Hallo Philip,
hallo Ulf,
ich höre seit Jahren sehr gerne die Lage und finde Eure Analysen und Schlussfolgerungen in vielen Fällen sehr gelungen. In der aktuellen Folge zum der AKW-Entscheidung habe ich mich allerdings mehrfach geärgert und muss Euch da widersprechen.
Zwar stellt Ihr zurecht fest, dass die Materie technisch sehr komplex ist, scheint aber trotzdem der Auffassung zu sein, dass die Lösung bzw. die politische Entscheidung letztendlich eher einfach zu sein hat, nämlich Streckbetrieb für alle drei verbliebenen AKW bis Ende Winter 2023. Das sehe ich anders. In der Pressekonferenz mit den Chefs der vier ÜNB hat Habeck doch detailliert und differenziert erläutert, aus welchen Gründen er den Vorschlag macht. Die Pauschalisierung mit der Ihr über die Komplexität und die Abwägungsentscheidung hinweggeht und eine vermeintlich offensichtliche Lösung in den Raum stellt, hat mich sehr gestört.
Ulf sagt in dieser Passage innerhalb von 5 Minuten mindestens 4 mal „Kein Mensch versteht das!“ und das ist einfach nicht richtig. Ich finde schon, dass man das verstehen kann, wenn man bereit ist, auch Lösungen zu akzeptieren, die nicht schwarz oder weiß sind. Habeck fasst das doch sehr gut zusammen, sinngemäß: „Wir tun das Notwendige und lassen aber auch das, was nicht notwendig ist“. Genauso wünsche ich mir politische Entscheidungsträger: Die in komplexen Situationen entlang von Fakten und Berechnungen entscheiden und nicht entlang von Meinungen, wie das Söder, Merz und Lindner ständig tun und dann zu vermeintlich einfachen Lösungen kommen „die jeder versteht“. Im Übrigen habe ich noch keine längeren, stringenten und ähnlich sachlich fundierten Argumentationslinien von den oben Genannten gehört, wie Habeck das für seine Entscheidungen vorträgt.
Auch die Leichtigkeit, mit der viele Politiker von Union/FDP - und in diesem Fall leider auch Ihr - eine Abkehr vom Ausstieg Ende 2022 in den Raum stellen (wenn auch in Eurem Fall nur durch eine kurze Verlängerung um einige Monate), ignoriert, dass sehr viele Menschen in diesem Land intensiv und jahrzehntelang für den mittlerweile lange bestehenden und hart erkämpften Atomkonsens gestritten haben. Ich will nicht ideologisch argumentieren – aber die Argumente der Gegenseite waren aus meiner Sicht entweder gar nicht vorhanden – man hat einfach postuliert, dass Streckbetrieb oder gar direkt eine Laufzeitverlängerung sinnvoll sei oder sie waren mindestens sehr dünn – Stichwort TÜV-„Gutachten“. Es geht hier immerhin um eine Hochrisikotechnologie, die in der Ukraine gerade beschossen wird und in Frankreich zum großen Teil marode ist. Und der Grund, warum mittlerweile offenbar eine Mehrheit der Bevölkerung der Ansicht ist, dass die AKW länger laufen sollten, beruht doch nicht auf Fakten und objektiven, unumstrittenen Notwendigkeiten, sondern fast einzig und allein auf der monatelangen pro-Atom-Kampagne, die insbesondere die Union aber auch die FDP mittlerweile führen.
Ihr macht es Euch dann wie ich finde auch in der Folge ziemlich einfach, indem Ihr behauptet, Habeck hätte sich doch die Entscheidung, alle drei AKW bis Ende Winter 2023 laufen zu lassen, politisch versilbern können, indem er der FDP ein Tempolimit abtrotzt. Im Ernst? Abgesehen davon, dass es sehr fraglich ist, ob die FDP da mitgemacht hätte. Aber nehmen wir mal an, es wäre so gekommen: Meint Ihr nicht, dass ein solcher „move“ der Integrität von Habeck und „der Politik“ insgesamt viel mehr geschadet hätte? Wenn man eine solch schwerwiegende und sicherheitsrelevante Entscheidung zum Gegenstand eines politischen Kuhhandels machen würde? Das wäre doch sofort aufgefallen, wenn die FDP auf einmal einem Tempolimit zustimmt und MIT SICHERHEIT hätten diejenigen, die jetzt wegen der aktuellen Entscheidung auf Habeck einschlagen, das direkt genutzt, um ihm für so eine Bazar-Entscheidung ebenfalls einen reinzudrücken. Und das in dem Fall sogar zurecht. Ich jedenfalls möchte nicht, dass solche Themen politisch nach dem gleichen Modus „verwurstet“ werden, wie man bei Fahrradwegen und Pendlerpauschale verfährt.
Den personalpolitischen Ausfall, zu dem Ulf sich dann zum Abschluss noch hinreißen lässt („Und wenn in München der Strom ausfällt, dann MUSS Habeck zurücktreten!“), sowie Euren Twittern-Hashtag („Habeck verrennt sich“) lasse ich jetzt mal so gut wie unkommentiert. Nur so viel: Das ist dann aus meiner Sicht doch weit unter Eurem eigentlichen Niveau. Ich weiß oder nehme an, dass es nicht tatsächlich Eure persönliche Meinung ist, dass Habeck dann wegen Dienstversagens oder Unfähigkeit gehen müsste, sondern dass das dann eine laute Forderung wäre. Aber Ihr solltet einer derartigen Form der Personalisierung, Verkürzung, Floskelhaftigkeit, Unernsthaftigkeit und häufig auch Verantwortungslosigkeit von Politik, die heutzutage leider in der Öffentlichkeit und vielen Medien zu erleben ist, nicht auch noch Vorschub leisten.
Ansonsten war die Folge top - schön dass Ihr aus dem Sommerurlaub zurück seid.
Viele Grüße
Pascal Zimmer