LdN 301: Behörden müssen kein Geld verdienen

Zu Anfang eurer Episode über die Digitalisierung von Behörden hattet ihr mehrfach erwähnt, dass Behörden (bzw. der Staat) keinem kommerziellem Druck unterliegt. Bei euch klang das wie ein Vorteil, ich halte es allerdings für einen entscheidenden Nachteil. (Oder auch nicht, s.u.).
Bevor ich hier falsch verstanden werde: Nur weil ich das für einen Nachteil halte, heißt das nicht, dass ich das privatisiert sehen möchte. Manche Nachteile muss man einfach hinnehmen.

Ihr habt es nach dem Einspieler aus dem Rathaus in Franken schon gesagt: Für Behördenmitarbeiter sind die Vorgänge, die dort geschehen, völlig normal (sofern sie nicht gerade neu angefangen haben). Mehr noch, alle Beteiligten haben ein Interesse daran, dass das so bleibt!

  • Der/Die SachbearbeiterIn freut sich, dass man für ausdrucken, stempeln, kopieren, faxen, scannen und durch die Behörde tragen ein ganz anständiges Gehalt kriegt. Das eigene Häuschen wird davon bezahlt, und man muss nichts lernen was neu und vielleicht kompliziert ist.
    https://talk.lagedernation.org/t/digitalisierung/15238
  • Als Behörden-LeiterIn kann man sich toll finden, dass man so viele Leute unter sich hat, und rechtfertigt damit ein höheres Einkommen, weil man so viel Personalverantwortung hat.
    https://talk.lagedernation.org/t/ldn301-mindset/15239
  • Die Gewerkschaft/der Betriebsrat freut sich, dass alle versorgt sind, und dass man so viele Mitarbeiter vertritt. (Doch, auch Beamte sind in Gewerkschaften!)
  • Der Drucker-Hersteller ist sowieso fein raus. Erfahrungsgemäß ist der Drucker geleast und es wird pro gedruckter Seite abgerechnet.
  • Der Software-Hersteller kann fleißig für eine Software kassieren, die eigentlich gar nicht den Anforderungen genügt.
    https://talk.lagedernation.org/t/ldn-301-tech-startups-nicht-alles-gold-was-glaenzt/15229/3
  • … und weil der Staat genug Geld und keine Konkurrenz hat, gibt es niemanden, der hier auf Kosten oder Effizienz achtet.

Ich kriege hierfür jetzt sicherlich Gegendwind, weil ich so pauschal über Behörden und Beamte urteile. Das ist halbwegs berechtigt. Meine Erfahrungen stammen aus der Privatwirtschaft. Ich gehe also davon aus, dass Behörden noch viel schlimmer sind.
Wie gesagt, auch Firmen, die eigentlich einem kommerziellen Druck unterliegen, haben solche Probleme.

Das klingt alles wie Allgemeinplätze, daher mal ganz konkret an eurem Beispiel:
Wieso kommt das Rathaus nicht auf die Idee, die ganzen Belege, die da gedruckt, unterschrieben und gescannt werden, wenigstens als PDF zu drucken und digital durch’s Haus zu schicken? Dann müsste wenigstens kein Papier durch die Gegend getragen und archiviert werden.
Das ganze riecht ganz schwer nach „na, es geht halt nicht anders, also machen wir’s so“, und man übersieht die Möglichkeiten, das Problem zumindest zu reduzieren.
(Es tut mir leid, dass ich die Mitarbeiter, die sich bereiterklärt haben, euch ein Interview zu geben, jetzt als Beispiel verwende. Sie sind sicherlich noch auf der motivierten Seite einzuordnen.)

Die unbequeme Wahrheit ist doch: Die meisten Behörden-Vorgänge benötigen eigentlich wenig bis überhaupt keine menschliche Interaktion.

  • Neuer Personalausweis: Maximal muss geprüft werden, ob das neue Foto die gleiche Person abbildet wie das alte. Geht aber auch automatisch. Sonstige Daten werden sowieso vom alten Ausweis oder aus dem Melderegister übernommen oder nicht geprüft (z.B. Größe).
  • Reisepass: Ist quasi der Personalausweis, plus Fingerabdruck abgeben.
  • Meldebescheinigung: Sollte jeder immer herunterladen können, natürlich gebührenfrei.
  • Hochzeit anmelden: Passiert da mehr, als die Daten der beteiligten Personen einzusammeln?
  • Gewerbe anmelden: Was wird da eigentlich geprüft, wenn ich nicht gerade mit Giftstoffen hantiere?

Ich bin total begeistert vom Online-Portal des Finanzamts, übrigens ohne ePerso oder solche Spielereien. Da kann ich sowohl meine Daten vom letzten Jahr als auch die Daten meines Arbeitgebers mit einem Klick übernehmen. Wieso kann mein Bürgerbüro nicht genau so ein Portal haben (natürlich auf Basis einer bundesweit einheitlichen Software)?
„Für einen neuen Personalausweis klicken Sie hier und laden ein aktuelles Foto hoch, für eine Wohnsitz-Meldung klicken Sie hier, und eine Meldebescheinigung mit Datum von heute können Sie hier runterladen“.

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Ich behaupte, dass jeder aus seiner Lebenserfahrung unangenehme Erfahrungen mit öffentlicher Verwaltung gemacht hat. Nicht-Erreichbarkeit, Unhöflichkeit, Hohes Ross, Engstirnigkeit, Verstecken hinter Paragrafen… Sicher gibt´s gelegentliche Ausnahmen. Mir fallen nicht viele ein. Und das gilt nach meiner Erfahrung bspw. mit div. Stadtverwaltungen über alle Hierarchieebenen. Zudem entwickeln einige öffentl. Verwaltungen ihr Eigenleben und entziehen sich öffentlicher Kontrolle durch kommunalpol. Gremien. Das alles nachhaltig zu verändern scheint mir eine echte Herkulesaufgabe. Und so gilt b.a.w. „Das war schon immer so“, was der frühzeitige Tod jedes Innovationsversuches ist. Digitalisierung allenfalls zur Vermeidung unmittelbarer Kundenkontakte zur Abwehr dienstlicher Aufträge…
Bin gespannt auf die kommenden Folgen. Und kann mir bei der Grundmentalität vieler städtischer Bediensteter noch keine Besserung/Änderung vorstellen.
Anfang der 70er besang der junge Reinhard Mey: Reinhard Mey - Ein Antrag auf Erteilung eines Antragformulars - YouTube

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Ich finde interessant, dass Du das so siehst. Mir fällt es schwer, mich an irgendeinen Fall zu erinnern, bei dem ich in der öffentlichen Verwaltung auf Unhöflichkeit, hohes Ross oder Engstirnigkeit gestoßen wäre, und ich habe Behördenerfahrung in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg. Die allermeisten Personen, mit denen ich da zu tun hatte, waren freundlich und hilfsbereit. Dass oft die Vorgänge und Prozesse nicht gerade hilfreich sind, ändert nichts an dieser Tatsache.

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Das schlimme ist ja, dass man u.U. garnicht weiß, was man alles machen muss. Beispiel Ummeldung:
klar - anmelden am neuen Wohnsitz, aber dann? Wenn das Gewerbe nicht umgemeldet wird, begeht man eine Owi. Ne neue Steuernummer gibt es spätestens zur nächsten Steuererklärung. Halter von Kfz müssen sicher auch irgendwo melden. Irgendwelche amtlichen Erlaubnisscheine sind sicherlich auch auf die Wohnanschrift referenziert…

Das ist in Dtl. wirklich ein Problem. Zumal so Manches dann auch noch mit einem Verwarngeld belegt ist.

Da lobe ich mir doch die Zentralverwaltung in Schweden:

  • Umzug: eine Anmeldung beim FA, fertig.

Es gab noch 2 Sachen die ich selbst ummelden musste: Strom und Internet, weil neue Verträge.

Alle Bestandsverträge (Bank, Versicherungen u.s.w.) rufen die Anschrift eh über die Personennummer ab bei postalischem Kontakt. Vieles davon läuft aber sowieso über mein digitales Postfach.

Noch besser war die Namensänderung meiner Frau, wo die Kommune (ihr AG) schon alles geändert hat (am Tag) bevor sie am Abend die Benachrichtigung über die Anerkennung in der E-Mail gelesen hat.

Ebenfalls sehr angenehm hier ist die Tatsache, das eine Verwaltungsgebühr für Antragsleistungen (Namensänderung, persönliches KFZ Kennzeichen u.s.w.) erst anfällt wenn der Antrag genehmigt wird. Kriegt man eine Ablehnung ist die kostenfrei.

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