Für den Pflegenotstand sind viele Gründe verantworlich, genannt werden u.a. immer wieder die Fallpauschalen, wie auch in der aktuellen Folge. Ich habe mich in meinem zweiten Beitrag schon einmal mit dem Thema (damals bezogen auf mangelnde Psychotherapie-Plätze) auseinandergesetzt und möchte meine damaligen Gedanken dazu ein Jahr später noch einmal ins kollektive Gedächtnis rufen und eurem Feedback zu unterwerfen, da ich die oft gehörten Argumente und auch jetzt genannten Argumente für nachvollziehbar, aber verkürzt halte:
TL:DR (= „too long, didn’t read“, unten dann aber begründet):
(1) Die Fallpauschalen sind das beste Vergütungssystem, das wir im Vergleich mit anderen Systemen haben
(2) Die oft genannten negativen Anreizwirkungen („zu frühe Entlassungen oÄ“) sind praktisch kaum ein Problem
(3) Der Spardruck ist da, liegt aber nicht an den Fallpauschalen, sondern am zweigleisigen Finanzierungssystem der Krankenhäuser
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zu (1) Alternativen zur Fallpauschale sind die in der Lage angerissene „Rechnung danach“ (= Einzelleistungs-Vergütung) und die Liegepauschale (vereinfacht: Bezahlung pro Liegetag im Krankenhaus). Ersteres reizt stark zur Überleistung an, letzteres hatten wir vor Einführung der Fallpauschalen und reizt dazu an, dass Patienten ewig liegen und wenig geleistet wird. Die Fallpauschale ist da ein guter Mittelweg und führt wegen Zu- und Abschlägen bei längeren bzw. (zu) kurzen Liegedauern faktisch auch nicht wie aufgeworfen zu zu frühen Entlassungen (siehe (2)). Die Fallpauschale als solche ist also nicht das Problem, sondern höchstens ein „Zu-Kurz-Kommen“ von Präventiv- und Pflegeleistungen - diese Ausblendung hat man bei Tagespauschalen systemisch aber auch (es wird eben die Liegezeit unabhängig vom Aufwand berechnet) und zu Einzelleistungen gibt es keinen Unterschied: Entweder sie werden in der Pauschale oder Einzelrechnung berücksichtigt oder eben - so wie jetzt - zu wenig oder gar nicht. Die Ausgestaltung ist also das Problem.
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zu (2) Es werden viele negative Anreize gegen Fallpauschalen aufgeworfen, die „blutige Entlassung“ habe ich hier auch noch mal aufgearbeitet. Die letzten zwanzig Jahre war die Gesetzgebung sehr fleißig, Maßnahmen gegen alle möglichen Anreize einzuführen (s. Grafik im eben verlinkten Beitrag, welche Anreize da erfasst wurden - konkrete Maßnahmen zu anderen Anreizen kann ich bei Bedarf mal raussuchen, falls es interessiert). [Edit: kleine inhaltliche Korrektur in diesem Abschnitt]
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zu (3) Spardruck gab es schon immer, der war vor den Fallpauschalen ebenso ein riesen Problem - witzigerweise immer sogar stärker in Nicht-Privaten Einrichtungen. Warum? Gerade staatliche Krankenhäuser beziehen ihre Investitionsmittel von den (immer finanziell etwas angeschlagenen) Ländern, so wie Private und Freigemeinnützige diese von ihren Investoren/Spendern bekommen. Das „Daily Business“ läuft dagegen über die Fallpauschalen. Da Private die Investitionen regelmäßig aktuell hielten, staatliche Institutionen mittlerweile (bzw. zur Zeit meines damaligen Beitrages) einen Investitionsstau von 50 Milliarden angehäuft haben, müssen die Öffentlichen kompensieren: Die öffentlichen Krankenhäuser bezahlen dringenste Investitionen teils durch Überschüsse aus den dafür eigentlich nicht gedachten Fallpauschalen - Spardruck-Intensivierung garantiert! Grund ist aber - wie gesagt - eben nicht die Fallpauschale, sondern die fehlende Investition seitens der Länder - vertiefend nochmal im oben zitierten Beitrag.
Fazit: Die Krankenhäuser brauchen mehr Geld zum Investieren und die Pauschalen müssen auch Pflege- und Präventivleistungen erfassen. Letzteres, also die monetäre Ausweitung der Vergütung, könnte man schlicht ermöglichen, indem man die private Krankenversicherung abschafft, so die Gutverdienenden wieder in die Gesetzliche müssen, dort wieder das Solidarprinzip greift und somit mehr Geld da ist. Unser Wohlstand wächst prozentual ähnlich zu den Gesundheitskosten. Wir als Gesellschaft habenverdienen das Geld, es wird wegen der Privaten Krankenversicherung schlicht nur nicht ausreichend eingesammelt und dort, wo es gebraucht wird, hingebracht. Dann kriegt man das Personalproblem von der finanziellen Seite auch besser in den Griff.
Andere Faktoren und Gründe für den Pflegenotstand gibt es natürlich auch noch, ich habe mich jetzt nur mit den Finanzen befasst.
Vielen Dank fürs Lesen!