LdN 301: Grundlegende Unterschiede Verwaltung und Privatwirtschaft

Vielen Dank, dass ihr euch diesem wichtigen Thema konstruktiv annehmt. Als Verwaltungsstudent ist mir in der Folge ein Punkt aufgefallen, der auch in den Diskussionen hier an vielen Stellen durchscheint: Auch wenn privatwirtschaftliche Akteure in Sachen User-Experience sicherlich Standards setzen, ist die Verwaltung eines Staates in vielen anderen Bereichen mit privatwirtschaftlichen Akteuren nicht zu vergleichen:

  1. Umfang / Fairness / Gleichbehandlung
    Die Verwaltung eines Staates muss letztendlich ihre Leistungen für ALLE anbieten, egal wie
    unterschiedlich diese Individuen sind. Amazon kann die letzten 5% der Fälle die oft 80% der Kosten
    in Zeit, Geld und Komplexität verursachen einfach ignorieren wenn sie nicht wirtschaftlich sind, ein
    Staat nicht. Daneben sind die Erwartungen was Gleichbehandlung angeht (zurecht) ganz andere als
    bei einem privaten Unternehmen. Twitter kann willkürlich Accounts von seiner Plattform entfernen,
    ein Staat muss auch eine kriminelle Person mit Hackingskills noch fair behandeln.

  2. Relevanz / Sicherheitsanforderungen
    Auch wenn für manche der Entzug des Twitteraccounts wohl mit dem Verlust einer
    Staatsbürgerschaft vergleichbar scheint, handelt es sich selbstverständlich um völlig andere Dinge.
    Während auf Booking.com noch maximal eine sperrbare Kreditkarte gefährlich werden kann, tun
    sich mit einer gestohlenen digitalen Identität völlig andere Möglichkeiten auf.
    Dasselbe gilt für die Daten von Individuen, Zentralisierung kann hier zur massiven Gefahr werden.
    Klassisches Extrembeispiel ist hier das effiziente Einwohnermeldesystem der Niederlande mit den
    entsprechenden Folgen während der NS-Besatzung. Der Grat zwischen den für angenehme
    Nutzung nötigen und für umfassende Überwachung ausreichenden strukturierten Daten ist schmal.

Die Kombination dieser Aspekte (und weiterer, wie z.B. Komplexität: Booking.com muss keine Bedürftigkeitsprüfung vornehmen) führt dazu, dass Digitalisierung einer staatlichen Verwaltung und in der Privatwirtschaft fundamental verschiedene Probleme sind. Das Argument soll an dieser Stelle nicht sein, dass die deutsche Verwaltung wegen diesen Aspekten an der Digitalisierung scheitert, dass Digitalisierung einer staatlichen Verwaltung faktisch unmöglich ist, oder dass die aktuelle Vorgehensweise mit diesen Problemen gut umgeht. Vielmehr müssen diese Aspekte bei der Bewertung von E-Government Maßnahmen und Wünschen sowie beim Vergleich mit anderen Staaten immer Miteinbezogen werden. Diese Sichtweise habe ich in der aktuellen Folge vermisst.

In jedem Fall bin ich sehr gespannt auf die nächste Folge und hoffe sehr, dass ihr das Thema weiter begleitet.

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Hallo zusammen,

es gibt auch in der Privatwirtschaft Fälle, die stark reguliert sind und trotzdem digital ablaufen. Der gesamte Bereich des Onlinebanking bspw. Dadurch das es mittlerweile Banken ohne Fillialsystem gibt, sind Prozesse bspw. für die Eröffnung eines Girokontos, die Beantragung einer Kreditkarte oder auch eines Aktiendepots mittlerweile vollkommen digital möglich.

Es wird auf Videoanrufe und digitale Unterschriften zurückgegriffen, um die Identität des Gegenübers zu bestätigen.

Ähnliche Entwicklungen gibt es bei der Polizei, wo im Zusammenhang mit weniger schwerer Kriminalität mittlerweile mit Video-Vernehmungen experimentiert wird.

Ich sehe ehrlich gesagt nicht, warum ein Staat die von dir aufgeworfenen Aspekte nicht lösen könnte. Sicherlich sind die Anforderungen höher, aber -wie im Podcast schon gesagt wurde- es gibt die Lösungen bereits, ob in der Wirtschaft oder in anderen Staaten, man muss diese nur mal erkennen und nutzen.

Verwaltung müsste da auch mal über ihren Schatten springen. Ich arbeite selbst im öffentlichen Dienst und weiß auch warum mal in diesem Bereich nicht 5 einfach mal gerade lassen kann, aber meiner Erfahrung nach werden die von dir angeführten Punkte meistens nur genutzt um Leute einzuschüchtern und so Dinge zu verhindern.

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Da ist sie wieder, die Angst vor der einen Nummer.

Die muss in Deutschland überwunden werden, sonst wird das nie was mit einer erfolgreichen Digitalisierung.

Aber trotz dieser einen Nummer kann man ja Beschränkungen einbauen.

So kommt mein Arzt trotz der einen Nummer nicht an meine Finanzamtdaten (zumindest die nichtöffentlichen) oder an meine Daten bei der Polizei und umgekehrt.

Aber durch die Verwendung meiner Personennummer lassen sich halt wichtige Sachen verknüpfen.
So gibt es auch hier in Schweden eine Zuzahlungsbefreiung bei Medikamenten und Gesundheitsdiensten. Diese wird beim FA hinterlegt und kann von dem Arzt oder der Apotheke eingesehen werden.

Das wäre ohne die eine Nummer nicht möglich.

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Wobei auch hier Fallstricke liegen:
https://www.ccc.de/de/updates/2022/chaos-computer-club-hackt-video-ident

Ich stimme euch voll und ganz zu, aber der Teufel liegt im Detail. Denn gleichzeitig gibt es Fälle wie die Toeslagenaffaire in den Niederlanden, deren System mit der einen Nummer ich während meinem Auslandssemester auch sehr angenehm fand. Andererseits wurde es dazu genutzt armen, migrantisch gelesenen Familien Beihilfen für Kinder abzuziehen weil es politisch opportun war.
Es ist ja der Anspruch der Lage konstruktiv zu arbeiten, was ich sehr schätze, dazu gehört für mich bei diesem Thema eben konkrete Lösungen auf die ursprünglich genannten Punkte abzuklopfen, dass war der ganze Anlass meines Beitrags.

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Hab mich ein wenig durch deinen Wiki-Link gelesen.

Ganz ehrlich: Durch die Digitalisierung ging es nur einfacher, aber der Skandal wäre in Deutschland genauso möglich.
Vielleicht mit ein paar weniger Betroffenen, aber das eher durch die Dezentralisierung als durch die mangelnde Digitalisierung.