LdN 327 Grundmandatsklausel abgeschafft - warum nicht?

Gebe ich dir vollkommen recht, zur Abschaffung der Grundmandatsklausel gab es keine Diskussion und die kam tatsächlich aus heiterem Himmel.

Es gibt in Bayern übrigens auch keine Grundmandatsklausel. Die ist dort irgendwann mal abgeschafft worden mit Stimmen der CSU.

Ich kann das politische Beben auch nachvollziehen. Ich gebe aber mal zu bedenken, das wenn man befürchtet, das die Linke oder die CSU hier einen auf Orban machen, dann ist es halt mit deren demokratischer Gesinnung auch nicht unbedingt weit her.

Die Linke wird bestimmt auch in der Lage sein ihre internen Probleme zu lösen und wieder eine vernünftige Forderungen zu stellen. Dann klappt es auch mit den 5%. Das die Linken so Schwierigkeiten haben ist nicht die Schuld der SPD.

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Es stimmt, dass es in Bayern keine Grundmandatsklausel gibt.
Dass diese aber von der CSU abgeschafft worden ist, stimmt hingegen nicht!

In Bayern musste eine Partei bis einschließlich 1970 in einem Wahlkreis mindestens zehn Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten, um in den Landtag einziehen zu können. Erst seit 1974 gilt eine landesweite Fünf-Prozent-Hürde, d. h., Wahlvorschläge bleiben unberücksichtigt, wenn auf sie nicht wenigstens fünf Prozent der im gesamten Wahlgebiet abgegebenen gültigen Stimmen entfallen sind.
Quelle: Wahlsystem der Landtagswahl 2018 in Bayern

Diese Änderung wurde durch einen gemeinsamen Antrag von CSU, SPD und FDP (also von allen im damaligen Landtag vertretenen Parteien) umgesetzt, siehe Drucksache Nr. 7/3946 vom 15.03.1973.

Edit: Nachdem ich deinen Beitrag nochmal gelesen habe @ChrisChros ist mir aufgefallen, dass da „mit Stimmen der CSU“ steht. Das habe ich überlesen, deswegen ist mein zweiter Satz nicht korrekt. Lass ihn trotzdem aus Transparenzgründen so stehen.
Nichtsdestotrotz sieht man gut, dass die Änderung durch einen Konsens aller Parteien umgesetzt wurde und eben nicht von einer Regierungsmehrheit.

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Der SSW ist aber gar nicht im Bundestag.
Der hat nur eine Sonderklausel für den Schleswig Holsteinischen Landtag.

Doch einer hat’s geschafft.

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Nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil ^^

Danke für die Aufklärung.

Ich verstehe die Trennung zwischen CSU und CDU eh nicht, da gibt es bestimmt eine Lösung.

Die Linken können ruhig untergehen. Bitte die AFD gleich mitnehmen.

Die Union ist nach dem Krieg regional entstanden, mit zuerst mehreren relativ zeitgleichen aber voneinander unabhängigen Parteigründungen (unter anderem in Köln, Frankfurt, Berlin, Hannover, München) von denen sich die meisten 1950 zur gemeinsamen Union zusammengeschlossen haben. Und die CSU wollte da halt nicht mitmachen, in der Tradition der Bayerischen Volkspartei aus Weimarer Zeiten.

Danke für den Hinweis!

Folgende Überlegungen zur Wahlrechtsreform

• Die Grundmandatsklausel ist ein Fremdkörper in der Logik unseres Wahlsystems. Man könnte die verschiedensten Sonderregeln irgendwie zum an sich sehr verständlichen System dazu kleistern (z.B. in 7 Wahlkreisen über 26% usw.), die alle gleich unlogisch wären, aber vordergründig fair, weil sie für alle gleich gelten.

• Und so wie ihre unsauberes Konzept ist auch ihr Ursprung, nämlich das Machwerk der Vorgängerparteien der Union 1957 (wie @Eule schreibt), die sich dann absprechen konnten, um von der 5% Hürde gefährdete kleinere „Unions“-Parteien dann doch in den BT zu bringen. Nach der Vereinigung zur CDU brauchte man die GMK nicht mehr, nicht mal die CSU, die alleine stark genug war für lange Zeit.

• CDU/CSU brachten noch vor Kurzem selbst das Aus für die GMK ins Spiel. Dass sie damit die „Linke“ aus dem Parlament haben wollten, kann man unterstellen, man kann aber auch unterstellen, dass sie einfach ein stringenteres Wahlrecht haben wollten - bis die CSU ziemlich spät merkte, dass es sie dabei selbst erwischen könnte.

• Die CSU hat die freie Wahl zwischen Listenverbindung mit der CDU oder bundesweit antreten – oder im Bund evtl. scheitern. Oder will sich das ganze Land wieder einmal von einer 5%-Partei erpressen lassen? Tradition und Gewohnheitsrecht sollten nicht zählen in so wichtigen Dingen. Ich wundere mich über das Mitleid mit einer CSU, die gleiches Recht für Alle immer wieder missachtet.

• Wir brauchen keine Partei, die ihren Wesenskern in der „regionalen Verwurzelung“ hat. Im Bundestag wird Politik für das ganze Land gemacht, da haben egoistische regionale Wünsche nichts zu suchen, es sei denn, es gäbe eine Benachteiligung für eine Region zu beheben, aber das wäre vorrangige Aufgabe aller Abgeordneter, unabhängig von ihrer Herkunft.

• Dass die Reform nun so plötzlich ganz anders ausfällt, ist wieder sehr schlechte Kommunikation. Stimme in diesem Punkt @Cors voll zu. Das sagt aber nichts über die Güte der Reform selbst.

• Dass die SPD die „Linke“ nun loswerden will, ist wie oben bei Union eine Unterstellung. Eine gute Tat kann theoretisch schlechte Motive haben, aber sie bleibt eine gute Tat. Umgekehrt könnte es keine gute Tat geben, wenn sie auch schlechte Motive enthalten hätte können. Also der Vorwurf an die SPD ist mE nichtig.

• Die 5%-Hürde ist willkürlich. Jede andere Höhe wäre auch willkürlich. Sogar ohne %-Hürde gehen sehr viele Wählerstimmen „verloren“, wenn man das so nennen will. Es ginge nur dann keine Wählerstimme verloren, wenn das Parlament so viele Plätze hätte wie wählbare Kandidaten, die mindestens 1 Stimme bekämen. Also ist auch die Beschränkung der Parlamentssitze willkürlich, oder besser gesagt, ein praktischer Kompromiss für die Arbeitsfähigkeit.

• Nur ungültige Stimmzettel sind verlorene Wählerstimmen. Wer eine kleine Partei wählt, nimmt das Risiko, dass die Wahl wenig oder gar keine Wirkung hat. Wo ist das Problem? Man kann das vorher abschätzen. Die Grenze zwischen Wenig und Nichts ist doch fast egal, also würde ich die Begrenzung nach Handhabbarkeit festlegen, eher bei 5% wahrscheinlich.

• Die jetzigen Parlamentsparteien haben doch etwas für Jede. Ein exklusiverer Geschmack ist wie gesagt mit Unsicherheit verbunden.

• Eine neue Partei muss sich nicht über x Wahlperioden „hocharbeiten“. Wenn die Lage danach ist, kann sie sehr schnell gross werden. Man könnte sich eine progressivere Umweltschutz- und Gerechtigkeitspartei vorstellen, sobald der Klimawandel auch die Bräsigen erschreckt.

• Schluss: das neue Wahlrecht ist die erste Fassung seit Bestehen der BRD, die mit Wegfall der GMK und der Überhangmandate das Erfordernis der „Verständlichkeit für die Wählerinnen“ erfüllt. Alte Zöpfe sind dagegen schnell vergessen, auch bei den Konservativen. Das wird hoffentlich auch die Union einmal merken, auch wenn sie sich jetzt schon vornimmt, ggf. in Regierungsverantwortung das Rad zurückzudrehen.

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Man könnte sich komplexe Regeln ausdenken. Im Moment reicht es, 5% der Stimmen bundesweit zu bekommen. Das kann doch einfach so bleiben. Eine Zersplitterung des Bundestages in noch mehr Parteien für doch nur zu Instabilitäten wie in Italien oder der Weimarer Republik.

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Andere Parteien, die nicht in den Bundestag gekommen sind, haben sicherlich auch solche bundesweiten oder internationalen Anliegen. Das kann doch auch nicht das Kriterium sein.

Da braucht dir nichts grauen. Die CSU profitiert seit Jahrzehnten vom Wahlrecht, die Linken profitiert erst, seit sie so schwach geworden ist. Beide werden jetzt einfach nur mit allen anderen Parteien gleich behandelt. Das es denen nicht passt, dass ihr Vorteile weg gehen, ist schon klar. Aber es hätte ihnen ja frei gestanden, am Gesetz mitzuwirken statt zu blockieren.

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Was du beschreibst ist jedoch eine Kritik an der 5% Hürde und nicht an der Abschaffung der Grundmandatsklausel.

Die Wahlkreise repräsentieren ja eine gewissen Anzahl Menschen und das spiegelt sich in dem prozentualen Anteil wider, der sich daraus auf Bundesebene ergibt.

Die Wähler:innen JEDER Partei, die knapp unter der 5% Hürde liegt und daher nicht in den Bundestag einzieht können sich derzeit ärgern, da ihre Stimme quasi entwertet wird.

Das ist völlig unabhängig davon, ob es sich um Direktmandate oder Zweitstimmen handelt.

Ich halte die Argumente nicht für angebracht. Du argumentierst damit, dass die Linken und die CSU die falsche Politik machen und sie deshalb keinen Anspruch haben sollten, im Parlament vertreten zu sein. Genauso kann ich doch auch für eine 15%-Hürde argumentieren, weil dann endlich die Blockierpartei FDP herausfliegt.

Sorry, aber so lange eine Partei nicht verfassungsfeindlich ist, ist in unserer Demokratie die Politik der Partei kein valides Argument für oder gegen den Einzug ins Parlament. Wir hatten die Situation, dass die Regierung die Option hatte, am vorliegenden, völlig akzeptablen Entwurf nichts zu ändern oder aber ohne verfassungsmäßige Not zwei Oppositionsparteien das Leben schwerer zu machen.

Tatsächlich scheint das Bundesverfassungsgericht es auch kritisch zu sehen, wenn Parteien der Zugang zum Parlament erschwert wird. Diese Last-Minute-Änderung geht also eher eine Richtung, bei der in Karlsruhe mehr Augenbrauen hochgehen werden, als wenn die Ampel ihre Nacht-und-Nebel-Aktion hätte sein lassen.

Der Vollständigkeit halber muss ich aber auch sagen, dass ich den Ausführungen von @LightingMcK , der mit gewonnenen Wahlkreisen argumentiert, nicht zustimmen kann. Es geht nicht um Wahlkreise oder nicht. Mein Kernproblem bei der ganzen Affäre ist, dass hier mit der Macht, das Wahlrecht umzugestalten, nicht verantwortungsvoll umgegangen wurde. Statt einer sinnvollen, im Wesentlichen neutralen Reform wurde die Gelegenheit ergriffen, der Opposition (insbesondere den Linken) massiv zu schaden. Das hätte ich mir von einer Regierungsmehrheit, die in meinen Augen im letzten Jahr vieles richtig gemacht hat, anders vorgestellt.

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@philipbanse und @vieuxrenard haben ja gesagt, dass das vorherige Angebot der Ampel sehr gut war und durch die Reform die Union Sturm laufen könnte. Hier finde ich fehlt noch ein wichtiger Punkt: Die CSU ist schon beim vorherigen Vorschlag Sturm gelaufen. Sie hat den vorherigen Vorschlag bereits im Januar als „organisierte Wahlfälschung“ bezeichnet und mit einem Vorgehen wie in „Schurkenstaaten“ verglichen. Die CSU würde so oder so gegen die Reform auf die Barrikaden gehen, egal ob der Vorschlag der Ampel gut oder schlecht ist. Die CSU ist im Wahlkampfmodus und eine populistische Partei.
Spekulation von mir: Die Ampel wollte den Druck auf die CSU erhöhen und wenn jetzt ein Kompromissvorschlag mit der Union erzielt wird, dann muss die CSU diesen mittragen und kann in Zukunft nicht mehr dagegen feuern.

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Meines Wissens ist beim Wahlrecht stets das Ziel, dass es „aus der Mitte des Bundestages“ kommt, nicht von der Regierung. Das liegt darin begründet, dass man diesen konstituierenden Akt des obersten demokratischen Organs nicht von der Exekutive beeinflusst sehen und ihm eine breite Akzeptanz verschaffen will. Wenn ich mich richtig erinnere (finde auf Anhieb keine Quelle) kam der Entwurf deshalb auch von den Fraktionen der Ampel, nicht als „verkappte Regierungsvorlage“ aus einem Ministerium über den Umweg Fraktionen.
Das ist dem Thema aus meiner Sicht auch völlig angemessen, ein Scholzsches „Machtwort“ wäre total deplatziert gewesen.

Verstehe ich auch so.
Das lässt sich aber durchaus begründen, wird auch im Gesetzentwurf ausführlich getan (Beschlussempfehlung des Innenausschusses, BT-Drs. 20/6015), Auszug vonS. 12:
Da nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Monopol der Parteien auf das Wahlvorschlagsrecht gegen die Grundsätze der allgemeinen, gleichen und freien Wahl verstoßen würde (BVerfGE 41, 399, 417), muss es auch parteiunabhängigen Bewerbern möglich sein, in einem Wahlkreis zu kandidieren.

In unserem System haben parteiangehörige Bewerber aus einer Vielzahl von gründen viel bessere Aussichten, ein Mandat zu holen. Insbesondere können sie über die Liste in den BT einziehen. Das ist unabhängigen Bewerbern nicht möglich. Man sollte es also als eine Art „Härtefallklausel“ verstehen. Die CSU-kandidaten werden sicher nicht unabhängig antreten, da die Vorteile der Kandidatur als Parteikandidat überwiegen. Vor allem bestehen ja gute Chancen, dass die CSU die 5% schafft. Dann ist es von Vorteil, als Wahlkreiskandidat auch auf der Liste zu stehen, da die Wahlkreissieger mit den wenigsten Stimmen es ja ggf. nicht in den BT schaffen.

Das von Dir hervorgehobene Ergebnis ist paradox, ja. Wir sollten das Thema aber nicht zu sehr zerfasern lassen. Die Ausnahme für parteiunabhängige Kandidaten ist nicht das Problem hier.

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Das kann man sicher so sehen aber leider ist es seit Jahrzehnten gelebte Praxis, dass das Wahlrecht ein anderes war.

Ich befürchte wir bekommen dank dieser, aus meiner Sicht, extrem dummen Vorgehensweise amerikanische Verhältnisse, wo jede Regierung anfängt am Wahlrecht zu ihren Gunsten rumzudocktern. Und damit geht am Ende die demokratische Legitimation flöten…

Ein wirklich kurzsichtiger Move der Ampel!

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„Gleich“. Sowohl das BVerfG als auch ich sind der Meinung, dass die 5 %-Klausel einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot der Wahl darstellt, die begründet werden muss. Eine Stimme gilt ja eben bei der Ermittlung des Wahlergebnisses nicht das gleiche, wenn ich eine 3,4 %-Partei wähle oder eine 15,8 %-Partei. Insofern bleibe ich bei meiner Darstellung.

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Spannende Workaround-Idee. Es würde also Sinn ergeben am Tag vor jeder Wahl aus der Fraktion auszutreten und am Tag danach wieder einzutreten? Somit würde man als einer Partei zugehörig auf dem Wahlzettel stehen, im Falle eines Gewinns des Wahlkreises in den Bundestag unter Umgehung der Reform fraktionslos einziehen und dennoch die Vorteile einer Partei mitbekommen - die zu dem Zeitpunkt dann auch die Wahlkampfförderung schon bekommen haben sollte?

Klingt ein wenig nach Cum-Ex mit den doppelten Anrechnungen und Vorteilen - aber erstmal nicht unmöglich.

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