LdN 301: Tech-Startups - Nicht alles Gold was glänzt

Moin zusammen,

ich habe gerade den ersten Teil zur Digitalisierung in der Verwaltung gehört und stimme euch in großen Teilen zu, besonders bei den Dingen, die schief laufen aktuell.

Ich arbeite seit knapp 10 Jahren im Accounting von verschiedenen, schnell skalierenden Tech-Start Ups. Ein Marketplace für die Vermittlung von Dienstleistungen und ein eCommerce Händler, ebenfalls auch mit Marketplace.
Im Podcast klangt es oft so, als wenn solche digitalen Firmen der Goldstandard und das Vorbild für die Verwaltungen sein sollten. „Die kriegen das doch auch hin“.
Wenn man diese Firmen von außen betrachtet, entsteht definitiv der Eindruck, dass hier kluge Developer Lösungen entwickeln, die einfach funktionieren.
Von der Rückseite betrachtet, merkt man schnell, dass auch hier das Schaufenster/Frontend in Kombination mit keinerlei Kommunikation von Fehlern sehr gut funktioniert, aber im Maschinenraum viele kleine Lecks mit sehr viel Aufwand gestopft werden müssen.
Die Buchhaltung ist in der Regel das letzte Glied in der Kette und dass solche Firmen ihre wöchentlichen/monatlichen Partnerabrechnungen von einer Armee an Werkstudenten erstellen lassen, obwohl es für kaufmännisch identische Prozesse automatische Abrechnungen gibt, ist fast die Regel denn die Ausnahme. Das funktioniert sogar, da die Partner ebenfalls Start Ups sind und keine Seite diese Menge an Daten valide prüfen kann und 80/20 ausreichend ist.

80/20 darf aber nicht der Qualitätsanspruch an unsere Verwaltung sein, weswegen ich bezweifeln würde, dass ein agiles Tech-Unternehmen in der Lage wäre, die Verwaltung in Deutschland mit ihren Methoden zu zentralisieren.
Denn eins kann die Verwaltung und das ist mit sehr wenigen Fehlern arbeiten. Selbst wenn es einem manchmal nicht so vorkommt, aber vergleicht man die Fehlerquoten mit einem Startup, dass diese einfach mit Geld statt inhaltlich löst, sind wir hier sehr gut bedient.
Von dem Compliance Verständnis in Startups möchte ich gar nicht anfangen…
(Fragt dort mal nach einer ISO 9001 Zertifizierung, die jeder „konservative“ Mittelständler in der Schublade liegen hat)

Am Ende müssen es die bewährten Prozessketten kombiniert mit den digitalen Werkzeugen sein.
Vielleich nicht der strukturierteste Beitrag, aber ich warne davor, zu denken, dass Tech-Startups so viel weiter sind, bei solchen Lösungen. Die Bafin hat zum Beispiel nicht ohne Grund das Wachstum von N26 eingeschränkt.

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Das kommt wirklich auf den Bereich an.
Wer mal eine Betriebsprüfung durch das Finanzamt erlebt hat, merkt sehr schnell, dass da alles nach dem Pareto-Prinzip („80/20-Regel“) läuft. Daher: Das Finanzamt arbeitet streng wirtschaftlich - der Prüfer investiert keine 5 Zeitstunden, um dann hinterher 100 Euro zusätzliche Steuern rauszuholen. Die Prüfer, die ich kennenlernen durfte, haben eigentlich immer nur nach den „dicken Brocken“ gesucht, was in der Buchhaltung dann schnell dazu führt, dass man es in komplizierten Angelegenheiten (z.B. umsatzsteuerliche Dreieckgeschäfte) selbst in der Steuerberatung nicht so eng gesehen hat. Die Anweisung war auch hier immer, wirtschaftlich zu arbeiten. Daher: Wenn die „richtige“ Ausführung einer Buchung mehr Zeit kostet, als hier an potentiellen Bußgeldern im Raum steht, wird’s halt nach Bauchgefühl gemacht.

Ich will damit nur sagen, dass Ämter eben auch zunehmend wirtschaftlich orientiert arbeiten - und das macht ja durchaus auch Sinn. Die Gefahr ist natürlich genau die oben beschriebene: Wenn der Bürger (Unternehmer, Steuerberater…) weiß, dass ab einer gewissen Geringwertigkeitsschwelle der Staat untätig bleibt und das Recht nicht durchsetzt, führt das langfristig natürlich zur Erosion dieses Rechts. Daher ist es auch schlicht gefährlich, wenn Staaten wie Unternehmen nur nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten (dh. mit der Fragestellung: „Lohnt es sich für uns finanziell“) arbeiten. Denn der Staat hat eben auch die Aufgabe, die Rechtsordnung zu schützen - und nicht nur die Aufgabe, möglichst viel aus möglichst wenig Steuergeldern zu machen. Und das erfordert eben eine Kleinlichkeit, die für jedes Unternehmen ruinös wäre.

Ich habe viele Jahre für eine typisches IT-Consulting-Softwarehaus gearbeitet, wir haben immer wieder versucht im kommunalen Sektor bei Behörden, Stadtwerken etc. Fuß zu fassen, leider immer nur mit mässigen Erfolg. Die beschrieben Insellösungen werden häufig von Kleinstunternehmen (Meier EDV-Lösungen, Herr Meier ist seit 1995 Certified Microsoft Developer für Windows NT und programmiert, Frau Meier macht die Buchhaltung und erstellt die Rechnung) Die Anwendungen sehen seit 25 Jahren gleich aus und sind aus heutiger Sicht unbedienbar. Die Mitarbeiter haben sich aber daran gewöhnt und benötigen eine Schulung wenn sich in einer neueren Version die Anordnung der Buttons geändert hat.
Da ist als neue Firma häufig nur schwer dazwischen zu kommen, insbesondere wenn der Leiter der Behörde doch schon mit Meier EDV-Lösungen so viele Jahre gute Erfahrungen gemacht hat und mit Herrn Meier auch im gleichen Schützenverein ist.