In der letzten LdN wurde ein bisschen eine Kontroverse aufgemacht bzgl. der kürzlichen Aktionen von Klimaaktivisten. Während ich den Ausführungen zu Straßenblockaden und „Nötigung“ umfänglich zustimmen möchte, fand ich die Einschätzung zu anderen Aktionen – bspw. Tomatensauce auf Gemälde – etwas oberflächlich, wo quasi erklärt wurde, „Angriffe auf wertvolle Kulturgüter“ hätten mit dem Thema nichts zu tun und würden daher von niemandem verstanden werden.
Ich oute mich hier mal als jemand, der dem widerspricht und solche Aktionen sehr wohl im Zusammenhang mit dem Thema Klimagerechtigkeit sieht, auch wenn ich zugegebenermaßen nicht sagen kann, ob meine Gedanken dazu auch der Intention der Akteure entsprechen.
Als erstes einmal möchte ich von einem erweiterten Kulturbegriff ausgehen. Kultur sind ja bei weitem nicht nur ein paar teure Einzelstücke von jeweils bloß 1–2 Meistern jeder Generation, die in Museen verstauben, sondern »Kultur bezeichnet im weitesten Sinne alle Erscheinungsformen menschlichen Daseins, die auf bestimmten Wertvorstellungen und erlernten Verhaltensweisen beruhen und die sich wiederum in der dauerhaften Erzeugung und Erhaltung von Werten ausdrücken – als Gegenbegriff zu der nicht vom Menschen geschaffenen und nicht veränderten Natur.« (Wikipedia)
Und exakt das ist eben genau das, was durch die Klimakatastrophe in erster Linie bedroht wird. Die Menschheit wird auch bei 3° C Erwärmung oder mehr nicht komplett aussterben. Ein paar Refugien werden sicherlich bleiben, wo Menschen überleben können, und wenn man zynisch ist, dann kann man es auch so betrachten, dass auch heute auf der Welt Menschen verhungern, verdursten, an heilbaren Krankheiten sterben, sich in Verteilungskämpfen gegenseitig umbringen usw., und man mag sich fragen, was daran auf einmal moralisch so verwerflich sein soll, wenn es zukünftig dann eben bloß viel mehr Leute betrifft.
Aber die Klimakatastrophe bedroht nicht bloß einzelne Menschenleben, sondern die menschliche Zivilisation an sich, mit ihrer gesamten Kultur. Was vielleicht schon uns und unserer Generation bevorsteht – wenn nicht, dann mit Sicherheit unseren Kindern und Enkeln – sind neue Dark Ages, in denen die Zivilisation zerfällt, Lieferketten wegbrechen, usw., und das wird unseren jetzigen Lebensstil komplett zerstören. Kein Internet, keine technologischen Gadgets, keine moderne Medizin,… Am ehesten vergleichbar fällt mir da der Zusammenbruch der Hochkulturen der Bronzezeit im Mittelmeerraum ein, die innerhalb weniger Generationen einfach verschwanden, bis sie nicht einmal mehr grundlegende Kulturgüter wie die Schrift aufrechterhalten konnten und es mehrere Jahrhunderte dauerte, bis Technologien neu entwickelt oder aus anderen Gegenden der Welt reimportiert werden konnten.
Extra History auf YouTube hat da mal eine imho beeindruckende Miniserie drüber gemacht (insgesamt ~½ Stunde):
Aber das war nur eine regional begrenzte Andeutung dessen, was uns bevorstehen könnte. Und aus diesem Grund finde ich es vollkommen nachvollziehbar, wenn unsere nachfolgenden Generationen die Argumentation aufmachen, „ihr wollt uns vollständig unserer zukünftigen Kultur berauben, deswegen vergreifen wir uns jetzt an euren Kulturgütern, die euch teuer sind“.
Und wenn sich da in die Richtung noch weiter radikalisiert wird, vielleicht bis hin zu Buttersäureanschlag auf die Wagnerfestspiele oder Zerstörung des Kölner Doms o.ä., könnte ich zumindest die Logik nachvollziehen.