Folgende Überlegungen zur Wahlrechtsreform
• Die Grundmandatsklausel ist ein Fremdkörper in der Logik unseres Wahlsystems. Man könnte die verschiedensten Sonderregeln irgendwie zum an sich sehr verständlichen System dazu kleistern (z.B. in 7 Wahlkreisen über 26% usw.), die alle gleich unlogisch wären, aber vordergründig fair, weil sie für alle gleich gelten.
• Und so wie ihre unsauberes Konzept ist auch ihr Ursprung, nämlich das Machwerk der Vorgängerparteien der Union 1957 (wie @Eule schreibt), die sich dann absprechen konnten, um von der 5% Hürde gefährdete kleinere „Unions“-Parteien dann doch in den BT zu bringen. Nach der Vereinigung zur CDU brauchte man die GMK nicht mehr, nicht mal die CSU, die alleine stark genug war für lange Zeit.
• CDU/CSU brachten noch vor Kurzem selbst das Aus für die GMK ins Spiel. Dass sie damit die „Linke“ aus dem Parlament haben wollten, kann man unterstellen, man kann aber auch unterstellen, dass sie einfach ein stringenteres Wahlrecht haben wollten - bis die CSU ziemlich spät merkte, dass es sie dabei selbst erwischen könnte.
• Die CSU hat die freie Wahl zwischen Listenverbindung mit der CDU oder bundesweit antreten – oder im Bund evtl. scheitern. Oder will sich das ganze Land wieder einmal von einer 5%-Partei erpressen lassen? Tradition und Gewohnheitsrecht sollten nicht zählen in so wichtigen Dingen. Ich wundere mich über das Mitleid mit einer CSU, die gleiches Recht für Alle immer wieder missachtet.
• Wir brauchen keine Partei, die ihren Wesenskern in der „regionalen Verwurzelung“ hat. Im Bundestag wird Politik für das ganze Land gemacht, da haben egoistische regionale Wünsche nichts zu suchen, es sei denn, es gäbe eine Benachteiligung für eine Region zu beheben, aber das wäre vorrangige Aufgabe aller Abgeordneter, unabhängig von ihrer Herkunft.
• Dass die Reform nun so plötzlich ganz anders ausfällt, ist wieder sehr schlechte Kommunikation. Stimme in diesem Punkt @Cors voll zu. Das sagt aber nichts über die Güte der Reform selbst.
• Dass die SPD die „Linke“ nun loswerden will, ist wie oben bei Union eine Unterstellung. Eine gute Tat kann theoretisch schlechte Motive haben, aber sie bleibt eine gute Tat. Umgekehrt könnte es keine gute Tat geben, wenn sie auch schlechte Motive enthalten hätte können. Also der Vorwurf an die SPD ist mE nichtig.
• Die 5%-Hürde ist willkürlich. Jede andere Höhe wäre auch willkürlich. Sogar ohne %-Hürde gehen sehr viele Wählerstimmen „verloren“, wenn man das so nennen will. Es ginge nur dann keine Wählerstimme verloren, wenn das Parlament so viele Plätze hätte wie wählbare Kandidaten, die mindestens 1 Stimme bekämen. Also ist auch die Beschränkung der Parlamentssitze willkürlich, oder besser gesagt, ein praktischer Kompromiss für die Arbeitsfähigkeit.
• Nur ungültige Stimmzettel sind verlorene Wählerstimmen. Wer eine kleine Partei wählt, nimmt das Risiko, dass die Wahl wenig oder gar keine Wirkung hat. Wo ist das Problem? Man kann das vorher abschätzen. Die Grenze zwischen Wenig und Nichts ist doch fast egal, also würde ich die Begrenzung nach Handhabbarkeit festlegen, eher bei 5% wahrscheinlich.
• Die jetzigen Parlamentsparteien haben doch etwas für Jede. Ein exklusiverer Geschmack ist wie gesagt mit Unsicherheit verbunden.
• Eine neue Partei muss sich nicht über x Wahlperioden „hocharbeiten“. Wenn die Lage danach ist, kann sie sehr schnell gross werden. Man könnte sich eine progressivere Umweltschutz- und Gerechtigkeitspartei vorstellen, sobald der Klimawandel auch die Bräsigen erschreckt.
• Schluss: das neue Wahlrecht ist die erste Fassung seit Bestehen der BRD, die mit Wegfall der GMK und der Überhangmandate das Erfordernis der „Verständlichkeit für die Wählerinnen“ erfüllt. Alte Zöpfe sind dagegen schnell vergessen, auch bei den Konservativen. Das wird hoffentlich auch die Union einmal merken, auch wenn sie sich jetzt schon vornimmt, ggf. in Regierungsverantwortung das Rad zurückzudrehen.