Ich verstehe die Kritik auch nicht.
Dass mit Linken und CSU zwei Parteien jetzt nicht mehr von der Grundmandatsklausel profitieren, sagt rein gar nichts darüber aus, wie sinnvoll sie ist. Niemand zwingt die CSU dazu, ausschließlich in Bayern anzutreten, und dass die Linke als „Ostpartei“ im Bundestag sein sollte, ist halt auch kein wahlrechtliches Argument.
Erstens: Warum sollten „Regional- und Schwerpunktparteien“ privilegierten Zugang zum Bundes(!)tag haben? Die regionale Ausgewogenheit wird schon durch die Landeslisten sichergestellt, warum sollte ein regionaler Erfolg eine Partei mehr legitimieren als andere? Dafür kann man sicher argumentieren, „wir machen’s halt schon immer so“ ist aber kein Argument.
Zweitens: Selbst wenn man die Prämisse annimmt, dass Regionalparteien privilegierten Zugang zum Bundestag haben sollten - wie kommt man auf die Grundmandatsklausel als Indiz dafür? Es reicht ja auch, in Schleswig-Holstein, Bayern und im Saarland jeweils ein Direktmandat zu holen. Was hat das noch mit Regionalität zu tun? Ich frage mich schon, warum die FDP 2013 weniger legitimiert gewesen sein soll als die Linke 2021 - machen zwei Berliner und ein Leipziger von 299 bundesweiten Wahlkreisen wirklich einen so großen legitimatorischen Unterschied? Abgesehen davon: Ist der Witz an der Erststimme nicht eigentlich, dass die Person im Vordergrund stehen soll und nicht die Partei? Man kann ja darüber streiten, wie das in der Realität wirklich ist - aber zumindest das bisherige Wahlrecht geht ja davon aus, dass das der personalisierende Teil ist. Warum dann ausgerechnet diese Personenwahl Ausdruck für das Gewicht einer Partei sein soll, konnte mir auch noch keiner erklären.
Drittens: Ihr habt gleich zweimal argumentiert, dass die Grundmandatsklausel bisher ja auch noch kein Problem gewesen wäre. Dazu zwei Anmerkungen: Es ist einfach eine andere Lage, wenn die Bedeutung des „personalisierten“ Aspekts noch einmal reduziert wird, weil dann die oben erwähnten Rechtfertigungsschwierigkeiten für die Grundmandatsklausel natürlich verstärkt werden. Vor allem aber ist das Argument „Haben wir schon immer so gemacht“ im Wahlverfassungsrecht wirklich nicht das beste. Die Überhangsmandate waren auch 60 Jahre lang Wahlrechtsrealität, und als das in den 90ern wirklich relevant wurde, haben auch genug Leute dagegen veröffentlicht (übrigens teilweise die gleichen, die auch schon die Grundmandatsklausel für verfassungswidrig gehalten haben). Das BVerfG hat trotzdem nochmal zwanzig Jahre gebraucht, bis es das auch endlich mal erkannt hat. Das heißt nicht, dass die Grundmandatsklausel zwingend verfassungswidrig ist. Das bedeutet aber auch, dass man das Argument, man wolle verfassungsrechtlich weniger Angriffsfläche bieten, nicht einfach so beiseite wischen kann.
Insgesamt habe ich einfach die Tiefe vermisst, die Ihr sonst regelmäßig zeigt. Dass man sich jetzt Riesensorgen um die demokratische Kultur macht ist ja schön und gut (btw - die CSU hätte so oder so krakeelt, und dass man der Linken den Einzug möglichst leicht machen will, ist einfach kein Argument - man hätte sich ja nach der Wiedervereinigung überlegen können, ob 3 Direktmandate wirklich noch ausreichend sind, wenn man mal eben 16 Mio. mehr Bürger hat) - dass man aber eine willkürliche Privilegierung mit willkürlichen Anknüpfungspunkten nicht mal hinterfragt, ist nicht Euer normales Niveau.