Bericht über Polizeigewalt bei der Demonstration in Lützerath am 14. Januar 2023
Vorab zur Einordnung: Ich bin 54 Jahre alt, seit über 20 Jahren arbeite ich für den Klimaschutz, habe an sehr vielen Demonstrationen teilgenommen (u.a. 2009 in Kopenhagen) und an einigen Aktionen von Ende Gelände. Polizeigewalt wie am 14. Januar in Lützerath habe ich noch nicht erlebt.
Ich bin mit dem Zug nach Erkelenz gefahren. Schon der RE4 von Düsseldorf nach Erkelenz war überfüllt mit Menschen, die auf dem Weg zur Demo waren. In Erkelenz fuhren Shuttle Busse, jedoch viel zu wenig. Daher habe ich zusammen mit einem Großelternpaar, deren Enkel (ca. 10 Jahre) sowie zwei weiteren Personen ein Großraum Taxi genommen, das uns bis ca. 2 km vor Keyenberg gebracht hat. Wir sind dort ausgestiegen, weil sich die Autos vor Keyenberg stauten und weiter zu Fuß gegangen.
Kurz vor Keyenberg wurden wir angesprochen und gebeten, den Weg über „Unser Aller Camp“ zu nehmen. Im weiteren Verlauf mischten sich die Menschen, die wie ich geplant hatten, zur angemeldeten Demonstration zu gehen mit den Aktivistiinnen, die geplant hatten, nach Lützerath zu kommen. Vom Camp bin ich in Richtung Startpunkt der Demo gegangen. In Keyenberg habe ich mich mit zwei Freundinnen getroffen, die aus einer anderen Richtung angereist waren. Wir sind zunächst in Richtung des angemeldeten Demo-Zugs gegangen.
Da wir gemeinsam mit den Aktivist*innen unterwegs waren, haben wir unmittelbar mitbekommen, wie diese nach kurzer Zeit den offiziellen Demonstrationsweg verlassen haben und in Richtung Tagebaukante liefen. Wir haben uns entschlossen, ihnen zu folgen, weil wir einen Blick in den Tagebau werfen wollten. Offensichtlich waren wir nicht die einzigen. Mit uns waren Eltern mit Kindern, ältere Leute und sonstige Demonstrierende unterwegs, die ebenso wie wir vermutlich ursprünglich an der angemeldeten Demonstration teilnehmen wollten.
Da sich die Einsatzkräfte der Polizei auf die Absperrung von Lützerath konzentrierten, waren zwischen der „legalen Demonstration“ und der Tagebaukante kaum Polizisten. Es war daher überhaupt kein Problem, die erste Polizeilinie zu „durchbrechen.“ Wir sind einfach alle weitergegangen und standen zunächst auf den Feldern zwischen Keyenberg und Tagebau und schließlich an der Tagebaukante.
Die Polizei hat dann eine zweite Linie in Richtung Lützerath aufgebaut. Hierbei war deutlich zu sehen, dass die Demonstrierenden mit einem Verhältnis von aus meiner Sicht mindesten 20:1 in der Überzahl waren. Es wäre also relativ leicht möglich gewesen, auch diese Linie zu überschreiten. Dies ist zunächst nicht erfolgt, weil viele der Personen gar keinen Plan hatten und so wie wir mehr oder weniger zufällig die offizielle Demonstrationsroute verlassen haben.
In dieser aus meiner Sicht völlig offenen Situation kam es zu den ersten „Gewaltexzessen“ der Polizei. Die Polizisten haben sich zu Gruppen von ca. 12 Personen formiert und sind relativ wahllos auf Personen zugerannt, die vor ihnen auf dem Feld standen. Von diesen Personen ging keinerlei Gewalt aus. Trotzdem wurde auch ich von einem solchen Trupp Polizisten angegriffen und mir wurde von einem Polizisten bewusst Schmerz zugefügt mit einem Schlag per Schlagstock unter die Rippen. Ich habe noch immer eine sehr schmerzhafte Rippenprellung und kann ohne Schmerzmittel nicht schlafen. Meine Begleiterin hat einen Schlag in die Magengrube bekommen. Wir haben gesehen, dass friedliche Menschen, die mit erhobenen Armen auf dem Feld standen, ebenfalls mit Schlagstöcken verprügelt wurden und dass von Polizisten umgeschubste Personen auf dem Boden liegend von Polizisten getreten wurden.
Für mich war es offensichtlich, dass es nicht möglich sein würde, nach Lützerath zu kommen: der Ort war von Zäunen umstellt und davor stand eine Reihe von Polizeiautos. Wenn ich nach Lützerath gewollt hätte, hätte ich an der dritten Polizeilinie vorbeikommen müssen, über die Mannschaftwagen und schließlich über die Zäune klettern müssen. Es war mir und meinen beiden Begleiter*innen klar, dass wir das gar nicht erst versuchen würden.