LdN 324 Inszenerierung mit den Kindern aus Mariupol

Liebes Lageteam,

bei der Live-Übertragung und Veranstaltung in Russland, bei der die Kinder aus Mariupol dem als „Juri Gagarin“ vorgestellten Soldaten gegenüber gestellt wurden, war eine Inszenierung. So weit so klar.

Ich habe dann allerdings sowohl in russischen als auch in ukrainischen Quellen gesucht, ob er Massenmörder war oder ob er überhaupt bei der Operation zur Eroberung Mariupols beteiligt war. Hattet ihr da etwas dazu?

VG P. Leismann

Juri Gagarin war der erste Mensch im Weltall. Juri Alexejewitsch Gagarin – Wikipedia

Von Gagarin war in der Folge überhaupt nicht die Rede. In der Passage ist zwischen 0:09:00 und 0:10:00 ist zwei Mal von einem Soldaten die Rede, der angeblich in Mariupol gewesen sein soll und als „Juri“ vorgestellt wurde. Diesen bezeichnet Ulf bei 0:10:40 als „Juri, den Massenmörder“. Das ist aber m. E. eher metaphorisch zu verstehen - er steht sozusagen stellvertretend für das, was die russische Armee in Mariuopol angerichtet hat. Ob „Juri“ überhaupt Soldat ist, ob er in Mariupol war, was er da gemacht hat und ob die Kinder aus Mariupol sind, dürfte zumindest derzeit nur schwer verifizierbar sein. Ist aber m. E. eigentlich auch egal, eben weil es sich um eine Inszenierung handelt.
Entscheidend ist doch, dass die russische Arme als „Retter“ der Kinder von Mariupol dargestellt wurde, während sie in der Realität vor einem Jahr gezielt ein Theater in der Stadt bombardierte, das deutlich als Fluchtort von Kindern markiert war.

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Lieber Freund, der Mann wurde nicht in der Folge, aber sonst als Juri Gagarin vorgestellt. So heißt er angeblich.
Ansonsten muss sich glaube ich niemand als Massenmörder bezeichnen lassen der keiner ist.
Wenn das denn ohne Beleg so geäußert wird, dann sollte man vielleicht nicht betonen man wolle kein Ressentiment schüren.

Es mag verwundern, aber es gibt wohl auch andere Menschen die Gagarin und Yuri heißen in Russland.

Ich wüsste nicht, dass wir befreundet wären.
Korrekt ist, dass der Mann zumindest in russländischen Medien als „Jurij Gagarin“, Rufname „Engel“ vorgestellt wird. Es soll sich um einen 52-jährigen aus Tscheljabinsk handeln, der als Kriegsfreiwilliger den Rang eines Obersts innehat und das Bataillon „Apostol“ kommandiert.
Wenn wir diesen Angaben glauben schenken können, haben wir es also mit jemandem zu tun, der als Batallionskommandant an einem Angriffskrieg beteiligt ist, bei dem die russländischen Streitkräfte auf dem Staatsgebiet der Ukraine Zig- wenn nicht gar Hundertausende Menschen ermordet haben - darunter laut Euromaidanpress die Mutter eines der Kinder, die am 22. genötigt wurden, den als „Retter“ dargestellten Soldaten zu umarmen.
Jetzt frage ich mich, worauf ihre Irritation ob der Bezeichnung „Massenmörder“ beruht. Auf der Tatsache, dass Gagarin (noch) keine individuelle Tatbeteiligung nachgewiesen wurde? Oder auf der Tatsache, dass militärisch Mitverantwortliche für einen massenhaften Mord als solche benannt werden?
Zudem würde mich interessieren, wodurch genau Ihrer Ansicht nach welche Ressentiments geschürt werden. Halten Sie die Tatsache des massenhaften Mords russländischer Soldaten an Ukrainer:innen in der Ukraine es etwa für ein „Ressentiment“ (also eine laut Duden für eine „auf Vorurteilen, einem Gefühl der Unterlegenheit, Neid o. Ä. beruhende gefühlsmäßige, oft unbewusste Abneigung“)?

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Sie lieferten den Beweis für das geschürte Ressentiment gerade selbst. Es liegt mir nach wie vor kein Beleg vor, dass er ein Massenmörder ist, Ihnen erklätermaßen auch nicht, aber trotzdem fragen Sie sich warum es Irritationen auslöst wenn er - er ist ein immer noch ein Mensch - ohne Beleg als Massenmörder bezeichnet wird. Ansonsten haben wir ganz offensichtlich sehr unterschiedliche Beziehungen zu Wahrheit, Beweis und Fakt, und darüber brauchen wir uns dann auch nicht austauschen.

Schürte dann aus Ihrer Sicht Kurt Tucholsky ebenfalls „Ressentiments“, als er 1931 den Satz „Soldaten sind Mörder“ veröffentlichte? Soweit ich mich erinnern kann, lag dem keine rechtskräftige Verurteilung sämtlicher Militärangehöriger auf der Welt wegen Mordes zugrunde.
In einem Punkt stimme ich Ihnen zu: Wenn Sie auf vorgebrachte Argumente nicht eingehen und nicht einmal auf konkrete Nachfragen eingehen, erübrigt sich der weitere Austausch.

Um die Frage zu beantworten: Ja, Tucholsky schürte hier Ressentiments gegen Soldaten, und diese haben ganz offenkundig auch verfangen.

So sehr verfangen, dass Paul von Hindenburg nach dem Freispruch für Weltbühne-Herausgeber Carl von Ossietzky 1932 per Notverordnung einen Paragraph ins Gesetz schreiben ließ, der kritische Äußerungen im Sinne eines „Ehrenschutzes für Soldaten“ unter Strafe stellte, und der 1946 vom Alliierten Kontrollrat abgeschafft wurde.

Tucholsky bezieht sich in der Glosse übrigens sehr konkret auf die ‚Ordnungsfunktion‘ von „Feldgendarmen“ im Krieg, auf die Einrichtung von „Strafkompanien“ und das - so Tucholsky - von „alle[n] Länder[n]“ praktizierte Erschießen von Deserteuren.

Um Kurt Tucholsky - of all people - das Schüren von Ressentiments gegen Soldaten vorzuwerfen braucht es wirklich schon eine gehörige Portion historischer Ignoranz.

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Ja, er ist wohl kein Massenmörder, sondern ein Schauspieler und der Name ist auch erfunden.
Anscheinend haben die echten Soldaten weder Zeit noch Lust für russische Propaganda.

Nein, dafür braucht es die analytische Fähigkeit die Wirkung eines Textes auf seine Umwelt zu verstehen. Bei Militärparaden, so selten sie bei uns eh sind, steht nämlich gern auch mal ein selbsternannter Weltverbesserer mit genau diesem Satz auf dem Schild am Straßenrand.

Wofür es allerdings historische Ignoranz braucht ist die hier offen zu Tage tretende Verachtung für den Soldaten im allgemeinen und den russischen Soldaten im speziellen. Dass der in aller Regel ungefähr gar nichts für den Krieg kann, auf Beschuss nur schlecht lebenserhaltend ohne Beschuss reagieren kann - und das übrigens unabhängig davon ob er zur angreifenden Armee gehört oder zur angegriffenen - und wahrscheinlich mehr als alle anderen lieber etwas anderes täte als - wie hier möglicherweise - in einem harten Orts- und Häuserkampf Wohnung für Wohnung, Haus für Haus und manchmal sogar Zimmer für Zimmmer zu nehmen, scheint ja offensichtlich egal zu sein. Er ist Mörder, wenn er für die falsche Seite kämpft. Entweder das, oder ihr müsst auch die ukrainischen Soldaten Mörder schimpfen, und das stellte euch jedenfalls in meinen Augen noch mehr in den Irrtum als alles andere bisher Gesagte hier.

Es gibt Mord, Totschlag und Notwehr.
Totschlag scheidet im Krieg meist aus.
Bleibt die Frage: Ist es Notwehr?

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Nehmen Sie ein Geschichtsbuch zur Hand, um sich über die „Umwelt“ zu informieren, für und über die Tucholsky geschrieben hat.

Ihre Empathie für den schuldlosen „russischen Soldaten“ weiß ich nicht besser zu kommentieren als mit einem Text, den Tucholsky im selben Jahr in der Weltbühne geschrieben hat.

https://de.wikisource.org/wiki/Rosen_auf_den_Weg_gestreut_(Tucholsky)

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In der Umwelt in der Tucholsky seinen Text geschrieben hat gab es - damals ausschließlich - Männer die wenige Jahre später mit der Waffe in der Hand den Faschismus besiegt und eine anhaltende Friedensordnung geschaffen haben.

Diese Friedensordnung wurde über Jahrzehnten von einer wehrhaften deutschen Demokratie verteidigt. Erst seit u. a. dieses Land gemeint hat die Geschichte habe geendet und sich diese Friedensbewegten durchgesetzt haben, ist die Gewalt auf diesen Kontinent zurück gekehrt. …

Das dürfte der Regelfall sein, nicht? Allerdings ist das hier keine juristische, sondern eine moralische Debatte. Insofern kommt der strafrechtlichen Würdigung allenfalls Indizwirkung zu.

Die Weltbühne erschien in Berlin - bekanntlich ein Zentrum des antifaschistischen Widerstandes in den 30er Jahren…

Ich klinke mich hier aber mal wieder aus, bevor es noch kruder wird.

Warum insistieren Sie dann so auf einem individuellen Tatnachweis, wenn es um eine moralische und nicht um eine juristische Bewertung geht? Die Unterscheidung zwischen „Mord“, „Beihilfe zum Mord“ und „Beteiligung an einem Mord“ ist doch genau eine juristische, keine moralische.
Zudem: Hier ist die Rede von einem Mann, den russländische Medien als Oberst und Bataillonskommandant (also Befehlsgeber für ein paar Hundert Männer) vorstellen. De facto ist er wohl Oberstleutnant im FSB - hat also einen ähnlich hohen Rang inne. Das hat nichts zu tun mit der Mär eines jugen Lanzers, der völlig unvermittelt oder in den Krieg hineingezogen wird.
Und ja, der Unterschied zwischen einer Armee, die ein anderes Land überfällt und dort Häuser in Schutt und Asche legt und einer Armee, die versucht, genau dies zu verhindern, ist hier ziemlich entscheidend.
Warum Sie massenhaften Mord für weniger schlimm halten als angebliche „Ressentiments“ oder „Verachtung“ für die daran Beteiligten, bleibt mir ein Rätsel.

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Ich finds relativ witzig, dass mir hier Leute mit wohl überhaupt keiner Ahnung vom Militär erklären was ein Bataillionskommandant ist.

Dass ich die russische Aggression und die damit verbundenen Opfer für weniger schlimm halte als die Verachtung für den russischen Soldaten ist eine Unterstellung, die keiner Antwort bedarf. Ansonsten sind alle Ihre Anschuldigungen gegen den Mann selbst reine Spekulation, und das führt zum moralischen Problem ihn als Massenmörder zu bezeichnen: wenn nämlich jetzt jeder russische Soldat oder auch Offizier als schwerster Verbrecher gebrandmarkt wird, schürt man Ressentiments.