Hey zusammen,
erstmal danke für eure tolle Arbeit. Ich höre seit langem jede Folge und finde den Podcast wirklich sehr gut. Gerade höre ich Folge 285 und finde die Ausführungen zu den westlichen Werten ein bisschen schwierig. Zwei Punkte dazu:
- a) Ihr zitiert Samuel Huntington und sein Konzept des „Clash of Cultures“. Das hat mich überrascht. Ihr deutet zwar an, dass ihr nicht vollkommen mit ihm übereinstimmt. Ihr verwendet es aber, um aufzuzeigen, dass die liberale Nachkriegsordnung der Wertekonvergenz zu scheitern scheint. Die kritische Einordnung hat aus meiner Sicht aber nicht annähernd den Raum eingenommen, den sie gebraucht hätte. Das Konzept bedient sich zahlreicher rassistischer Narrative, die in den Vereinigten Staaten und weltweit grassieren. Es wurde wiederholt von angesehenen Wissenschaftler*innen eindeutig als islamophob und rassistisch eingeordnet (s. dazu Sahar Aziz, The Racial Muslim (2021 bei University of California Press), S. 128-129; Cyra Akila Choudhury, Khaled A. Beydoun (Hrsg.), Islamophobia and the Law (2020 bei Cambridge University Press), S. 250 ff.; Kambiz GhaneaBassiri, A History of Islam in America (2010 bei Cambridge University Press), S. 396 ff.)
b) Zudem wundert es mich, dass ihr in eurer Analyse die „Gegner des Westens“ über einen Kamm zu kehren scheint: Samuel Huntingtons Konzept bezieht sich auf „den Westen“ und „den Islam“, während eure Debatte den Ausgang bei der imperialistischen Politik Russlands nahm. Dann bezieht ihr euch auf Brasilien und die USA. Hier muss aber viel exakter differenziert werden: Zum einen zwischen der Beziehung „zum Westen“ und den Werten, die der Westen als die eigenen versteht. Zum anderen zwischen den verschiedenen Beziehungen, die die von euch genannten Regionen zum Westen haben. Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt.
- Ihr sprecht davon, dass in den Ländern, die westlichen Werten wie Liberalismus und Demokratie abgeneigt sind, eine „Wir Gegen Die“-Mentalität herrsche. Dass diese Länder die Menschenrechte des Westens, die der Westen als universell versteht, nicht anerkennen würden. In eurer Darstellung wirkt es so, als läge der Grund für diese Ablehnung in den Kulturen dieser Länder selbst, als habe der Westen damit nichts zu tun. Das hat zwei Konsequenzen.
a) Erstens: Damit essentialisiert ihr diese Kulturen und schreibt ihnen einen Kern zu, eine feststellbare Identität die sich mit den als universell verstandenen Werten nicht verträgt. Essentialisierung wird in der postkolonialen Theorie seit Jahrzehnten als Teil von Othering kritisiert.
b) Zweitens, und hier schlägt sich die fehlende Differenzierung von 1b) nieder: Muslimisch geprägte Länder sind nicht wütend oder beleidigt, weil der Westen sie überholt hat, so wie Samuel Huntington und sein Kollege Bernard Lewis insinuieren. Die Ablehnung der westlichen Werte rührt auch nicht von einer grundlegenden Unvereinbarkeit des Islams mit diesen Werten her. Was ihr fatalerweise überseht, was aber den absolut entscheidenden Unterschied macht: diese Länder wurden vom Westen jahrhundertelang kolonialisiert. Ihr konstatiert ohne post-, bzw. neokoloniale Einordnung, die Gegner des Westens lehnten die Menschenrechte ab, und stellt damit alle Gegner als die Kriegsmacher dar. Es ist aber doch ironisch, dass die Menschenrechte vom Westen als universell deklariert und deren Erfüllung nun von den Ländern erwartet wird, die vom Westen jahrhundertelang ausgebeutet, unterdrückt, und systematisch geschwächt wurden.
Diesen geschichtlichen Kontext blendet ihr aus, weil ihr bei den Gegnern des Westens nicht zwischen ehemals kolonialisierten und nie kolonialisierten Staaten (wie Russland) unterscheidet. Das wird umso deutlicher, wenn ihr instabile Demokratien in postkolonialen Staaten mit den USA vergleicht. Ich verstehe, dass ihr damit zeigen möchtet, dass ihr nicht nur mit dem Finger auf die anderen zeigt. Das hättet ihr aber effizient tun können, indem ihr Kolonialismus nicht einfach unter den Tisch fallen lasst.
Fazit: Ich glaube, ihr seid hier in eine typische liberale Falle getappt. Ulf deutet am Anfang kurz an, man könne die UN durchaus auch kritisieren. Ich verstehe, dass ihr dieses Fass nicht aufmachen möchtet. Das Fass des Kolonialismus aufzumachen, ist aber angesichts dessen Macht und Zerstörungskraft bis ins Heute hinein keine Kür, sondern ein Muss.
Liebe Grüße!