz für das Wahlrecht nicht schlechter gemacht.

Welches Interesse können die Koalitionsparteien haben, die Grundmandatsklausel zu streichen?

  • SDP - stabil über 5%, absehbar nicht selbst von Grundmandatsklausel betroffen
  • Grüne - stabil über 5%, absehbar nicht selbst von Grundmandatsklausel betroffen
  • FDP - immer wieder durch 5% Hürde bedroht, hat selten bis nie ein Direktmandat

Fixe Idee: hat die FDP die Streichung der Grundmandatsklausel eingebracht um im Zuge der entstehenden Diskussion die 5% Hürde abzusenken oder sogar abzuräumen und dadurch stabil im Parlament zu bleiben?

Bin gespannt auf Eure Meinung.

VG
Andreas

Das könnte prinzipiell ein Motiv sein.
Aber die Argumentation von der Sache her finde ich überzeugender:
Wenn die Erststimmenmehrheit im Wahlkreis nicht mehr alleine ausreicht, das Mandat zu gewinnen, warum sollte sie reichen (in 3 Wahlkreisen), wenn die Partei des Kandidaten auch noch weniger als 5 % Zweitstimmen erreicht?

Ich würde hoffen, dass bei Entscheidungen zum Wahlrecht die sachlichen Argumente über parteipolitische überwiegen, bin mir aber nicht sicher. Auch wenn ich froh ich bin, dass jetzt nicht schon wieder die CSU eine Wahlrechtsreform blockieren kann, befürchte ich doch, dass in Zukunft auch bei uns das Wahlrecht immer wieder geändert wird, um parteipolitische Vorteile zu erzielen. Die USA sind da ein schlechtes Beispiel. Deshalb hätte ich es besser gefunden, beim Wahlrecht eine Einigung mit der Union zu erzielen.

Dazu gab es im Podcast einige Informationen. Die SPD profitiert direkt, da sie DIE LINKE los wird. Außerdem gab es die Vermutung, dass man dadurch auch die CDU mit ins Boot holt. Warum man die CSU nicht mitgedacht hat ist mir nicht klar. Ich vermute man wollte der CSU gegenüber nur die Muskeln spielen lassen oder hat einfach den medialen Wind unterschätzt.

Als der Entwurf verabschiedet wurde und die mediale Berichterstattung so katastophal ausfiel, war man dann überraschend schnell darin CDU/CSU Versöhnungsangebote (Absenkung der 5%-Hürde, Zusammenveranlagung der Stimmen) zu machen.