LdN 301: Digitale Disruption / Zentralstaat?

Liebes Lage-Team,

vielen Dank für die erste Folge zur Digitalisierung; mit dem Thema „Digitalisierung“ habe ich mich ausführlich beschäftigt, allerdings noch nicht im Verwaltungsbereich.

Aus der Folge 301 kann man sehr schön sehen, dass man bei Digitalisierung zwischen verschiedenen „Graden“ unterscheiden muss:

  1. Analog
  2. Digitization (unstrukturiert, Scannen von Formularen)
  3. Digitalisierung (digitales Arbeiten)

Die Digitalisierung geht dabei i.d.R. mit der Änderung von Prozessen einher; es kommt häufig auch zu der sog. Digitalen Disruption.
Man denke z.B. an die Versicherungsbüros, die von Vergleichsportalen weitgehend abgelöst wurden oder an die Bankfilialen, die man heute i.d.R. online aufsucht. Vielfach werden hierbei auch Prozessschritte auf den Kunden übertragen, z.B.bei der Bestellung in McDonald’s Restaurant, hier mit Vorteilen auf beiden Seiten: McDonald’s spart Personal ein und der Kunde „freut“ sich, dass er beschäftigt ist und selbst etwas tun kann.

Für die öffentliche Verwaltung bedeutet eine vollständige digitale Transformation m.E. Folgendes:

  • Kompetenzen der Gemeinden, Landkreise, …(?) müssen an Land und/oder Bund abgegeben werden
  • die Prozesse werden in allen öffentlichen Verwaltungen vereinheitlicht (landesweit oder bundesweit)
  • dadurch kann viel Personal „eingespart“ werden
  • als Folge des Fachkräftemangels ist das ein willkommener Effekt; evtl. sogar notwendig
  • nicht mehr jede Gemeinde wird eine eigene Verwaltung benötigen

Ich denke, man sollte auch in diesem Thema offen kommunizieren, dass eine Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland nur dann vollständig gelingen kann, wenn die „dezentrale“ Verwaltung durch eine zentrale Verwaltung abgelöst wird.
Sonst wird es immer die „Fürstentümer“ (Gemeinden, Kreise, Regierungsbezirke, Länder,…) geben, die eigene Regeln und Prozesse festlegen.

Aus unserer Geschichte heraus wissen wir allerdings, wie gefährlich zentrale Datenhaltungen sein können. Man stelle sich nur einmal vor, was die Nazis mit einem solchen „Datenschatz“ angestellt hätten. Ich unterstelle hierbei einmal, dass es wesentlich aufwendiger ist, in zehntausenden Gemeinden „Listen“ zu beschlagnahmen als zentral darauf zuzugreifen. Und dass auch heutzutage noch Genozide stattfinden zeigt, dass auch den „modernen“ (digitalen?) Menschen vieles zuzutrauen ist (oder nicht zu trauen ist).

Dennoch kann unsere Geschichte und die damit einhergehende besondere Verantwortung nicht dazu führen, dass wir auf dem Stand des letzten Jahrhunderts stehenbleiben. Wie bereits erwähnt, sollte eine gesellschaftliche Diskussion ergebnisoffen geführt werden, wie stark wir zu einer Zentralisierung bereit sind und welche Unbequemlichkeiten wir für eine dezentrale Datenhaltung (mit bessern Datenschutz) in Kauf nehmen möchten.
Im Fehlen dieser Diskussion sehe ich die größte Hürde für eine Digitalisierung der Verwaltung.

Ich freue mich auf die nächste Folge wünsche bis dahin allseits schöne Tage…

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Sehe ich nicht so. Die Daten müssen nicht zentralisiert werden für die meisten Prozesse. Es würde schon enorm viel bringen, wenn Standard-Prozesse, die es überall gibt, digitalisiert würden, sowas wie An- und Ummelden, Zulassungsstelle, Hund anmelden, Mülltonnen bestellen usw. Dazu muss man die Daten nicht zentralisieren, sondern nur ein und die selbe Software nutzen, die jeweils auf die Datenbanken der Gemeinde zugreift und einheitliche Schnittstellen hat. Evtl kann man das auch weiter treiben und z.B. Bauvorschriften hinterlegen.

Aber es geht in erster Linie um einheitliche Schnittstellen, sodass die notwendige Software nicht für jede Gemeinde getrennt programmiert werden muss und man damit enorm viel Geld und Personal sparen kann, wenn man die Beaufragung und Anforderungen zentral behandeln kann. Die Daten können aber bei den Gemeinden bleiben.

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Also das ist schonmal „falsch“.
In Deutschland hat ja auch jetzt schon nicht mehr jedes Dorf seine eigene Verwaltung.

Und auch in Schweden die ziemlich weit sind mit der Digitalisierung gibt es noch Kommunale Verwaltung.

Hallo Sascha71,

danke für Deine Antwort.
Im ersten Schritt reichen sicher einheitliche Schnittstellen; das ist aber keine vollständige Digitalisierung. Digitalisierung bedeutet auch, dass es unerheblich ist, wo die Daten gespeichert werden (natürlich DSGVO-konform).
Das meine ich mit der digitalen Disruption: wenn man es konsequent umgesetzt, stehen die lokalen Datenhaltungen zur Diskussion.
Diese Diskussion halte ich für erforderlich und zwar auf den verschiedenen Ebenen, die sie hat (z.B. Effizienz, Bürgernähe, IT-Sicherheit (Verfügbarkeit, Vertraulichkeit und Integrität) u.v.m.)

Ich halte es für besser, aus einem grundsätzlichen Diskurs heraus eine Strategie abzuleiten und umzusetzen, als einfach zu sagen, wir definieren ein paar Schnittstellen und schauen, wer dann mit wem reden kann und was sich damit verbessert. Ob die Diskussion in Richtung Zentralisierung, Regionalisierung oder Dezentralisierung führt, weiß ich nicht. Aber es sollte eine bewusste Entscheidung sein, da die Digitalisierung die Möglichkeiten bietet.

Natürlich muss man die führen, aber das Ergebnis finde ich ziemlich offensichtlich, bis auf Details. Wie Sie schon geschrieben haben, hat die zentrale Datenhaltung massive Probleme, daher sollten die Daten in der Hoheheit der Gemeinden bleiben. Für Abfragen an andere Gemeinden kann man einen Prozess generieren, der bei Datenabfrage eine Nachricht an den Bürger schickt, der diese Anfrage dann mit seiner digitalen Unterschrift authorisieren muss.

Das kompizierte ist, dass man sich über die Anforderungen und dann über die konkrete Definition einigen muss. Durch die kommunale Selbstverwaltung kann der Bund nicht einfach hergehen, die API definieren und die Gemeinden zwingen, das so zu implementieren. Technisch sind die Probleme alle gelöst, man muss ich halt einig sein.

Die Schnittstellen sind sicher ein großes Thema wie auch das Beispiel aus der Lage-Folge gut aufzeigte, dass die unterschiedlichen Fachbereiche in der eine Gemeinde zu einem Vorgang die Daten nicht digital austauschen konnten.
Das kann im großen Stil nicht funktionieren, wenn im kleinen die Datenverarbeitung während eines Vorgangs von Digital auf Analog zurück zu Digital springt.

Wo ich viel Potential sehe (vielleicht täusch ich mich auch da nicht vom Fach), aber ich kann nicht verstehen das jede Stadt oder Kommune seinen eigene Internetpräsenz aufbaut und betreut.
Da ist von echt schlimm bis gut gemacht alles dabei, warum kann man nicht auch hier ansetzten ala Franchising, dass zumindest auf Bundeslandebene alle gleich aufgebaut sind?
Klar das ist ja nur die GUI für den Bürger, aber ist es nicht für die anschließende Verarbeitung der Anliegen der Bürger einfacher, wenn der Input identisch ist?
Ich vermute, die Homepage der jeweiligen Städten und gemeinde ist so die Spielwiese der IT´ler, wo sie weitestgehend ungestört austoben können :smirk:
Meinetwegen kann es ja eine Bereich geben, der den individuellen Belangen des jeweiligen Ortes frei beleibt zu gestalten, aber die grundlegende Struktur & Design sollte vereinheitlicht werden.

Für mich ist das Ergebnis noch nicht offensichtlich, vermutlich habe ich noch nicht ausreichend darüber nachgedacht.
Wir wäre es mit einer Analogie zum Finanzwesen/Steuerbehörden?
Elster läuft m.W. zentral, aber die jeweiligen Finanzämter haben Zugriff?

Zum Thema Schnittstellen: ich denke auch, dass die zentral vorgegebenen werden müssen; allerdings müssen die Verwaltungen auch verpflichtet werden, diese einzusetzen.
Aus Erfahrungen (aus einer anderen Domäne) kann ich sagen, dass Schnittstellen die Hölle sind. Einfache Datenaustausche (Export/Import) funktionieren vielleicht noch, wenn die Datenstrukturen passen; „online“ Abfragen per REST-API sind schwierig, wenn man ein differenziertes Berechtigungssystem benötigt. Beispiel: woher soll System B wissen, dass Nutzer aus System A eine Zugriffsberechtigung für die angefragten Daten hat?