LdN 277 - Warum unterläuft Bayern/die CSU die einrichtungsbezogene Impfpflicht?

Ihr hattet euch in der Lage gewundert, dass Markus Söder, bzw. die CSU, bzw. Bayern die demnächst geltende Impflicht in gewissen Einrichtungen nun dadurch unterläuft, dass sie öffentlich erklären, diese nicht um- und durchzusetzen.

Hier mal meine Gedanken, wie es dazu kommt:

Die Impfpflicht wurde im Dezember 2021 beschlossen, diese Meldung ist vom 10. Dezember 2021.
https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/einrichtungsbezogene-impfpflicht-1990672
Damals sah die Corona-Lage noch deutlich schlechter aus, als heute. Wir lagen gerade am Höhepunkt einer Delta-Welle, die sich sowohl in Infektionen, Toten und Intensivpatienten ausdrückte. Letztere lagen wieder an der Grenze von 5.000 Covid-Intensivpatienten, was sich in frühere Wellen als die maximale Kapazität etabliert hat, bei der auch der langsamste Ministerpräsident dann mal handeln musste.
Die Zusammenhänge im historischen Verlauf kann man z.B. bei der Zeit schön nachvollziehen:
https://www.zeit.de/wissen/aktuelle-corona-zahlen-karte-deutschland-landkreise

Seit dem sind zwei Dinge passiert: Durch die Verbreitung der Omikron-Variante ist die Situation trotz Rekord-Infektionszahlen relativ entspannt (wenig Tote, wenig Intensivpatienten), daher sind Schulen, Restaurants etc. weiterhin offen. Zudem zeichnet sich ab, dass die Welle bis zum Beginn der Pflicht evtl. bereits wieder abnimmt, sodass am 15. März 2022, sobald die Impfpflicht greift, relativ wenig Argumente bleiben, diese Pflicht mit aller Härte durchzusetzen.

Dem gegenüber sehen sich Länder wie Bayern mit vehältnismäßig schlechten Impfquoten der (impliziten) Drohung der Impfverweigerer ausgesetzt, dass sie ihren Job aufgeben, anstatt sich impfen zu lassen. (Die Quoten lassen sich zwar nicht direkt für die entsprechenden Einrichtungen übertragen, aber es gibt doch eine Korrelation.)
So ist es auch kein Wunder, dass ausgerechnet Sachsen den Bayern zur Seite springt, mit explizitem Hinweis auf die niedrigen Impfquoten.

Hier liest man dann auch gleich die klassische Verzögerungstaktik, „erstmal Ruhe in die Situation zu bringen“, um dann im Sommer natürlich noch weniger Argumente für eine Impfpflicht zu haben.

Man kann es leider nicht anders sagen, als:

Die Drohung der Impfverweigerer hat hier in einigen Bundesländern gehalten. Sie haben ihre Position genutzt, und die Allgemeinheit mit der Wichtigkeit ihrer Arbeit unter Druck gesetzt, um ihr Ziel zu erreichen.
(Würden sie diese Technik für höhere Löhne anwenden, würden wir anders über dieses Verhalten denken.)
Gleichzeitig haben die entsprechenden Bundesländer damit zugegeben, dass sie ihre Gesundheitseinrichtungen leider nicht mehr in einer angemessenen Qualität betreiben können, und jeder, der sie beansprucht, sich jetzt dieser Gefahr aussetzen muss.

Herr Söder hat heute angekündigt, dass die Impflicht im Gesundheitswesen, die ab dem 15.03. gilt, in Bayern erstmal ausgesetzt wird.

Ist das nicht ein Bundesgesetz? Kann ein Bundesland überhaupt ein Bundesgesetzt einfach so aussetzen?

1 „Gefällt mir“

Als Einwohner Bayerns kann ich nur entgegnen, dass es für Söder egal ist ob das Bundesgesetz ist oder nicht. König Markus dreht sich alles so hin wie es ihm passt.

Spass beiseite, ich denke schon dass es da rechtliche Möglichkeiten gibt es nicht umzusetzen, wenn z.B. mit überforderten Gesundheitsämtern argumentiert, die diese Impfpflicht defacto über - und. ggf. jeden Einzelfall nachprüfen müssten.

Herr Söder hat es einfach drauf.

Erst die Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegewesen (mit-)beschließen, dann die neue Bundesregierung ob ihrer Behäbigkeit beim Beschließen einer allgemeinen Impfpflicht kritisieren und nun 180° Kehrt machen. Dabei immer fest das Endziel allen politischen Handelns und Kommunizieren fest im Blick: der Wahlerfolg der CSU und insbesondere des Herrn Söder, Markus.

Da kann man nur den Hut ziehen.

Was dabei freilich völlig unter die Räder kommt: die Handlungsfähigkeit des Staates. „Wir“ sind nicht in der Lage, in wichtigen Fragen zeitnah Entscheidungen zu treffen. Und wenn dann doch etwas entschieden wurde, dann wird es nicht durchgesetzt, sobald das irgendwie schwierig/unangenehm erscheint.

6 „Gefällt mir“

Genaugenommen wird die Impfpflicht nicht ausgesetzt, sondern bloß nicht von den Gesundheitsämtern durchgesetzt. Im entpsrechenden §20a Abs. 5 des Infektionsschutzgesetzes heißt es:

Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt oder der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung nach Satz 2 nicht Folge leistet, untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird.

Durch die Formulierung „kann“ wird dem Gesundheitsamt hier ein gewisser Ermessensspielraum zugesprochen, der wohl in Bayern voll ausgeschöpft werden soll.

1 „Gefällt mir“

Äußerst geschickt.
Die Impfgegner feiern ihn schon und merken gar nicht, was für ein Ei er ihnen da ins Nest gelegt hat.

Die neue Regierung steht geschwächt da (wie @Sadarion ausführt hat die gewissermaßen auch dazu eingeladen und auch auf Reporterfrage genau so kommuniziert).
Die Handlungshoheit kann sie nur gewinnen, indem sie jetzt schnell die Impfpflicht auf den Weg bringt (die Söder ja im selben Atemzug weiterhin befürwortet hat) und mit strengen Kontrollen flankiert (was die Bundesregierung bisher eher nicht so wollte).
Wird spannend, wie das ausgeht und wie die FDP sich dazu verhält.

Ich verstehe die Argumentationsketten nicht mehr.

Wenn die Bayern, die bisher als DIE großen Verfechter des Lockdowns, der Quarantäne, der Impfung, etc waren, von der Durchsetzung der begrenzten Impfpflicht abweichen, dann ist doch da was komisch. Wenn die Bayern Probleme mit der Kontrolle und der Durchführbarkeit dieser sehen, sollte uns das nicht zu denken geben? Die sind ja sonst nicht allzu zimperlich wenn es um den Überwachungsstaat geht.

Wenn das seinen Umfragwerten hilft, so würde Herr Söder morgen das Kalifat ausrufen - oder zu Swingerparties einladen. Völlig egal.

Er wittert nun einen Umschwung in der öffentlichen Meinung. Es wird wieder wärmer, die Omikron-Welle ist im Westen bald durchgerauscht, die Leute haben kein Bock mehr auf Corona-Debatten - so ist vermutlich das Kalkül. Und man muss sich ja in jedem Fall von der neuen Regierung absetzen.

1 „Gefällt mir“

Die Schwächung der Handlungsfähigkeit des Staates finde ich tatsächlich auch einen sehr bedenklichen Punkt: die aktuelle Situation ist eh bereits eine Zerreißprobe für unsere Institutionen; wenn man die jetzt noch mutwillig schwächt, ich weiß nicht ob das langfristig eine gute Idee ist… Es gibt genug aufzuholen in etlichen Institutionen, das ist erkannt. Über das „wie“ kann man sicher streiten, aber jetzt aktiv unterminieren ist echt arg kurz gesprungen.
Die Autokraten dieser Welt fühlen sich bestätigt…

2 „Gefällt mir“

Habt ihr euch weiter informiert? Ich sehe nicht!

Sogar der Präsident vom DIVI ist gegen die „einrichtungsbezogene“ Pflicht und das seh ich auch als richtig an. Die Divi fordert Impfung für alle ab 18 und das sehe ich auch als richtig an!
Was soll es bei den Pflegekräften doppelt genau zu gucken und die anderen lassen sich weiter am A… l…

Quelle Intensivmediziner Gernot Marx (DIVI-Präsident) - Jung & Naiv: Folge 556 - YouTube

Ulf hat in der Lage erklärt, dass „kann“ hier nicht dazu führen darf, dass das Gegenteil des geltenden Bundesgesetzes gilt. Der Ermessensspielraum kann sich nur auf gut begründete Ausnahmen beschränken.

Söder lässt sich von der Bundesregierung wie ein unartiges Kind vorführen und demütigen, damit der Bund die bayrischen Impfverweigerer zwingen muss und er so seine Impfquote hoch kriegt?

Die Bayern haben eine der schlechtesten Impfquoten unter den West-Bundesländern und sind daher besonders empfindlich, wenn Impfverweigerer in den betroffenen Einrichtungen hinschmeißen.

Ich bin generell verwirrt warum so ein hroßes Fass aufgemacht wird. Sollte in den Krankenhäusern die Impfung nicht im Arbeitsschutz geregelt sein? Ähnlich zu Hepatitis u.a. Impfungen?
Erfüllt man nicht die Bedingungen des Arbeitschutzes wie z.B persönliche Schutzkleidung, oder wie in Laboren üblich, dem Sachgemäßen Umgang mit biologischen Proben, dann ist das fahrlässiges Handeln und mindestens eine Verwarnung und nicht sogar ein Entlassungsgrund…

Trotzdem wird deutlich, wie weit die erzeugte Erwartungshaltung „Impfpflicht“ von der Realität abweichen wird. Am Ende, nach 1-4 Monaten, kommen wir zu einer Quote von 80~90 Prozent, alles gut abgewogen und begründet. Und man greift sich nur an den Kopf.

Edit: Autokorrektur-Fehler

Er hat ja schon durch Holetschek zurückrudern lasse.
Natürlich werde Bayern die Impfpflicht umsetzen (inwieweit Spielräume dann genutzt werden, ließ er natürlich offen). Und gerade hier hapert das Gesetz. Wie realistisch ist es, dass Berlin Aufpasser in die Bundesländer schickt und damit Munition für alle liefert, die immer schon der Meinung waren, dass sich der Bund auf Lokalebene viel zu sehr einmischt.
Mir fällt gerade bei der SPD auf, dass kein Biss hinter dem ist, was sie tut. Das erklärt auch im Nachhinein die Enttäuschung, dass ihre guten Ideen in der GroKo immer von der Union gekapert wurden.
Das Gesetz war einfach schlecht gemacht und ich unterstelle: mit Absicht, um gerade den Bundesländern mit niedriger Impfquote Möglichkeiten zu lassen auf Zeit zu spielen.
Dazu das Herumgeeiere bei der allgemeinen Impfpflicht, dabei hätte gerade eine klare Ansage hier den einen oder anderen Zweifler vielleicht noch bewogen, sich doch impfen zu lassen. Hätte Söder nicht populistisch diese offene Flanke in die Öffentlichkeit getragen, hätte eine mangelhafte Umsetzung voraussichtlich niemand richtig interessiert.

1 „Gefällt mir“

Wo genau? Es gibt ein „kompliziertes“ Kontrollverfahren, aber sonst?
(Das komplizierte Kontrollverfahren ist übrigens gar nicht so kompliziert, weil man im Gesundheitsamt eigentlich nur die Impfnachweise auf Echtheit prüfen muss. Nervig, wenn Kopien vom Impfpass abgegeben werden, einfach, wenn Leute ihre QR-Codes einsenden.)

Das Gesetz hapert nicht, denn es regelt ganz klar, dass die Betroffenen eine Impfung brauchen.
Das „kann“ bei den Gesundheitsämtern wird jedenfalls ganz klein, wenn sich herausstellt, dass großflächig gegen die Pflicht verstoßen wird.

Wie wir gerade sehen, braucht es das nicht. Söder hat sich mit seinem Stunt hier schon zum Deppen gemacht. Diejenigen, die ihn dafür feiern, sind zum Großteil diejenigen, von denen selbst jemand wir er (offiziell) keinen Applaus will.

Das ist vermutlich richtig. Warum tut er es also?

These: Er befürchtet einen „Streik“ der Arbeitnehmer, die ab 15. März 2022 das Gesetz befolgen und nicht mehr zur Arbeit kommen. Er macht also einen solchen Stunt, um die Betroffenen zu überzeugen, dass sie nichts zu befürchten haben, selbst wenn der Bund ihn jetzt dazu bringt, das ganze vordergründig zu unterstützen und durchzusetzen.

Söder geht es nur um Söder.
In Bayern ist die einrichtungsbezogene Impfpflicht sehr umstritten, während die allgemeine Impfpflicht mehr Befürworter hat (ich denke, das ist im gesamten Land ähnlich). Dem trägt er Rechnung.
Ein „Streik“ der Arbeitnehmer ist unrealistisch, ein Abwarten des Kommenden eher realistisch. Auch ist realistisch, dass einige bereits Bewerbungen geschrieben haben und kündigen, sollten sie jetzt etwas anderes finden. Da ist die Frage interessant: Zu welchem Datum können sie denn jetzt kündigen? Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, die ungeimpften Angestellten zum 15.03. ziehen zu lassen.
Das Gesetz ist schlecht gemacht, weil es erstens keine klaren Sanktionen regelt, zweitens die Aufgabe an die Länder abgibt, die kein großes Interesse haben, das umzusetzen. Damit wurde die Flanke für das geöffnet, das Bayern macht.

Das wird so von der SPD dargestellt. Im Endeffekt hat die Regierung in Berlin aber zumindest nach Ansicht der bayerischen Regierung keine Sanktionsmöglichkeiten (auch Lauterbach hat sich so geäußert).

Okay, gehe ich mit.

Das ist überhaupt nicht schlecht. Natürlich wird kein Bundesministerium alle Impfpässe von jeder Dorfklinik einsammeln. Dass man sowas an lokalen Strukturen delegiert, ist Alltag.

Hm, ja, aber dann sind die Länder (die das nicht umsetzen) das Problem.
Natürlich haben sich die Länder in der gesamten Pandemie besonders uneinsichtig verhalten. Die meiste Zeit lag das aber daran, dass der Bund ihnen eben keine klaren Vorgaben gemacht hat. Daher mussten die Länder entweder unter sich einen Konsens finden, oder eigenständig Regeln erlassen.
Diesmal hat der Bund ein klares, einheitliches Gesetz geschaffen.

Wie oben gesagt: Wenn sich die bayrischen Gesundheitsämter, Polizei und Justiz weigern, das durchzusetzen, hast du als Bund wenig Chancen. Egal, wie gut das Gesetz ist.

Die Unterscheidung nach allgemeiner und einrichtungsbezogener Impfpflicht halte ich für eine völlig überbewertete Diskussion und damit eine Nebelkerze, die (von den Bayern) hauptsächlich deshalb geführt wird, weil absehbar ist, dass eine allgemeine Impfpflicht frühestens im nächsten Herbst kommt. („Wir nehmen keine Flüchtlinge auf, wir brauchen erst eine europäische Regelung.“)

Die Argumente, die einrichtungsbezogene Pflicht fallen zu lassen und durch eine allgemeine Pflicht zu ersetzen, können nur auf die Symbolik zielen (à la „Pflege-Personal wird unter Generalverdacht gestellt“), denn am Ende zwingt die allgemeine Pflicht mehr Menschen die Impfung auf.
Dass sie dabei auch mehr Nutzen entfaltet ist klar, spricht aber ja nicht dagegen, erst mal in den jetzt betroffenen Einrichtungen anzufangen und die allgemeine Pflicht zügig nachzuschieben. Stattdessen will man den kleinen Nutzen, den man jetzt haben könnte, abwürgen, und weiter an dem großen Wurf arbeiten - und sabotiert ihn damit. Vielleicht nicht ganz unbeabsichtigt.

Da bin ich ja mal gespannt, ob wir noch erleben, wie die CDU/CSU sich dann zur allgemeinen Pflicht verhält - und wie die durchgesetzt wird.

2 „Gefällt mir“

Hat sie doch schon. Sie hat neben der AfD als einzige Partei in keinen Gruppen mitgewirkt. Sie wollen ein Gesetz im Stil von Merkel, nämlich eines das erst greift wenn es eh zu spät ist. Aber die Daren wollen sie natürlich in einem Register, weil dafür ist dich die Union nie zu schade. Die Union ist eben absolut regierungsunfähig, im Bund und den Ländern.

1 „Gefällt mir“

Typische Anglo-(neu)rechte Strategie: Einfach die aktuelle, als links gelesene Regierung schwächen: Klassisches Trump Playbook.

Sehr treffend beschrieben. Es ist auch extrem Demokratie schädigend und gibt den Radikalen Munition.