LdN 293 - Übergewinne: Sind Unternehmen nicht verantwortlich?

Ich fand die Einordnung grundsätzlich richtig, dass die politischen Rahmenbedingungen angepasst werden müssten und man innerhalb der aktuellen Marktwirtschaft nicht erwarten kann, dass Unternehmen von sich aus „nett“ sind. Dennoch habe ich hier eine kleine Anregung oder andere Perspektive. Denn einfach zu sagen „das ist nun mal so“ und „alle feiern die Marktwirtschaft“ verselbstverständlicht (und bennent nicht deutlich genug), dass wir eine kapitalistische Marktwirtschaft haben (die durchaus auch anders gestaltet werden könnte und die nicht „alle“ feiern).

Aber selbst innerhalb dieses Systems, würde ich Unternehmen moralisch nicht außen vor lassen, nur weil die Politik darin versagt, ordentlich zu regulieren (oder eben keine Mehrheiten zustande kommen). Denn: Erstens haben Unternehmen Spielräume für nachhaltiges handeln und können Verantwotung übernehmen, wenn sie wollen. So gibt es durchaus (nicht wenige) Unternehmen, die nachhaltige Konzepte wie Gemeinwohl-Ökonomie-Bilanzierung, das Verantwortungseigentum und ähnliches bereits umsetzen.
Zweitens Darf man nicht unterschätzen, dass über Lobbying, Verbände und Kampagnen kapitalitische Unternehmen ja in der öffentlichen und politischen Meinungsbildung beteiligt sind. Auch in dieser Hinsicht sollten Unternehmen in die Pflicht genommen und als (mit)verantwortliche benannt werden.

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Ich habe mich auch zunächst ein Bisschen über die Formulierung innerhalb der Lage geärgert. In der Reflexion bin ich aber zum Schluss gekommen, dass es schon richtig ist. Unternehmen haben in erster Linie keine moralische, sondern unternehmerische Verantwortung. Ja, es gibt diese Unternehmen, aber wenn es halt welche gibt, die im Zweifel mit rechtlichen Grauzonen arbeiten, nur um doch noch ein Dorf wegzubaggern (dummes Beispiel, aber ja) haben die „fairen“ Firmen einen de facto Wettbewerbsnachteil.

Die gesellschaftliche Verantwortung kommt nicht von der Firma oder dem Weltmarkt, sie kommt von den Verbrauchern/der Gesellschaft. Der Mechanismus: „ich kaufe kein Nestlè mehr, damit sind sie schon gestraft“ stimmt aber halt auch nicht. Die Packung Cini Minis merken die gar nicht. Um gleiche Rahmenbedingungen für Wettbewerb zu ermögelichen, müssen die Rahmenbedingungen stimmig sein.

Sie schreiben:

Grundsätzlich ist das schon richtig, die gängige Praxis zeigt aber, dass es eben genau nicht funktioniert. Wenn ein Bauer sein Land mit Fokus auf Biodiversität und Tierwohl bewirtschaftet, wird er teurer produzieren. Es gibt die Menschen, die von ihm kaufen, aber mit dem „Gesamtmarkt“ kann er dann halt einfach nicht mithalten. Dadurch entsteht eine Drucksituation, die nur die Politik sinnvoll auflösen kann, denn versucht das eine Firma muss sie damit rechnen, dass sie all diese Risiken alleine trägt. Manche machen das mit Erfolg, viele viele andere scheitern.

Ich bin da vollkommen bei Ihnen, aber es ist halt in der gesellschaftlichen Debatte genau so: eine Mehrheit möchte die freie Marktwirtschaft, also müssen wir halt alle mit deren Folgen leben. Jetzt ist es unsere Aufgabe als Gesellschaft ein ebenes Feld zu erschaffen, in denen die „besseren“ (also moralisch wertvoller agierenden) Unternehmen nicht für ihr Engagement bestraft werden.

Ja, sollten sie definitiv. Aber eine Lobby für die Gegenseite kommt halt irgendwie auch nicht zustande. In Deutschland sind > 73% der Stimmbürger gegen Kükenschreddern (gute Frage, wie die anderen 27% denken) - dennoch wurde dieses verbotene Verhalten weiter übergangsmässig legitimiert. Wir alle kenne es, wir alle sehen es, es steht täglich in der Zeitung. Wo ist denn die Veränderung mit Wahlverhalten?

Ich weiss, fies formuliert, aber ich finde schon, dass es eine gesellschaftliche Verantwortung ist, dass halt solche Dinge sich verbessern und die wenigen Vordenker nicht noch für gesellschaftlich positives Verhalten bestraft werden, nur weil ihr Hackfleisch aus Muttertierhaltung halt teurer ist.

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Ich frage mich, was der Vorteil davon sein solle, nicht einfach Gesetze zu machen. Anstatt die Moral auf die Bürger:Innen oder Unternehmen abzuwälzen wäre es spontan einfacher, direkt die Einschränkungen in Rechtslage zu gießen. Dann wäre auch keine Frage ob etwas „moralisch“ ist oder nicht.
Zumal der Anreiz moralisch zu handeln bzw. auszusehen eher nur bei Unternehmen mit Mitarbeitern anzutreffen ist. Beispielsweise hat eine GmbH, deren Zweck das Halten einer Immobilie ist, quasi keinen moralischen Ansatz.
Andersherum wäre es sehr gefährlich immer nur dem Willen der Masse wie bei deinem Beispiel zu folgen.
Die aktuelle Situation ist doch gut. Jede:r kann sich die Politiker:innen reinwählen, von denen er:sie die progressivsten Gesetzesänderungen erwartet. Auf Basis der Gesetze können Unternehmen dann entscheiden ob sie im Land unter der neuen Gesetzeslage bleiben oder ob die Kosten des Exports der Küken zur Schredderung die Kosten des Umzugs der gesamten Huhn:Hahnbauernhofs überschreiten. Theoretisch könnten sie auch aufgrund von geänderter Gesetzes- oder Gesellschaftslage ihre Produktion umstellen wollen: Wenn also zu häufig Proteste vor dem Bauernhof stattfinden und die Mitarbeiter:Innen persönlich von Protestierenden angegangen werden, kann auch dies zu einer geänderten Entscheidung führen. Dies passiert jedoch in der Praxis aufgrund der seltenen Demonstrationen fast nie und führt eher zu Gegendemonstrationen - wie z.B. bei den 250 Landwirt:Innen bei Tönnies vs. den 250 Greenpeace Aktivist:Innen.

Fazit: Ich finde, man solle die Politik da nicht so aus der Verpflichtung lassen. Für die Einhaltung der Moral sind Gesetze da. Diese Gesetze sollten möglichst klar zwischen erlaubt und nicht erlaubt trennen und die Graubereiche minimieren. Unternehmen müssen sich an Gesetze halten - und werden bei Nichtbeachtung sanktioniert.

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Wenn ich das Fazit weiter verkürzen darf lautet es:
Alles was nicht per Gesetz verboten ist, ist erlaubt.

Nun, das ist wohl rechtlich so und kommt natürlich allen entgegen, die sich um mögliche negativen Auswirkungen (sei es moralisch, umwelttechnisch, oder, oder…) nicht den Kopf zerbrechen wollen, oder für ihr Handeln Verantwortung tragen müssen, sehr entgegen.

Das könnte man natürlich auch versuchen umzudrehen: Alles was nicht erlaubt ist, ist verboten.
Aber das wäre auch eine Welt in der ich nicht leben wollte.

Für dieses Dilemma sehe ich keinen Lösungsansatz. Insofern stimme ich @lib zu:
Moralische Ansätze müssen in Gesetze gegossen werden. Alles andere hilft nichts.

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Ja, ich simme zu: Die Politik sollte nicht aus der Verpflichtung gelassen werden. Mein Punkt ist, nicht „entweder“ die einen „oder“ die anderen in die Pflicht zu nehmen, sondern alle Akteure und damit eben auch Unternehmen.

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Die moralische Instanz sollte demokratisch legitimiert sein - entsprechend sehe ich nur die Politik in der Verantwortung. Die Medien oder Religionen können und sollen auf moralische Differenzen aufzeigen und hinterfragen - aus ihnen sollte sich aber keine Sanktionierbarkeit ableiten.

Oder meinst du mit „in die Pflicht nehmen“ etwas anderes als dass unmoralisches Handeln Sanktionsfolgen nach sich zieht?

Danke für die Rückfrage:
Also ich denke, dass (moralische) Debatten (letztlich ist ja jede politische Debatte auch eine ehtisch/moralische) sich nicht nur auf dem Bereich der Politik beschränken (sollten). Eine lebendige Demokratie braucht kontroverse Debatten in den Medien (Journalismus), aus der Zivilgesellschaft (Bürger:innen) usw. Mit „in die Pflicht nehmen“ meine ich in diesem Sinne, dass Journalist:innen dann durchaus auch Konzerne dafür kritisieren können und dürfen, wenn diese nicht ihre Spielräume für nachhaltiges Handeln nutzen (gleichzeitig können natürlich trotzdem - und in erster Linie - die Regierungen kritisiert werden, wenn diese bestimmte politischen Rahmenbedinungen nicht umsetzen). Was „folgt“ dann aus diesem kommunikativen „in die Pflicht nehmen“? Nun: Zum einen kann es begünstigen, dass die Politik aufgrund des öffentlichen Drucks doch die Regeln anpasst. Zum anderen kann aber der öffentliche Druck gegenüber den Unternehmen auch dazu beitragen, dass diese von sich aus sozialer handeln. (Das ist im Bereich Mineralöl-Konzerne vielleicht tatsächlich weniger der Fall; aber beispielweise haben in der Corona-Krise die großen Supermarkt-Ketten nacheinander verkündet, die gesenkte Mehrwertsteuer an ihre Kund:innen weiterzugeben; Rein technisch betrachtet, hätten sie das nicht tun müssen. Da hat es nur einen Vorreiter gebraucht - und alle haben nachgezogen, weil sonst die Kund:innen eben zu ALDI statt zu REWE gegangen wären und der Aufschrei groß gewesen wäre).
Daher finde ich, dass die Konzerne wenigstens nicht moralisch entlasstet werden sollten, mit Verweis auf „die Marktwirtschaft“. Marktwirtschaft könnte eben auch heißen, die Konzerne geben die Steuererleichterungen (nichts anderes war der „Tankrabatt“) an ihre Kund:innen weiter.

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Verstehe. Vielleicht habe ich einfach eine höhere Skepsis gegen Kommunikation bzw. die Ergebnisse von Debatten.
Selbstverständlich sollen Politik, Presse, Bevölkerung, Unternehmen debattieren und kommunizieren dürfen was sie wollen. Die Frage ist nur, ob aus der Kommunikation auch eine Pflicht zur Umsetzung erwächst. Dass die Supermärkte oder Mineralölkonzerne kommunizieren, dass sie Steuerreduzierungen weitergeben ist ja schön - es sollte aber doch mehr interessieren, ob sie es tun.
Andersherum gesprochen: Wenn die ersten Supermärkte ohne es anzukündigen die Preise reduziert hätten, hätte es denselben Effekt gehabt. Es wäre nur nicht so schnell gegangen. Die Preissenkungen der anderen sind ein wichtiges Mittel in der Marktwirtschaft - deshalb ist manchmal eine zu hohe Transparenz sogar für den Konsumenten schädlich. Denn wenn ich sekundengenau dank einer staatlichen Transparenzstelle weiss, wie viel die Butter im Supermarkt gegenüber oder der Sprit an der nächsten Dorftanke kostet, muss ich diese nur um wenige Cent unterbieten. Zu viel Rabatt wird in einem hochtransparenten Markt selten an die Kunden weitergegeben.
Der Diskussion, ob Ankündigungen einer Verpflichtung nahekommen, wurde in diesem Forum aber schon viel Platz gewidmet. Für mich kam da immer nur raus: Durch die vielen Wieselworte kommen alle immer aus allem raus - seien es Politiker:innen oder Unternehmen. Projekte wie der Koalitionsvertrags-tracker sind zwar nett, aber so richtig Auswirkungen hatte die Durchzugs-quote bei den Wahlen bislang subjektiv nicht.

Weil es als Illustrationsbeispiel gut funktioniert:
Per Gesetz wurden Tüten von 15-49 Mikrometern Dicke in Supermärkten verboten.
Also werden dort nun dickere Tüten angeboten.

Wenn die Gesetzesmacher:Innen Plastiktüten verbieten wollen, dann sollen sie das Gesetz eben so machen, dass es keine Umgehungsmöglichkeiten gibt. In diesem speziellen Fall müsste dafür das EU-Recht geändert werden: Da muss die deutsche Politik eben Druck machen.
Was aber nicht geht, ist, die Unternehmen zu einem hermeneutisch wohlwollenden, über das Gesetz hinausgehenden, Bewusstsein verpflichten zu wollen. Die Unternehmen halten sich an geltendes Recht und bieten keine Tüten zwischen 15 und 49 Mikrometern an.
Den Einkäufer:Innen steht es selbstverständlich frei die dickeren Tüten oder gar die betreffenden Supermärkte zu meiden- aber auch da besteht meines Erachtens nach keine Verpflichtung zur Nicht-Nutzung eines legalen Gesetzesschlupflochs.
Der Bundestag hat die Macht der Erlaubnisse und Verbote dickerer Tüten an die EU wissentlich und demokratisch abgestimmt abgegeben. Nun sich darüber zu beschweren dass in Brüssel andere Mehrheiten als in Deutschland herrschen, zeugt von einem problematischen Demokratieverständnis. Die Verantwortung der Gesetzgebung lag beim Bundestag - wenn dieser es nicht haben wollte darf man sich über die Ergebnisse nicht beschweren und erst recht nicht die Schuld bei den Bürger:Innen oder Unternehmen suchen.

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