LdN 294: Merkels AfD-Kritik rechtswidrig

Hallo,
könntet ihr bitte das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15.06.2022 einordnen. Hierbei wurde Angela Merkel dafür gerügt die AfD 2020 verbal angegriffen zu haben.

Hintergrund: Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich wurde 2020 mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt. Das hatte Merkel u. a. als „unverzeihlich“ bezeichnet. Laut Verfassungsgericht sei sie damit zu weit gegangen, weil die AfD durch die Aussage der Kanzlerin keine Chacengleichheit geboten bekam.
Sehr interessant finde ich das Sondervotum von Prof. Dr. Astrid Wallrabenstein, die das anders sieht.

Ich bin kein Jurist und kann da die rechtlichen Aspekte nicht einordnen, finde es moralisch jedoch richtig, dass Merkel sich positionierte.

Was denkt ihr darüber?
Was sagen die JuristInnen?

Quellen:
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/bvg22-053.html

Weil mir die juristische Einordnung von Merkels Kommentar zur AFD vollkommen WURSCHT ist, kennt ihr dieses mega witzige Video von Tilo Jung zur AFD?

Fazit: Die Afd ist neoliberal, Atomkraftbefürtworter und vor allem sie ist „DAGEGEN“, sie hat keine Lösungen aber sie ist einfach mal dagegen… Ich hab mich kaputt gelacht;

Rechtlich ist die Situation halt relativ einfach:

Die bisher ständige Rechtsprechung des BVerfG war immer, dass es für Regierungsmitglieder eine Neutralitätspflicht gibt, was die Parteipolitik angeht. Sie dürfen zwar Parteipolitik betreiben, aber es muss erkennbar sein, dass sie dies aus ihrer Rolle als Parteifunktionär und nicht aus ihrer Rolle als Regierungsmitglied tun. Diese Rechtsprechung ist auch gut und richtig - gerade das Beispiel Ungarn zeigt, wie problematisch es für die Demokratie werden kann, wenn die Regierung aktiv alle ihre Mittel nutzen darf, um die Chancengleichheit im Wahlkampf quasi völlig zu zerstören.

In diesem Fall hätte es nun fast die Sensation gegeben, dass diese ständige Rechtsprechung gekippt worden wäre. Die Argumentation der Sondervoten war hier, dass die Neutralitätspflicht der Regierung nur schwer abgrenzbar sei, weil häufig eben nicht wirklich deutlich wird, ob z.B. die Kanzlerin gerade als „Kanzlerin der Bundesrepublik“ oder als „Vorsitzende ihrer Partei“ spricht (beide Ämter fallen ja oft zusammen, vor allem bei der CDU, Merkel war ja auch bis 2018 noch Parteivorsitzende, also den größten Teil ihrer Kanzlerschaft über).

Diese Kritik der mangelnden Abgrenzbarkeit zwischen den Rolle eines Politikers gab es gerade im juristischen Schrifttum schon immer. Würden wir hier über Strafrecht reden, würde dieses Argument auch deutlich stärker wiegen, weil die Beweislast umgekehrt wäre. Aber im Verfassungsrecht ist halt alles wesentlich offener. Ob man diese Kritik für angebracht hält, kann jeder selbst beurteilen - ich persönlich denke, diese Kritik ist eher konstruiert. Denn Verstöße gegen die Neutralitätspflicht gibt es eigentlich immer nur, wenn die Regierungsmitglieder ganz klar in ihrer Funktion als solche auftreten. Im vorliegenden Fall ging es z.B. darum, dass Merkels Aussagen auf den Webseiten der Bundeskanzlerin (also den offiziellen, staatlichen Webseiten des Amts der Bundeskanzlerin) und der Bundesregierung veröffentlicht wurden - und das ist dann ohne zweifel aus der Rolle der Regierung heraus. Hätte sie diese Aussagen auf den Webseiten der CDU-Bundesfraktion veröffentlicht, wäre es kein Problem gewesen. Aber so ist es halt ein klarer Verstoß und auch klar erkennbar, dass hier eben gerade nicht „Merkel als CDU-Abgeordnete“ handelt, sondern „Merkel als Regierungschefin“. Ich sehe hier keine wirklich verschwimmenden Linien. In wirklichen Zweifelsfällen, in denen also nicht eindeutig ein Statement als Regierungsmitglied vorliegt, würde man, so zeigt es die Vergangenheit, nicht das Fass der Neutralitätsverletzung aufmachen. Das wird i.d.R. wirklich nur aufgemacht, wenn Politiker ganz offensichtliche Dummheiten (wie hier geschehen) machen.

Grundsätzlich finde ich es daher gut, dass die bisherige Rechtsprechung beibehalten wurde - wie gesagt, es gibt etliche Negativbeispiele (nahezu alle Autokratien dieser Welt) in denen die Regierung aus ihrer Rolle als Regierung offen Wahlkampf macht und damit ihre Stellung zementiert. Das brauchen wir wirklich nicht.

Im konkreten Fall ist es halt Schade, dass diese Rechtsprechung zum Vorteil der AfD wirkt - aber wie immer im Recht darf man sich halt nicht vom konkreten Einzelfall leiten lassen, sondern es müssen rechtliche Konstrukte erarbeitet werden, die alle denkbaren Einzelfälle abdecken. Daher: Man kann die Neutralitätspflicht der Bundesregierung jetzt hier nicht anders bewerten, nur, weil man die AfD nicht mag.

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Würde so nicht funktionieren. Wenn es eine Pressekonferenz in der Funktion der Außenministerin ist, darf diese nicht für Parteipolitik missbraucht werden. Auch nicht, wenn sie sagt, dass sie jetzt nicht als Außenministerin sprechen würde.

Der Gedanke ist halt:
Die Außenministerin bekommt auf dieser Pressekonferenz die Aufmerksamkeit der Presse wegen ihres Amtes als Außenministerin. Wenn sie diese Gelegenheit ausnutzt, um damit Parteipolitik zu betreiben, ist das ein Problem der Chancengleichheit, weil andere Parteien diese Möglichkeit nicht haben - denn dann wären wir wieder bei ungarischen Verhältnissen.

Dass natürlich die Regierung immer einen „Amtsbonus“ hat, weil der Bürger natürlich jedes Regierungshandeln auch den Parteien zuschlägt, ist klar. Aber die Mittel, welche die Regierungstätigkeit zur Verfügung stellt, dürfen halt nicht gezielt missbraucht werden.

Wenn die Außenministerin daher im Wahlkampf auf einem Wahlkampftermin ihrer Partei auftritt, kann sie sagen, was sie will - denn dort ist sie offensichtlich als Parteimitglied, denn auch wenn sie nicht in der Regierung wäre, könnte sie diesen Auftritt wahrnehmen. Dass sie mehr Aufmerksamkeit bekommt, weil sie Ministerin ist, ist dann ein zulässiger Amtsbonus. Wenn sie jedoch eine Pressekonferenz als Außenministerin gibt - oder die Webseiten des Bundesaußenministeriums nutzt - oder gar einen Staatsbesuch als Außenministerin tätigt - muss sie sich mit der Parteipolitik zurückhalten.

Die Position, dass Regierungsmitglieder alle Parteiämter oder gar die ganze Parteimitgliedschaft ruhen lassen müssen, wäre die Extremposition in die Gegenrichtung.

Also die Extreme sind hier:

a) Das Regierungsmitglied darf die Vorteile der Regierungsmitgliedschaft vollständig politisch ausschlachten.
b) Das Regierungsmitglied darf die Vorteile der Regierungsmitgliedschaft konsequent gar nicht ausnutzen und muss folglich die Parteimitgliedschaft ruhen lassen.

Die aktuelle Rechtsprechung des BVerfG ist halt der vermittelnde Ansatz:
c) Das Regierungsmitglied darf die Vorteile der Regierungsmitgliedschaft nicht gezielt politisch ausnutzen.

Die Option B gilt übrigens - wenn auch nicht gesetzlich festgeschrieben - für den Bundespräsidenten. Und das funktioniert in der Regel auch relativ gut. Daher: Beim Bundespräsidenten ist tatsächlich jede parteipolitische Betätigung während der Präsidentschaft verpönt. Natürlich wäre das auch für alle hohen Regierungsämter denkbar, aber die Frage ist, ob wir das wirklich wollen und ob das wiederum verfassungsrechtlich zulässig wäre, weil es die politische Betätigung der Regierungsmitglieder halt schon sehr stark einschränken würde, denn natürlich hat auch ein Regierungsmitglied im Wahlkampf das Recht, Wahlwerbung für sich und seine Partei machen zu dürfen. Nur halt nicht gezielt unter der Ausnutzung der Vorteile der Regierung.

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Nichts. Wie immer. Oder hat jemand Lindner und Kubicki gehört, als die FDP schamlos mit der AFD und CDU in Thüringen gegen Windräder stimmen wollte? So viel zu Thema Freiheitsenergie.

Ich sehe diese Koalition wegen der FDP vorzeitig enden.

Da bin ich ganz bei dir. Ich wünsche mir sehr oft Neuwahlen, weil 3 Jahre mit der Populismus Partei unter Lindner und Kubicki dieses Land noch mehr beschädigen wird als Merkel es getan hat und mit ihrem Interview zuletzt nochmal getan hat. Aber dann wäre meine Angst zu groß, dass durch eine populistische Presse es für Schwarz Gelb unter Merz reicht.

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Gute Argumente.
Mein Verständnis ist, das Problem ist, dass sie es auf einer Pressekonferenz eines Staatsbesuchs gesagt hat. Wenn sie zu einer separaten Pressekonferenz als CDU-Mitglied geladen hätte und es dort gesagt hätte, wäre es OK gewesen.
Aber ich bin kein Jurist. Auch mich würde eine juristische Einschätzung interessieren.

In der Analyse in der Folge betitelt ihr Angela Merkel als CDU-Vorsitzende. Das war sie aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Die älteren unter uns werden sich noch an Frau Kramp-Karrenbauer erinnern.

Ändert das was an Eurer Bewertung?

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Hallo,
ich finde das die Lage, aus meiner Sicht, ein zentralen Aspekt falsch dargestellt hat. Frau Merkel war zum strittigen Zeitpunkt gerade nicht Vorsitzende der CDU. Sie war, meines Wissens nach, nur einfaches Parteimitglied und Abgeordnete auf der einen Seite und auf der Anderen Seite Kanzlerin.
Diese Tatsache hatte sich auch bereits darin widergespiegelt, dass sie sich aus parteilichen Angelegenheiten weitgehend zurückgehalten hatte und hinterher auch wieder getan hat, insbesondere im Bundeswahlkampf was ja auch hier kritisch begleitet wurde.

Diese Diskrepanz zwischen parteilichen und staatlichen Amt stellt eine besondere Anforderung an die Trennung von Partei und Amt, da keine einfache Abgeordnete in der Lage wäre solche Äußerungen, bei einem Staatsempfang, zu tätigen.

Des weiteren halte ich die geäußerten Befürchtungen bezüglich der Minister im Wahlkampf für überzogen, da es bei einer Wahlkampfveranstaltung ja aus sich herraus bereits ergibt, dass die Personen als Wahlkämpfer für ihre Partei und nicht ihm Staatsamt auftreten.

Kritisch war in meinen Augen an der Aussage auch, das sich die Bundeskanzlerin über die Wahl eines Ministerpräsidenten äußert, was im Bund-Ländergefüge eigentlich nicht sein sollte, die Länder sind keine vom Berlin zu steuernden Verwaltungseinheiten.

Gebt Amts-Disclaimern eine Chance

Zwei Beispiele warum Amts-Disclaimer funktionieren können:

  1. Amt wird jetzt schon genannt.
    Das Amt wird in Berichterstattungen schon jetzt fast wie ein Quasi-Vorname stets genannt: „Bundeskanzerin Angela Merkel…“. So könnte auch sehr leicht fortgeführt werden: „als CDU-Chefin äußerte sie sich zu…“
  2. Disclaimer für Transparenz üblich
    Auch in der Lage führt ihr jedes mal einen Transparenz-Disclaimer an, wenn ihr die Gesellschaft für Freiheitsrechte erwähnt. Warum sollten Disclaimer nicht auch für die Trennung von Ämtern üblich werden?

… und warum Disclaimer wichtig sein könnten:
3. Bewusstsein als Vorraussetzung für Resourcen-Trennung
In der Folge argumentiert ihr, dass für die Chancengleichheit der Parteien es vorallem darauf ankäme, nicht die Resourcen eines Regierungsamtes für Parteiinteressen zu verwenden. Hier kann ein Disclaimer, den Amtsinhaber:innen aussprechen, für sich selbst ein Bewusstsein der eigenen unterschiedlichen Ämter schaffen.
4. Alternative Schlussfolgerung: Trennung von Ämtern
Ihr argumentiert auch, dass Disclaimer nicht dazu führen, dass in der Wahrnehmung zwischen der Bundeskanzlerin und der Partei-Chefin unterschieden wird. Daher lehnt ihr Disclaimer ab. Wenn es nun aber für die Chancengleichheit im Parteienwettstreit wichtig ist, dass zwischen den Ämtern unterschieden wird, wäre eine radikalere Schlussfolgerung, dass bestimmte Ämter nicht von der gleichen Person ausgeführt werden sollten. Daher gebt den Amts-Disclaimern eine Chance.

Kurzer Hinweis dazu: Aktuell ist ja AfD-Parteitag:

Viele Medien gehen davon aus, dass die Partei dabei noch weiter nach rechts rutschen wird. Damit ist der Partei die baldige Bedeutungslosigkeit ala NDP meiner Meinung nach sicher.

Wie gesagt, ein einfacher Disclaimer reicht nicht.
Wenn die Regierung z.B. über die Regierungspressekonferenzen eine große mediale Reichweite haben, kann ein Regierungsvertreter bei einer solchen Pressekonferenz noch so oft betonen, dass er nun als „Parteipolitiker“ spreche: Wenn er die Reichweite, die ihm die Regierungspressekonferenz ausnutzt, ist es ein klarer Verstoß gegen die Chancengleichheit. Völlig egal ob mit oder ohne Disclaimer.

Das birgt das Risiko, dass die Diskussion vom Thema abkommt.

Es geht hier im Thema ja keineswegs um eine Einschätzung der AfD - hätte Merkel das genaue Gegenteil über die AfD gesagt und sie in den Himmel gelobt, wäre die Konsequenz die gleiche. Ebenso, wenn sie statt der AfD die LINKE angegriffen hätte. Das ist völlig unabhängig davon, ob die Kritik, die Merkel inhaltlich an der AfD geäußert hat, nun korrekt ist oder nicht. (natürlich war die Kritik korrekt und berechtigt, halt nur nicht aus der Regierungsfunktion heraus zulässig…)

Das inhaltliche Thema, wie weit rechts die AfD zu verorten ist, hat eigentlich keinerlei Bezüge zum Thema, um das es hier geht und sollte folglich in einem anderen Thread diskutiert werden.

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My sentiments, exactly!