LdN 280: Interview mit Thomas Wiegold zur Bundeswehr

Hallo Lage-Team,

sehr gute neue Folge, insbesondere die Einordnung eures Interview-Gastes zu den Problemen bei der Bundeswehr.

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Auch von mir einen „Daumen hoch“. Thomas kann die Sachen wunderbar einordnen.
Auch wenn nicht jedem gefällt, dass 100 Mrd. nur zum „ausrüsten“, aber nicht zum „aufrüsten“ reichen.

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Also ich war auch nach dem Interview genau so schlau wie vorher, warum wir mit unserem Geld weniger Performance im Verlgeich zu anderen Staaten kriegen.

Und die Sache mit dem Finanzbedarf wegen Erneuerungsstau klingt mir auch irgendwie vorgeschoben. Wenn man in einzelnen Teilbereichen (Waffensystemen) diese Anschubfinanzierung braucht, dann hätte man das eigendlich auch schon längst selber machen können. Man nähme einen Kredit und sagt dann In X Jahren hat sich die Anschaffung amortisiert. Bei ~50Milliarden die man schon als Jahresbudget hat, sollte man solch kleinen Huppel ja wohl eh schon ausbügeln können. Es war ja schließlich schon immer klar, dass es bei jedem Waffensystem dieses Situation gibt, dass sie irgend wann erneuert werden müssen. Da müsste dann ja wahrscheinlich eh einen Teil des Jahresbudgets als Erneuerungsrücklagen vorsehen. Ansonsten kann man auch mit dem Zulieferer über Ratenzahlung reden, oder oder oder… jedem vernünftigem Betriebswirt würde schon irgend ne Lösung einfallen gegen „Wir zahlen langfristig drauf weil zu alten Kram unterhalten müssen“. Aber bei der Bundeswehr geht’s komischerweise nur, wenn man schnell mal 100Milliarden drauf wirft - und das nicht mal als Kredit.

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Naja, das wurde eigentlich schon hinreichend beleuchtet.
Unsere Strukturen sind einfach extrem ineffizient. Vor allem dadurch, dass wir für jede Kleinigkeit das große Fass des europaweiten Vergaberechts aufmachen und dass der Bundestag für relativ kleine Anschaffungen sein Okay geben muss (bereits bei >25 Mio Euro, was im Hinblick auf Wehrtechnik halt Peanuts sind…).

Die Vergabeverfahren und die Beteiligung des Bundestags führen halt dazu, dass sich solche Entscheidungen oft über viele Jahre hinziehen - und dabei entstehen massive Kosten. Unter anderem auch dadurch, dass man eben keine Flexibilität hat, wenn die Verfahren so extrem starr sind.

Wenn Frankreich ein neues Standard-Sturmgewehr für seine Armee braucht, schaut man sich kurz auf dem Markt um, entscheidet, welches das beste Gewehr für die Bedürfnisse ist und deren Beschaffungsstelle bestellt das Ding.

Wenn Deutschland ein neues Standard-Sturmgewehr für seine Armee braucht, will man natürlich unbedingt was eigenes, debattiert im Bundestag monatelang über die Ausgestaltung der Ausschreibung, braucht Monate, um die eingehenden Angebote der Ausschreibung auszuwerten, verschwendet dann Jahre mit Gerichtsprozessen im Hinblick auf wettbewerbsrechtliche Details - und bekommt dann nach 10 Jahren ein Gewehr, das eigentlich technologisch schon wieder überholt ist.

Ich bin absolut dafür, dass die Bundeswehr strikt von den demokratischen Institutionen kontrolliert wird - aber vielleicht nicht unbedingt bei Detailfragen zu Anschaffungen. Der Bundestag soll einen Etat bestimmen, vielleicht noch ein paar Grundlinien festlegen - und was die Bundeswehr im Detail mit diesem Etat macht, sollten die Experten bei der Bundeswehr entscheiden, nicht der Bundestag. Dann klappt’s auch mit der finanziellen Effizienz.

Die Vergabe- und Genehmigungsverfahren sind natürlich nur ein Teil des Problems. Andere Probleme, die auch in diversen sicherheitspolitischen Podcasts genannt wurden, sind auch einfach die absurd übertrieben aufgeblähten Organisationsstrukturen in der Bundeswehr. Hier müsste einfach mal einiges neu strukturiert werden.

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Ich denke das wäre zu einfach gedacht, die Bundeswehr hat ja einen vorgegebenen Etat vom deutschen Bundes-Haushalt. Das heißt zusätzliches Geld muss der Bund entweder aus Steuern oder Schulden bereitstellen. Beides wollte die Bundesregierung aber die letzten Jahrzehnte nicht.

Aber was wäre die Alternative? Noch mehr Berater aus der zivilen Wirtschaft? Es macht ja nicht gerade den Eindruck, als hätten die irgendwelche Probleme bei der Bundeswehr gelöst.

Ich denke eher, dass Problem der Bundeswehr war und ist, dass wir sie die letzten 30 Jahre nicht wirklich brauchten. Es gab ja keinen bedrohlichen Feind.
Deshalb gab es da auch keinen „Leidensdruck“. Jetzt wo „der Russe wieder da ist“, hat mann ja zum Beispiel auch direkt die 100 Mill. € beschaffen können, oder es zumindest angekündigt.

Ich halte es schon für realistisch, dass sich die Probleme bei der Bundeswehr auf viele kleine Brandherde aufteilen. Ähnlich dem Berliner Flughafen. Was Wiegold etwas durch die Blume gesagt hat ist ja, dass auch die Personalkosten eine Rolle spielen. Die Löhne bei der Bundeswehr sind zumindest im internationalen Vergleich hoch. Das ist allerdings bei den Nachwuchsproblemen auch kaum ein Wunder …

Ich persönlich muss sagen, es kam mir dass Problem der Qualifikation des vorhandenen Personals zu kurz. Meine Erfahrungen als Wehrdienstleistender und als ehemaliger externe Dienstleister für die Bundeswehr war, dass dort Soldaten einfach in Verwaltungsposten gesetzt wurden ohne auch nur ansatzweise dafür qualifiziert zu sein. Wenn ich nun komplexe kaufmännische Prozesse wie Logistik, Einkauf, Personal usw. in die Hände von Menschen lege, die es nicht gelernt oder studiert haben, kann es nur teuer werden und in die Hose gehen. Man müsste zuerst einmal für die kaufmännischen Posten Anforderungsprofile erstellen und anschließend mit den Qualifikationsprofilen des eingesetzten Personals abgleichen. Danach muss man entscheiden, ob es mit Weiterbildungen gelöst werden kann oder eben durch qualifiziertes Personal. Vorher versinken 100 Mrd. nur wieder ohne Effekt. Und ich denke auch, Geld ist nicht das Problem bei der Bundeswehr und die 100 Mrd. wären an vielen anderen Stellen mehr Wert.

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Wenn ich mich zurück erinnere (ich war in den 90er Zivi) gab es damals doch ein sehr verbreitetes (Vor-)Urteil, dass viele die in ihrer schulischen Laufbahn und Ausbildung nicht die besten Voraussetzungen für die privaten Wirtschaft gelegt haben, sich als Zeitsoldat versucht haben.
Voraussetzung Gehorsam war ausreichend.

Klar, das ist fast über 25 Jahre her, nicht alle Zeitsoldaten sind pauschal unqualifiziert aber passt in das Bild das du zeichnet.

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Auch von meiner Seite möchte ich mich sehr für diese Lage-Folge bedanken. War unglaublich informativ und hat mir sehr viel Hintergrundinformation geliefert um die Geschehnisse besser einordnen zu können.

Auch der Beitrag Eures Interview-Partners war sehr wertvoll und erhellend. Wünschte dass solch fundierte Diskussionen in den gängigen „Super-Mega-Special-Talk“-Sendungen im Fernsehen auch geführt werden würden.

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Das habe ich bei der Bundeswehr ähnlich erlebt. Ich denke hier kommen aber 2 Sachen zusammen. Zum einen ist der Staat, auch bei der Bundeswehr, ein sicherer Arbeitgeber, bei dem man gut alt werden kann. Das nennen ja sogar Behörden selbst als Vorteil.
Und in Friedenszeiten ist man bei einen nahezu reinen Verteidigungsarmee (bis auf die Auslandseinsätze) relativ sicher aufgehoben und niemand merkt außerhalb der Bundeswehr wenn es nicht richtig läuft in der Truppe oder es interessiert die meisten Leute nicht so richtig.

Insofern ist ist natürlich in gewisser Weise verlockend beim Bund „ne ruhige Kugel“ zu schieben. Der damalige Wehrdienst war da sogar eine gewisse Art von negativer Werbung, denn z.B. von meinen 9 Monaten waren nur die ersten 3 richtig hart aber danach saßen wir fast den ganzen Tag auf unseren Stuben und haben gewartet, dass wir mal irgendeine Aufgabe bekamen.
Und man hat eben auch gemerkt, dass keiner in dem Laden wirklich einen stressigen Job hatte. Au0er wenn vielleicht man ein General zu Besuch kommen sollte.

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Sicherlich, und meine Erinnerung an die Zeit war auch nicht als Angriff auf die Soldaten an sich gemeint, auch nicht an die, die als Wehrpflichtige die Zeit abgesessen habe - für ich meine irgendwas um 4-500 DM sind wahrlich keine Wunder zu erwarten.
Bei der Bundeswehr kommen natürlich viele komplizierte Themen zusammen, zum einen unsere Geschichte, dass sie eher Menschen anzieht die eine Neigung zu Waffen haben, die offener für rechte Ideologien sind und die Befehlsstrukturen denen wenig selbst regulierende Kräfte gegen schädliche Strömung in der Truppe fehlt.
Auf der anderen Seite, muss auch ich als Pazifist eingestehen, als Land brauchen wir eine gut funktionierende Verteidigungsarmee und auch die Menschen die diesen Beruf ergreifen um im Notfall auch ihr Leben für die Zivilbevölkerung opfern.
Der Spagat zwischen grundsätzlicher Ablehnung alles militärischen, die Welt die es nicht zu lässt ohne sein zu können und auch den Respekt gegenüber den einzelnen Soldaten, weil auch nicht alle/viele? ein problematische Gesinnung in sich tragen.

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Eine Alternative wäre eigene Kompetenz aufzubauen, um gute Ausschreibung schreiben zu können und vor allem Angebote der Industrie selbst fundiert bewerten zu können.

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Ich finde auch, dass bei dem Interview der Aspekt der notwendigen strukturellen Reformen zu kurz kam und sich die Debatte insgesamt eher auf Aus-oder Aufrüstung dreht, statt bereits bestehende Vorschläge für Strukturreformen aufzugreifen.

Ein Beispiel dafür ist ein Artikel der Stiftung für Wissenschaft und Politik bereits aus 2020:

Darin werden ganz konkrete Reformvorschläge gemacht, u.a. zur Verringerung von Stabstellen und der zunehmenden Zergliederung und der dadurch fehlenden Steuerbarkeit der Einheiten.

Solche Reformen brauchen natürlich mehr Zeit und Willen als Geld, aber das aktuelle Window of Opportunity sollte genutzt werden, damit die 100 Milliarden nicht auch wieder versickern.

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Erst einmal danke für das interessante Interview.
Mir fehlte die Frage wieviel der 100 Mrd. dafür drauf gehen die Waffen zu ersetzen die wir in die Ukraine senden. Denn die Bestände der Bundeswehr müssen ja wieder aufgefüllt werden.

Ich habe da, und das kam aus dem Interview auch bisschen heraus eine Vermutung. Thomas Wiegold hat gesagt, dass das daran läge, dass die Beschaffung auf Friedenszeiten ausgerichtet ist.

Ich bin kein Experte in dem Thema Beschaffung, aber ich war bei der Bundeswehr. Ich denke, dass die Beschaffung des Militärs in anderen Ländern, bspw. in den USA, im Gegensatz zu „normalen“ Behörden, eine gewisse Prio bekommt (weniger Bürokratie, Prio bei der Bearbeitung von Aufträgen bei den Rüstungsfirmen etc.).In Deutschland ist die Verwaltung der Bundeswehr nicht anders organisiert als das Grünflächenamt von Kommune XY. Nehmen wir mal die Atomstreitkräfte der USA, der Franzosen und der Briten. Glaubt man im Ernst, der Zuständige Offizier dort muss vorher noch eine Ausschreibung machen um an Ersatzteil XY zu kommen? Das wäre ja Wahnsinn. (@ExMod: Wenn Du weißt, wie das dort organisiert ist, nenn eine Quelle. Wenn nicht, dann formuliere es bitte als Frage…) Die Atomstreitkräfte müssen immer einsatzbereit sein, auch in Friedenszeiten.

Das hat, denke ich, alles auch etwas damit zu tun, wie das Militär in der Gesellschaft verankert ist und welchen Stellenwert es hat. Ein Sonderstatus der Bundeswehr und zwar in allen Bereichen(!) war/ist nicht besonders beliebt.

Will aber nicht nur schimpfen, die Bundeswehr hat auch gutes Gerät, das immer wieder von Verbündeten angefragt wird: Die AWACS Aufklärungsflugzeuge, das Airbus Sanitätsflugzeug mit kompletter Intensivstation, die ABC-Kompanie mit ihren Spezialfahrzeugen, die Patriot Flugabwehr…

Stimmt, oder die extrem leisen deutschen U-Boote, mit denen Israel seine atomare Zweitschlagfähigkeit begründet:

Auch da ist Israel, um beim Beispiel zu bleiben, ja anders aufgestellt als Deutschland:

Aber ist so ein Stellenwert des Militärs ohne eine Bedrohungslage wie eben beispielsweise in Israel vorstellbar? Ich habe da meine Zweifel.

Hier ein aus meiner Sicht interessantes Interview mit einem ehemaligen Bundeswehrgeneral. Über einige seiner Positionen lässt sich streiten, aber auch er bestätigt, dass Geld allein die Probleme der Bundeswehr nicht lösen wird.

Bei Erich Vad sollte man gelegentlich darauf hinweisen, dass er sich im neurechten Umfeld von Götz Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“ herumgetrieben, für dessen Sezession geschrieben und Wehrmachts-Apologetik betrieben hat.

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Generell machen hohe Offiziere wohl selten in der Wahlkabine ihr Kreuz bei Grünen oder Linkspartei.
Seine Aussagen zur „Wehrtauglichkeit“ weisen auch auf ein ziemlich konservatives Weltbild hin. Das entwertet aus meiner Sicht aber nicht seine inhaltlichen Aussagen zu den Problemen der Bundeswehr.

Die FAZ hat das vor ein paar Jahren mal am Beispiel des PUMA-Panzers beleuchtet:

Da die Bundeswehr der Meinung ist, dass ein Panzer auch als Arbeitsplatz für Hochschwangere geeignet sein muss (Gleichberechtigung und so), kann man leider nicht die Standardausführung nehmen sondern hat ettliche Sonderanforderungen. Diese Kosten und erzeugen massive Verzögerungen.

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