LdN 302: Wohin mit den Recherche-Ergebnissen?

Ich bin begeistert von der journalistischen Arbeit, die in die beiden Sonderfolgen zur Digitalisierung der Verwaltung geflossen ist. Großes Lob!

Die Frage, die für mich sofort aufkommt: Wohin damit? Habt ihr, Ulf und Philip, vor, die Ergebnisse und Empfehlungen zusammenzuschreiben und gesammelt und strukturiert an die Politik weiterzugeben?

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Auch meinerseits Dank für die beiden Folgen, von denen die 2. noch besser weil greifbarer war als die erste. Die Frage oben nach den wohin möchte ich um eine Bitte nach einer Analyse in einer weiteren Folge ergänzen. Es stellt sich doch die Frage warum das gerade in Deutschland so schlimm ist. Firmen und Berater, die ihren Markt behalten wollen gibt es in allen Staaten wie auch oft regionalisierte Verantwortung und resultierende Kompromissnotwendigkeit. Aber man gewinnt doch den Eindruck als hätten wir ein tieferliegendes Umsetzungsproblem sowohl in den Verwaltungen als auch den politischen Vertretungen, die diese steuern.
Man hat den Eindruck, das Veränderung im öffentlichen Dienstes nur mit einem Generationswechsel funktioniert, weil die Bestandsstruktur nicht mitgenommen werden kann bzw. will. Das muss doch an verwaltungsrechtlichen-, personalvertretungsrechtlichen, beamtenrechtlichen Strukturen liegen, die Innovation hemmen.

Wir haben hier ein riesiges Problem, und nicht nur in der Politik. Ich sehe das immer wieder und auch überall verteilt, ob privat oder in diversen Firmen.

Es herrscht eine unglaubliche Angst vor Veränderung und deren Folgen. Mit den Firmen (wenn auch wenige), mit denen ich aus dem Ausland zu tun habe, sehe ich dieses Problem nicht so.

Deutschland ist ein sehr konservatives Land mit klaren Regeln und Gesetzen. Bevor es irgendwo eine Änderung gibt, muss erstmal genau geprüft werden, ob nicht gegen eine Regel verstoßen wurde. Dies mag zwar auf den ersten Blick richtig sein, hemmt aber die Einführung von neuem dramatisch.

Teil liegt das an der fehlenden technischen Affinität. Oft aber an der Angst vor möglichen Konsequenzen, falls Regeln übergangen werden.

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Wie oft ist es wohl ein Sammelsurium von Ursachen:

  • Das Selbstverständnis des Staates, der sich nicht sieht als „dem Bürger dienend“, sondern als „über dem Bürger stehender, gnädiger Sachverhalter“. Ausdruck davon ist die durchgängige Lieblosigkeit der „grafischen Benutzeroberflächen“ der wenigen digitalen Formularen und Apps, die uns Bürgern zugemutet werden. Da ist keinerlei Versucht zu erkennen uns Bürger mal mit etwas zu begeistern.

  • Unsere spezielle Ausprägung von Föderalismus, in der mehr Energie darauf verwendet wird, seine Souveränität zu wahren, als nützlich für den Bürger zu sein

  • Ein falsches Verständnis von (durchaus notwendigem!) Datenschutz (Beispiel: Die Ablehung eines zentralen Registers). Datenschutz ist of ein Ausdruck eklatanten Misstrauens gegenüber dem Staat. Und: Alle, aber auch der Staat missbrauchen „Datenschutz“ ganz oft als Ausrede fürs Unterlassen (ähnlich wie „Corona“, „steuerliche Gründe“, …).

  • Eklatanter Mangel an IT-Kompetenz in der öffentlichen Verwaltung (Bezahlung im öffentlichen Dienst, Ruf / Image der Arbeit im öffentlichen Dienst)

  • Das Fehlen eines CTO in der Regierung, der die Kompetenz hätte, im Föderalismus-Djungel die fachliche Führung zu übernehmen. Jemand, der mal sagt: Wir müssen erst mal das Fundament (Internetgeschwindigkeit und Bandbreite in Festnetz und mobil, digitale Identität, digitale Signatur, Payment, etc.) schaffen, bevor wir Anwendungen bauen können.

  • Die Obsession der öffentlichen Verwaltung, dass jedes Detail ohne Ausnahme stets und ständig geregelt gehört und immer alles nach diesen Regeln erfolgen sollte (2)

  • Falsches Verständnis des Dienstherr „Öffentlichen Verwaltung Arbeitenden“ als Auffangbecken für alle, die in der Privatwirtschaft angeblich untergehen würden. (1)

  • Ein strukturelles Misstrauen gegenüber Veränderung, nicht nur beim Staat sondern bei der großen Mehrheit der Bevölkerung. Gepaart mit einem völlig falschen und überheblichen Selbstverständnis, dass Deutschland in jeder Hinsicht „besser ist“ (und daher mangelnde Selbstreflektion und damit Einsicht, dass die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung im weltweiten Vergleich einfach nur noch „gruselig“ ist.

  • Die vielen anderen ungelösten Probleme (Klimakatastrophe, Rentensystem, Gesundheitssystem, Armut / Vermögensverteilung, Pandemie-Managent, Außenpolitik / Ukraine, kaputtgesparte gesellschaftliche Infrastruktur, …) lassen das Problem „Digitalisierung“ als nicht prioritär erscheinen

  • und wahrscheinlich noch einige Punkte mehr

(1) Ich war mal in den 90er Jahren beteiligt an einem ein Projekt, bei dem die Abläufer in den Landesoberkassen in BaWü digitalisiert wurden. Als wir dem Amtsleiter gezeigt haben, dass wir mehr als die Hälfte der Arbeit einspare können, sagte er: „Und wo sollen die Mitarbeiter denn arbeiten? In der Privatwirtschaft haben die keine Chance“. Außerdem mussten aus politischen Gründen zwei der vier Landesoberkassen beibehalten werden, obwohl es definitiv nur eine gebraucht hätte.
(2) In diesem Projekt: Die Rechnung „Eine ständige Vier-Augen-Prüfung ist sehr viel teuerer als eine stichprobenhafte Prüfung mit ganz selten einem Fehler/Betrug“ wollte den obersten Beamten nicht in den Kopf. Keine Chance. „Aber das sind doch Steuergelder!“. „Ja, aber die Verwaltungskosten doch auch“. „Aber die Verwaltungsmitarbeiter sind doch eh da.“

Das passiert. Es ist m.E. sehr auffällig, wie viele Artikel im Nachgang zur bereits ersten Folge zu diesem Thema veröffentlicht wurden. Ich habe den Eindruck, sehr viele Journalisten hören die Lage und werden durch Ulfs und Philips Themen auf Ideen gebracht

Die beiden Sonderfolgen zur Windkraft damals und zur Digitalisierung jetzt waren fantastisch und auch sehr umfangreich. Aber gerade zur zweiten Hälfte der 302 bin ich mental abgedriftet und hätte mir etwas zum mitlesen gewünscht.

Ich empfehle Euch die Ergebnisse der Digitalisierungsrecherche an eine der großen Zeitungen zu verkauften. Das Thema hat meines Wissen so tiefgründig noch niemand behandelt und auf dem Weg wird aus auch einer noch breiteren Öffentlichkeit zugänglich.

Oder allgemeiner formuliert: ich wünsche mir ich könnte die Informationen aus den beiden Sonderfolgen in zwei grafisch aufbereiteten Reportagen nachlesen.