LdN 301 - wie es zu "Schnittstelle DIN A4" kam

Die Geschichte, wo der Bürgermeister die ausgedruckte Annahmeanordnung des Bürgerbüros in die Stadtkasse mitnimmt, wo die Daten abgetippt werden mussten, beschreibt das Dilemma seit Mitte der 90er.

Als ich in der kommunalen IT anfing hatten wir noch Großrechner. Verfahren wie Einwohnerwesen, Kfz-Wesen, etc. hatten wir entweder selber geschrieben oder von anderen Gemeinden bekommen. Meist gab es offizielle oder inoffizielle Standards, damit alles zusammenarbeitet. Wenn eine Gemeinde wusste, dass z.B. Paderborn ein neues BaFöG-Verfahren schreibt, schrieb sie kein eigenes Verfahren, sondern brachte sich in Paderborn ein. Dass die Entwicklung professioneller Software eine Weile dauert war aber schwer zu vermitteln.

Das alles führte dazu, dass man unzufrieden mit der zentralen IT war. Das Credo lautete „die Freie Wirtschaft kann das besser“, denn keine Bank oder Versicherung hatte Probleme wie die kommunale IT.

Stimmt, aber eine „normale“ Firma hat Standarsoftware für Buchhaltung, HR und CRM und noch ein oder zwei Fachthemen. Eine Gemeinde hat dagegen locker eine mittlere dreistellige Zahl an Fachanwendungen.

Die Kolleg:innen im Bürgerbüro könnten Anträge auf Papier oder PDF nur wie ein Briefkasten entgegen nehmen, aber eine Anwendung, in die man den Antrag eingibt, kann direkt alles auf Vollständigkeit und Plausibilität prüfen. Und speichert dann alles in einer Datenbank, aus der das Backoffice die Vorgänge in derselben Anwendung ohne Medienbruch bearbeiten kann.

In den 90ern kamen dann PCs in die Büros. In den meisten Behörden hieß die Parole, dass man Software ab sofort nicht mehr selber schreibt (zu langsam! zu teuer!) sondern der Markt das regelt. Wird ein neues Verfahren benötigt, wird eine Marktschau gemacht und wenn es irgendein fachlich passendes Verfahren auf dem Markt gibt, wird das eingesetzt. Punkt.

Das führte dann bei den Gemeinden, die sich auf ein „wir machen die IT viel besser selbst“ committed hatten, zu den Insel-Anwendungen. Und die großen Rechenzentren haben die Zeit, die sie früher mit der Eigenentwicklung verbracht haben, in Marktsichtungen und das Entwickeln von eben Schnittstellen investiert.

Was in all den Jahren immer hinderlich war und bis heute ist: veraltete Gesetze und Verordnungen.

In den 90ern konnte man gefühlt an jedem Kiosk mit Karte bezahlen, im Einwohnermeldeamt aber nur in bar. Bargeldlose Zahlungen waren nach der Gemeindekassenverordnung NRW nur erlaubt, wenn keine Gebühr anfiel. Irgenwann kapierte mal jemand auf ministerialer Ebene, dass auch Überweisungen Geld kosten, nur halt als Kontoführungsgebühren. Ende der 90er wurde die Gemeindekassenverordnung angepasst und EC-Terminals zogen ein. Juhu!

Aber gleichzeitig war das Internet da und man wollte viele Leistungen schon in den Nullerjahren digital ermöglichen. Da Behörden zunächst nur das dürfen, was im Gesetz steht, und halt nirgends was von Internet stand, gab es den „Experimentierparagraphen“. Der sagte paraphrasiert: Probiert aus, was online geht, und meldet Eure Erfolge!

Bloß: Für die meisten Leistungen muss man sich ausweisen oder Unterlagen vorlegen, anonym und kostenlos waren fast nur Leistungen ohne praktischen Nutzen. Denn - wieder - bremste die Gemeindekassenverordnung. Bargeldlose Zahlungen waren nur erlaubt, wenn es eine Enlösegarantie gab. Damals konnte man online aber nur per Bankeinzug oder Kreditkarte ohne Authorisierung zahlen.

Heute gibt es das OZG und momentan ist der Elefant im Raum, dass es faktisch gescheitert ist. Selbst mit PDFs kriegen wir bis Ende des Jahres keine 10% der geforderten 6000 staatlichen Leistungen online.

Das soll „EfA“ lösen, Einer für Alle. Die Gemeinden und Rechenzentren sollen selbst OZG-Anwendungen schreiben und darauf achten, dass sie auch bei anderen Stellen funktionieren. Gute Idee, wie früher halt.

Die Software im Backoffice, in der die Anträge dann bearbeitet werden, ist aber der Zoo von Anwendungen ohne Schnittstelle. Außer eben der Schnittstelle Din-A4. Also Mehraufwand und Papierverbrauch für Gemeinden mit kleiner IT und reichlich Arbeit für die Rechenzentren.

Dabei gibt es längst definierte Schnittstellen, die auch in den eingekauften Anwendungen implementiert werden müssen. Beispiel „XMELD“. Wenn man umzieht, muss man sich nur am neuen Wohnort anmelden, die Abmeldung am alten Wohnort erfolgt automatisch. Früher ging die Benachrichtigung per Post ans alte Einwohnermeldeamt, heute wird direkt von den Anwendungen über behördeninterne Netze kommuniziert. DAS müssen alle Einwohner-Anwendungen können. Auf demselben Weg kommen auch die Daten für neue Personalausweise incl. des Fotos digital zur Bundesdruckerei.

Dass angesichts dieser bundesweiten Vernetzung die Annahmeanordnung für die Gebühr innerhalb der Gemeinde per Papier an die Kasse geht, ist lächerlich und wäre durch entsprechend vorgeschriebene Schnittstellen definitiv binnen 12 Monaten lösbar.

Hätte, wäre, könnte.

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Lieber Volker, vielen Dank für den spannenden Beitrag! Vieles von dem, was du geschrieben hast, kommt im zweiten Teil. Insofern denke ich, dass du viel Spaß beim Zuhören haben wirst. Die Folge erscheint übrigens am kommenden Donnerstag. Viele Grüße!